Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon spacetime » Mo 19. Okt 2009, 16:13

Neuro-Enhancement. Das klingt im ersten Moment nach Science Fiction, ist aber schon lange keine bloße Fiktion mehr. Jeder versucht mehr oder weniger seine Gehirnleistung zu optimieren. Ob das nun bewusst geschieht, beispielsweise durch die Einnahme von Medikamenten oder unbewusst, durch den morgendlichen Tee oder Kaffee. Neu dabei ist, dass immer mehr Menschen versuchen, ihre Aufmerksamkeit mittels kleiner Pillen (Modafinil, Ritalin o.ä.) zu verbessern. Ich finde diesen Trend sehr bedenklich. Jetzt ist es endlich so weit. Die Menschen rennen zu den Ärzten, um sich Methylphenidingbums zu holen und sind auch noch dankbar für die Pseudodiagnose: "Sie haben offensichtlich ADS!" Was auch immer dieses Zeug in mir anrichtet, es macht mich zum Übermenschen, also rein damit. Die Idee, dass der Mensch seine Natur umgehen könne, ist eine bodenlose Illusion. In ein paar Jahrzehnten, wenn man das Gehirn besser versteht, kann man sicher über pharmakologische Eingriffe bei Gesunden nachdenken. Die schöne neue Welt der bunten Pillen, ist in Wahrheit eine kopflose Welt, in der der Fortschrittsglauben über die veralteten Werte von gestern siegte.

Wegen der aktuellen Debatte zu diesem Thema, möchte ich euch fragen, was eure Meinung dazu ist.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31302/1.html

http://www.ftd.de/lifestyle/outofoffice/:streitschrift-forscher-propagieren-hirndoping/50023842.html
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Boris » Mo 19. Okt 2009, 18:29

Die Menschen rennen zu den Ärzten, um sich Methylphenidingbums zu holen und sind auch noch dankbar für die Pseudodiagnose: "Sie haben offensichtlich ADS!"


Ich wurde vor Jahren so diagnostiziert. Die Diagnose und Methylphenidat hat mir geholfen mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Zur Zeit nehme ich keine Medikamente mehr. Die Unwissenheit und die Arroganz mit der Sie hier rumtönen ist unterirdisch wenn nicht beleidigend.

Im Übrigen wird Ritalin (Methylphenidat) als Neuroenhancer völlig überschätzt, aber ich wette das wußten Sie schon?
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon spacetime » Mo 19. Okt 2009, 18:51

Ich meine natürlich, die Leute, die sich die Diagnose erhoffen, damit sie an dieses Medikament kommen (aber eigentlich gesund sind). Das konnte man aus meinem Text leider falsch interpretieren. Ja, ich wusste, dass Ritalin überschätzt wird, aber da stut rein gar nichts zur Sache.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Boris » Mo 19. Okt 2009, 20:32

spacetime hat geschrieben:Ich meine natürlich, die Leute, die sich die Diagnose erhoffen, damit sie an dieses Medikament kommen (aber eigentlich gesund sind).

Kennen Sie jemanden mit der Diagnose ADS, der diese nur hat um an Medis zu kommen? Ich nicht. Gibts valide Zahlen darüber? Ich kenne keine. Ich halte das für eine Legende.

ADS ist ein Stigma fürs Leben, fragen Sie die Versicherungen. Wer das weiß möchte niemals die Diagnose einfach nur so wegen ein paar Pillen, die als NE möglicherweise nur enttäuschen - dazu müßte man komplett verrückt sein.

Begraben wir dieses Gerücht.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Atanar » Mo 19. Okt 2009, 21:06

Das mit dem Komplett verrückt stimmt wohl. Man kann wohl kaum eine Quantitative Leistungssteigerung von Medikamenten erwarten. Bleiben wir beim Beispiel Koffein: Letztendlich wird die ermüdung nur herausgezögert, das ergebnis ist eine verstärkung von Aktivität und später Passivität, es kommt also nichts dabei herum.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon PW_ » Mo 19. Okt 2009, 22:57

spacetime hat geschrieben:Ich meine natürlich, die Leute, die sich die Diagnose erhoffen, damit sie an dieses Medikament kommen (aber eigentlich gesund sind).


