Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Sa 2. Jan 2010, 22:48

AgentProvocateur hat geschrieben:Und was "frei" in diesem Zusammenhang bedeuten soll, das ist ja eben die Streitfrage. Für mich bedeutet "frei" hier, dass man mit einiger Berechtigung sagen kann, dass der Wille von der Person selber gebildet wurde, dass man ihre Entscheidung als ihre ansehen kann.

Vielen Dank für diese Antwort. Jetzt fühle ich mich schon einen Schritt weiter. Auch wenn ich gleich nachhaken möchte. Spannend und konstruktiv finde ich das auf jeden Fall schon mal.
Also mein Nachhaken: Wäre es in deiner Definition sprachlich nicht viel passender, wenn man das Definierte "eigenen Willen" nennen würde? Wenn es nach deiner Definition gar nicht um Freiheit von irgendwas geht, sondern um die Zuordnung des Willens zu einem Entscheider. Würden die Kompatibilisten von "eigenem Willen" statt "freiem Willen" sprechen, wäre mir vermutlich so einige Verwirrung erspart geblieben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn mein Wille frei von kausalen Abhängigkeiten wäre, dann wäre er ein etwas von mir unabhängiges willkürliches Etwas, das man keineswegs mir zuschreiben könnte, d.h. er wäre gar nicht mein Wille.

Dem könnte ich eigentlich zustimmen. Ich sehe die Sache aber vielleicht noch etwas krasser: ich kann mir eine Freiheit von kausalen Abhängigkeiten in diesem unseren Universum gar nicht vorstellen. Zumindest nicht, wie smalonius treffend schreibt, in einem Hirn, das nach makroskopischen Regeln arbeitet. Aber immerhin stelle ich an dieser Stelle mal beruhigt fest, dass wir in diesem Punkt wohl schonmal übereinstimmen: Entscheidungen sind immer kausal abhängig.

Kommen wir also zur eigentlichen Frage:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du mir zeigen könntest, dass ein willkürlicher Wille eine Person in irgend einer sinnvollen Weise freier machen könnte, dann könnte ich Deine Forderung verstehen. Aber bisher ist sie mir unklar: wieso also sollte mein Wille frei von kausalen Abhängigkeiten sein?

Ich finde beispielsweise einen Getränkeautomaten unfrei. Einfach weil er keine Freiheitsgrade hat. Er kann es sich nicht aussuchen. Werfe ich oben ein Geldstück ein und drücke in der Mitte einen Knopf, dann muss er mir unten eine Cola ausspucken. Vor mir steht also kein freier Mensch sondern ein unfreier Automat.
Er ist genau deshalb unfrei, weil seine Entscheidung, mir eine Cola auszuspucken, zu 100% kausal abhängig war. Er agiert sklavisch nach der Formel: wenn Geld da und Knopf gedrückt, dann spucke Cola. Die beiden Ursachen (Geld und Knopf) waren da, also kam auch zwangsläufig die Entscheidung.
Jetzt übertragen auf den Autokäufer: seine Entscheidung für Modell B ist zu 100% kausal abhängig. Er agiert sklavisch nach der Formel: wenn B besser ist, dann nimm B. Die Ursache (B ist besser) war da, also kam auch die zwanghafte Entscheidung.
Wenn ich den Autokäufer oder den Automaten mit Freiheit ausstatten will, dann brauche ich eine kausale Unabhängigkeit. Nur sie würde dazu führen, dass auch wenn Geld da ist, Knopf gedrückt wurde und B besser ist, "manchmal" trotzdem weder die Cola ausgeworfen noch B gekauft wird. Ich müsste die Formelhaftigkeit des Verhaltens durch echte "Willkür" ersetzen. Kann ich aber nicht. Der Automat ist innen drin mechanisch. Abgesehen von Abnutzung, Verformung oder anderen physikalischen Änderungsprozessen, wird der Mechanismus bei gleicher Ausgangslage immer genau gleich reagieren. Und aufgrund der menschlichen Hirnzellen, die wie smalonius treffend formuliert "nach makroskopischen Regeln arbeiten", ist es beim Menschen ganz genau so. Willkür wäre nur durch kausale Unabhängigkeit zu erreichen. Und ohne Willkür keine Freiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was mich an der Diskussion interessiert, ist folgende Frage: inwiefern ist es berechtigt, einer Person ihre Entscheidungen und damit eine gewisse Autonomie zuzuordnen?

Ok, das ist in der Tat nicht die Frage, die mir unter den Nägeln brannte. Aber auch eine sehr spannende. Und aus meiner Sicht ist die Antwort nur dann nicht völlig schwammig, wenn man das Wort "letztlich" verwendet. Letztlich kann man einer Person ihre Entscheidungen und eine gewisse Autonomie nicht zuordnen. Jede Entscheidung hängt kausal von ursächlichen Faktoren ab. Viele davon sind natürlich im Hirn verankert, beispielsweise die individuellen Ziele, von denen du sprachst. Aber letztendlich sind auch diese Faktoren die Folge anderer ursächlicher Faktoren. Man sucht sich seine Ziele eben nicht aus, jedenfalls nicht frei. Folgt man also jeder erdenklichen Ursachenkette, kommt man auf jeder Kette einmal auf externe Faktoren. Letztendlich stammt also nichts wirklich von dem Individuum selber. Alles in ihm und alle seine Entscheidungen sind von außen verursacht. Nix eigene Entscheidung, nix Autonomie.
Aber ich gebe gerne zu, dass man für manche Fragestellungen um Schuld, Verantwortung und Moral schneller ans Ziel kommt, wenn man weiterhin so tut, als sei der Mensch ein autonomes Individuum. Und im persönlichen Erleben bleibt uns wegen der Hirnbauweise ja sowieso nichts anderes übrig als auf das Trugbild unseres Bewusstseins "reinzufallen". Aber ich finde es schon wichtig irgendwo im Kopf zu wissen, dass es eigentlich nicht so ist, dass wir beim letzten Autokauf tatsächlich wieder nur ein Automat waren. Dann kann man zumindest leichter analysieren, welche Buttons dabei wohl von wem gedrückt wurden und man ist möglicherweise eher in der Lage, Entscheidungsfehler zu vermeiden.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon spacetime » Sa 2. Jan 2010, 23:18

smalonius hat geschrieben:(...)eine zwanghafte oder pathologische Entscheidung. Oder, neutraler gesagt, ein Fehler. Begeht man Fehler aus freiem Willen oder weil man gerade nicht anders kann?

Mit anderen Worten: "shit happens!"
"Fehler" existieren nur im Subjekt. Wollen wir sachlich bleiben, dann brauchen wir auch keine "Fehler", zumindest in diesem Kontext.

smalonius hat geschrieben:Das biologische Argument ist noch zwingender: Entscheidungen werden im Gehirn gefällt. Ein Gehirn besteht aus Nervenzellen, die nach makroskopischen Regeln arbeiten. Deshalb arbeitet das Gehirn nach deterministischen Regeln.

Das was wir beobachten, unterliegt deterministischen Regeln, aber über alles andere lässt sich keine Aussage machen. Im Bereich der Quanten wird es halt unscharf... ob sich daraus ein freier Wille herleiten lässt? Man weiß es nicht.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon Julia » Sa 2. Jan 2010, 23:47

spacetime hat geschrieben: Im Bereich der Quanten wird es halt unscharf... ob sich daraus ein freier Wille herleiten lässt?

Ich würde sagen nein. Quanten klingt zwar so geheimnisvoll, dass man meint, da wäre alles möglich, aber ersetzen wir das einfach mal durch einen Zufallsgenerator in unserem Kopf, der nicht-deterministisch entscheidet ob wir uns auf einen Stuhl setzen oder aus dem Fenster springen. Das würde uns zwar "frei" aber unberechenbar machen, das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. ;)
Inwiefern man da überhaupt noch von einem eigenen Willen sprechen möchte muss man sich auch fragen.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 3. Jan 2010, 00:01

ganimed hat geschrieben:Also mein Nachhaken: Wäre es in deiner Definition sprachlich nicht viel passender, wenn man das Definierte "eigenen Willen" nennen würde? Wenn es nach deiner Definition gar nicht um Freiheit von irgendwas geht, sondern um die Zuordnung des Willens zu einem Entscheider. Würden die Kompatibilisten von "eigenem Willen" statt "freiem Willen" sprechen, wäre mir vermutlich so einige Verwirrung erspart geblieben.

Hm, nö, ich denke nicht.

Ein eigener Wille wäre ja auch ein solcher, der mir von jemandem induziert würde, (ein Hypnotiseur, ein genialer Gehirnchirug), den ich dann als den meinen ansehen würde (so ich die Manipulation nicht erkennen könnte).

Aber, nun gut, mag Geschmacksache sein, vielleicht würdest Du sagen, das sei nicht sein eigener Wille.

Aber der Begriff "freier Wille" hat sich nun mal eingebürgert. Es macht ja wenig Sinn, wenn man das jedesmal anders nennt.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn mein Wille frei von kausalen Abhängigkeiten wäre, dann wäre er ein etwas von mir unabhängiges willkürliches Etwas, das man keineswegs mir zuschreiben könnte, d.h. er wäre gar nicht mein Wille.

Dem könnte ich eigentlich zustimmen. Ich sehe die Sache aber vielleicht noch etwas krasser: ich kann mir eine Freiheit von kausalen Abhängigkeiten in diesem unseren Universum gar nicht vorstellen. Zumindest nicht, wie smalonius treffend schreibt, in einem Hirn, das nach makroskopischen Regeln arbeitet. Aber immerhin stelle ich an dieser Stelle mal beruhigt fest, dass wir in diesem Punkt wohl schonmal übereinstimmen: Entscheidungen sind immer kausal abhängig.

