Atheismus als Ersatzreligion

Atheismus als Ersatzreligion

Beitragvon AChrist » Sa 24. Feb 2007, 22:06

Hallo,

mein erster Beitrag hier; ich weiß auch nicht, ob ich lange in diesem Forum sein werde... das wird sich zeigen.

Zu meiner Person: Ich passe wahrscheinlich nicht vollkommen in die Definition von "Bright"... auch, wenn das naturalistische Weltbild meinem einigermaßen nahe kommt. Ich würde mich als "Agnostiker auf der gläubigen Seite" bezeichnen, also als jemand, der an Gott glaubt, gleichzeitig aber weiß, dass es sich dabei nur um einen Glauben handelt. Ich habe mich hier angemeldet, weil ich beim Stöbern auf dieser Seite auf einige Beiträge gestoßen bin, die mich ziemlich aufgeregt haben.

Vor kurzem war im Fernsehen eine Diskussionsrunde, in dem ein paar Leute über Sinn oder Unsinn von Religion gesprochen haben. Was mir an der Diskussionsrunde sehr übel aufgestoßen ist: Da waren ausschließlich Atheisten eingeladen. Fazit der Runde war: "Wir wissen zwar alle, dass es Gott nicht gibt... Religion hat aber auch etwas Gutes." Oder überspitzt ausgedrückt: "Wir, die Elite, wissen, wie es ist, dem dummen Fußvolk lassen wir aber ihren Glauben." Einige Threads in diesem Forum erinnern mich an diese Diskussionsrunde.

Ebenso liest man oft in diversen deutschen Nachrichten- und populärwissenschaftlichen Magazinen Essays und Leserbriefe, die sinngemäß aussagen: "Die Atheisten der Welt müssen sich endlich zusammenschließen, um dem Rest zu zeigen, dass sie einem imaginären Freund, einer Illusion, nachrennen." Wozu? Solche Texte klingen für mich nicht viel besser, als Schriften religiöser Eiferer, die versuchen die Richtigkeit ihrer Religion zu beweisen, und die mit: "und, wenn Du das nicht glaubst, bist Du blöd." enden.

Hier sehe ich Atheismus als Ersatzreligion. Klar, der Naturalismus hat gegenüber anderen Weltbildern den Vorteil, dass ausschließlich überprüfbare Aussagen übernommen bzw. verworfen werden, und die Methodik mit der das geschieht, ist klar definiert und logisch. Das kann keine Religion von sich behaupten.

Von Esoterikern (mit denen ich auch gerne streite) hört man oft den Satz: "Nur weil Aussage XY nicht bewiesen ist, heißt es noch lange nicht, dass XY unwahr ist." Mit dieser Aussage gibt es zwei Probleme: Erstens: Sie ist schlicht wahr. Zweitens: Esoteriker machen klammheimlich den falschen Folgeschluss: "Also ist Aussage XY wahr." Einige Naturalisten sagen aber: "Weil XY nicht bewiesen ist, ist XY falsch." Das ist eine für die Wissenschaft sehr sinnvolle vorgehensweise, weil, solange der Wahrheitsgehalt von Aussage XY nicht untersucht ist, oder gar nicht untersuchbar ist (nicht-fasifizierbare Aussagen), diese Aussage auch nicht zum Erkenntnisgewinn und zur Beschreibung der Naturgesetze beiträgt. Ist es deswegen "illegal" an XY zu glauben?

Hier gibt es einen Thread, in dem ihr über das ewige Leben, was für Euch "unvorstellbar" ist, diskutiert. Wenn Ihr Euch wirklich dafür interessiert, was Esoteriker oder Religionen mit einer unsterblichen Seele meinen, und wie sie sich das Vorstellen, dann fragt sie und erkundigt Euch genau, was wer glaubt... die Vorstellungen da sind so vielfältig wie es Menschen, die an ein Weiterleben der "Seele" nach dem Tod glauben, gibt. Hier unter Euch sich in dem Thread gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, dass es für Euch unvorstellbar ist, ist genauso sinnvoll wie oben erwähnte Fernsehdiskussion.

Ich will mal einen "Schwank" aus meinem Leben erzählen. Vor drei Jahren erkrankte eine gute Freundin von mir an akuter Leukämie. Als kurz nach der Stammzelltransplantation schon das Rezidiv festgestellt wurde, und eine weitere Chemotherapie zur Vorbereitung auf einen weiteren Transplantationsversuch nicht mehr anschlug, wurde sie als unheilbar entlassen und nur noch palliativ behandelt. Als sie die Diagnose "unheilbar" übermittelt bekam, fragte sie den Arzt, wie es weiter gehen wird. Er erklärte und beschrieb ihr, was passieren wird, welche Beschwerden sie haben wird, was dagegen unternommen wird, und er beschrieb ihr auch den Sterbevorgang. Auf ihre Frage nach einem möglichen Weiterleben, sagte er nur schlich: "Das ist Unsinn." Als ich sie kurz danach mal besuchte, war sie ziemlich aufgelöst... kann man auch gut verstehen. Sie fragte mich, woran ich denn glaube... ob ich an ein Weiterleben nach dem Tod glaube oder nicht; immerhin habe ich Physik erfolgreich studiert. Ich erläuterte ihr, dass es keine gesicherten Anzeichen dafür gibt, dass das aber kein Gegenbeweis sei etc., und so konnte ich sie ein wenig beruihigen. Sie starb zwei Wochen später mit 27 Jahren.

Vorher war ich reiner Agnostiker und reiner Naturalist. Nach diesem Tod (und dem Tod meines Vaters kurz danach), fragte ich mich, ob es nicht wirklich ein Weiterleben nach dem Tod geben könnte, und ob sich das Beweisen ließe. In Büchern und Internetseiten finden sich viele Hinweise darauf... ich bin aber Physiker und weiß, was ein Beweis ist und vor allem: was kein Beweis ist. Und somit... leider fand ich keinen Beweis für die Seele... was die Seele und Gott betrifft, bleibe ich also Agnostiker.

Nun die Frage: Warum glaube ich dennoch daran? Ganz einfach: Weil ich es will. Es hindert mich niemand dran. Ich bin niemandem darüber rechenschaft schuldig. Genauso wie starke Atheisten niemandem darüber Rechenschaft schuldig sind, warum sie nicht an Gott glauben. Die Religion gibt mir eine gewisse Stütze. Allerdings jedes Weltbild tut das für die Anhänger.

