Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Sa 5. Jun 2010, 19:14

El Schwalmo hat geschrieben:Wir hatten das ja schon sehr ausführlich durchdiskutiert: bestenfalls kann man Sätze über Seiendes (darum geht es ja in den Naturwissenschaften) formulieren, die wahr sind.


Ohne wahre Sätze kein wahrer Glaube, und ohne wahren Glauben kein Wissen!

El Schwalmo hat geschrieben:Das Problem ist allerdings festzustellen, ob sie wahr sind. Das steht für Darwin Upheaval und die Autoren, auf die er sich bezieht, im Vordergrund. Das, was Dich und die Autoren, auf die Du Dich beziehst, bewegt, interessiert hier weniger.


In das praktische Problem der Wahrheitsfeststellung ist auch die erkenntnistheoretische Frage involviert, in welchem Maß und Umfang eine Annahme durch (empirische) Beweise gerechtfertigt sein muss, um als wahr und damit als (fehlbares) Wissen gelten zu dürfen.

El Schwalmo hat geschrieben:Und die Naturwissenschaftler nehmen das bestenfalls amüsiert zur Kenntnis, denn an deren Tagesgeschäft würde sich nichts ändern. Es sei denn, jemand könnte zeigen, dass Wissen nicht nur zeitkernig gültig ist.


Wissen ist so lange "gültig", wie die Tatsachen bestehen, worauf es sich bezieht.

El Schwalmo hat geschrieben:Wie gesagt, es geht hier eher um Definitionen als um Einlösung eines Anspruchs. Wenn man Wissen als 'wahres Wissen' definiert, hast Du Recht.


Wie schon mehrmals betont, so gut wie alle Epistemologen, einschließlich der Fallibilisten, verneinen, dass es falsches Wissen geben kann, da es ja keinen falschen wahren Glauben geben kann. Ein Wissensbegriff, der den Wahrheitsaspekt ausklammert, fällt in eins mit dem Glaubensbegriff. "Falsches Wissen" ist also eigentlich falsches Glauben.

El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man aber davon ausgeht, dass es keine erkennbare Wahrheit gibt, kann man entweder den Begriff 'Wissen' aufgeben (mir persönlich gefällt 'zeitkernige diskursiv einzulösende Gültigkeit' besser, …


Wie verhält sich eigentlich der Begriff der "zeitkernigen Gültigkeit" zum Begriff der Wahrheit?
Ist "zeitkernig gültiges Wissen" etwas anderes als wissenschaftlich gerechtfertigter Glaube mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit?
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Sa 5. Jun 2010, 20:02

Die Themen Naturalismus und Erkenntnistheorie überlappen beim Thema naturalisierte/naturalistische Erkenntnistheorie:

A. http://plato.stanford.edu/entries/epist ... aturalized

B. http://www.iep.utm.edu/nat-epis

Wie ich die Sache sehe, besteht die sogenannte "Naturalisierung" der Erkenntnistheorie in einer Psychologisierung derselben.
Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass die normative Epistemologie auf eine rein deskriptive Kognitionspsychologie reduziert wird, was bedeuten würde, dass der Unterschied zwischen den veranlassenden Gründen (Ursachen) und den rechtfertigenden Gründen für Glauben und Wissen aufgehoben wird.
Was Frege im Folgenden über die psychologistische Herangehensweise an die Logik sagt, lässt sich auf eine ebensolche Herangehensweise an die Epistemologie übertragen:

"Bei der psychologischen Auffassung der Logik fällt der Unterschied zwischen den Gründen, die eine Überzeugung rechtfertigen, und den Ursachen, die sie wirklich hervorbringen, weg. Eine eigentliche Rechtfertigung ist dann nicht möglich; an ihre Stelle wird die Erzählung treten, wie die Überzeugung gewonnen wurde, aus der zu entnehmen ist, dass alles seine psychologischen Ursachen hat. Das kann bei einem Aberglauben ebenso wie bei einer wissenschaftlichen Erkenntnis geschehen."

(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In: Gottlob Frege, Schriften zur Logik und Sprachphilosophie: Aus dem Nachlass, hrsg. v. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 67)

Das, was in Text A (siehe obiger Link!) als "replacement naturalism" bezeichnet wird, lehne ich ab!

"[I]t is difficult to see how an 'epistemology' that has been purged of normativity, one that lacks an appropriate normative concept of justification or evidence, can have anything to do with the concerns of traditional epistemology. And unless naturalized epistemology and classical epistemology share some of their central concerns, it's difficult to see how one could replace the other, or be a way (a better way) of doing the other. To be sure, they both investigate 'how evidence relates to theory.' But putting the matter this way can be misleading, and has perhaps misled Quine: the two disciplines do not investigate the same relation. As lately noted, normative epistemology is concerned with the evidential relation properly so-called—that is, the relation of justification—and Quine's naturalized epistemology is meant to study the causal-nomological relation. For epistemology to go out of the business of justification is for it to go out of business."