Ich habe mir die Diagnose erhofft, damit ich Medikamente bekomme und habe zu meinem großen Glück beides auch bekommen.

Die meisten Leute haben große Angst und Mißtrauen gegenüber Psychopharmaka. Und auch ich habe damals nur angefangen damit, weil ich es nach mehreren Erfolg-freien Psychotherapieversuchen als die einzig noch verbleibende Chance für mich gesehen habe! Und der Rest, der solchen "Experimenten" aufgeschlossener gegenüber stehen, dass sind die, die eh schon ihre Erfahrungen mit Drogen gemacht haben und die dann auch Straßenspeed & Co. locker ausprobieren. Da müssen Ärzte natürlich unbedingt aufpassen und ganz genau hinsehen! Die meisten Menschen, die zum Arzt gehen und vor der Diagnose schon wissen, welche Medikamente sie "brauchen", haben irgendeine Störung. Es ist nur die Aufgabe des Arztes, herauszufinden, welche!


Ich kenne auch bisher niemanden, der kein ADS hat und unbedingt aber die Medikamente haben will.
Dafür kenne ich aber mittlerweile viele, die eventuell ADS haben - und sich gar nicht erst diagnostizieren lassen vor lauter Angst - und zwar vor beidem: Vor dem Stigma der Diagnose und dem Risiko von Medikamenten. Und ADS ist ein Stigma. Allein schon, weil es eine "Modeerscheinung" :kopfwand: und keine echte Störung ist und weil man sich oft genug rechtfertigen muss, dass man sich nicht dopt - oder :explodieren: "ruhigstellt". (Wobei - zweiteres merkt man mir wohl schon an, dass das bei mir nicht von Erfolg gekrönt ist :lachtot: :lachtot:)

Würde mich ja mal interessieren, ob es hier im Forum jemanden gibt, der schon mal ernsthaft überlegt hat:
- sich fälschlich die Lebenszeit-Diagnose ADS verpassen zu lassen,
- das mind. wochenlange, mühsame Prozedere der Medikamenteneinstellung über sich ergehen zu lassen - und was noch so dazu gehört (Stichwort: multidimentionale Therapie!!!),
- sich dabei mindestens für einige Monate in ein Lügengespinnst zu vergraben,
- um dann illegal Betäubungsmittel zu besitzen,
- und das gesundlheitliche Risiko einzugehen
... und das Ganze dann auch teuer in der Apotheke zu bezahlen?
(Wenn ja - dann stimme ich Boris zu: derjenige ist komplett verrückt und hat mit Sicherheit irgendeine andere psychische Störung!)

Ansonsten sehe ich es aber so - wenn wer meint, dass schwer betroffene ADSler keine Medikamente brauchen, der sollte konsequenter Weise Medikamente für z.B. Schizophrenie und Psychosen auch ablehnen. Und das sind mit Sicherheit auch der selbe Menschenschlag, der früher Schizophrenene aus der Psychiatrie "befreit" hat. Ob Psychose - oder schwer genug ADS - es ist beides "nur" eine Wahrnehmungsstörung, verursacht durch Reizüberflutung und zuviel Stress im Gehirn.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon spacetime » Di 20. Okt 2009, 00:30

Ich habe mich nun etwas intensiver mit dem Thema beschäftigt. Zu meiner Verwunderung ist Neuro-Enhancement eher ein mediales als ein reales Phänomen. Das erklärt auch die abweisenden Reaktionen zu diesem Thema, hier im Forum. Jetzt fragt man sich natürlich, warum man uns NE in die Birne pressen möchte. Trotzdem ist es doch interessant zu erfahren, wie weit der Transhumanismus unseren Alltag auf diese Weise verändern könnte. Selbst der Chef-Redakteur von Nature hat sich für NE ausgesprochen. Da solltle man sich doch mal mit diesem Thema beschäftigen, auch wenn hier einige Leute keine persönlichen Erfahrungen damit gemacht haben.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Boris » Di 20. Okt 2009, 01:01

spacetime hat geschrieben:Ich habe mich nun etwas intensiver mit dem Thema beschäftigt. Zu meiner Verwunderung ist Neuro-Enhancement eher ein mediales als ein reales Phänomen. Das erklärt auch die abweisenden Reaktionen zu diesem Thema, hier im Forum...