Auch der Atheismus gibt den Anhängern eine Stütze: Der Glaube es besser zu wissen als alle anderen Gläubigen "Idioten".

Ich habe mal einen schönen Satz gelesen: "Jeder Mensch sollte wissen, unter welchen Vorraussetzungen er/sie seine Überzeugungen überdenken würde, und er/sie sollte sich im Zweifelsfall dieser Herausforderung stellen." Ich weiß genau, unter welchen Vorraussetzungen ich den Glauben an eine Seele aufgeben würde: Unter gar keinen. Das macht mich zum Dogmatiker; das ist mir sehr bewusst. Nun die Frage an reine Naturalisten: Unter welchen Vorraussetzungen würdet Ihr anfangen, an "Übernatürliches" zu glauben? Gibt es da Möglichkeiten, oder seid Ihr genauso dogmatisch wie ich? Wäre nicht schlimm... offener und "tolleranter Dogmatismus" ist nichts böses in meinen Augen. Ich vermute in jedem Menschen Dogmatismus. Jeder Mensch hat Überzeugungen, über die man mit ihm nicht wirklich diskutieren kann.

Als Schluss dieses Beitrages ein paar Fragen an Euch:

Was würdet Ihr einer Euch nahe stehenden Person auf dem Sterbebett antworten, auf die Farge nach dem Weiterleben der Seele nach dem Tod?

Was wäre Eure Schlussfolgerung, wenn jemand die James-Randi-Herausforderung und noch weitere Tests danach bestehen würde?

Ich hoffe, mein Tonfall ist nicht zu unangenehm aufgefallen, und meine Gedanken waren interessant.

Viele Grüße
AChrist
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Re: Atheismus als Ersatzreligion

Beitragvon Kurt » So 25. Feb 2007, 00:11

Hallo AChrist,

das ist doch mal ne wunderbare Diskussionsvorlage. :-) Ich glaube, die Brights sind deiner Haltung gar nicht so fern.

AChrist hat geschrieben:Fazit der Runde war: "Wir wissen zwar alle, dass es Gott nicht gibt... Religion hat aber auch etwas Gutes." Oder überspitzt ausgedrückt: "Wir, die Elite, wissen, wie es ist, dem dummen Fußvolk lassen wir aber ihren Glauben." Einige Threads in diesem Forum erinnern mich an diese Diskussionsrunde.

So eine Aussage solltest du von einem Bright nicht hören. Wir unterscheiden zwischen Dingen, die wir wissen, und Dingen, die wir nicht wissen. In einem meiner ersten Posts kritisierte ich auch diese arrogante "Wir wissen, dass es keinen Gott gibt"-Haltung, da kam aber nicht viel Widerspruch. ;-)

AChrist hat geschrieben:Ebenso liest man oft in diversen deutschen Nachrichten- und populärwissenschaftlichen Magazinen Essays und Leserbriefe, die sinngemäß aussagen: "Die Atheisten der Welt müssen sich endlich zusammenschließen, um dem Rest zu zeigen, dass sie einem imaginären Freund, einer Illusion, nachrennen." Wozu? Solche Texte klingen für mich nicht viel besser, als Schriften religiöser Eiferer, die versuchen die Richtigkeit ihrer Religion zu beweisen, und die mit: "und, wenn Du das nicht glaubst, bist Du blöd." enden.

Mir ist es auch ein bisschen unsympathisch, dass wir hier wieder eine Gruppe mit eigenem Namen gebildet haben, dass die Leute quasi wieder in "Rechtgläubige" und "falsch Denkende" unterschieden werden. Aber die Marketingabteilung hat wohl entschieden, dass das öffentlichswirksamer ist. ;-)

AChrist hat geschrieben:Von Esoterikern (mit denen ich auch gerne streite) hört man oft den Satz: "Nur weil Aussage XY nicht bewiesen ist, heißt es noch lange nicht, dass XY unwahr ist." Mit dieser Aussage gibt es zwei Probleme: Erstens: Sie ist schlicht wahr. Zweitens: Esoteriker machen klammheimlich den falschen Folgeschluss: "Also ist Aussage XY wahr." Einige Naturalisten sagen aber: "Weil XY nicht bewiesen ist, ist XY falsch." Das ist eine für die Wissenschaft sehr sinnvolle vorgehensweise, weil, solange der Wahrheitsgehalt von Aussage XY nicht untersucht ist, oder gar nicht untersuchbar ist (nicht-fasifizierbare Aussagen), diese Aussage auch nicht zum Erkenntnisgewinn und zur Beschreibung der Naturgesetze beiträgt. Ist es deswegen "illegal" an XY zu glauben?

Natürlich kann man glauben, dass XY wahr oder falsch ist. Ich habe auch Meinungen zu unbewiesenen Thesen. Ockhams Rasiermesser ist eine gute Methode, wahrscheinliche und unwahrscheinliche Theorien zu unterscheiden.

AChrist hat geschrieben:Nun die Frage: Warum glaube ich dennoch daran? Ganz einfach: Weil ich es will. Es hindert mich niemand dran. Ich bin niemandem darüber rechenschaft schuldig. Genauso wie starke Atheisten niemandem darüber Rechenschaft schuldig sind, warum sie nicht an Gott glauben. Die Religion gibt mir eine gewisse Stütze. Allerdings jedes Weltbild tut das für die Anhänger.


Nach deinen beiden Erfahrungen suchst du nach einem Ausweg, den Tod doch nicht als etwas endgültiges hinnehmen zu müssen. Deine Wahrnehmung biegt etwas sehr unwahrscheinlich in etwas "doch immerhin mögliches" um. Das ist ein ganz normales psychologisches Phänomen und ist durch deine besondere Situation bedingt.