Wir sind uns sicher einig dabei, dass alleine kausale Unabhängigkeit einer Überlegung noch keine Freiheit (in Deinem Sinne) gewährleisten könnte, das also nur eine notwendige Voraussetzung für Freiheit in Deinem Sinne sein könnte. Nun wäre es mir sehr lieb, wenn Du noch die hinreichenden Voraussetzungen für Freiheit in Deinem Sinne nennen könntest. Das muss nicht in unserem Universum sein, Du darfst Dir dafür ein beliebiges denkbares Universum ausdenken und den Deiner Ansicht nach dort freien Entscheidungsprozess skizzieren.

Erst dann kann ich verstehen, was Du eigentlich mit Freiheit meinst. So ist mir das noch mehr als unklar.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du mir zeigen könntest, dass ein willkürlicher Wille eine Person in irgend einer sinnvollen Weise freier machen könnte, dann könnte ich Deine Forderung verstehen. Aber bisher ist sie mir unklar: wieso also sollte mein Wille frei von kausalen Abhängigkeiten sein?

Ich finde beispielsweise einen Getränkeautomaten unfrei. Einfach weil er keine Freiheitsgrade hat. Er kann es sich nicht aussuchen. Werfe ich oben ein Geldstück ein und drücke in der Mitte einen Knopf, dann muss er mir unten eine Cola ausspucken. Vor mir steht also kein freier Mensch sondern ein unfreier Automat.
Er ist genau deshalb unfrei, weil seine Entscheidung, mir eine Cola auszuspucken, zu 100% kausal abhängig war. Er agiert sklavisch nach der Formel: wenn Geld da und Knopf gedrückt, dann spucke Cola. Die beiden Ursachen (Geld und Knopf) waren da, also kam auch zwangsläufig die Entscheidung.
Jetzt übertragen auf den Autokäufer: seine Entscheidung für Modell B ist zu 100% kausal abhängig. Er agiert sklavisch nach der Formel: wenn B besser ist, dann nimm B. Die Ursache (B ist besser) war da, also kam auch die zwanghafte Entscheidung.

Ja, aber das habe ich doch oben schon verzweifelt versucht klar zu machen: so läuft eine Entscheidung nun mal normalerweise nicht ab. Erst kommt ein Bewertungsmaßstab, nach dem Du Dein "besser" und "schlechter" überhaupt erst festmachen kannst. Ein Computer, in den Du einfach die Fakten bezüglich Autos eingibst, kann keine Entscheidung bezüglich "besser" oder "schlechter" treffen, wenn er keinen Bewertungsmaßstab hat.

Aber mal noch 'ne andere Frage: ist ein Mensch dAn freier als ein Getränkeautomat? Und wenn ja: woran liegt das genau, was sind Deine Kriterien dafür, woran machst Du das fest?

Und kann es Deiner Ansicht nach sein, dass manche Menschen freier in ihren Entscheidungen sind als andere? Wenn ja: gleiche Fragen wie oben.

ganimed hat geschrieben:Wenn ich den Autokäufer oder den Automaten mit Freiheit ausstatten will, dann brauche ich eine kausale Unabhängigkeit.

Wieso?

ganimed hat geschrieben:Und ohne Willkür keine Freiheit.

Wieso? Und noch ganz, ganz viel spannender die Frage: inwiefern könnte Willkür Freiheit eines Menschen erhöhen? Wie könnte das gehen? Du darfst, wie gesagt, ein beliebiges Universum dabei als Beispiel anführen.

ganimed hat geschrieben:Letztlich kann man einer Person ihre Entscheidungen und eine gewisse Autonomie nicht zuordnen.

Ein Getränkeautomat hat also dAn genausoviel Autonomie wie ein Mensch (nämlich überhaupt keine)? Es ist also unberechtigt, Menschen Autonomie zuzuschreiben?

Falls ja, nochmal die Frage: wie kann man sich Autonomie in Deinem Sinne vorstellen? Wie funktioniert das (zum Beispiel) genau?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » So 3. Jan 2010, 13:03

AgentProvocateur hat geschrieben:Wir sind uns sicher einig dabei, dass alleine kausale Unabhängigkeit einer Überlegung noch keine Freiheit (in Deinem Sinne) gewährleisten könnte, das also nur eine notwendige Voraussetzung für Freiheit in Deinem Sinne sein könnte. Nun wäre es mir sehr lieb, wenn Du noch die hinreichenden Voraussetzungen für Freiheit in Deinem Sinne nennen könntest.

Das sind wir uns nicht einig. Ich meinte es tatsächlich so, dass kausale Unabhängigkeit bereits eine Freiheit darstellt. Eine Entscheidung, die ich ohne Grund fälle, oder die wenigstens teilweise ohne Grund getroffen wird, wäre für mich bereits eine freie Entscheidung und ein Beweis dafür, dass der Mensch einen freien Willen hat. Eine einzige freie Entscheidung pro Leben würde mir da ja im Grunde schon reichen. Ist für mich aber nirgendwo zu erkennen. Kausale Unabhängigkeit wäre für mich also tatsächlich bereits die hinreichende Voraussetzung.


Ich habe den Eindruck, wir haben eigentlich denselben Freiheitsbegriff. Bei einer Entscheidung muss irgendwo mal irgendwann ein kleiner Freiheitsgrad ins Spiel kommen. Du nennst das Autonomie (dem kann ich folgen) und vermutest, so scheint mir, diesen Freiheitsgrad in der Beurteilung von Informationen, in der Anwendung von individuellen Kriterien. Dort sehe ich ihn aber auch nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, aber das habe ich doch oben schon verzweifelt versucht klar zu machen: so läuft eine Entscheidung nun mal normalerweise nicht ab. Erst kommt ein Bewertungsmaßstab, nach dem Du Dein "besser" und "schlechter" überhaupt erst festmachen kannst. Ein Computer, in den Du einfach die Fakten bezüglich Autos eingibst, kann keine Entscheidung bezüglich "besser" oder "schlechter" treffen, wenn er keinen Bewertungsmaßstab hat.

Ein Computer kann ja durchaus einen Bewertungsmaßstab haben. Ich programmiere selber hin und wieder ganz gerne mal und sähe hier beispielsweise eine einfache Tabelle, die man im Sourcecode ablegen kann.
Autopreis, Bewertung:
<6000, gut
<8000, geht so
>=8000, schlecht
Der Computer kann anhand dieser Tabelle nun Autopreise bewerten. Aber ist durch den Bewertungsmaßstab nun ein Freiheitsgrad ins Spiel gekommen? Nein, lieber Computer, leider nicht. Auch mit diesem Programm bleibst du völlig unfrei, denn den Bewertungsmaßstab hat dir der Programmierer verpasst. Und er enthält keinerlei Freiheiten. Nur eine weitere Schraube in der deterministischen Mechanik des Computerprogramms.
Und nun wieder zurück zum Autokäufer. Ist der wegen seines Bewertungsmaßstabes vielleicht doch irgendwie frei? Hat sich der Freiheitsgrad, den wir beide suchen, ausgerechnet im "B ist besser" versteckt?
Beim Menschen, muss ich zugeben, ist es keine einfache Tabelle mit eindeutiger Werteskala, die als Bewertungsmaßstab dient. Hört das Ohr des Autokäufers vom lächelnden Gebrauchtwagenhändler die Zahl "7999 Euro, weil sie es sind" wird dieses gehörte Signal durch vielfache und verschlungene neuronale Pfade gepustet und regt hier und dort irgendwelche Muster an. (so laienthaft verstehe ich zumindest das, was man halt ansatzweise drüber gelesen hat) Ein Erinnerungsfragment leuchtet auf: "Achtung, die Heizung hat auch so viel gekostet, und die war ein Fehlkauf". Woanders erscheint die Meldung "das Lächeln des Händlers ist irgendwie schmierig" usw. Viele Neuronen feuern in unterschiedlicher Intensität, der ganze Kopf summt und hallt wieder von neuronalen Stimmen, Eindrücken, Teilbeurteilungen in Form von Signalstärken. Hinzu kommen noch ein paar abstrakte, bewusst verhandelte Argumente, deren Verhandlung aber auch durch deterministische Neuronen durchgeführt wird. Und zum Schluss wird alles übereinander gehalten und es ergibt sich in Summe eine Entscheidung: "ja, ich kaufe B"
Ungleich komplexer als beim Computer aber im Prinzip genau dasselbe. Ob ich nun in einer Tabelle nachschaue oder per neuronaler Summenformel arbeite, in beiden Fällen hängt das Beurteilungsergebnis zu 100% von den vorliegenden Daten ab. Und die im Hirn vorliegenden Daten hängen wiederum zu 100% von anderen ebenso unfreien Erfahrungen und Entscheidungsprozessen der Vergangenheit ab. Ich finde also, auch wenn man stochert, in dem Bewertungsmaßstab eines Menschen gibt es leider ebenfalls keinen Freiheitsgrad zu finden.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ein Getränkeautomat hat also dAn genausoviel Autonomie wie ein Mensch (nämlich überhaupt keine)? Es ist also unberechtigt, Menschen Autonomie zuzuschreiben?

Ja.

AgentProvocateur hat geschrieben:Falls ja, nochmal die Frage: wie kann man sich Autonomie in Deinem Sinne vorstellen? Wie funktioniert das (zum Beispiel) genau?