Daß Neuroenhancement in der realen Welt noch keine oder kaum eine Rolle spielt sehe ich auch so, hier volle Zustimmung! Was aber meinen Sie mit "abweisenden Reaktionen zu diesem Thema"? Ich für meinen Teil wollte bloß 2 unsinnige Sätze aus dem Eröffnungsposting klarstellen, das hat mit einer abweisenden Reaktion zum eigentlichen Threadthema Neuroenhancement nichts zu tun. Was glauben Sie wie ich in diesen Thread gefunden habe? Ich finde das Thema hochinteressant, auch wenn das alles noch Zukunftsmusik ist. Man darf halt keine Scheisse labern.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon stine » Di 20. Okt 2009, 07:02

Dieser Stern Artikel geht aber genau in die Richtung, dass Pillenschluckerei anscheinend mehr und mehr in Mode kommt.
Ich persönlich glaube inzwischen sowieso keinem sportlichen Erfolg mehr. Künftig kann man auch keinem Klugscheißer mehr trauen. Die Besten sind alle gedopt.
Die Frage ist hierbei doch eine ganz andere: Warum kann Mensch keinerlei Grenzen anerkennen?

LG stine
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Boris » Di 20. Okt 2009, 09:31

stine hat geschrieben:Dieser Stern Artikel geht aber genau in die Richtung, dass Pillenschluckerei anscheinend mehr und mehr in Mode kommt.
Er sagt aber auch, daß es die wirklich erwünschten Mittel noch gar nicht gibt. Überhaupt ist dieser Artikel voller Vermutungen und Spekulationen über die tatsächliche jetzige Konsum-Lage, als Quelle keineswegs ernst zu nehmen.

Was den teilweise fragwürdigen Umgang mit Zahlen und Statistiken zu diesem Thema angeht habe ich das noch in meinen Lesezeichen gefunden:
http://www.brainlogs.de/blogs/blog/mens ... in-den-usa
Stefan Schleim hat geschrieben:[...]Solche Zahlen bergen das Risiko, zwei Sachverhalte suggerieren, für die es noch keine belastbaren wissenschaftlichen Daten gibt: Erstens, dass die Substanzen wirklich bei Gesunden wirken (denn warum sonst würden sie so viele nehmen?) und zweitens, dass sie nicht gefährlich sind (denn sonst würde sie niemand über längere Zeit hinweg nehmen). Ich glaube, wenn in naher Zukunft tatsächlich immer mehr Schüler und Studenten illegal zu den Stimulanzien greifen, dann haben die falschen und suggestiven Berichte der Journalisten und Wissenschaftler einen nicht unerheblichen Beitrag daran – der Faktenfehler wird zur self-fulfilling prophecy[...]


stine hat geschrieben:Die Frage ist hierbei doch eine ganz andere: Warum kann Mensch keinerlei Grenzen anerkennen?
Die Aufgabe sollte mE erstmal sein das Thema NE von Spekulationen, Unterstellungen und medialen Aufblähmechanismen zu bereinigen bevor man sich in abgehobenere Themen flüchtet.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon ujmp » Di 20. Okt 2009, 21:17

spacetime hat geschrieben: Die Idee, dass der Mensch seine Natur umgehen könne, ist eine bodenlose Illusion.

Solche Ideen sind die Natur des Menschen - aber auch die Kritik daran. Ich würde sagen: Warum nicht, wenn es hilft?
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon PW_ » Di 20. Okt 2009, 21:53

Boris hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Dieser Stern Artikel geht aber genau in die Richtung, dass Pillenschluckerei anscheinend mehr und mehr in Mode kommt.
Er sagt aber auch, daß es die wirklich erwünschten Mittel noch gar nicht gibt. Überhaupt ist dieser Artikel voller Vermutungen und Spekulationen über die tatsächliche jetzige Konsum-Lage, als Quelle keineswegs ernst zu nehmen.