AChrist hat geschrieben:Ich habe mal einen schönen Satz gelesen: "Jeder Mensch sollte wissen, unter welchen Vorraussetzungen er/sie seine Überzeugungen überdenken würde, und er/sie sollte sich im Zweifelsfall dieser Herausforderung stellen." Ich weiß genau, unter welchen Vorraussetzungen ich den Glauben an eine Seele aufgeben würde: Unter gar keinen. Das macht mich zum Dogmatiker; das ist mir sehr bewusst. Nun die Frage an reine Naturalisten: Unter welchen Vorraussetzungen würdet Ihr anfangen, an "Übernatürliches" zu glauben? Gibt es da Möglichkeiten, oder seid Ihr genauso dogmatisch wie ich? Wäre nicht schlimm... offener und "tolleranter Dogmatismus" ist nichts böses in meinen Augen. Ich vermute in jedem Menschen Dogmatismus. Jeder Mensch hat Überzeugungen, über die man mit ihm nicht wirklich diskutieren kann.

Ich lehne Dogmen eigentlich für mich persönlich ab. Andere Menschen mögen glauben, was sie wollen, da bin ich soweit tolerant, wie ich nicht eingeschränkt werde. Wenn jemand Christ sein will und sich den Sitten unserer Gesellschaft anpasst, ok. Wenn jemand für sein Kind eine Blutspende verweigert, weil er Zeuge Jehovas ist, nicht ok. Mit Toleranz kann man auch zu weit gehen. Schwierig ist es für mich, meine "Dogmen" erst zu erkennen. Jeder Mensch hat Einstellungen, die er nicht begründen kann. Ich versuche zumindest, diesen Dingen auf den Grund zu gehen.


AChrist hat geschrieben:Als Schluss dieses Beitrages ein paar Fragen an Euch:

Was würdet Ihr einer Euch nahe stehenden Person auf dem Sterbebett antworten, auf die Farge nach dem Weiterleben der Seele nach dem Tod?

Was wäre Eure Schlussfolgerung, wenn jemand die James-Randi-Herausforderung und noch weitere Tests danach bestehen würde?

Ich hoffe, mein Tonfall ist nicht zu unangenehm aufgefallen, und meine Gedanken waren interessant.

Viele Grüße
AChrist


Zu 1) "das ist Schwachsinn" ist nicht die feine Art. Erstens weiß man es nicht, zweitens muss man einen Sterbenden nicht mit solchen Dingen belästigen, egal ob es ein Weiterleben gibt. Ich würde irgendeine Antwort der Art "es deutet nichts darauf hin" bis "man weiß es nicht" geben. Ich war aber noch nie in dieser Lage.

Zu 2) Das wäre für mich ein ganz einfaches Zeichen, dass ein neues Naturgesetz entdeckt wurde. Man müsste dieses Gesetz näher untersuchen und erforschen und in die Physikbücher aufnehmen. Kommt doch regelmäßig vor. Früher dachte man, die Erde müsse eine Scheibe sein, weil man sonst runterrutschen würde. Jetzt weiß man, dass die Dinge nicht nach "unten" fallen, sondern richtung Erdmittelpunkt. James Randy ist ein gebildeter Mensch, aber auch er kann nicht 100%ig Wissenschaften und Pseudowissenschaften auseinanderhalten. Wenn ich ein neues physikalisches Gesetz entdecken würde, würde ich mir als erstes meine Million abholen.

Und nein, dein Tonfall ist ganz passend. Die Diskussionen hier sind mir eh viel zu einseitig. ;-)

Viele Grüße,
Kurt
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Re: Atheismus als Ersatzreligion

Beitragvon AChrist » So 25. Feb 2007, 01:14

Danke für die nette Antwort :)

Kurt hat geschrieben:das ist doch mal ne wunderbare Diskussionsvorlage. :-) Ich glaube, die Brights sind deiner Haltung gar nicht so fern.


Einige sicherlich... aber nicht alle.

Kurt hat geschrieben:So eine Aussage solltest du von einem Bright nicht hören. Wir unterscheiden zwischen Dingen, die wir wissen, und Dingen, die wir nicht wissen. In einem meiner ersten Posts kritisierte ich auch diese arrogante "Wir wissen, dass es keinen Gott gibt"-Haltung, da kam aber nicht viel Widerspruch. ;-)


Leider gibt es Leute mit dieser Haltung.

Kurt hat geschrieben:Mir ist es auch ein bisschen unsympathisch, dass wir hier wieder eine Gruppe mit eigenem Namen gebildet haben, dass die Leute quasi wieder in "Rechtgläubige" und "falsch Denkende" unterschieden werden. Aber die Marketingabteilung hat wohl entschieden, dass das öffentlichswirksamer ist. ;-)


Oh, Gruppen mit Namen zu bilden... dagegen habe ich nichts. Der Name "Bright" passt auch durchaus gut; ebenso wie die Bezeichnung "Naturalist". Mich nervt nur die Aroganz, die ich bei einigen selbsterklärten Naturalisten erlebt habe und elebe.
Das gilt natürlich nicht für alle.

Kurt hat geschrieben:Natürlich kann man glauben, dass XY wahr oder falsch ist. Ich habe auch Meinungen zu unbewiesenen Thesen. Ockhams Rasiermesser ist eine gute Methode, wahrscheinliche und unwahrscheinliche Theorien zu unterscheiden.


Ockhams Rasiermesser ist mir als Physiker gut bekannt. Es ist auch wieder für die Wissenschaft ein sehr sinnvolles Werkzeug. Wenn die Natur durch zwei Theorien gleich gut beschrieben wird... warum die schwierigere nehmen? Der Erkenntnisgewinn wäre null. Dieses Werkzeug wird aber auch gerne (in meinen Augen fälschlicherweise) als Bewertung des Wahrheitsgehalts benutzt. Da denke ich wieder, dass Glauben weiter erlaubt ist.

AChrist hat geschrieben:Nach deinen beiden Erfahrungen suchst du nach einem Ausweg, den Tod doch nicht als etwas endgültiges hinnehmen zu müssen. Deine Wahrnehmung biegt etwas sehr unwahrscheinlich in etwas "doch immerhin mögliches" um. Das ist ein ganz normales psychologisches Phänomen und ist durch deine besondere Situation bedingt.