Ich kann es mir nur auf der Grundlage eines dualistischen Weltbildes vorstellen. Ich bin kein Dualist und halte das für Quatsch. Aber wenn es so wäre, dass neben den materiellen Neuronen auch noch ein nicht materieller Geist aus einer anderen Dimension auf unser Gehirn und unsere Entscheidungen einwirkt UND wenn dieser nicht materielle Geist nicht deterministisch wäre, also irgendwie zufällig oder regellos agierte, dann wäre die kausale Abhängigkeit durchbrochen, dann gäbe es Willkür und damit auch Freiheit in meinem Sinne.
Ohne Quatschannahmen, muss ich einräumen, kann ich mir echte Autonomie tatsächlich nicht vorstellen.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon Nanna » So 3. Jan 2010, 13:16

ganimed hat geschrieben:Also mein Nachhaken: Wäre es in deiner Definition sprachlich nicht viel passender, wenn man das Definierte "eigenen Willen" nennen würde? Wenn es nach deiner Definition gar nicht um Freiheit von irgendwas geht, sondern um die Zuordnung des Willens zu einem Entscheider. Würden die Kompatibilisten von "eigenem Willen" statt "freiem Willen" sprechen, wäre mir vermutlich so einige Verwirrung erspart geblieben.

Ich finde die Idee eigentlich nicht schlecht, denn ganimed hat meiner Meinung nach durchaus damit Recht, dass im Kompatibilismus ein bisschen Zurechtbiegerei geschieht. Wenn ich jetzt schon für Transparenz als wichtigste Entscheidungsgrundlage werbe, dann sollte ich wohl konsequenterweise auch für die Transparenz der dahinterstehenden Theorie sein. ;-)

Wäre es vielleicht noch passender, von einem "frei gebildeten Willen" oder einer "frei gefällten Entscheidung" zu sprechen, in dem Sinne, dass dem deterministischen Entscheidungsmechanismus der Natur freier Lauf gelassen wird, ohne das gezielte Manipulationen stattfanden? "Freier" wäre die Entscheidung dann, wenn sie am ehesten zum Wesen des entscheidenden Individuums passt (ist schwierig, weil eine Persönlichkeit ein dynamisches und hochgradig von seiner sozialen Umwelt abhängiges System ist, gebe ich zu...) und sie nicht von außen gezielt beeinflusst worden ist (ist auch schwierig, weil das schon eine Bewertung beinhaltet). Ich fürchte, dass man beim kompatibilistischen freien Willen, so wie ich ihn verstehe, nämlich nie nur das entscheidende Individuum ansehen darf, sondern auch die Intentionen der beeinflussenden Individuen und Gruppen beachten muss, was die Sache natürlich böse verkompliziert.

Dass dieses Konzept mit dem klassischen Konzept es freien Willens nur noch randständige Berührungspunkte hat, ist mir übrigens klar, das hätte ich natürlich deutlicher machen sollen.


Hinter meiner Überlegung steht auch folgendes:
Die Freiheit, die hinter dem dualistischen Freier-Wille-Konzept mit einem Geist als unbewegtem Beweger steht, kann aus wissenschaftlich-naturalistischer Sicht mit großer Wahrscheinlichkeit als existent ausgeschlossen werden. Trotzdem scheint es mir, dass es auch in einer deterministischen Welt durchaus Zwang gibt, der sich vom nicht zu erfühlenden Determinismus unterscheidet, und zwar im wesentlichen Zwang auf der sozialen Ebene (der von Menschen übrigens auch anders bewertet wird als der Zwang durch die Natur. So hinterlassen Vergewaltigungen beispielsweise häufiger und schwerere Traumata als Naturkatastrophen). Das hat natürlich schon sehr viel mit subjektivem Erleben der Betroffenen zu tun, aber da sozialer Zwang respektive politische Manipulation definitiv eine Realität ist und auch nachweislich Menschen in ihrer Lebensführung und ihren Gefühlen beeinflusst, finde ich es sinnvoll, den Versuch zu machen, eine kompatibilistische Freiheit zu definieren, ansonsten führt die Erkenntnnis des Determinismus schnurstracks in den Fatalismus und davon haben wir ja philosophisch und lebenspraktisch auch nichts.




(und angehängt, weil dein Beitrag gerade noch kam: Eine echte Autonomie ist diese kompatibilistische Freiheit auch nicht, das räume ich rundherum ein. Sie eher so eine Autonomie 0.5, bei der die schwersten und dem Menschen als unangenehmst auffallenden Zwänge und Manipulationen halbwegs beseitigt wurden. )
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 3. Jan 2010, 14:33

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wir sind uns sicher einig dabei, dass alleine kausale Unabhängigkeit einer Überlegung noch keine Freiheit (in Deinem Sinne) gewährleisten könnte, das also nur eine notwendige Voraussetzung für Freiheit in Deinem Sinne sein könnte. Nun wäre es mir sehr lieb, wenn Du noch die hinreichenden Voraussetzungen für Freiheit in Deinem Sinne nennen könntest.

Das sind wir uns nicht einig. Ich meinte es tatsächlich so, dass kausale Unabhängigkeit bereits eine Freiheit darstellt. Eine Entscheidung, die ich ohne Grund fälle, oder die wenigstens teilweise ohne Grund getroffen wird, wäre für mich bereits eine freie Entscheidung und ein Beweis dafür, dass der Mensch einen freien Willen hat. Eine einzige freie Entscheidung pro Leben würde mir da ja im Grunde schon reichen. Ist für mich aber nirgendwo zu erkennen. Kausale Unabhängigkeit wäre für mich also tatsächlich bereits die hinreichende Voraussetzung.

Ach ja, richtig, das hatten wir schonmal woanders. Das Problem dabei ist, dass Du kaum jemanden finden wirst, der kausale Unabhängigkeit ebenfalls als hinreichend für Freiheit ansehen würde. Denn das würde bedeuten, dass demnach jemand, der willkürliche Entscheidungen träfe, freier wäre als jemand, der Entscheidungen aufgrund von Gründen und deren Bewertungen trifft. Und wenn Du damit keine Zustimmung finden kannst, muss folglich etwas mit Deiner Definition nicht stimmen. Sie trifft dann schlicht nicht das, was man meint, wenn man von "Freiheit" spricht.

ganimed hat geschrieben:Ein Computer kann ja durchaus einen Bewertungsmaßstab haben. Ich programmiere selber hin und wieder ganz gerne mal und sähe hier beispielsweise eine einfache Tabelle, die man im Sourcecode ablegen kann.
Autopreis, Bewertung:
<6000, gut
<8000, geht so
>=8000, schlecht
Der Computer kann anhand dieser Tabelle nun Autopreise bewerten. Aber ist durch den Bewertungsmaßstab nun ein Freiheitsgrad ins Spiel gekommen? Nein, lieber Computer, leider nicht. Auch mit diesem Programm bleibst du völlig unfrei, denn den Bewertungsmaßstab hat dir der Programmierer verpasst.

Ja, eben. Genau wie ein Mensch unfrei ist, dem ich meine Bewertungsmaßstäbe aufdrücke. Das Programm wäre freier, wenn es selber Bewertungsmaßstäbe entwickeln könnte.

ganimed hat geschrieben:Und er enthält keinerlei Freiheiten.

Dieser Satz enthält keine zusätzliche Information über die Aussage: "die Abläufe sind kausal determiniert" hinaus.

ganimed hat geschrieben:Und zum Schluss wird alles übereinander gehalten und es ergibt sich in Summe eine Entscheidung: "ja, ich kaufe B"
Ungleich komplexer als beim Computer aber im Prinzip genau dasselbe. Ob ich nun in einer Tabelle nachschaue oder per neuronaler Summenformel arbeite, in beiden Fällen hängt das Beurteilungsergebnis zu 100% von den vorliegenden Daten ab. Und die im Hirn vorliegenden Daten hängen wiederum zu 100% von anderen ebenso unfreien Erfahrungen und Entscheidungsprozessen der Vergangenheit ab. Ich finde also, auch wenn man stochert, in dem Bewertungsmaßstab eines Menschen gibt es leider ebenfalls keinen Freiheitsgrad zu finden.

Du schmuggelst immer wieder Dein unhinterfragtes und unplausibles Axiom hinein (Freiheit == Willkür).

Und dann hast Du mE ein unrealistisches Bild davon, wie Entscheidungen ablaufen und wie Normen gefunden und begründet werden. Aus Daten können keine Normen abgeleitet werden, es reicht also nicht, alle Daten zu kennen und die einfach irgendwie "anzuwenden" um zu einem Ergebnis zu kommen. Die Freiheit des Menschen besteht mAn darin, Bewertungsmaßstäbe aufzustellen, Ziele zu setzen, diese zu hinterfragen und daraufhin erst zu der Bewertung "besser" zu kommen.

Wenn Du einen Roboter entwickeln kannst, der das in annäherndem Maße kann, dann hat auch dieser Roboter einen freien Willen in meinem Sinne.

ganimed hat geschrieben:Ohne Quatschannahmen, muss ich einräumen, kann ich mir echte Autonomie tatsächlich nicht vorstellen.