Was den teilweise fragwürdigen Umgang mit Zahlen und Statistiken zu diesem Thema angeht habe ich das noch in meinen Lesezeichen gefunden:
http://www.brainlogs.de/blogs/blog/mens ... in-den-usa
Stefan Schleim hat geschrieben:[...]Solche Zahlen bergen das Risiko, zwei Sachverhalte suggerieren, für die es noch keine belastbaren wissenschaftlichen Daten gibt: Erstens, dass die Substanzen wirklich bei Gesunden wirken (denn warum sonst würden sie so viele nehmen?) und zweitens, dass sie nicht gefährlich sind (denn sonst würde sie niemand über längere Zeit hinweg nehmen). Ich glaube, wenn in naher Zukunft tatsächlich immer mehr Schüler und Studenten illegal zu den Stimulanzien greifen, dann haben die falschen und suggestiven Berichte der Journalisten und Wissenschaftler einen nicht unerheblichen Beitrag daran – der Faktenfehler wird zur self-fulfilling prophecy[...]




Das möchte ich beides unterschreiben. Aber zum Glück: Jenseits von dem, was die Medien berichten: In meinem persönlichen Umfeld sieht es ganz anders aus: Ich sehe keinen Trend von Leuten, Tabletten zu nehmen, die sie nicht unbedingt brauchen. Eher beobachte ich das umgekehrte (und ganz besonders, wenn es sich dabei um Psychopharmaka handelt...): die Menschen neigen doch eher dazu Mediamente, die ihnen wirklich helfen, abzusetzen oder gar nicht erst zu nehmen.

Eine Ausnahme möchte ich lediglich machen: Menschen, die vielleicht nicht ADHS, dafür aber irgendeine andere psychische Störung haben, die sie entweder eh leichtfertiger zu Drogen greifen lässt oder die sie arbeiten lässt ohne Grenzen und ohne Sinn und Verstand. Ich gehöre allerdings nicht zu der Sorte :motz: . Ich sehe eher, dass ich trotz Medikamenten immer noch nicht gerade zu den Aufmerksamsten gehöre und zu den innerlich Ruhigsten schon mal gleich gar nicht - was mir auch irgendwie durchaus ganz recht ist. :kg:
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Sappy » Mo 26. Okt 2009, 19:21

Ich habe jetzt gerade ein paar mal etwas in der Art gelesen wie "Ich kenne niemanden der ADHS vortäuscht um an Tabletten zu kommen". Ist bei mir persönlich nicht anders, aber ich wunder mich immer wieder, dass so wahnsinnig viele Kinder Medikamente nehmen wegen einer Aufmerksamkeitsstörung oder Hyperaktivität. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass das prinzipiell falsch ist. Aber hätte ich ein Kind würde ich erstmal versuchen Alternativen zu finden um ihm/ihr das zu ersparen. So kommt mir das aber bei einigen Eltern überhaupt nicht vor. Ich habe den Eindruck, dass viele von ihnen Tabletten für die beste und womöglich auch einzige Möglichkeit halten ihr Kind "ruhig zu stellen".
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon platon » Mo 26. Okt 2009, 20:54

stine hat geschrieben: Künftig kann man auch keinem Klugscheißer mehr trauen. Die Besten sind alle gedopt.

Du meinst aber nicht, dass Ritalin die mentalen Fähigkeiten verbessert? Das ist nur bei AD(H)S-Patienten der Fall. Bei "normalen" Menschen hat Methylphenidat keinerlei belegbare Wirkung. Es gibt aber tatsächlich Eltern, die versuchen, ihren Kindern ohne Not Ritalin verschreiben zu lassen, in der Hoffnung, ihre Kinder würden dadurch leichter lernen. Das ist ein Irrtum. Wenn die Reabsorption von Dopamin nicht beschleunigt ist, wird Ritalin diesen Prozess auch nicht verzögern.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Nanna » Mo 26. Okt 2009, 21:22

Dieser Bericht über einen Selbstversuch mit Ritalin im Studium liest sich da aber etwas anders.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon ujmp » Mo 26. Okt 2009, 21:50