Natürlich ist meine Einstellung aufgrund psychischer Belastung entstanden; das ist mir bewusst. Ich glaube an ein Weiterleben nach dem Tod, weil ich es will, und weil ich die Vorstellung, dass mir liebe Menschen "gänzlich weg" sind, überhaupt nicht behagt. Da ist es schöner, auf ein hoffentlich nicht allzu baldiges Wiedersehen zu hoffen... zu hoffen, dass die Träume, die ich von ihnen hatte, wirklich "von ihnen" kommen, bzw. an all das zu glauben. Und in diesem Falle... sollte ich mich irren, wird nicht von mir übrig bleiben, was diesen Umstand bedauern könnte.

Meine Behauptung ist aber, dass jedes Weltbild in einem Menschen aufgrund psychischer Faktoren heranreift. Jedes Weltbild ist ein auf Axiomen aufgebautes Gedankengebäude. Und welche Axiome man für sich wählt... da spielt die Psyche eine Rolle. Ist mein Glaube automatisch falsch, weil er unter psychischem Stress entstanden ist? Auch Atheismus und Naturalismus wird aus psychologischen Gründen als Weltbild gewählt. Es bietet auch eine Art innere Sicherheit. Insofern ist die Wahl wieder nicht besser oder schlechter als meine Wahl.

Kurt hat geschrieben:Ich lehne Dogmen eigentlich für mich persönlich ab. Andere Menschen mögen glauben, was sie wollen, da bin ich soweit tolerant, wie ich nicht eingeschränkt werde. Wenn jemand Christ sein will und sich den Sitten unserer Gesellschaft anpasst, ok. Wenn jemand für sein Kind eine Blutspende verweigert, weil er Zeuge Jehovas ist, nicht ok. Mit Toleranz kann man auch zu weit gehen. Schwierig ist es für mich, meine "Dogmen" erst zu erkennen. Jeder Mensch hat Einstellungen, die er nicht begründen kann. Ich versuche zumindest, diesen Dingen auf den Grund zu gehen.


Ich finde gut, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dazu gehören auch Fragen wie: "Warum gibt es Religion?", warum und wie wird ein Weltbild gewählt. Die Leute, die das tun, müssen sich aber bewusst sein, dass sie ebenfalls Teil dieser Überlegungen sind; sie sind auch Menschen, die sich ein Weltbild gewählt haben. Sonst artet das wieder in "Fußvolk" und "Elite" aus... bzw. "psychisch gesunde" und "psychisch gestresste".

Jetzt kommen wir in den Bereich "Religion und Ethik". Darüber wollte ich im ersten Beitrag schon was schreiben... hab's aber vergessen zu tun. Was die Blutspende angeht, bin ich vollkommen Deiner Meinung. Eine Religion als Grundlage einer Ethik zu nehmen, halte ich auch für falsch.

Ich glaube zwar an Gott, ich glaube aber nicht an eine gottgegebene Ethik/Moral. Mathematisch ausgedrückt: Ich glaube nicht an eine rein definierte Funktion, die als Eingabewert eine Tat und als Ausgabewert einen Moralwert zwischen "gut" und "böse" hat (wie der Katechismus behauptet zu sein). Vielmehr bin ich da Anhänger vom kategorischen Imperativ von Kant. Mathematisch: Wir bilden eine Äquivalenzklasse von Taten und schauen, ob wir mit dem Ergebnis aller Taten dieser Äquivalenzklasse gut leben können und wollen. Das definieren wir als gut. Soweit ich weiß, wird in Ethikkommissionen immer in diesem Rahmen argumentiert, auch, wenn Theologen drin sitzen. Ich habe noch nie Gott in der Begründung einer Ethikkommission gelesen.

Kurt hat geschrieben:Zu 1) "das ist Schwachsinn" ist nicht die feine Art. Erstens weiß man es nicht, zweitens muss man einen Sterbenden nicht mit solchen Dingen belästigen, egal ob es ein Weiterleben gibt. Ich würde irgendeine Antwort der Art "es deutet nichts darauf hin" bis "man weiß es nicht" geben. Ich war aber noch nie in dieser Lage.


Du würdest somit in etwa das Antworten, was ich geantwortet habe. Ich habe noch ein wenig über NTE-Berichte etc. erzählt... dass man das zwar nicht als Beweis werten darf, aber vielleicht als Hinweis.

Kurt hat geschrieben:Zu 2) Das wäre für mich ein ganz einfaches Zeichen, dass ein neues Naturgesetz entdeckt wurde. Man müsste dieses Gesetz näher untersuchen und erforschen und in die Physikbücher aufnehmen. Kommt doch regelmäßig vor. Früher dachte man, die Erde müsse eine Scheibe sein, weil man sonst runterrutschen würde. Jetzt weiß man, dass die Dinge nicht nach "unten" fallen, sondern richtung Erdmittelpunkt. James Randy ist ein gebildeter Mensch, aber auch er kann nicht 100%ig Wissenschaften und Pseudowissenschaften auseinanderhalten. Wenn ich ein neues physikalisches Gesetz entdecken würde, würde ich mir als erstes meine Million abholen.


Ja, ich stimme Dir wieder vollkommend zu. Lasst mich die Frage etwas präzisieren: Angenommen im James-Randi-Test könnte jemand Thelepathie vorführen und kein Trick kann ihm nachgewiesen werden.

Die beiden Fragen bleiben auch an weitere Antworter bestehen. Ich will aber noch zwei Fragen hinzufügen:

Ist Eurer Meinung nach ein Naturwissenschaftler ein schlechter, wenn er/sie an Gott glaubt?

Angenommen Ihr seid Zeuge einer Wiederbelebung. Der Patient berichtet Euch von einem NTE... das Übliche... er beschreibt aber sehr detailiert wie es in einem Raum zwei Stockwerke darüber aussieht. Würdet Ihr nachschauen, ob seine Berichte stimmen?

Ich bin auf weitere Antworten gespannt.

Viele Grüße
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Re: Atheismus als Ersatzreligion

Beitragvon Kurt » So 25. Feb 2007, 01:57

AChrist hat geschrieben:Meine Behauptung ist aber, dass jedes Weltbild in einem Menschen aufgrund psychischer Faktoren heranreift. Jedes Weltbild ist ein auf Axiomen aufgebautes Gedankengebäude. Und welche Axiome man für sich wählt... da spielt die Psyche eine Rolle. Ist mein Glaube automatisch falsch, weil er unter psychischem Stress entstanden ist? Auch Atheismus und Naturalismus wird aus psychologischen Gründen als Weltbild gewählt. Es bietet auch eine Art innere Sicherheit. Insofern ist die Wahl wieder nicht besser oder schlechter als meine Wahl.