(Kim, Jaegwon. "What is 'Naturalized Epistemology'?" 1988. Reprinted in Epistemology: An Anthology, edited by Ernest Sosa, Jaegwon Kim, and Matthew McGrath, 301-313. Oxford: Blackwell, 2000. p. 306)

(Siehe dazu auch: http://plato.stanford.edu/entries/epist ... onary/#1.3)

P.S.:
Auch Leute wie Alvin Goldman, der in einem Text (siehe obiger Link B!) zu den "key figures in naturalistic epistemology" gezählt wird, sagen, was ich die ganze Zeit hier predige:

"What is knowledge? More specifically, what is propositional knowledge: what is it to know that something is the case? To know a proposition p is to know that it is true. But you cannot know that p is true unless it is true. So a necessary condition for knowledge is truth. Equally, you cannot know that p unless you are of the 'opinion' that p is true, unless you believe p. So belief, like truth, is necessary. But true belief is not sufficient for knowledge, at least not in the strict sense of 'know'. If it is just accidental that you are right about p, then you do not know that p, even if you are correct in believing it."

(Goldman, Alvin I. Epistemology and Cognition. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1986. p. 42)

"It is generally agreed that a person S knows a proposition P only if S believes P and P is true. …[A]ll theories accept this knowledge-truth connection[.]"

(Goldman, Alvin. "Reliabilism." 2008. In Stanford Encyclopedia of Philosophy.)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Sa 5. Jun 2010, 22:13

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Du weißt, was gemeint ist, wenn Du von 'almost all epistemologists' schreibst, denn Du kennt etliche. Darwin Upheaval kennt nur das, was er als 'akademische Philosophie' bezeichnet.


Sei doch nicht so polemisch!


Das Problem ist, dass er nicht anders kann. Bei ihm schlägt Selbstbewusstsein in Überheblichkeit mit Hang zum Größenwahn um, gepaart mit Respektlosigkeit gegenüber den meisten, mit denen er diskutiert. Er demonstriert gern, was er alles gelesen hat, hat aber, was die Fähigkeit zur Argumentation anbelangt, deutliche Defizite. Das merkt man schon daran, dass es ihn geistig überfordert, sich etwas unter "Wissenschaftsrevisionismus" vorzustellen, weil er den Begriff nicht ergoogeln kann, sondern nur "Revisionismus" allein. Oder daran, dass er mit Vorliebe auf Autoritäts"beweise" ("ich kenne Philosophen, die definieren das anders als Du - ätsch, das crasht Dein Argument...") und den "wahren Schotten" ("Das ist kein Christentum (tm)" rekurriert. Er spult seine agnostizistische Populärphilosophie ab, die er sich vermutlich irgendwann im Sandkastenalter angeeignet hat, ist aber nicht mehr flexibel genug, umzudenken.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Ihr redet von zwei Ebenen. Darwin Upheaval misst alles an seinem geistigen Ziehvater, auf den er sich sogar via pers. comm. bezieht.


Wir alle sind von anderen Leuten beeinflusst, und jeder hat seine persönlichen intellektuellen "Helden". – Ich auch.


E.S. doch nicht, der ist sein eigener Gott. Und wer etwas anders sieht als er, der ist ein Idiot oder Theolüge. "Konstruktive Diskurse" kann er nur mit seinen Krea-Kumpels führen, was zeigt, wessen Geschäft er eigentlich betreibt.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jun 2010, 22:43

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Sei doch nicht so polemisch!

Das Problem ist, dass er nicht anders kann. Bei ihm schlägt Selbstbewusstsein in Überheblichkeit mit Hang zum Größenwahn um, gepaart mit Respektlosigkeit gegenüber den meisten, mit denen er diskutiert.

hmmmm, wenn Myron einen Rüffel erteilt, wenn ich nur dezent darauf hindeute, dass Dein Blickwinkel etwas restringiert ist, bin ich mal gespannt, ob er das, was Du gerade geschrieben hast, als angemessen empfindet.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Sa 5. Jun 2010, 22:44

Aber wieder zurück zur Sache:

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Na, Seelen existiert ja, dem stimmen selbst Naturalisten zu. Sie existieren in Gestalt kooperativer Hirnphänomene (ohne Hirn keine Seele). Oder anders: Es gibt keine immateriellen Substanzen. So sehen das auch die Evangelen, die ich dazu befragt habe.