Ich hab mal die Bekanntschaft mit einer Kinderdorffamilie gemacht. Die haben das Zeug den Kids ziemlich oft verabreicht. Freunde und ich sind dann zu dem Schluss gekommen, dass die das nur machen, um sie ruhig zustellen, denn soviele ADHS-Kinder kann es gar nicht geben. Ein paar Mal haben wir auch mit ihnen diskutiert, aber sie waren viel zu einfach um das durchzublicken, was sie da machen. Der Kinderdorfpappa hätte mal eine "Schulung" mitgemacht und als ich fragte wo, sagte er glatt, da war mal einer von der Pharmazie da und hat einen Vortrag gehalten... Im ZDF war auch mal eine sehr kritische Doku über Psychopharmaka-Anwendung bei Kindern. Ich find dieses Zeug schrecklich, zumindest, wenn es nur verabreicht wird, damit Menschen bequemer werden. Wenn jemand mit einem bestimmten Charakter geboren wird, sollte er lernen, wie er damit umgehen muss, und nicht, wie er seinen Charakter mit der chemischen Keule erledigt. Sonst kann man den Kindern auch gleich beibringen, wie man sich einen Schuss setzt.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon stine » Di 27. Okt 2009, 07:51

Nanna hat geschrieben:Dieser Bericht über einen Selbstversuch mit Ritalin im Studium liest sich da aber etwas anders.

Die beschriebenen Konzentrationsprobleme, die der Erzählende kennt, wenn er in der Bibliothek sitzt und Fachliteratur liest, und ihm dann manchmal diese Müdigkeit überkommt, dürfte wohl jeder Studierende 1:1 nachvollziehen können. Vor den Büchern sitzen, sinnlose Wörter lesen, als würde man vorlesen, sich selbst aber nicht zuhören. Im Kopf derweil Assoziationsketten bilden, die sich nicht stoppen lassen, wie er selbst gut darstellt: "Ich schaue aus dem Fenster, sehe einen Gärtner, der einen Baum schneidet, und ich frage mich, ob seine Säge nicht zu klein ist, was mich daran erinnert, dass ich die Zimmerpflanze schneiden wollte, die zu Hause auf dem Tisch steht, auf dem der Brief liegt, auf den ich einen Kaffeefleck gemacht habe, den ich ja noch zur Post… – apropos Kaffee: Ob ich mal eine Pause machen sollte? – Nein, stopp. Ich muss lernen!"

Die Aussage Gerald Hüthers, Professor für Neurobiologie, Ritalin als die Droge für die Pflichterfüller-Generation zu bezeichnen, ist eine vielsagende. Ich glaube, dass wir Menschen uns ganz einfach oft zu viel abverlangen. Wir messen uns mit Filmhelden und mit Kunstfiguren, zuletzt vielleicht sogar an der gesamten Entwicklung der Rechnergeneration und haben dabei längst vergessen, dass wir als Menschen vielseitig und besonders sein können.
Meine Frage in die Welt der Bildungswütigen: Muss jede nachfolgende Generation das Wissen der Vorgänger im Detail haben, um darauf aufbauen zu können?
Ich packe in meinen Koffer ein Hemd.
Ich packe in meinen Koffer ein Hemd und eine Hose.
Ich packe in meinen Koffer ein Hemd, eine Hose und ein Unterhemd.
Ich packe in meinen Koffer ein Hemd, eine Hose, ein Unterhemd und 2Paar Schuhe.
Ich packe in meinen Koffer ein Hemd, eine Hose, ein Unterhemd, 2Paar Schuhe und....
Vielleicht reicht es auch, wenn ich weiß, die Anziehsachen sind jetzt drin und ich kann auf Reisen gehen.

Ich möchte damit sagen, dass wir uns den Kopf oft unnötig voll machen müssen mit Detailwissen und dass damit bereits unsere Kinder oft unnötig gequält werden. Das rechte Maß an Gebrauchswissen scheint uns noch fremd zu sein und so schaffen wir uns Hürden, die in absehbarer Zeit niemand mehr ohne Hilfsmittel nehmen können wird.
Die Gedankenkette mit dem Gärtner bis hin zur Post beweist doch, wie komplex ein menschliches Gehirn zu arbeiten in der Lage ist, wenn es nicht dazu verdonnert wird, die Inhalte eines gepackten Koffers wiederzugeben.

Der Erzähler schreibt weiter: "Es war meine letzte Tablette. Für die Klausur gab es eine 1,3. Nicht schlecht, aber in einer anderen – in der ich nicht gedopt war – gab es eine 1,0. Was bleibt also von diesem Selbstversuch, außer dem »Rebound«, der nicht nur die Leistungsfähigkeit senkt, sondern auch die Laune schlechter macht?"
Und: "Wer sagt, Ritalin helfe nicht, lügt. Es schlägt nicht bei jedem an, aber aus mir hat es den Studenten gemacht, der ich sein sollte: hellwach, fokussiert und diszipliniert. Und einen Menschen, der ich nicht sein will: zwanghaft und unentschlossen.
Sofern dieser Artikel kein Fake ist, sollte er zu denken geben.