Du behauptest quasi, die Wahl der Axiome bestimmt auch das Aussehen des gesamten Gedankengebäudes. Das stimmt natürlich. Wenn ich die Bibel als Grundlage nehme kommt sowas wie der katholische Glaube raus. Nach welchen Kriterien man seine Axiome zu wählen hat, kann ich nicht vernünftig begründen, daran beiße ich noch. Ich weigere mich aber, ein wissenschaftliches Weltbild einem unwissenschaftlichen als gleichwertig zu sehen. Mein Weltbild ist quasi "ich glaube, was ich sehen kann". Ein unwissenschaftliches wäre "ich glaube auch Dinge, die sich einfach jemand ausgedacht hat". Wie legt man dar, dass manche Axiome besser sind als andere? Wo kommt eigentlich unsere Logik her? Bis auf weiteres kann ich das nicht begründen. Manche Dinge sind einfach da, dazu gehört mein Verstand. Aber ich bin davon überzeugt, dass meine Axiome die richtigen sind. ;-) Dazu gehören der wissenschaftliche Erkenntnisprozess (Popper), Ockhams Rasiermesser usw.

AChrist hat geschrieben:Ich glaube zwar an Gott, ich glaube aber nicht an eine gottgegebene Ethik/Moral. Mathematisch ausgedrückt: Ich glaube nicht an eine rein definierte Funktion, die als Eingabewert eine Tat und als Ausgabewert einen Moralwert zwischen "gut" und "böse" hat (wie der Katechismus behauptet zu sein). Vielmehr bin ich da Anhänger vom kategorischen Imperativ von Kant. Mathematisch: Wir bilden eine Äquivalenzklasse von Taten und schauen, ob wir mit dem Ergebnis aller Taten dieser Äquivalenzklasse gut leben können und wollen. Das definieren wir als gut. Soweit ich weiß, wird in Ethikkommissionen immer in diesem Rahmen argumentiert, auch, wenn Theologen drin sitzen. Ich habe noch nie Gott in der Begründung einer Ethikkommission gelesen.

Ich hab keine Ahnung, wie in solchen Kommissionen argumentiert wird, würde mich auch mal interessieren. Scheint aber zumindest eine gute Grundlage dazusein, wenn es ist, wie du sagst.


AChrist hat geschrieben:Lasst mich die Frage etwas präzisieren: Angenommen im James-Randi-Test könnte jemand Thelepathie vorführen und kein Trick kann ihm nachgewiesen werden.

Telepathie ist für mich etwas extrem unglaubwürdiges. Ich würde (wie James Randi wohl auch) erstmal weiter nach Lücken im Test suchen, dann den Telepathen fragen, ob er mir das auch beibringen kann und wie es geht. Solche Sachen würde ich aber erst glauben, wenn es mehrere Personen vorgemacht haben.

AChrist hat geschrieben:Ist Eurer Meinung nach ein Naturwissenschaftler ein schlechter, wenn er/sie an Gott glaubt?

Verdächtig ist das schon. Wenn jemand aus sozialem Zwang (der Gottglaube kommt ja von Erziehung/Schule/Kirche) unbelegte Meinungen übernimmt, spricht das nicht unbedingt für objektives und unabhängiges Denkvermögen. Wobei du erstens nicht genau definiert hast, wie du dir Gott vorstellst (erzkatholisch <-> pantheistisch) und ich zweitens viele Leute kenne, die (meistens recht gedankenlos) an Gott glauben und trotzdem rationale Denker sind. Bei Isaac Newton hat man ja im Nachlass auch alle möglichen theologischen Schriften gefunden, zu meinem Erschrecken.


AChrist hat geschrieben:Angenommen Ihr seid Zeuge einer Wiederbelebung. Der Patient berichtet Euch von einem NTE... das Übliche... er beschreibt aber sehr detailiert wie es in einem Raum zwei Stockwerke darüber aussieht. Würdet Ihr nachschauen, ob seine Berichte stimmen?

Natürlich. Nahtodeserlebnisse treten nur auf, solange der Patient noch lebt. Das Bewusstsein funktioniert in so extremen Situationen eben etwas anders als im Normalzustand, das ist ganz natürlich. Aber wenn der Patient irgendwas unbekanntes gesehen haben will, würde ich das sofort nachprüfen. Schon aus Neugier. Wobei mich das nicht von der Existenz Gottes überzeugen würde. Man weiß ja aus Hypnoseexperimenten, dass Menschen scheinbar unbekanntes aus dem Unterbewusstsein hervorholen können, dass sie doch schon einmal gesehen/gehört und wieder vergessen haben.
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Beitragvon musikdusche » So 25. Feb 2007, 10:07

Moin

Zuallererst: Herzlich willkommen im Forum, Achrist! :winken: Ich finde deinen Tonfall alles andere als unangenehm, und habe deinen Beitrag mit Interesse gelesen.

Zu der Sterbebettfrage:
Als Naturalist ist man gottseidank nicht zwangsläufig ein Empathietrottel. Wenn ich den totkranken Patienten seine Hoffnungen nehme, tu ich ihm damit sicherlich nichts gutes. Aber täte mich ebenso schwer, ihn anzulügen. Ich würde eher dahingehend antworten, dass ich persönlich mit dem "Leben nach dem Tod" nicht viel anfangen kann, was aber keine traurige Nachricht sein muss: Ein Leben ist nicht schöner, wenn es ewig dauert. Wenn ich dem Patienten sehr nahestehe, kann ich ihm hier und jetzt bestätigen, dass seine Existenz für mich sehr wichtig ist und ich froh bin, ihn als Freund zu haben. Seine Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod kann ich dabei völlig unberührt lassen.

Zur Randi Frage:
Ich bin mir jetzt nicht sicher, wie die Randi-Regeln sind, aber sollte ein Teilnehmer zeigen können, dass dieses paranormale Phänomen nicht nur ein unentdecktes Naturgesetz ist, sondern tatsächlich etwas Übernatürliches, dann müsste ich selbstverständlich mein Weltbild überdenken. Aber was bedeutet das in der Praxis für mich? Selbst wenn dieser Übernatürliche Effekt die bekannten Naturgesetze gelegentlich aushebeln würde, so kann ich mich dennoch in der Regel recht gut auf sie verlassen.