Autonomie und Freiheit müssen also binär gedacht werden: entweder gibt es sie oder gar nicht? Das ist auch eher ungebräuchlich, denn man redet auch von "autonomen Robotern" (zum Beispiel solche, die einen Auftrag erfüllen können, "z.B. fahre zum 50 km entfernten Ziel", ohne dass im Einzelnen alle Eventualitäten vorgegeben sind, d.h. die Autonomie besteht darin, auf unbekannte Vorkommnisse reagieren zu können).
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 3. Jan 2010, 14:54

Nanna hat geschrieben:Wäre es vielleicht noch passender, von einem "frei gebildeten Willen" oder einer "frei gefällten Entscheidung" zu sprechen, in dem Sinne, dass dem deterministischen Entscheidungsmechanismus der Natur freier Lauf gelassen wird, ohne das gezielte Manipulationen stattfanden? "Freier" wäre die Entscheidung dann, wenn sie am ehesten zum Wesen des entscheidenden Individuums passt (ist schwierig, weil eine Persönlichkeit ein dynamisches und hochgradig von seiner sozialen Umwelt abhängiges System ist, gebe ich zu...) und sie nicht von außen gezielt beeinflusst worden ist (ist auch schwierig, weil das schon eine Bewertung beinhaltet). Ich fürchte, dass man beim kompatibilistischen freien Willen, so wie ich ihn verstehe, nämlich nie nur das entscheidende Individuum ansehen darf, sondern auch die Intentionen der beeinflussenden Individuen und Gruppen beachten muss, was die Sache natürlich böse verkompliziert.

Meiner Ansicht nach muss zusätzlich zu Deinen Ausführungen zu einem "freien Willen" noch eine hinreichende Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur Zukunftssimulation kommen. Die Fähigkeit, Normen erstellen und bewerten zu können, einen Bewertungsmaßstab aufstellen zu können. Gibt es nun zusätzlich keine (wesentlichen) innere oder äußere Zwänge, so würde ich das als Willensfreiheit / Entscheidungsfreiheit ansehen.

Gezielte Beeinflussung hingegen spricht nicht unbedingt dagegen, soziale Beziehungen mit gezielten Beeinflussungen sind gar nicht vermeidbar. Solange diese offen erfolgen, ist das aber mE noch kein Problem, nur dann, wenn sie verdeckt erfolgt (Manipulation).

Nanna hat geschrieben:Dass dieses Konzept mit dem klassischen Konzept es freien Willens nur noch randständige Berührungspunkte hat, ist mir übrigens klar, das hätte ich natürlich deutlicher machen sollen.

Was ist das "klassische Konzept des freien Willens" genau? Es kann jedenfalls nicht "Freier Wille == willkürlicher Wille" sein.

Ich verstehe nicht, warum sich alle darauf berufen, sich aber gleichzeitig weigern, das mal explizit darzustellen.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon Julia » So 3. Jan 2010, 15:22

Alles was nicht determiniert ist, also keine Ursache hat, ist zufällig, also willkürlich, wo ist das Problem?
Wenn man will, kann man jetzt Entscheidungen, die hauptsächlich durch die eigene Persönlichkeit, die eigenen Maßstäbe, determiniert sind als "frei" bezeichnen, aber das verwirrt mehr als das es nützt, IMHO, schließlich ist die eigenen Persönlichkeit wieder durch andere Dinge determiniert. Ich finde Einstein hat das schön zusammengefasst:
„Ich weiß ehrlich nicht, was die Leute meinen, wenn sie von der Freiheit des menschlichen Willens sprechen. Ich habe zum Beispiel das Gefühl, dass ich irgend etwas will; aber was das mit Freiheit zu tun hat, kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich spüre, dass ich meine Pfeife anzünden will und tue das auch; aber wie kann ich das mit der Idee der Freiheit verbinden? Was liegt hinter dem Willensakt, dass ich meine Pfeife anzünden will? Ein anderer Willensakt? Schopenhauer hat einmal gesagt: ‚Der Mensch kann tun was er will; er kann aber nicht wollen was er will.‘“

Ich unterstütze ganimeds Vorschlag. :)
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 3. Jan 2010, 16:26

Julia hat geschrieben:Alles was nicht determiniert ist, also keine Ursache hat, ist zufällig, also willkürlich, wo ist das Problem?
Wenn man will, kann man jetzt Entscheidungen, die hauptsächlich durch die eigene Persönlichkeit, die eigenen Maßstäbe, determiniert sind als "frei" bezeichnen, aber das verwirrt mehr als das es nützt, IMHO, schließlich ist die eigenen Persönlichkeit wieder durch andere Dinge determiniert.

Mein Problem mit Inkompatibilisten ist, dass diese einfach als unhinterfragbares Dogma setzen, Kausalität sei ein natürlicher Gegensatz zu Freiheit (wobei sie allerdings normalerweise nicht, wie ganimed, behaupten, Willkür und Freiheit seien deckungsgleich, letztlich Synonyme).

Und dass sie noch nicht einmal im Ansatz verstehen können, dass sie diesen von ihnen gesetzten Gegensatz begründen / plausibel machen müssen, der ist ja keineswegs einfach so aus sich heraus evident.

Bei der Frage: "was ist Willensfreiheit, was versteht man darunter, was meint man, wenn man darüber spricht, (z.B. hier oder hier), wie kann das konsistent dargestellt werden?" oder auch bei der Frage: "was ist Freiheit eigentlich, was ist damit gemeint?" ist ein reines Dogma ja wenig hilfreich. Mit einem beliebigen Dogma kann Beliebiges bewiesen werden.

Und Einstein hat zu der Frage nicht substantiiert vorgetragen.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon Julia » So 3. Jan 2010, 16:53

AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Problem mit Inkompatibilisten ist, dass diese einfach als unhinterfragbares Dogma setzen, Kausalität sei ein natürlicher Gegensatz zu Freiheit

Der Begriff "Freiheit" ist mir schlicht zu emotional belegt, ich spreche lieber von Determiniertheit vs. Indeterminiertheit. Letzteres ist Willkür/Zufall und ersteres möchte ich nicht Willensfreiheit nennen (Freiheit von was? *), gerade wegen der engen Verknüpfung zwischen dem Schuldbegriff und der Willensfreiheit.
Von dem her ist der freie Wille für mich ein Unding. Wer so viel Wert auf den Begriff der "Willensfreiheit" legt und sich nicht davon trennen mag, kann ihn gerne weiter verwenden, wird damit aber andauernde Verwirrung stiften.

* Für die Abwesenheit von äußerem Zwang haben wir schon den Begriff der Handlungsfreiheit.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 3. Jan 2010, 17:13

Julia hat geschrieben:Der Begriff "Freiheit" ist mir schlicht zu emotional belegt, ich spreche lieber von Determiniertheit vs. Indeterminiertheit. Letzteres ist Willkür/Zufall und ersteres möchte ich nicht Willensfreiheit nennen (Freiheit von was? *), gerade wegen der engen Verknüpfung zwischen dem Schuldbegriff und der Willensfreiheit.
Von dem her ist der freie Wille für mich ein Unding. Wer so viel Wert auf den Begriff der "Willensfreiheit" legt und sich nicht davon trennen mag, kann ihn gerne weiter verwenden, wird damit aber andauernde Verwirrung stiften.

* Für die Abwesenheit von äußerem Zwang haben wir schon den Begriff der Handlungsfreiheit.

Also letztlich 'ne Geschmacksfrage? Ist Dir zu emotional belegt? Nun gut, über Geschmacksfragen sollte man nicht streiten, aber für mich bedeutet der Begriff "Freiheit" dann was anderes als für Dich, wenn Du irgendwie Determiniertheit und Indeterminiertheit damit in Verbindung bringst.

Abwesenheit von äußerem und inneren Zwang ist Handlungsfreiheit, richtig. Willensfreiheit dreht sich mE um die Freiheit zu eigenen rationalen Entscheidungen, die Freiheit, sich selber Ziele und Normen zu setzen und diese auch wieder zu hinterfragen.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » So 3. Jan 2010, 19:15

AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Problem mit Inkompatibilisten ist, dass diese einfach als unhinterfragbares Dogma setzen, Kausalität sei ein natürlicher Gegensatz zu Freiheit

Das Problem ist wohl tatsächlich nur, wie man Willensfreiheit definiert.
Aus meiner Sicht bin ich bei der kausalen Abhängigkeit und ich definiere Freiheit in dem Zusammenhang wohl in etwa so: Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang und die Anwesenheit von Auswahl.
Ausgehend von dieser Formulierung, habe ich den Eindruck, wären wir uns schnell einig. Bezüglich des menschlichen Willens wäre dann zu attestieren: Ist man 100% kausal abhängig, dann ist man gezwungen etwas zu tun und man hat auch keine Auswahl an alternativen Handlungen. Man ist also laut dieser Definition unfrei. Der Mensch hätte demnach keinen freien Willen.

Ich sehe ein, dass ich nicht begründen kann, wieso man nun ausgerechnet diese Definition nehmen sollte. Also nehmen wir deine Definition von Willensfreiheit:

AgentProvocateur hat geschrieben:Willensfreiheit dreht sich mE um die Freiheit zu eigenen rationalen Entscheidungen, die Freiheit, sich selber Ziele und Normen zu setzen und diese auch wieder zu hinterfragen.

Der Definition kann ich zustimmen. Aber bei der Anwendung kommen wir offenbar zu unterschiedlichen Ergebnissen. Im Gegensatz zu dir sehe ich diese Freiheit beim Menschen nicht. Was ist denn eine eigene rationale Entscheidung in einem Hirn, dessen sämtliche Informationen und Entscheidungsgrundlagen von außen stammen? Was sind denn selbstgesetzte Ziele und Normen, die man letztendlich doch nur nach festgelegten Regeln übernommen hat ohne je eine Wahl zu haben? Was bedeutet denn das Hinterfragen wenn die Ursache für das Hinterfragen wiederum zu 100% von außen kommt und die Art und Weise des Hinterfragens nur eine Folge äußerer Einflüsse ist? Kannst du mal ein Beispiel für eine wirklich eigene rationale Entscheidung angeben, oder für ein eigenes Ziel?

Glaubst du wirklich, dass ein Mensch originär einen eigenen Gedanken erzeugen kann, der nicht vollständig durch Anregungen von außen erzeugt wurde? Wenn er diesen Gedanken erzeugen kann, wieso hat er genau diesen Gedanken erzeugt? Bei totaler kausaler Abhängigkeit muss der Grund für diese Auswahl doch wieder letzlich von außen kommen, oder?