Solange unter einer "Seele" nichts weiter als eine bestimmte, von Leibern besessene Menge seelischer Eigenschaften oder Fähigkeiten verstanden wird, hat der Naturalist nichts einzuwenden. Aber üblicherweise wird darunter eher der unleibliche Träger seelischer Eigenschaften im Sinne einer immateriellen Substanz verstanden, die neben dem Leib als materiellen Substanz existiert.


Wie gesagt, üblicherweise ist eine solche Denke den Katholen und Evangelikalen vorbehalten. Viele evangelische Theologen vertreten weit elaboriertere Positionen. Ob das natürlich beim Volk so ankommt, wie es gepredigt wird, ist wieder eine andere Frage. Daher wäre eine Umfrage vielleicht gar nicht mal so verkehrt.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:
Nun, wenn Dir "bleibende Rettung in der Gemeinschaft Gottes" zu kryptisch ist, kannst Du auch von "Selbstmitteilung Gottes", von "Selbsttranszendenz der Schöpfung durch den Geist Gottes" oder von "Kreativ werden lassen durch Hingabe" sprechen. Oder um es in einem Satz zu sagen: "Gott ist ständig ganz verschenkt". Was zum Teufel ist Dir denn daran unklar?


Ich habe beispielsweise mal Karl Barths Einführung in die evangelische Theologie gelesen und versucht, sie zu verstehen. – Ich bin gescheitert. Obwohl ich sie gelesen habe, ist sie für mich unlesbar. :skeptisch:


Natürlich. Es ist, wie ich sagte: Schöpfung ist das Unbeschreibliche, das semantisch Leere. Man versteckt sich hinter Worthülsen, weil sonst "Schöpfung" möglicherweise so konkret werden würde, dass man es falsifizieren könnte. Das ist es, was die Skepsis nährt.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jun 2010, 22:46

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Wir alle sind von anderen Leuten beeinflusst, und jeder hat seine persönlichen intellektuellen "Helden". – Ich auch.

E.S. doch nicht, der ist sein eigener Gott. Und wer etwas anders sieht als er, der ist ein Idiot oder Theolüge. "Konstruktive Diskurse" kann er nur mit seinen Krea-Kumpels führen, was zeigt, wessen Geschäft er eigentlich betreibt.

aus Deinen Zeilen spricht Hilflosigkeit. Du hast keine eristischen Techniken zur Verfügung, also greifst Du auf haltlose Polemik zurück. Entschuldige, dass ich mich nicht auf Dein Niveau hinabbegebe.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jun 2010, 22:50

darwin upheaval hat geschrieben:Viele evangelische Theologen vertreten weit elaboriertere Positionen.

die spannende Frage ist dann natürlich, ab wann christliche Inhalte der Elaboriertheit zum Opfer fallen.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Sa 5. Jun 2010, 23:12

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wir hatten das ja schon sehr ausführlich durchdiskutiert: bestenfalls kann man Sätze über Seiendes (darum geht es ja in den Naturwissenschaften) formulieren, die wahr sind.


Ohne wahre Sätze kein wahrer Glaube, und ohne wahren Glauben kein Wissen!


Das ist aber kein Argument, sondern das mantraartige Wiederholen dessen, was Du definitionsgemäß Deiner Argumentation zugegrunde legst. Wenn Du konsequent wärst, müsstest Du "Wissenschaft" in "Glaubenschaft" umbenennen und die Hoffnung fahren lassen, die Wahrheit auch nur für einen kleinen Moment am Rockzipfel erwischen zu können. Die Wissenschaftsgeschichte hat es gezeigt: es gibt nur "hypothetisches", bestenfalls partiell wahres aber niemals sicheres Wissen. Deshalb normierst Du Dein begriffliches System streng genommen an der Praxis der Naturwissenschaften vorbei.


Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Das Problem ist allerdings festzustellen, ob sie wahr sind. Das steht für Darwin Upheaval und die Autoren, auf die er sich bezieht, im Vordergrund. Das, was Dich und die Autoren, auf die Du Dich beziehst, bewegt, interessiert hier weniger.


In das praktische Problem der Wahrheitsfeststellung ist auch die erkenntnistheoretische Frage involviert, in welchem Maß und Umfang eine Annahme durch (empirische) Beweise gerechtfertigt sein muss, um als wahr und damit als (fehlbares) Wissen gelten zu dürfen.


Kann man Deinen Worten entnehmen, dass Du hier erstmals einräumst, dass es fehlbares (und damit falsches) Wissen geben kann? Das würde aber Deiner Definition widersprechen, weil Du "Wissen" mit dem Begriff des Wahren und des Sicheren verbindest. Folglich können Wissenschaften kein Wissen zutage fördern (zumindest kein Wissen, das wir als solches erkennen).


Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Und die Naturwissenschaftler nehmen das bestenfalls amüsiert zur Kenntnis, denn an deren Tagesgeschäft würde sich nichts ändern. Es sei denn, jemand könnte zeigen, dass Wissen nicht nur zeitkernig gültig ist.