Muss jetzt leider langsam weg. Vielleicht finde ich später nochmal Zeit auf einige andere deiner Punkte einzugehen. Bis dahin -

Nette Grüße - MD
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Beitragvon hikanio » So 25. Feb 2007, 12:32

Hi Achrist,

ich freue mich auch über den "Ton" deiner Posts, etwas mehr Respekt vor anderen Menschen, auch wenn sie einen "irrationalen Glauben" haben halte ich auch für sehr sinnvoll.
Das bedeutet aber auch, dass mich religiöse Dinge manchmal zum Schmunzeln bringen oder auch echte Aversion hervorrufen.

Zu Deiner Sterbebettfrage:
Ich bleibe bei der Wahrheit, auch wenn sie unbequem ist und für diesen Moment wenig Trost bietet. Und das bedeutet: "Ich kenne keinen wissentschaftlich haltbaren oder sonstwie überzeugenden Hinweis auf eine "Seele" oder irgendeine bewusste Existenz nach dem Tod."
Aber das dürfte für jemanden der mich kennt nichts Neues sein.

Zu Deiner Randi-Frage:
Ich würde mich enorm darauf freuen, endlich mal wieder hoffentlich etwas Neues zu finden, dass wir weiter erforschen können und das möglicherweise neue Perspektiven für die Menschen bietet.
Ganz besonders wenn sich endlich in der Wüste das Wasser mit Wünschelruten finden lässt. DAS wäre ein echter Fortschritt der den Menschen helfen würde.
Auch wenn es dann doch nur eine "High-Tech-Wünschelrute" auf Schallbasis ist ...

Ansonsten kann ich Dir nur empfehlen weiterhin viel zu denken und es dir nie zu einfach zu machen

Viele Grüsse

hikanio
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Beitragvon Andreas Müller » So 25. Feb 2007, 13:25

So, jetzt ist erst mal die radikale Arroganz in Person an der Reihe. :up:

Da waren ausschließlich Atheisten eingeladen.


Weißt du noch, was das für eine Runde war? So etwas kommt nämlich fast nie vor. Wir müssten den Sendetag geradezu heilig sprechen.

"Die Atheisten der Welt müssen sich endlich zusammenschließen, um dem Rest zu zeigen, dass sie einem imaginären Freund, einer Illusion, nachrennen." Wozu?


Um reale Lösungen für reale Probleme zu finden, um einen aufgeklärten Diskurs zu erzielen, der ohne unangreifbare, erhabene Worte Gottes auskommt.

Klar, der Naturalismus hat gegenüber anderen Weltbildern den Vorteil, dass ausschließlich überprüfbare Aussagen übernommen bzw. verworfen werden, und die Methodik mit der das geschieht, ist klar definiert und logisch. Das kann keine Religion von sich behaupten.


Inwiefern ist es dann eine Ersatzreligion?

Ist es deswegen "illegal" an XY zu glauben?


Wir sind hier nicht die Legislative. Aufklärung bedeutet Überzeugung mittels besserer Argumente. Es geht nicht darum, die Religion zu verbieten.

Hier unter Euch sich in dem Thread gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, dass es für Euch unvorstellbar ist, ist genauso sinnvoll wie oben erwähnte Fernsehdiskussion.


Es ist aber doch ganz interessant, warum es denn unvorstellbar ist. Vielleicht irren wir uns ja.

Auf ihre Frage nach einem möglichen Weiterleben, sagte er nur schlich: "Das ist Unsinn."


Auch Atheisten können Mistkerle sein.
Ich hätte ihr gesagt: "Ich kann Ihnen zumindest versichern, dass Sie nicht in die Hölle kommen werden."
Ich habe ja schon mal in einem Altenheim gearbeitet und denke, das Thema ganz gut behandelt zu haben. Der Gedanke, dass keine Endabrechnung und keine Hölle bevorsteht, ist doch sehr beruhigend. Dass "Nichts" danach folgt, bedeutet eigentlich nicht viel. Das kann man sich ohnehin nicht vorstellen. Auf jeden Fall muss man keine Angst vor dem Tod haben und das ist entscheidend. Außerdem ist es eine schöne Vorstellung, wie viel Glück man doch hatte, überhaupt auf der Welt gewesen zu sein.

Auch der Atheismus gibt den Anhängern eine Stütze: Der Glaube es besser zu wissen als alle anderen Gläubigen "Idioten".


Das ist nicht gerade eine Stütze.

Gibt es da Möglichkeiten, oder seid Ihr genauso dogmatisch wie ich?


Sollte jemand herkommen und es schlüssig beweisen, bin ich dabei.

Was wäre Eure Schlussfolgerung, wenn jemand die James-Randi-Herausforderung und noch weitere Tests danach bestehen würde?


Dann würde ich mir genau ansehen, wie das sein kann und was genau da passiert ist. Wäre zweifelsohne interessant.

Ist Eurer Meinung nach ein Naturwissenschaftler ein schlechter, wenn er/sie an Gott glaubt?


Nein, nicht automatisch. Er hätte nur zwei Persönlichkeiten: Die Eine, die wissenschaftlich denkt und die andere, die einfach etwas glaubt, ohne es zu hinterfragen.

Würdet Ihr nachschauen, ob seine Berichte stimmen?


Sicher. Ich würde mich auch näher in die Literatur zum Thema befassen und sehen, wie sich das Phänomen erklären lässt. Nahtoderfahrungen lassen sich inzwischen sehr gut erklären.
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Beitragvon Kival » So 25. Feb 2007, 16:40

Sorry, aber der Atheismus selbst kann überhaupt keine Ersatzreligion sein. Ein Nicht-Glauben ist kein Glaubensersatz. Der Atheismus bedeutet nur die Abwesenheit eines theistischen Gottes in Weltbild, Anschauung und Lebenspraxis. Das kann zwar auch dogmatisch vertreten werden, hat aber keine Auswirkungen in dem Sinne, dass es einen Lebensstil vorgeben kann. Wie man leben soll z. B., darauf kann ein Nichtglaube an Gott keine Antwort geben.