Ich habe den Eindruck, dieser Autonomie-Begriff von dir bezieht sich auf Dinge, die nicht eigen sind und von außen kommen, diese wahre Herkunft aber genügend verbergen. Nochmal ein dummes Gedankenexperiment: ein Kind lernt von seiner Mutter eine bestimmte Regel, was weiß ich, dass eine Kuchengabel immer links vom Teller liegen sollte. Ist das Kind 30 Jahre alt, eröffnet es beim Tischdecken den verwunderten Umstehenden, dass es die Kuchengabel nunmal möglichst links vom Teller haben wolle. Jeder wird das vermutlich achselzuckend als Ausdruck persönlicher Vorlieben interpretieren (auch der Linksausleger selber) und die Sache auf sich beruhen lassen. Autonomie? Nur wenn man willkürlich ein künstliches Verfallsdatum für Autorenschaft einführt. Eigentlich war das mit der linken Seite ja die Idee der Mutter und keine eigene. Aber nach 30 Jahren fragt da niemand mehr nach und man schreibt das vollständig dem jungen Mann zu. Eigentlich falsch.

Und genau diese "Ungenauigkeit" scheint mir auch allgemein vorzuliegen, wenn du von eigenen Zielen und Normen redest. Man hat das Gefühl, es sei die eigene Idee und man hat auch keine Ahnung, von wo diese Idee übernommen sein soll. Also sieht man das einfach mal als seine Idee an. Aber woher soll denn dieses Eigene kommen? Wenn man es genau nimmt, muss doch alles von außen importiert worden sein. Denn die eine befruchtete Eizelle, die man mal war, enthielt nachweislich keine Vorlieben für Besteckanordnungen.

Ich gebe ja zu, dass es müßig ist, bei all unseren Ansichten zu raten, woher die denn im Original stammen bzw. woher die Einzelteile und die Zusammenbauimpulse stammten. Ein völlig aussichtsloses Unterfangen angesichts der Komplexität der Welt. Aber dennoch sollte man den Tatbestand, dass es keine wirklich eigenen Ideen gibt und geben kann, doch nicht soweit aus den Augen verlieren, dass man einfach so das Gegenteil behauptet und das dann "freien Willen" nennt.

Fazit: ich komme mit beiden Definitionen zu demselben Ergebnis. Es gibt keinen freien Willen. Was mache ich falsch?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 3. Jan 2010, 20:43

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Problem mit Inkompatibilisten ist, dass diese einfach als unhinterfragbares Dogma setzen, Kausalität sei ein natürlicher Gegensatz zu Freiheit

Das Problem ist wohl tatsächlich nur, wie man Willensfreiheit definiert.
Aus meiner Sicht bin ich bei der kausalen Abhängigkeit und ich definiere Freiheit in dem Zusammenhang wohl in etwa so: Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang und die Anwesenheit von Auswahl.
Ausgehend von dieser Formulierung, habe ich den Eindruck, wären wir uns schnell einig. Bezüglich des menschlichen Willens wäre dann zu attestieren: Ist man 100% kausal abhängig, dann ist man gezwungen etwas zu tun und man hat auch keine Auswahl an alternativen Handlungen. Man ist also laut dieser Definition unfrei. Der Mensch hätte demnach keinen freien Willen.

Ja, wir wären uns schnell einig, aber wohl ganz anders, als Du denkst. Deine Definition von Willensfreiheit gefällt mir. Nur müssten jetzt für meinen Geschmack noch etwas mehr die (mAn) benötigten Fähigkeiten benannt werden: nämlich die Fähigkeit dazu, Alternativen überhaupt zu erkennen, die Alternativen in Beziehung zueinander zu setzen und daraufhin eine Zukunftsprognose zu erstellen. Und die Fähigkeit, seine eigenen Ziele und Vorlieben in Frage zu stellen und die wiederum in einen größeren Zusammenhang zu bringen und evtl. zu revidieren. Ist all das erfüllt, würde ich von einem freien Willen sprechen, (was mE etwas anderes ist als ein "eigener Wille", dazu unten mehr).

Aber keine Zustimmung kannst Du von mir bekommen bei der Schlussfolgerung, dass, weil etwas kausal determiniert sei, es deswegen Zwang sei. Non sequitur und mir scheint, das hat mit der landläufigen Bedeutung von "Zwang" auch erst mal recht wenig zu tun. "Ich musste ins Kinos gehen, ich war gezwungen ins Kino zu gehen, weil die Umstände es so bestimmt haben, dass ich das wollte" - diese Aussage werden sicher die meisten Leute als absurd ansehen. Und auch keine Zustimmung bekommst Du von mir dabei, dass es keine Alternativen gäbe, denn ohne Alternativen selbstverständlich keine Abwägung zwischen Alternativen. Eine alternativlose Entscheidung gibt es mE nicht, das wäre dann keine Entscheidung mehr. Letztlich wird es aber nur eine Entscheidung geben, das ist selbstverständlich - in jeder Welt, egal, ob determiniert oder indeterminiert - aber vorher, bevor die Entscheidung gefallen ist, kann man nicht wissen, für was man sich entscheidet. Und deswegen sind das auch für mich "echte" Alternativen, wüsste nicht, inwiefern irgendwelche anderen "echter" sein könnten. Wie gesagt: im Nachhinhein bleibt nur eine übrig, (die, die aufgrund der Entscheidung realisiert wird), aber das bedeutet nun mal nicht, dass es vorher keine Alternativen gegeben hätte, bzw. keine Alternativen geben könnte.

ganimed hat geschrieben:Glaubst du wirklich, dass ein Mensch originär einen eigenen Gedanken erzeugen kann, der nicht vollständig durch Anregungen von außen erzeugt wurde?

Nein, ich glaube eigentlich nicht, dass jemand einen Gedanken erzeugen kann, der aus dem buchstäblichen Nichts kommt, aber ja, ich glaube, es gibt Gedanken, die man dennoch berechtigterweise jemandem zuordnen kann. Das sehe ich nicht als Gegensatz. Einen Gedanken, der gründlich erwogen wurde, würde ich eher jemandem zuordnen als Gedanken, die willkürlich entstanden sind (und die einfach so geäußert werden, ohne sie begründen zu können).

ganimed hat geschrieben:Ich habe den Eindruck, dieser Autonomie-Begriff von dir bezieht sich auf Dinge, die nicht eigen sind und von außen kommen, diese wahre Herkunft aber genügend verbergen. Nochmal ein dummes Gedankenexperiment: ein Kind lernt von seiner Mutter eine bestimmte Regel, was weiß ich, dass eine Kuchengabel immer links vom Teller liegen sollte. Ist das Kind 30 Jahre alt, eröffnet es beim Tischdecken den verwunderten Umstehenden, dass es die Kuchengabel nunmal möglichst links vom Teller haben wolle. Jeder wird das vermutlich achselzuckend als Ausdruck persönlicher Vorlieben interpretieren (auch der Linksausleger selber) und die Sache auf sich beruhen lassen. Autonomie? Nur wenn man willkürlich ein künstliches Verfallsdatum für Autorenschaft einführt. Eigentlich war das mit der linken Seite ja die Idee der Mutter und keine eigene. Aber nach 30 Jahren fragt da niemand mehr nach und man schreibt das vollständig dem jungen Mann zu. Eigentlich falsch.

Gutes Beispiel. Nein, ich würde diesen Gedanken nicht ihm zuordnen, weil er ihn offensichtlich nicht begründen kann. "Isso, macht man so." Und weil ihm die Fähigkeit dazu fehlt, einzusehen, dass dies kein Grund für andere sein kann. Dieser Mensch wäre also, nimmt man meine Definition, mein Verständnis von Freiheit, weniger frei, als jemand, der das reflektieren und nach Gründen fragen könnte. Er wäre also (in dieser speziellen Hinsicht) weniger autonom.

ganimed hat geschrieben:Und genau diese "Ungenauigkeit" scheint mir auch allgemein vorzuliegen, wenn du von eigenen Zielen und Normen redest. Man hat das Gefühl, es sei die eigene Idee und man hat auch keine Ahnung, von wo diese Idee übernommen sein soll. Also sieht man das einfach mal als seine Idee an. Aber woher soll denn dieses Eigene kommen? Wenn man es genau nimmt, muss doch alles von außen importiert worden sein. Denn die eine befruchtete Eizelle, die man mal war, enthielt nachweislich keine Vorlieben für Besteckanordnungen.

Natürlich nicht. Ich unterscheide also zwischen bestimmten Ausprägungen von Fähigkeiten. Jemand z.B., der keine Selbstkritik üben kann, wäre in meiner Sicht unfreier als jemand, der das könnte.

ganimed hat geschrieben:Fazit: ich komme mit beiden Definitionen zu demselben Ergebnis. Es gibt keinen freien Willen. Was mache ich falsch?

Du denkst einfach nur binär. Entweder gibt es in Deiner Sicht absolute Freiheit oder es gibt keine Freiheit. Entweder gibt es Zwang oder keinen Zwang. Du kommst gar nicht auf die Idee, dass es graduelle Abstufungen geben könnte, z.B.: wenn Freiheit und Zwang Gegensätze sind (das meine ich, jedoch meine ich nicht, dass Determinismus und Freiheit Gegensätze seien, da ich kein Argument dafür sehe) und es verschiedene Ausprägungen von Zwang geben kann (starker Zwang <-> schwacher Zwang), dann folgt daraus ziemlich direkt, dass auch Freiheit Abstufungen unterliegt, das also keine binäre Kategorie ist (entweder ganz oder gar nicht).