Wissen ist so lange "gültig", wie die Tatsachen bestehen, worauf es sich bezieht.


Wissen konstituiert sich aber durch Gehirnprozesse und kann demnach nicht von der Existenz von Tatsachen abhängen, die jenseits dieser Gehirnprozesse existieren. Ein Wesen A, das Tatsache "x" als Tatsache "y" erkennt, kann nur einem Satz über "y" eine Wahrheit zuschreiben und um die Existenz von "y" wissen, aber nicht um die Existenz von x, das für es (möglicherweise grundsätzlich und für alle Zeiten) verborgen bleibt. Das Wissen um die Eigenschaften von y wäre demnach nur ein Scheinwissen, wohingegen ich behaupte, es handele sich um echtes (wenn auch immer nur um partiell korrektes) Wissen.


Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wie gesagt, es geht hier eher um Definitionen als um Einlösung eines Anspruchs. Wenn man Wissen als 'wahres Wissen' definiert, hast Du Recht.


Wie schon mehrmals betont, so gut wie alle Epistemologen, einschließlich der Fallibilisten, verneinen, dass es falsches Wissen geben kann, da es ja keinen falschen wahren Glauben geben kann. Ein Wissensbegriff, der den Wahrheitsaspekt ausklammert, fällt in eins mit dem Glaubensbegriff. "Falsches Wissen" ist also eigentlich falsches Glauben.


Siehe oben (A erkennt x als y). Da wir die Welt nie so erkennen, wie sie wirklich ist, gibt es Deiner Definition nach überhaupt kein Wissen. Die Wahrheitsbedingung bleibt grundsätzlich unerfüllt. (Naturwissenschaftliches Wissen ist immer nur partiell richtig, und wir wissen nicht einmal mit Sicherheit, ob das stimmt.)



Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man aber davon ausgeht, dass es keine erkennbare Wahrheit gibt, kann man entweder den Begriff 'Wissen' aufgeben (mir persönlich gefällt 'zeitkernige diskursiv einzulösende Gültigkeit' besser, …


Wie verhält sich eigentlich der Begriff der "zeitkernigen Gültigkeit" zum Begriff der Wahrheit?
Ist "zeitkernig gültiges Wissen" etwas anderes als wissenschaftlich gerechtfertigter Glaube mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit?


Der Wahrscheinlichkeitsbegriff kann Deinen Wissensbegriff auch nicht retten, weil nach Popper die induktive Logik, auf die sich die Wahrscheinlichkeit stützt, versagt. Auch wenn wir 1.000.000 schwarze Amseln beobachten, ist dies kein Garant dafür, dass die 1.000.001. Amsel nicht doch weiß ist. Daher halte ich übrigens auch vom Bayesianischen Ansatz wenig. Die Bayes-Schätzung beruht nicht auf einer logisch gültige Deduktion, und die A-priori-Wahrscheinlichkeiten sind nichts anderes als Grade des "Für-wahr-Haltens" bestimmter Ereignisse.
Zuletzt geändert von darwin upheaval am So 6. Jun 2010, 00:06, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Sa 5. Jun 2010, 23:53

El Schwalmo hat geschrieben:wenn Myron einen Rüffel erteilt, wenn ich nur dezent darauf hindeute, dass Dein Blickwinkel etwas restringiert ist


Weil Du Polemik mit einem Argument verwechselst.

Das ist Dein "Standardeinwand", seit ich Dich kenne: Du versuchst, Menschen, die ein Argument entwickeln, das Dir nicht in den Kram passt, der fehlenden Kompetenz zu bezichtigen, indem Du auf die vielen widerstreitenden Positionen hinweist, die Du (vermeintlich oder tatsächlich) irgendwann mal gelesen hast, und unterstellst dann, Dein Gegenüber habe sie nicht zur Kenntnis genommen oder kenne sie nicht. Das ist tatsächlich eine eristische Technik, die weder etwas über Deinen noch über den Kenntnisstand Deines Gegenüber aussagt, noch am Argument zu rütteln vermag, das Du auf diese Weise gerne zu Fall bringen möchtest. Es sagt nur etwas über die "Konsistenz" Deiner eigenen "Argumentation" aus.
Zuletzt geändert von darwin upheaval am So 6. Jun 2010, 00:02, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Sa 5. Jun 2010, 23:58

El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:E.S. doch nicht, der ist sein eigener Gott. Und wer etwas anders sieht als er, der ist ein Idiot oder Theolüge. "Konstruktive Diskurse" kann er nur mit seinen Krea-Kumpels führen, was zeigt, wessen Geschäft er eigentlich betreibt.

aus Deinen Zeilen spricht Hilflosigkeit. Du hast keine eristischen Techniken zur Verfügung, also greifst Du auf haltlose Polemik zurück. Entschuldige, dass ich mich nicht auf Dein Niveau hinabbegebe.