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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon Twilight » Di 27. Okt 2009, 20:35

stine hat geschrieben:Vor den Büchern sitzen, sinnlose Wörter lesen, als würde man vorlesen, sich selbst aber nicht zuhören. Im Kopf derweil Assoziationsketten bilden, die sich nicht stoppen lassen [...]

Ich dachte, dass geht nur mir so. :erschreckt:

Aber mal zum Thema: Ich selbst habe prinzipiell nichts gegen Neuroenhancement. Es wird allerdings problematisch, die, die diese Methoden ablehnen, sich plötzlich im Konkurrenzkampf mit den Enhancern sehen.
Ich denke aber, dass die eigentliche Ursache vieler moderner Probleme in der rasanten technischen Entwicklung liegt, die unsere Instinkte schon längst abgehängt hat.
Unsere Gesellschaft hat einfach noch kein Modell, bei dem Enhancer und Naturisten gleiche Chancen hätten. Gegner von NE wollen es total verboten haben, Befürworter möchten in der Regel auch eine freiwillige Anwendung statt eines gesellschaftlichen Zwanges.
Aber wie könnte eine funktionierende Regelung aussehen, wenn Arbeitgeber gedopte Kräfte bevorzugen? Dass Leute, die sich einer entsprechenden Behandlung nicht unterziehen wollen, gezwungen werden, Interessengemeinschaften zu gründen, damit Firmen zumindest ein paar Quoten-Nichtenhancer einstellen halte ich jedenfalls für unzumutbar.

Ob wir eine Möglichkeit finden oder nicht, ich schätze die langfristige Entwicklung wird eher in Richtung pro-NE tendieren. Das ist wie mit den Autos. Wer heutzutage keines hat, weil er keines will, hat keine Chance.
Studieren ohne Internet ist kaum noch möglich. Selbst die normale Schulausbildung wird ohne die Möglichkeit einer schnellen Recherche zu einer Quälerei.
Wie viele Menschen, die einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt sind, nehmen Kokain?
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon platon » Di 27. Okt 2009, 21:36

Nanna hat geschrieben:... Selbstversuch mit Ritalin im Studium liest sich da aber etwas anders.

Der Bericht ist Unsinn. Ich hatte (bis zum Ende der Pubertät) ADS und habe einen Sohn mit ADS. 10 mg Ritalin ist eine homöopathische Dosis, die braucht kein Mensch. Halbwüchsige liegen so um die 40 mg. Aber es hilft die Konzentration wiedergewinnen. Man kann die nachlassende Wirkung gegen Abend deutlich erkennen. Aber da ist das auch in Ordnung. Mein Sohn ist sehr froh, dass es Ritalin gibt.
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Re: Neuro-Enhancement - Mensch wird Maschine?

Beitragvon spacetime » Fr 30. Okt 2009, 17:43

Hier ein Artikel auf Spiegel-Online mit überwiegend positivem Unterton dem Thema gegenüber.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,657868,00.html

Ich finde das pervers! Es ist doch offensichtlich was damit bezweckt werden soll und wer dahinter steckt. Das steht ja auch im Artikel, dass die Pharma-Industrie einen riesigen Markt darin sieht. Nur wird das so unkritisch stehengelassen, als ob sich Geld immer durchsetzen würde und das nicht verhinderbar sei. Das sind Medikamente und das sollten sie auch bleiben. Der Standpunkt einiger Wissenschaftler ist ja der, dass wenn keine Nebenwirkungen auftreten, könne man das Präparat auf den freien Markt werfen. Ein Beispiel ist Modafinil (Handelsname Vigil). Wie dieser Stoff wirkt, das weiß man noch nicht und dennoch werden die positiven Eigenschaften in den Himmel getragen. Die Medien sind hier meiner Meinung nach ganz klar unter dem Einfluss der Pharma-Industrie. Das sollte nicht so leichtfertig abgetan werden.
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