Und das gilt auch für die Willensfreiheit, die mAn direkt mit vorhandenen / nicht vorhandenen Fähigkeiten zusammen hängt. Wenn z.B. jemand als Kind in einer brutalen Diktatur gehirngewaschen wurde, so dass er später keinen klaren Gedanken mehr fassen kann und einfach nur allem zustimmt, was man ihm vorsetzt, dann ist dieser (obgleich er jederzeit seinen eigenen Willen, der aber induziert wurde, erfüllt bekommen kann) in meiner Sicht weniger frei als jemand, der gelernt hat, sich seine eigenen Gedanken zu machen.

"Absolute Freiheit" ist mE ein sinnloser, d.h. nicht konsistent darstellbarer Gedanke, in keiner logisch möglichen Welt, egal, ob determiniert oder indeterminiert. Aber das heißt eben noch lange nicht, dass die Idee der Freiheit binär sein muss. Und außerdem bedeutet es, dass Determinismus für die Frage nach Freiheit keine Rolle spielt.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mo 4. Jan 2010, 01:06

Also ich muss nochmal betonen, dass ich die Diskussion gerade angenehm konstruktiv und sehr spannend finde. Ich war glaube ich noch nie so nahe dran, den Kompatibilismus im Ansatz zu verstehen.
Nanna hat geschrieben:Wäre es vielleicht noch passender, von einem "frei gebildeten Willen" oder einer "frei gefällten Entscheidung" zu sprechen, in dem Sinne, dass dem deterministischen Entscheidungsmechanismus der Natur freier Lauf gelassen wird, ohne das gezielte Manipulationen stattfanden?

Mein Ausgangsfrage, von was der Wille denn frei sei, wäre also hieraus folgend zu beantworten: von gezielten Manipulationen. Ich kann schon nachvollziehen, worauf das abzielt. Wenn eine Person etwas entscheidet nur weil sie von einer anderen Person vorher absichtlich manipuliert und bequatscht wurde, dann ist das irgendwie demütigend und degradierend in sozialer Hinsicht. Die Entscheider-Person handelt gewissermaßen entmündigt, sie hat sich den Willen der manipulierenden Person aufpfropfen lassen und ihren eigenen Willen untergeordnet. Das nennst du dann unfrei. Ok, dem kann ich schon folgen. Unfrei hier im Sinne von sozialer Entmündigung.

Aber wieso wird dem "deterministischen Entscheidungsmechanismus der Natur", wie du es nennst, kein freier Lauf gelassen, wenn eine gezielte Manipulation ins Spiel kommt? Ob eine Manipulation gezielt oder zufällig erfolgt, ist doch für den Entscheidungsprozesses völlig irrelevant. Für den ist jede Manipulation nur eine Veränderung der Entscheidungsfaktoren. Der Entscheider richtet sich völlig deterministisch nach der vorliegenden Datenlage des Hirns, egal ob diese vorher nun absichtlich oder unabsichtlich verändert bzw. ergänzt wurde.

Ich habe den Verdacht, mit deiner Bewertung "frei, weil von niemandem absichtlich manipuliert" triffst du gar keine Aussage über den Freiheitsgrad der Entscheidung sondern bewertest die soziale Stellung des Entscheiders im gesellschaftlichen Kontext. Scheinbar geht es also gar nicht um den Freiheitsgrad im Gehirn sondern eher darum, ob der Entscheider entmündigt ist bzw. welche gesellschaftlichen Mechanismen auf welche Weise gewirkt haben. Es geht dir, überspitzt formuliert, um das soziale Individuum und nicht um die Fähigkeiten seines Gehirns. Bei dir wäre ein völlig isolierter Eremit auf einer einsamen Insel immer frei in seinen Entscheidungen, obwohl sein Gehirn genau so wie das des Stadtmenschen funktioniert.

Mit Freiheit wäre demnach also nicht Wahlfreiheit oder Freiheit von kausaler Abhängigkeit gemeint, sondern soziale Eigenständigkeit bzw. gesellschaftliche Autonomie. Mir kommt das nun eher wie eine sehr nachgeordnete Frage vor, aber das ist sicher Geschmackssache. Mir erscheint die Einsicht, dass wir alle wie Cola-Automaten funktionieren mehrere Größenordnungen interessanter zu sein, als die Frage, welche Knopfdrucksignale möglicherweise über Verbindungskabel von einem Cola-Automaten zum anderen geleitet werden. Wir sind Automaten, das ist für mich die News des Tages.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mo 4. Jan 2010, 01:44

AgentProvocateur hat geschrieben:Du denkst einfach nur binär. Entweder gibt es in Deiner Sicht absolute Freiheit oder es gibt keine Freiheit.

Aus meiner Sicht gibt es absolut keine Freiheit. Wenn man jetzt alles andere, was es nicht gibt, unter dem Sammelbegriff "mehr oder weniger Freiheit" zusammen fasst, dann komme ich mit diesen zwei Begriffen aus.
Aber diese Binarität ist nur scheinbar. Ich wäre gerne bereit, graduelle Freiheit zu diskutieren. Aber dazu müsste es Freiheit überhaupt erstmal geben.

Ich vermute ja, dein Freiheitsbegriff bezieht sich ebenfalls auf diese soziale Sichtweise, die ich gerade auch schon bei Nanna unterstellt habe. Freiheit im Sinne sozialer Eigenständigkeit. Und da gebe ich sofort zu, dass es jede Menge Unschärfen und eine graduelle Freiheit gibt. Wenn ich es richtig sehe, gibt es bei der eigentlichen Entscheidungen im Gehirn auch bei dir erstmal keine Freiheit (weil vollständig kausal determiniert). Diese (kausal) unfreie Entscheidung nennst du aber im folgenden dann doch mehr oder weniger frei (sozial eigenständig), je nachdem welchen Charakter die sozialen Wechselwirkungen im Entscheidungsumfeld haben. Begrifflich höchst verwirrend für den Nichteingeweihten, weil da halt zwei verschiedene Freiheitsbegriffe verwendet werden, wie mir scheint.

a) (kausale) Freiheit = wieviel Freiheitsgrade hat das Gehirn bei der Entscheidung
b) (soziale) Freiheit = wie wenig beeinflusst von anderen Individuen war die Entscheidung

Wenn das in etwa stimmen würde, hätten wir bei den unterschiedlichen Standpunkten vielleicht oft nur mit dem jeweils anderen Freiheitsbegriff aneinander vorbei geredet?
Der Unterschied zwischen Inkompatibilisten und Kompatibilisten wäre dann vielleicht nur, dass die einen über a und die anderen über b reden wollen?
Irgendetwas in mir sagt gerade, dass es nicht ganz so einfach sein kann. Aber was weiß dieses Etwas in mir schon. :)
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Di 5. Jan 2010, 17:34

ganimed hat geschrieben:Ich vermute ja, dein Freiheitsbegriff bezieht sich ebenfalls auf diese soziale Sichtweise, die ich gerade auch schon bei Nanna unterstellt habe. Freiheit im Sinne sozialer Eigenständigkeit. Und da gebe ich sofort zu, dass es jede Menge Unschärfen und eine graduelle Freiheit gibt. Wenn ich es richtig sehe, gibt es bei der eigentlichen Entscheidungen im Gehirn auch bei dir erstmal keine Freiheit (weil vollständig kausal determiniert). Diese (kausal) unfreie Entscheidung nennst du aber im folgenden dann doch mehr oder weniger frei (sozial eigenständig), je nachdem welchen Charakter die sozialen Wechselwirkungen im Entscheidungsumfeld haben. Begrifflich höchst verwirrend für den Nichteingeweihten, weil da halt zwei verschiedene Freiheitsbegriffe verwendet werden, wie mir scheint.

a) (kausale) Freiheit = wieviel Freiheitsgrade hat das Gehirn bei der Entscheidung
b) (soziale) Freiheit = wie wenig beeinflusst von anderen Individuen war die Entscheidung

Wenn das in etwa stimmen würde, hätten wir bei den unterschiedlichen Standpunkten vielleicht oft nur mit dem jeweils anderen Freiheitsbegriff aneinander vorbei geredet?
Der Unterschied zwischen Inkompatibilisten und Kompatibilisten wäre dann vielleicht nur, dass die einen über a und die anderen über b reden wollen?

Ja, so sehe ich das auch.

Und eine kleine Ergänzung: Dein Freiheitsbegriff (kausale Freiheit, Freiheitsgrade = Unabhängigkeit von kausalen Abläufen) erscheint mir einfach nur sinnlos. Als eine nicht begründete Setzung, aus der auch erst mal gar nichts weiter folgt. Es gibt vielleicht keine "kausale Freiheit" - ja, na und? Warum wollen Inkompatibilisten überhaupt über "kausale Freiheit" reden? Das ist mir immer noch sehr unklar, besonders aber in Deinem Falle, wenn Du "Freiheit" einfach mit "Willkür" gleich setzt, (was ansonsten Inkompatibilisten nicht tun), was (nicht nur mir) sehr unplausibel erscheint. Einen Menschen, der nur willkürliche Gedanken hat, (und daraufhin nicht handeln kann, nur unwillkürlich zucken), würde ich nicht als frei ansehen, im Gegenteil: als maximal unfrei.

"Freiheit" ist mE ein sozialer Begriff, der z.B. auf der Ebene der Neuronen einfach undefiniert ist, weder auf diese zurückgeführt werden, noch dort untersucht werden kann.