Könnt ihr dieses persönliche Hickhack nicht einfach unterlassen?! Wir diskutieren hier doch zu unserem Vergnügen.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » So 6. Jun 2010, 00:06

darwin upheaval hat geschrieben:Wie gesagt, üblicherweise ist eine solche Denke den Katholen und Evangelikalen vorbehalten. Viele evangelische Theologen vertreten weit elaboriertere Positionen. Ob das natürlich beim Volk so ankommt, wie es gepredigt wird, ist wieder eine andere Frage. Daher wäre eine Umfrage vielleicht gar nicht mal so verkehrt.


Ja, die sollte in der Tat durchgeführt werden.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Mark » So 6. Jun 2010, 00:49

:mg:

das dürfte ungefähr so "aufklärend" sein wie eine Umfrage unter der Belegschaft des chinesischen Foxconn Konzerns wie die überarbeiteten Sportsitz-Designs der neuen Porsche Modelle "im Volk" so bewertet werden, oder eine Umfrage unter den afrikanischen Massai ob sie Immobilienfonds gegenüber gemeinen Staatsanleihen als Rentensparkonzept präferrieren..
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » So 6. Jun 2010, 05:38

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Wie gesagt, üblicherweise ist eine solche Denke den Katholen und Evangelikalen vorbehalten. Viele evangelische Theologen vertreten weit elaboriertere Positionen. Ob das natürlich beim Volk so ankommt, wie es gepredigt wird, ist wieder eine andere Frage. Daher wäre eine Umfrage vielleicht gar nicht mal so verkehrt.


Ja, die sollte in der Tat durchgeführt werden.

vielleicht in der Formulierung: "Leute, Ihr habt keine Seele. Gott greift nicht in den Lauf der Geschichte ein. Beten ist ein Gespräch mit dem Rasierspiegel.

Versteht Ihr das unter 'Christentum' und geht in die Kirche, um Euch das anzuhören?"
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » So 6. Jun 2010, 05:43

darwin upheaval hat geschrieben: und unterstellst dann, Dein Gegenüber habe sie nicht zur Kenntnis genommen oder kenne sie nicht.

Hand auf's Herz: Wie viele der Autoren oder Quellen, auf die Myron hinweist, kennst Du? Warum antwortest Du auf das Posting, das Myron an mich gerichtet hat, und nicht auf die, die er an Dich geschrieben hat, und zwar unter Bezug auf die dort genannten Quellen?
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » So 6. Jun 2010, 20:35

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ohne wahre Sätze kein wahrer Glaube, und ohne wahren Glauben kein Wissen!

Das ist aber kein Argument, sondern das mantraartige Wiederholen dessen, was Du definitionsgemäß Deiner Argumentation zugrunde legst.


Ich wiederhole mich nur deshalb "mantraartig", weil du weiterhin das Offensichtliche leugnest, das weder von den Fallibilisten noch von den Infallibilisten unter den Erkenntnistheoretikern in Abrede gestellt wird, nämlich, dass Wahrheit eine notwendige Bedingung für Wissen ist.

"If we interpret ['If you know p, then you can't be wrong'] as 'Necessarily, if one knows that p, then p is true', then it simply states that knowledge requires truth, which fallibilism does not deny."

("Fallibilism." In A Companion to Epistemology, edited by Jonathan Dancy, Ernest Sosa, and Matthias Steup, 2nd ed., 370-375. Malden, MA: Wiley-Blackwell, 2010. p. 372)

darwin upheaval hat geschrieben:Die Wissenschaftsgeschichte hat es gezeigt: es gibt nur "hypothetisches", bestenfalls partiell wahres aber niemals sicheres Wissen. Deshalb normierst Du Dein begriffliches System streng genommen an der Praxis der Naturwissenschaften vorbei.


1. Mir ist die Bedeutung des Begriffs "Teilwahrheit" nicht klar. Worin unterscheidet sich ein "ganz wahrer" Satz von einem "teilweise wahren"?

2. Das Unsichere am "fehlbaren Wissen" besteht darin, dass die Gründe G, die für eine Hypothese H sprechen, dessen Wahrheit nicht "nezessitieren", d.h. nicht logisch implizieren, sodass sowohl G & H als auch G & ~H möglich ist. Die Fallibilisten sind der Meinung, dass man auch dann behaupten darf zu wissen, dass H, wenn der Fall G & ~H möglich ist. Sie behaupten nicht, dass man auch dann wissen kann, dass H, wenn dieser mögliche Fall der wirkliche ist, d.h. sie behaupten, wie gesagt, nicht, dass man wissen kann, dass H, wenn ~H.

darwin upheaval hat geschrieben:Kann man Deinen Worten entnehmen, dass Du hier erstmals einräumst, dass es fehlbares (und damit falsches) Wissen geben kann?