Der Naturalismus hingegen _kann_ eine Ersatzreligion sein (je nachdem, wie man ihn versteht), wenn er zum unwiderrufbaren und unanzweifelbaren Dogma wird, davon halte ich allerdings überhaupt nichts. Und genaugenommen ist der Naturalismus auch nur dann möglicherweise eine Ersatzreligion, wenn man einer Art Naturreligion anhängt, die das Sein der Natur zum Prinzip des Sollens macht (naturalistische Fehlschluss, direkte Ableitung). Es gibt aber kaum Naturalisten, die das vertreten. Meistens sind es gerade die Nicht-Naturalisten, die den naturalistischen Fehlschluss begehen.

PS: Achja: Naturalismus =/= Atheismus, der Naturalismus ist höchstens eine Untermenge der nicht-theistischen Weltanschauungen/Weltbilder
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Beitragvon Andreas Müller » So 25. Feb 2007, 16:49

wenn er zum unwiderrufbaren und unanzweifelbaren Dogma wird


Das wäre zwar suboptimal, aber ich glaube, es würde nicht einmal einen großen Unterschied machen, wenn man bedenkt, wie unwahrscheinlich es ist (oder wie feststellbar für den Menschen), dass etwas Übernatürliches existiert. Etwas, das transzendent ist, also außerhalb der physikalischen Welt steht, kann natürlich keinen Einfluss auf die von uns erfahrbare (physikalische) Welt haben.
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Beitragvon taotne » So 25. Feb 2007, 16:52

Hallo AChrist,
Willkommen im Forum :winken:

AChrist hat geschrieben:Unter welchen Vorraussetzungen würdet Ihr anfangen, an "Übernatürliches" zu glauben?

Mein Problem mit dieser Frage ist, dass es für mich "Übernatürliches per Definition nicht gibt. Würde man also nachweisen können, dass Telepathie oder Gott existiert, wäre das für mich eine fundamentale Eigenschaft der Natur und somit nichts übernatürliches.

Was wäre Eure Schlussfolgerung, wenn jemand die James-Randi-Herausforderung und noch weitere Tests danach bestehen würde?


Wie schon oben beschrieben, wäre das nur der Nachweis, dass wir vorher von dieser fundamentalen Eigenschaft der Natur nichts gewusst haben.


AChrist hat geschrieben:Was würdet Ihr einer Euch nahe stehenden Person auf dem Sterbebett antworten, auf die Farge nach dem Weiterleben der Seele nach dem Tod?
Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht an eine unsterbliche Seele oder an ein Jenseits glaube. Somit wird diese Frage wahrscheinlich nicht gestellt werden. Wenn doch, würde ich wohl sagen, dass mit dem Tod nun die ultimative Möglichkeit zur Beantwortung der Fragen nach Gott, dem Jenseits ect. gegeben ist.


AChrist hat geschrieben:Ebenso liest man oft in diversen deutschen Nachrichten- und populärwissenschaftlichen Magazinen Essays und Leserbriefe, die sinngemäß aussagen: "Die Atheisten der Welt müssen sich endlich zusammenschließen, um dem Rest zu zeigen, dass sie einem imaginären Freund, einer Illusion, nachrennen." Wozu? Solche Texte klingen für mich nicht viel besser, als Schriften religiöser Eiferer, die versuchen die Richtigkeit ihrer Religion zu beweisen, und die mit: "und, wenn Du das nicht glaubst, bist Du blöd." enden.
Wenn du an Gott ect. glaubst, weil es dir hilft mit deinem Leben fertig zu werden, schadet das ja noch niemanden. Ein Problem entsteht dann, wenn Glaube Auswirkungen auf politische, ökonomische oder ökologische Entscheidungen hat. Dies wird besonders in den USA von zb. den "Neuen Atheisten" kritisiert. Deshalb auch das radikale Auftreten. Außerdem gibt es durchaus Gründe, wieso man Gott zb. nicht als Anfang allen Seins hernehmen kann(schön dargelegt in Richard Dawkins Buch "The God Delusion") und Gleichzeitig so ein komplexes Wesen annehmen kann(allwissend, allmächtig, allgütig.)
Und wenn Gott nicht diese Eigenschaften hat, die man ihm zuschreibt, was macht es für einen Sinn zu beten ect... Ich sehe die Argumentation auf seiten der Naturalisten konsistenter als auf Seiten von diversen Gläubigen.

AChrist hat geschrieben:Vorher war ich reiner Agnostiker und reiner Naturalist. Nach diesem Tod (und dem Tod meines Vaters kurz danach), fragte ich mich, ob es nicht wirklich ein Weiterleben nach dem Tod geben könnte, und ob sich das Beweisen ließe. In Büchern und Internetseiten finden sich viele Hinweise darauf... ich bin aber Physiker und weiß, was ein Beweis ist und vor allem: was kein Beweis ist. Und somit... leider fand ich keinen Beweis für die Seele... was die Seele und Gott betrifft, bleibe ich also Agnostiker.
Bei der Frage nach Gott gibt es ja unendlich viele Unterschiede. Viele Gläubige nehmen das Wort Gott ja nur als Synonym für zb. den Anfang des Seins, oder bezeichen alles Existierende damit(Pantheismus). Gott ist also nicht gleich Gott.Du bezeichnest dich als Agnostiker, der zum Glauben tendiert. Glaube ist aber auch nicht gleich Glaube. Welche Vorstellungen würdest du nun mit Gott assoziieren bzw. mit der Seele??
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Re: Atheismus als Ersatzreligion

Beitragvon Nox » So 25. Feb 2007, 16:58

AChrist hat geschrieben:[...]

Vorher war ich reiner Agnostiker und reiner Naturalist. Nach diesem Tod (und dem Tod meines Vaters kurz danach) [...]

Nun die Frage: Warum glaube ich dennoch daran? Ganz einfach: Weil ich es will. Es hindert mich niemand dran. Ich bin niemandem darüber rechenschaft schuldig. Genauso wie starke Atheisten niemandem darüber Rechenschaft schuldig sind, warum sie nicht an Gott glauben. Die Religion gibt mir eine gewisse Stütze. Allerdings jedes Weltbild tut das für die Anhänger.

[...]