Inkompatibilisten behaupten nun wohl, alle Entscheidungen einer Person könnten auf Vergangenes zurückgeführt werden und daher gäbe es keine Entscheidungen, die man der Person zuordnen könne. Das logische Problem bei dieser Argumentation ist aber mE, dass, führt man diesen Gedanken bis zum Ende, daraus automatisch folgt, dass der Begriff "Person" leer ist, ihm nichts mehr entsprechen kann. Dann sind alle Gedanken, Gefühle, Handlungen usw., bzw. auf niedrigerer Ebene neuronale Vorgänge insgesamt als lediglich äußere Faktoren zu betrachten ("mein Gehirn entscheidet für mich, meine cineastische Vorliebe zwingt mich zum Kinogang" - worauf aber bezieht sich dann das "mich"?). Die Frage, ob etwas, das gar nicht existieren kann, in irgend einem Sinne "frei" sein könnte, erscheint mir von Vorneherein vollkommen sinnlos.

Menschen sind Automaten? In gewissem Sinne ja, denn es gibt mE keinen prinzipiellen Unterschied, aber in einem gewissen Sinne auch wieder nicht, denn es gibt keine (zumindest mir bekannten) Automaten, die die Komplexität des Menschen auch nur annähernd erreichen. Gäbe es die jedoch, erreichte ein Automat die annähernde Fähigkeit des Menschen zur Autonomie, dann hätte ein solcher Automat einen freien Willen in meinem Sinne.

Ich glaube, dass das Freiheitskonzept der Kompatibilisten sehr viel konsistenter und schlüssiger ist als das der Inkompatibilisten, auch insofern, als es mE problemlos mit der Rede von "Willensfreiheit" zusammengebracht werden kann, (wie gesagt, z.B. hier und hier - da bekommt Deine "Freiheit==Willkür"-Definition wohl arge Schwierigkeiten). Inkompatibilisten haben oft gar kein konkretes Konzept von Freiheit, sie behaupten einfach erst mal nur unbegründet, dass Freiheit und Kausalität Gegensätze seien, ("isso, weil evident!"), merken nicht, dass das einer Begründung bedarf und warten dann einfach, dass Kompatibilisten sie widerlegen. Und ich meine übrigens auch, dass diese Widerlegung durch ein schlüssiges Konzept gelungen ist, (Willensfreiheit beruht auf den Fähigkeiten zu vernünftigen Überlegungen, Abwägungen, Zukunftssimulation, Selbstreflexion, der Fähigkeit, sich selber Ziele zu setzen und diese wieder in Frage zu stellen und ist dann gegeben, wenn diese Fähigkeiten hinreichend vorhanden sind), das übrigens keiner Metaphysik bedarf, rein naturalistisch erklärt werden kann.

Vielleicht interessieren Dich in diesem Zusammenhang noch diese Ausführungen von Daniel Dennet dazu. Im Wesentlichen sehe ich das auch so.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mi 6. Jan 2010, 20:40

AgentProvocateur hat geschrieben:Inkompatibilisten behaupten nun wohl, alle Entscheidungen einer Person könnten auf Vergangenes zurückgeführt werden und daher gäbe es keine Entscheidungen, die man der Person zuordnen könne. Das logische Problem bei dieser Argumentation ist aber mE, dass, führt man diesen Gedanken bis zum Ende, daraus automatisch folgt, dass der Begriff "Person" leer ist, ihm nichts mehr entsprechen kann.

Das ist aber doch kein logisches Problem. Wenn der Begriff "Person" leer wird, muss er eben neu definiert werden. Genau wie du ja auch einen 'neuen' Freiheitsbegriff kreiert hast, bei dem es gar nicht mehr um Wahlfreiheit geht sondern nur noch um den Ausschluss von direkter, sozialer Beeinflussung von anderen Personen. Man suche also nach einer neuen Definition für "Person" = menschlicher Automat mit bestimmten Fähigkeiten. Desselbigen gleichen wären auch weitere Begriffe auf dem Prüfstand, wie die von dir genannten "Privatrecht" und "Privatautonomie". Mir fallen da als erstes auch immer "Schuld" und "moralische Verantwortung" ein. Müsste man dringend mal drüber reden.

AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen sind Automaten? In gewissem Sinne ja, denn es gibt mE keinen prinzipiellen Unterschied, aber in einem gewissen Sinne auch wieder nicht, denn es gibt keine (zumindest mir bekannten) Automaten, die die Komplexität des Menschen auch nur annähernd erreichen.

Dieses Argument erscheint mir etwas unlogisch. Eigentlich sagst du ja praktisch, der Mensch ist kein Automat, weil der Mensch kein Automat ist. Geht man nämlich davon aus, er wäre einer, dann kennst du ja einen Automaten, der die Komplexität eines Menschen erreicht, nämlich den Menschen. Ein sehr komplexer, biochemischer Automat, nicht mehr und nicht weniger.

AgentProvocateur hat geschrieben:Inkompatibilisten haben oft gar kein konkretes Konzept von Freiheit, sie behaupten einfach erst mal nur unbegründet, dass Freiheit und Kausalität Gegensätze seien, ("isso, weil evident!"), merken nicht, dass das einer Begründung bedarf

Deine Forderung nach einer Begründung verstehe ich nicht so recht. Ich sehe nämlich durchaus ein, dass es einer Begründung bedarf, und ich dachte, die läge auch längst vor.

Bist du mit der bisher gelieferten Begründung nicht zufrieden? (nochmal im Schnelldurchlauf: bei kausaler Abhängigkeit gibt es keine Wahlfreiheit und die Entscheidung folgt dem Zwang der ursächlichen Faktoren. Abwesenheit von Wahlfreiheit und Anwesenheit von Zwang müsste man doch eigentlich ganz gut als Gegensatz zu Freiheit betrachten können)

Oder bezweifelst du die verwendeten Annahmen, dass wirklich alle Vorgänge im Hirn deterministisch sind und ein 100% kausale Abhängigkeit besteht? Oder gefällt dir eine der logischen Schlussfolgerungen nicht?


AgentProvocateur hat geschrieben:(Willensfreiheit beruht auf den Fähigkeiten zu vernünftigen Überlegungen, Abwägungen, Zukunftssimulation, Selbstreflexion, der Fähigkeit, sich selber Ziele zu setzen und diese wieder in Frage zu stellen und ist dann gegeben, wenn diese Fähigkeiten hinreichend vorhanden sind)

Ich muss zugeben, fast spiegelbildlich auch in deiner Definition eine Begründung zu vermissen. Genauer betrachtet, habe ich zwei Probleme mit deiner Definition:

1) Mir fehlt die Begründung, was das mit Freiheit zu tun hat.
Offensichtlich ist für mich der Bezug zum "Willen", denn Ziele setzen ist ja ein Ausdruck des langfristigen Willens. Aber was hat das mit Freiheit zu tun, wenn alle diese "Fähigkeiten" sich in einem deterministischen, also keine freie Wahl habenden Hirn abspielen? Oder um es wie bereits zu Beginn der Diskussion zu formulieren: Freiheit von was? Von was ist deine Willensfreiheit genau frei?

2) In deiner Definition müssen die Fähigkeiten hinreichend vorhanden sein. Wie definiert sich dieses "hinreichend". Ab wann sind die Fähigkeiten hinreichend vorhanden und wieso gerade dann?
Ich selber habe ja nicht zuletzt nach dem was man so von der Hirnforschung liest, eher den Eindruck, dass die Vernunft-Fähigkeiten, die du aufzählst, eine weit weniger dominante Rolle spielen als ich früher gedacht hätte. Das Unterbewusstsein und die Emotionen sind da offenbar recht mächtige Gegen- bzw. Mitspieler. Umso spannender zu überlegen, wieviel dieser Fähigkeiten es braucht, um in deinen Augen Freiheit zu schnuppern.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mi 6. Jan 2010, 21:10

AgentProvocateur hat geschrieben:Vielleicht interessieren Dich in diesem Zusammenhang noch diese Ausführungen von Daniel Dennet dazu. Im Wesentlichen sehe ich das auch so.

Vielen Dank für den interessanten Link. Habe ich mir natürlich erst durchgelesen, nachdem ich mein vorheriges Geschwafel abgeschickt habe.

Es kommt mir so vor, als seien deine und Dennets Position ziemlich deckungsgleich. Und im genannten Text sind auch einige Begründungen zu finden, wieso deine "Feiheitsdefinition" etwas mit Freiheit zu tun hat. Gutes Hintergrundmaterial.

Auch bei Dennet scheint es mir nach dieser Zusammenfassung um einen sehr pragmatischen Ansatz zu gehen. So nach dem Motto: wäre doch schön, wenn man die alten Definitionen von Person und Willensfreiheit weiter benutzen könnte obwohl es Willensfreiheit im eigentlichen Sinne nicht gibt. Also, wie muss man die Begriffe "Rationalität", "Kontrolle", "Autonomie" und "moralische Verantwortlichkeit" verbiegen, damit man das trotz eingeräumter Determiniertheit weiter Menschen mit freiem Willen hat. Erfrischend finde ich an diesem Ansatz, mit welcher Freimütigkeit das geschieht.
    "Wenn es sinnvoll ist (wenn es 'sich auszahlt'), Menschen als moralisch verantwortliche Personen zu behandeln, dann ist das hinreichend dafür, dass moralische Verantwortlichkeit wirklich existiert!"
Alles klar, Dennet, spinn weiter. Wenn es also sinnvoll ist, dass es einen tröstenden Gott gibt, dann sei das ein hinreichendes Argument dafür, dass er auch wirklich existiert? Es sei wahr, was nützlich ist? Ich weiß nicht recht, was ich von so viel Verbiegerei halten soll.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 6. Jan 2010, 22:11

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Inkompatibilisten behaupten nun wohl, alle Entscheidungen einer Person könnten auf Vergangenes zurückgeführt werden und daher gäbe es keine Entscheidungen, die man der Person zuordnen könne. Das logische Problem bei dieser Argumentation ist aber mE, dass, führt man diesen Gedanken bis zum Ende, daraus automatisch folgt, dass der Begriff "Person" leer ist, ihm nichts mehr entsprechen kann.