Wenn "falsches Wissen" bedeutet, dass man wissen kann, dass p, wenn ~p, dann gibt es kein falsches Wissen, da es keinen falschen wahren Glauben gibt.

darwin upheaval hat geschrieben:Das würde aber Deiner Definition widersprechen, weil Du "Wissen" mit dem Begriff des Wahren und des Sicheren verbindest. Folglich können Wissenschaften kein Wissen zutage fördern (zumindest kein Wissen, das wir als solches erkennen).


"Es ist immer von Gnaden der Natur, wenn man etwas weiß."

(L. Wittgenstein, Über Gewissheit, §505)

Ein Wissenschaftler weiß nicht, dass eine Hypothese H wahr ist, wenn sie falsch ist. Ob sie wahr ist oder nicht, kann er natürlich nur anhand der vorliegenden Beweise beurteilen, die für sie sprechen. Wenn jene Beweise jedoch sowohl mit H als auch mit ~H vereinbar sind (was die Fallibilisten annehmen), dann kann er letztlich nur hoffen, dass sein gerechtfertigter Wissensanspruch der Wirklichkeit entspricht, d.h. dass es tatsächlich der Fall ist, dass H. Denn wenn dies nicht der Fall ist, d.h. wenn es stattdessen der Fall ist, dass ~H, dann ist sein "Vermutungswissen" nur Scheinwissen und damit eigentlich Nichtwissen, das er als solches aber nur dann durchschauen kann, wenn sich später unerwarteterweise herausstellt, dass sein wohlbegründeter Glaube an die Wahrheit von H doch falsch ist.
Wer auf Vermutungswissen, auf fehlbares Wissen setzt, der geht zwangsläufig ein epistemisches Risiko ein.

Übrigens, leider ist auch der Fallibilismus nicht gegen die berühmt-berüchtigten Gettier-Fälle gefeit, die zeigen, dass selbst wahres und gerechtfertigtes Glauben nicht per se Wissen ist. Ein Beispiel:

Ich habe Lotto gespielt, und bevor ich mich nach den gezogenen Zahlen erkundige, sage ich zu einem Freund: "Ich glaube, ich habe nichts gewonnen." Angesichts der äußerst niedrigen Gewinnwahrscheinlichkeit ist dieser Glaube in sehr hohem Maße gerechtfertigt. Dann stelle ich fest, dass ich tatsächlich nichts gewonnen habe und meine Glaube somit wahr ist. Heißt das, dass ich gewusst habe, dass ich nichts gewonnen habe? Schließlich ist mein Glaube sowohl gerechtfertigt als auch wahr, und wenn Wissen wahrer und gerechtfertigter Glaube ist, dann muss hier doch ein Fall von Wissen vorliegen, oder nicht?
Überraschenderweise wird dies von fast allen Erkenntnistheoretikern verneint, weil sie meinen, dass es lediglich einem glücklichen Zufall zu verdanken ist, dass mein Glaube, nichts gewonnen zu haben, wahr ist; denn er hätte ja genauso gut falsch sein können, da die Gewinnwahrscheinlichkeit zwar äußerst gering, aber eben nicht gleich Null ist.

Solche Gettier-Fälle zeigen, dass zur Wahrheit und Begründetheit eines Glaubens eine weitere notwendige Bedingung hinzukommen muss, damit er zu echtem Wissen wird.
Welche das ist, ist immer noch ein weitgehend ungelöstes Grundproblem der zeitgenössischen Erkenntnistheorie.

darwin upheaval hat geschrieben:Wissen konstituiert sich aber durch Gehirnprozesse und kann demnach nicht von der Existenz von Tatsachen abhängen, die jenseits dieser Gehirnprozesse existieren.


Die Wahrheit des repräsentationalen Inhalts zerebraler Wissenszustände hängt durchaus von außenweltlichen Tatsachen ab. Außerdem werden Glaubens- und Wissenszustände von äußeren Ereignissen oder Vorgängen kausal beeinflusst.
(Äußere Geschehnisse rufen in mir bestimmte Wahrnehmungen hervor, die wiederum die Grundlage eines entsprechenden Glaubens bzw. Wissens bilden.)

darwin upheaval hat geschrieben:Ein Wesen A, das Tatsache "x" als Tatsache "y" erkennt, kann nur einem Satz über "y" eine Wahrheit zuschreiben und um die Existenz von "y" wissen, aber nicht um die Existenz von x, das für es (möglicherweise grundsätzlich und für alle Zeiten) verborgen bleibt. Das Wissen um die Eigenschaften von y wäre demnach nur ein Scheinwissen, wohingegen ich behaupte, es handele sich um echtes (wenn auch immer nur um partiell korrektes) Wissen.


