AgentProvocateur hat geschrieben:Und was "frei" in diesem Zusammenhang bedeuten soll, das ist ja eben die Streitfrage. Für mich bedeutet "frei" hier, dass man mit einiger Berechtigung sagen kann, dass der Wille von der Person selber gebildet wurde, dass man ihre Entscheidung als ihre ansehen kann.
Vielen Dank für diese Antwort. Jetzt fühle ich mich schon einen Schritt weiter. Auch wenn ich gleich nachhaken möchte. Spannend und konstruktiv finde ich das auf jeden Fall schon mal.
Also mein Nachhaken: Wäre es in deiner Definition sprachlich nicht viel passender, wenn man das Definierte "eigenen Willen" nennen würde? Wenn es nach deiner Definition gar nicht um Freiheit von irgendwas geht, sondern um die Zuordnung des Willens zu einem Entscheider. Würden die Kompatibilisten von "eigenem Willen" statt "freiem Willen" sprechen, wäre mir vermutlich so einige Verwirrung erspart geblieben.
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn mein Wille frei von kausalen Abhängigkeiten wäre, dann wäre er ein etwas von mir unabhängiges willkürliches Etwas, das man keineswegs mir zuschreiben könnte, d.h. er wäre gar nicht mein Wille.
Dem könnte ich eigentlich zustimmen. Ich sehe die Sache aber vielleicht noch etwas krasser: ich kann mir eine Freiheit von kausalen Abhängigkeiten in diesem unseren Universum gar nicht vorstellen. Zumindest nicht, wie smalonius treffend schreibt, in einem Hirn, das nach makroskopischen Regeln arbeitet. Aber immerhin stelle ich an dieser Stelle mal beruhigt fest, dass wir in diesem Punkt wohl schonmal übereinstimmen: Entscheidungen sind immer kausal abhängig.
Kommen wir also zur eigentlichen Frage:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du mir zeigen könntest, dass ein willkürlicher Wille eine Person in irgend einer sinnvollen Weise freier machen könnte, dann könnte ich Deine Forderung verstehen. Aber bisher ist sie mir unklar: wieso also sollte mein Wille frei von kausalen Abhängigkeiten sein?
Ich finde beispielsweise einen Getränkeautomaten unfrei. Einfach weil er keine Freiheitsgrade hat. Er kann es sich nicht aussuchen. Werfe ich oben ein Geldstück ein und drücke in der Mitte einen Knopf, dann muss er mir unten eine Cola ausspucken. Vor mir steht also kein freier Mensch sondern ein unfreier Automat.
Er ist genau deshalb unfrei, weil seine Entscheidung, mir eine Cola auszuspucken, zu 100% kausal abhängig war. Er agiert sklavisch nach der Formel: wenn Geld da und Knopf gedrückt, dann spucke Cola. Die beiden Ursachen (Geld und Knopf) waren da, also kam auch zwangsläufig die Entscheidung.
Jetzt übertragen auf den Autokäufer: seine Entscheidung für Modell B ist zu 100% kausal abhängig. Er agiert sklavisch nach der Formel: wenn B besser ist, dann nimm B. Die Ursache (B ist besser) war da, also kam auch die zwanghafte Entscheidung.
Wenn ich den Autokäufer oder den Automaten mit Freiheit ausstatten will, dann brauche ich eine kausale Unabhängigkeit. Nur sie würde dazu führen, dass auch wenn Geld da ist, Knopf gedrückt wurde und B besser ist, "manchmal" trotzdem weder die Cola ausgeworfen noch B gekauft wird. Ich müsste die Formelhaftigkeit des Verhaltens durch echte "Willkür" ersetzen. Kann ich aber nicht. Der Automat ist innen drin mechanisch. Abgesehen von Abnutzung, Verformung oder anderen physikalischen Änderungsprozessen, wird der Mechanismus bei gleicher Ausgangslage immer genau gleich reagieren. Und aufgrund der menschlichen Hirnzellen, die wie smalonius treffend formuliert "nach makroskopischen Regeln arbeiten", ist es beim Menschen ganz genau so. Willkür wäre nur durch kausale Unabhängigkeit zu erreichen. Und ohne Willkür keine Freiheit.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was mich an der Diskussion interessiert, ist folgende Frage: inwiefern ist es berechtigt, einer Person ihre Entscheidungen und damit eine gewisse Autonomie zuzuordnen?
Ok, das ist in der Tat nicht die Frage, die mir unter den Nägeln brannte. Aber auch eine sehr spannende. Und aus meiner Sicht ist die Antwort nur dann nicht völlig schwammig, wenn man das Wort "letztlich" verwendet. Letztlich kann man einer Person ihre Entscheidungen und eine gewisse Autonomie nicht zuordnen. Jede Entscheidung hängt kausal von ursächlichen Faktoren ab. Viele davon sind natürlich im Hirn verankert, beispielsweise die individuellen Ziele, von denen du sprachst. Aber letztendlich sind auch diese Faktoren die Folge anderer ursächlicher Faktoren. Man sucht sich seine Ziele eben nicht aus, jedenfalls nicht frei. Folgt man also jeder erdenklichen Ursachenkette, kommt man auf jeder Kette einmal auf externe Faktoren. Letztendlich stammt also nichts wirklich von dem Individuum selber. Alles in ihm und alle seine Entscheidungen sind von außen verursacht. Nix eigene Entscheidung, nix Autonomie.
Aber ich gebe gerne zu, dass man für manche Fragestellungen um Schuld, Verantwortung und Moral schneller ans Ziel kommt, wenn man weiterhin so tut, als sei der Mensch ein autonomes Individuum. Und im persönlichen Erleben bleibt uns wegen der Hirnbauweise ja sowieso nichts anderes übrig als auf das Trugbild unseres Bewusstseins "reinzufallen". Aber ich finde es schon wichtig irgendwo im Kopf zu wissen, dass es eigentlich nicht so ist, dass wir beim letzten Autokauf tatsächlich wieder nur ein Automat waren. Dann kann man zumindest leichter analysieren, welche Buttons dabei wohl von wem gedrückt wurden und man ist möglicherweise eher in der Lage, Entscheidungsfehler zu vermeiden.