Das ist aber doch kein logisches Problem. Wenn der Begriff "Person" leer wird, muss er eben neu definiert werden. Genau wie du ja auch einen 'neuen' Freiheitsbegriff kreiert hast, bei dem es gar nicht mehr um Wahlfreiheit geht sondern nur noch um den Ausschluss von direkter, sozialer Beeinflussung von anderen Personen. Man suche also nach einer neuen Definition für "Person" = menschlicher Automat mit bestimmten Fähigkeiten.

Aber das ist doch überhaupt keine Antwort auf meinen Einwand. Völlig egal, ob Du eine Person "Automat" nennst oder nicht, es muss gewisse Vorgänge in der Welt geben, die als ihre angesehen werden. Gibt es die nicht, gibt es auch den Automaten nicht. Die Fähigkeiten müssen die des Automaten sein, man muss also Fähigkeiten, die nicht die des Automaten sind, davon unterscheiden können. Dann erst kann man fragen, ob der Automat irgendwie autonom ist, vorher nicht. Also kann man nicht sagen, es gäbe gar keine Eigenschaften des Automaten, weil die komplett auf die Vergangenheit zurückführbar wären. Keine Eigenschaften -> kein Ding (Automat, Person, egal).

ganimed hat geschrieben:Desselbigen gleichen wären auch weitere Begriffe auf dem Prüfstand, wie die von dir genannten "Privatrecht" und "Privatautonomie". Mir fallen da als erstes auch immer "Schuld" und "moralische Verantwortung" ein. Müsste man dringend mal drüber reden.

Verantwortung: jemand ist rechenschaftspflichtig für die Folgen eigener (absichtlicher, vorsätzlicher) Handlungen.

Schuld: jemand ist für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung verantwortlich.

Wie sind nun Deine neuen Definitionen für Privatrecht und Privatautonomie?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen sind Automaten? In gewissem Sinne ja, denn es gibt mE keinen prinzipiellen Unterschied, aber in einem gewissen Sinne auch wieder nicht, denn es gibt keine (zumindest mir bekannten) Automaten, die die Komplexität des Menschen auch nur annähernd erreichen.

Dieses Argument erscheint mir etwas unlogisch. Eigentlich sagst du ja praktisch, der Mensch ist kein Automat, weil der Mensch kein Automat ist. Geht man nämlich davon aus, er wäre einer, dann kennst du ja einen Automaten, der die Komplexität eines Menschen erreicht, nämlich den Menschen. Ein sehr komplexer, biochemischer Automat, nicht mehr und nicht weniger.

Was ich sagen wollte: die Aussage "der Mensch ist ein Automat" bedeutet lediglich: "ich bin Naturalist". Es bedeutet nichts mehr als das, bzw., falls doch, dann müsstest Du mal darstellen, was Du damit eigentlich sagen willst.

Ein Mensch hat andere Eigenschaften als heute bekannte Automaten, deswegen bedeutet die Aussage keineswegs, dass man Menschen wie heutige Automaten behandeln sollte. (Das scheint einigen leider nicht klar zu sein, siehe z.B. dort - ein schlichter Fehlschluss.)

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Inkompatibilisten haben oft gar kein konkretes Konzept von Freiheit, sie behaupten einfach erst mal nur unbegründet, dass Freiheit und Kausalität Gegensätze seien, ("isso, weil evident!"), merken nicht, dass das einer Begründung bedarf

Deine Forderung nach einer Begründung verstehe ich nicht so recht. Ich sehe nämlich durchaus ein, dass es einer Begründung bedarf, und ich dachte, die läge auch längst vor.

Bist du mit der bisher gelieferten Begründung nicht zufrieden? (nochmal im Schnelldurchlauf: bei kausaler Abhängigkeit gibt es keine Wahlfreiheit und die Entscheidung folgt dem Zwang der ursächlichen Faktoren. Abwesenheit von Wahlfreiheit und Anwesenheit von Zwang müsste man doch eigentlich ganz gut als Gegensatz zu Freiheit betrachten können)

Nein, bin ich nicht. Was soll denn "Wahlfreiheit" sein? Die "Freiheit" gegen jede Vernunft z.B. das schlechtere Auto wählen zu können? Was hat das mit Freiheit zu tun? Nichts, gar nichts, rien, nada. Oder doch? Aber inwiefern? Oder was genau (Beispiel bitte!) soll Wahlfreiheit sein, die mehr Freiheit gewährleistet?

Und welcher Zwang ist vorhanden, wenn ich z.B. gerne ins Kino gehe, einen bestimmten Film sehen möchte, weil mich die Handlung interessiert und ich mich deswegen dafür entscheide, das zu tun? Wo genau ist da Zwang? Natürlich könnte ich, wenn ich wollte, nicht ins Kino gehen. Aber warum sollte ich das wollen? Wenn's mir mehr Freiheit geben würde, okay, das wäre ein guter Grund, aber leider sehe ich das nicht ein, das würde mir mAn nicht mehr Freiheit geben. Wieso also dAn?

ganimed hat geschrieben:Oder bezweifelst du die verwendeten Annahmen, dass wirklich alle Vorgänge im Hirn deterministisch sind und ein 100% kausale Abhängigkeit besteht? Oder gefällt dir eine der logischen Schlussfolgerungen nicht?

Nein. Ich bezweifele schlicht Dein Dogma, dass Determinismus etwas mit dem landläufigen Begriff von "Willensfreiheit" zu tun hat. Du müsstest in der Lage sein, einen Entscheidungsvorgang zu skizzieren, der als freier angesehen würde. Du musst es irgendwie plausibel machen können, dass noch etwas zu einer determinierten Entscheidung hinzukommen muss, damit sie als "freier" (oder gar erst als eigentlich "frei") angesehen werden kann. Dein Beispiel mit dem Auto ist dazu überhaupt nicht geeignet, ganz im Gegenteil sogar. Es wäre vollkommen bescheuert, ohne Grund (willkürlich) das schlechtere Auto zu wählen, aber es wäre nicht "frei". Oder? Falls doch: inwiefern?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:(Willensfreiheit beruht auf den Fähigkeiten zu vernünftigen Überlegungen, Abwägungen, Zukunftssimulation, Selbstreflexion, der Fähigkeit, sich selber Ziele zu setzen und diese wieder in Frage zu stellen und ist dann gegeben, wenn diese Fähigkeiten hinreichend vorhanden sind)

Ich muss zugeben, fast spiegelbildlich auch in deiner Definition eine Begründung zu vermissen. Genauer betrachtet, habe ich zwei Probleme mit deiner Definition:

1) Mir fehlt die Begründung, was das mit Freiheit zu tun hat.

Hm, die Frage ist doch aber, was Freiheit überhaupt ist, was man darunter versteht. Das muss geklärt werden, das ist doch die Frage hier. Ich habe definiert, was ich unter "Willensfreiheit" verstehe, Du hast es auch definiert. Fragt sich halt jetzt, wessen Auffassung plausibler ist. Ich verstehe jedenfalls nicht, wie man den landläufigen Begriff von "Freiheit" mit "Willkür" gleich setzen kann.

ganimed hat geschrieben:Offensichtlich ist für mich der Bezug zum "Willen", denn Ziele setzen ist ja ein Ausdruck des langfristigen Willens. Aber was hat das mit Freiheit zu tun, wenn alle diese "Fähigkeiten" sich in einem deterministischen, also keine freie Wahl habenden Hirn abspielen? Oder um es wie bereits zu Beginn der Diskussion zu formulieren: Freiheit von was? Von was ist deine Willensfreiheit genau frei?

Soll "spielt sich im Hirn ab" irgend ein Argument sein? Wenn ja: inwiefern? Sind wir von unserem Hirn getrennte Entitäten? Oder ist nicht das Hirn ein Teil von uns (wovon ich ja ausgehe). Und natürlich haben wir eine Wahl, wir sind nicht gezwungen, Dinge zu tun, sondern wir tun sie, weil wir uns dafür entscheiden. Und das ist doch ein wesentlicher Unterschied oder etwa nicht? Was soll eine "freie Wahl" in Deinem Sinne sein? Bitte mal beispielhaft skizzieren und dann erklären, inwiefern das mehr Freiheit gewährleisten würde als eine determinierte Entscheidung.

Mir geht es dabei, wie gesagt, um Folgendes:

Free will raises the question whether, and in what sense, rational agents exercise control over their actions, decisions, choices.

Und:
HPD hat geschrieben:Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren; dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen; und so weiter. Und doch: Jeder einzelne Eintrag auf dieser Liste ist wahr. CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun."


Und das mit dem "hinreichend" beantwortet Dennet im obigen Link.

Und zu dem Unbewussten: diesen Beitrag schreibe ich bewusst. Obgleich dabei sehr viele Vorgänge unbewusst ablaufen, d.h. ich überlege mir nicht jedesmal beim Tippen, wo jeder Buchstabe liegt. Denn dann würde ich nie damit fertig, jedoch ist das kein Beleg dafür, dass dieser Beitrag unbewusst entstanden ist.

Übrigens, falls es jemanden interessiert, gibt es zurzeit sehr interessante Beiträge beim HPD zu diesem Thema:

Im Labyrinth der Willensfreiheit

Abschied von der Willensfreiheit?

Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater
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