Das verstehe ich nicht.
Gehst du von der kantischen Unterscheidung zwischen "phänomenon" ("Erscheinung") und "noumenon" ("Ding an sich") aus?

darwin upheaval hat geschrieben:…Da wir die Welt nie so erkennen, wie sie wirklich ist, gibt es Deiner Definition nach überhaupt kein Wissen.


Ich teile deine Prämisse nicht.
Die Welt ist zwar in der Tat nicht immer so, wie sie scheint, aber das heißt nicht, dass sie niemals so ist, wie sie scheint.
Wenn ich zum Beispiel einen Ball sehe, dann erscheint er rund und er ist auch rund.
Oder ein Beispiel aus der Wissenschaft: Wasser besteht aus H2O-Molekülen, und du wirst doch sicher nicht bestreiten, dass die Chemiker dies erfolgreich erkannt haben, oder? Was soll man dann aber mit der folgenden Äußerung anfangen: "Wir wissen, dass Wasser aus H2O-Molekülen besteht, wenngleich Wasser nicht wirklich aus H2O-Molekülen besteht." ?

darwin upheaval hat geschrieben:Der Wahrscheinlichkeitsbegriff kann Deinen Wissensbegriff auch nicht retten, weil nach Popper die induktive Logik, auf die sich die Wahrscheinlichkeit stützt, versagt.


Ich versuche gar nicht, "meinen" Wissensbegriff mithilfe des Wahrscheinlichkeitsbegriffs zu "retten". Nichtsdestoweniger spielt er bei der Hypothesenbegründung eine zentrale Rolle:

"Non-Deontological Justification (NDJ)
S is justified in believing that p if and only if S believes that p on a basis that properly probabilifies S's belief that p."


(http://plato.stanford.edu/entries/epistemology)

Und das ist so ungeachtet der theoretischen Problematik, dass "[i]f we wish to pin down exactly what probabilification amounts to, we will have to deal with a variety of tricky issues."

darwin upheaval hat geschrieben:Auch wenn wir 1.000.000 schwarze Amseln beobachten, ist dies kein Garant dafür, dass die 1.000.001. Amsel nicht doch weiß ist. Daher halte ich übrigens auch vom Bayesianischen Ansatz wenig. Die Bayes-Schätzung beruht nicht auf einer logisch gültige Deduktion, und die A-priori-Wahrscheinlichkeiten sind nichts anderes als Grade des "Für-wahr-Haltens" bestimmter Ereignisse.


Es gibt bekanntlich unterschiedliche Interpretationen des Wahrscheinlichkeitsbegriffs:
http://plato.stanford.edu/entries/probability-interpret

Trotz aller analytisch-interpretatorischen Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff kommen wir nicht umhin, ihn zu verwenden, wenn es um die evidenzrelative Bewertung von Hypothesen geht. Hier spielt vor allem der Begriff der bedingten Wahrscheinlichkeit eine maßgebliche Rolle.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » So 6. Jun 2010, 21:14

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Die Wissenschaftsgeschichte hat es gezeigt: es gibt nur "hypothetisches", bestenfalls partiell wahres aber niemals sicheres Wissen. Deshalb normierst Du Dein begriffliches System streng genommen an der Praxis der Naturwissenschaften vorbei.


1. Mir ist die Bedeutung des Begriffs "Teilwahrheit" nicht klar. Worin unterscheidet sich ein "ganz wahrer" Satz von einem "teilweise wahren"?

wird hier nicht deutlich, dass Ihr Beide einfach aneinander vorbei redet? Was juckt es einen Philosophen, wenn er sein 'begriffliches System streng genommen an der Praxis der Naturwissenschaften vorbei' normiert (was immer das bedeuten mag)? Welche Relevanz hat die Praxis der Naturwissenschaften in den Geisteswissenschaften, historischen Wissenschaften, Logik oder sonstwas?
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » So 6. Jun 2010, 21:34

El Schwalmo hat geschrieben:Welche Relevanz hat die Praxis der Naturwissenschaften in den Geisteswissenschaften, historischen Wissenschaften, Logik oder sonstwas?


Der naturwissenschaftlichen Praxis liegen bestimmte wissenschafts- und erkenntnistheoretische Annahmen zugrunde, die "geisteswissenschaftlicher" Art sind. (Zur Erinnerung: Die englische Bezeichnung für die Wissenschaftstheorie ist "philosophy of science".)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » So 6. Jun 2010, 21:48

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Welche Relevanz hat die Praxis der Naturwissenschaften in den Geisteswissenschaften, historischen Wissenschaften, Logik oder sonstwas?


Der naturwissenschaftlichen Praxis liegen bestimmte wissenschafts- und erkenntnistheoretische Annahmen zugrunde, die "geisteswissenschaftlicher" Art sind. (Zur Erinnerung: Die englische Bezeichnung für die Wissenschaftstheorie ist "philosophy of science".)

früher sprach man nicht von Biologie, sondern von Naturphilosophie, so what?

Und im Englischen spricht man heute von 'science' und das ist in etwa das, was Darwin Upheaval unter 'Wissenschaft' versteht. Dein Ansatz ist umfassender, weil Du 'humanities' mit einbeziehst, eben Philosophie im klassischen Sinn. Das, was Darwin Upheaval unter 'akademischer Philosophie' versteht ist dann das, was übrig bleibt, wenn man den Geisteswissenschaften den Status der Wissenschaftlichkeit abspricht. Darauf hast Du ja auch schon implizit hingewiesen.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » So 6. Jun 2010, 22:17

Wir scheinen in einem schier ausweglosen epistemologischen Dilemma zu stecken:

"[W]e know a lot; knowledge must be infallible; yet we have fallible knowledge or none (or next to none). We are caught between the rock of fallibilism and and the whirpool of scepticism. Both are mad!"

(Lewis, David. "Elusive Knowledge." 1996. In: David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 418-445. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. p. 419)

Sein Lösungsansatz besteht darin, dem Fallibilismus durch eine pragmatische Relativierung des infallibilistischen Wissensbegriffs entgegenzukommen, um diesen lebensweltlich und erfahrungswissenschaftlich "praktikabel" zu machen, was zunächst wie eine Quadratur des Kreises anmuten mag:

"Pace the many complicated analyses now on offer, it seems as if the concept of knowledge is simple enough for small children to master. I suggest that the complicated phenomena we have observed arise from the interaction between a very simple analysis and the complex pragmatics of context-dependent ignoring. 'S knows that P' means simply that there is no possibility that S is wrong that P—Psst! except for those possibilities that we are now (properly) ignoring."

(Lewis, David. Papers in Metaphysics and Epistemology. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. Introd., pp. 6-7)

"S knows that P iff S's evidence eliminates every possibility in which not-P – Psst! – except for those possibilities that we are properly ignoring."

(Lewis, David. "Elusive Knowledge." 1996. In: David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 418-445. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. pp. 425) [PDF-DOWNLOAD]

Lewis' Ansatz gehört in den Bereich der sogenannten kontextualistischen Epistemologie:
http://plato.stanford.edu/entries/conte ... istemology
http://www.iep.utm.edu/contextu

Dorthinein gehört auch der ähnliche und einflussreiche Ansatz von Fred Dretske:

"I propose to think of knowledge as an evidential state in which all relevant alternatives (to what is known) are eliminated. This makes knowledge an absolute concept, but the restriction to relevant alternatives makes it, like 'empty' and 'flat', applicable to this epistemically bumpy world we live in."

(Dretske, Fred. "The Pragmatic Dimension of Knowledge." 1981. In: Fred Dretske, Perception, Knowledge and Belief: Selected Essays, 48-63. Cambridge: Cambridge University Press, 2000. p. 52)

Oder in meinen Worten:

X weiß genau dann, dass A (wahr ist), wenn die X bekannte Beweislage bezüglich A alle (aus Sicht der Vernunft) unabwegigen möglichen Fälle ausschließt, in denen die Beweislage dieselbe, aber A falsch ist.

Die schwierige Frage ist nun freilich, welche nicht logisch ausschließbaren Alternativhypothesen irrelevant oder (aus Sicht der Vernunft) abwegig sind und damit legitimerweise ignoriert werden dürfen. Da kommt es dann auf den Kontext bzw. die Situation an.
(Siehe dazu: http://www.erin.utoronto.ca/~jnagel/333h15.htm)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » So 6. Jun 2010, 22:29

El Schwalmo hat geschrieben:Das, was Darwin Upheaval unter 'akademischer Philosophie' versteht ist dann das, was übrig bleibt, wenn man den Geisteswissenschaften den Status der Wissenschaftlichkeit abspricht. Darauf hast Du ja auch schon implizit hingewiesen.


Versteht er denn unter "akademische Philosophie" "naturalisierte Philosophie" im Sinne dessen, was ich als "metaphilosophischer Szientismus" bezeichne:

Die Philosophie ist zu verwissenschaftlichen, d.h. der Erfahrungswissenschaft und vor allem der Naturwissenschaft anzugliedern und deren Verfahren und Ergebnissen (so weit wie möglich) anzupassen.
Motto: Weg von apriorischer Geisteswissenschaft, hin zu aposteriorischer Erfahrungswissenschaft!

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