Was würdet Ihr einer Euch nahe stehenden Person auf dem Sterbebett antworten, auf die Farge nach dem Weiterleben der Seele nach dem Tod?

Was wäre Eure Schlussfolgerung, wenn jemand die James-Randi-Herausforderung und noch weitere Tests danach bestehen würde?


Hallo :)
Nein, unangenehm triffts nicht. So interessant fand ichs aber auch nicht :P
Aber sicherlich auch von mir noch ein paar Kommentare wert...

Du hast ganz schön beschrieben, was ich an Religionen so lustig finde:
Sie sind bequem, haben aber nicht notwendigerweise irgendetwas mit unserer Realität zu tun.

Klar kann jeder glauben was er will - aber einige Vorstellungen sind objektiv naiv. Wirklich traurig finde ich, dass so viele naive Vorstellungen "vererbt" werden und dass einige daraus dann Lebensregeln für sich und schlimmer noch für andere ableiten wollen. Der andere häufige Grund für irgendeinen Glauben sind einschneidende Erlebnisse, wie du sie beschreiben hast. Die Vorstellung geliebte, verstorbene Menschen nocheinmal wiederzutreffen ist natürlich angenehm - wird aber dadurch natürlich nicht wahrscheinlicher...

Deinen "Glauben" halte ich nicht für naiv, glaube aber trotzdem, dass du dir da falsche Hoffnungen machst. Aber auch meine Position ist da natürlich nicht beweisbar - allerdings "ökonomischer" :)

Zu deinen beiden Fragen: Wenn jemand etwas vernünftig (reproduzierbar, auch wenn nur als signifikante Korrelation) nachweist dann ist es halt so. Und es lässt sich schon eine vernünftige Erklärung dafür finden...

Die andere Frage ist schwieriger... Was würde ich tun... Lügen? Vielleicht.
Oder mich auf die Position "Wir können es nicht wissen." zurückziehen?
In manchen Situationen ist es schlicht nicht angebracht die (volle) Wahrheit zu sagen - die wäre in dem Fall, dass ich Götter/unsterbliche Sellen/ein Leben nach dem Tode für genauso unwahrscheinlich halte wie das fliegende Spaghettimonster oder Russels Teekanne.
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Beitragvon Andreas Müller » So 25. Feb 2007, 18:31

@ AChrist: Du bist doch eigentlich weder religiös noch allgemein gläubig. Das einzige übernatürliche Element scheint mir deine Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod zu sein. Oder?
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Re: Atheismus als Ersatzreligion

Beitragvon Herzblut » So 25. Feb 2007, 18:47

Hallo AChrist!

Schön, dass du dich hier eingefunden hast. :up:

Deinen Beitrag finde ich sehr wohltuend, weil er von Toleranz und Verständnis
spricht.

Deine abschliessenden Fragen sind natürlich schon "der Hammer". Aber ich will
es versuchen.

Einem Sterbenskranken würde ich etwa antworten "Viele Menschen glauben daran.
Wenn du dich dabei besser fühlst, tu es! Was ich davon halte, spielt keine Rolle."

Ich weiss, wann meine Haltung zurückstehen sollte.

Dass jemand den Randi-Test packt, halte ich für total ausgeschlossen. Aber gut,
wenn dem so ist, und z.B. bestimmte hellseherische Fähigkeiten bei einem
Menschen erwiesen sind - dann hat dieser eine Mensch eben hellseherische Fähigkeiten.

Spannende Sache! Aber es sagt erstmal nichts über die anderen 6.5 Milliarden
Menschen aus, oder?

Viele Grüsse von
Herzblut
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Re: Atheismus als Ersatzreligion

Beitragvon Joe » So 25. Feb 2007, 21:36

Hallo AChrist,

ein herzliches Willkommen im Forum auch von mir!

AChrist hat geschrieben:Hier gibt es einen Thread, in dem ihr über das ewige Leben, was für Euch "unvorstellbar" ist, diskutiert. Wenn Ihr Euch wirklich dafür interessiert, was Esoteriker oder Religionen mit einer unsterblichen Seele meinen, und wie sie sich das Vorstellen, dann fragt sie und erkundigt Euch genau, was wer glaubt... die Vorstellungen da sind so vielfältig wie es Menschen, die an ein Weiterleben der "Seele" nach dem Tod glauben, gibt. Hier unter Euch sich in dem Thread gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, dass es für Euch unvorstellbar ist, ist genauso sinnvoll wie oben erwähnte Fernsehdiskussion


Mit "im dem Thread auf die Schulter klopfen" meinst du wahrscheinlich mein Lob an LinuxBug. Das gab ich ihm aber nicht, weil er seine Skepsis gegenüber einem Leben nach dem Tod äußerte, sondern wegen der zugleich tiefsinnigen, tröstlichen und humorvollen Art und Weise, wie er es machte.

Wenn mich ein nahestehender Mensch, der im Sterben liegt, nach meiner Meinung über ein Leben nach dem Tod fragen würde, dann stände ich vor einem Problem. Ich würde ihn auf keinen Fall anlügen wollen, wahrscheinlich würde ich ihm auf nette Art und Weise sagen, dass ich nicht daran glaube. Vielleicht würde es mir aber auch die Kehle zuschnüren, und ich bekäme kein Wort heraus. Ich weiß es nicht.

Wenn jemand den Randi-Test bestehen würde, dann wäre ich wohl erst mal entsetzt. Aber wenn es denn wirklich so wäre, dann würde ich es akzeptieren. Wobei ich aber meine, dass es keine nichtphysikalischen Ursachen dafür geben könnte, da diese Dinge dann schließlich in Raum und Zeit geschehen würden. Es wären dann eben bisher nicht endeckte physikalischen Gesetzmäßigkeiten.
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Beitragvon Lesum » So 25. Feb 2007, 22:58

Nun die Frage: Warum glaube ich dennoch daran? Ganz einfach: Weil ich es will. Es hindert mich niemand dran. Ich bin niemandem darüber rechenschaft schuldig. Genauso wie starke Atheisten niemandem darüber Rechenschaft schuldig sind, warum sie nicht an Gott glauben. Die Religion gibt mir eine gewisse Stütze. Allerdings jedes Weltbild tut das für die Anhänger.


Nun die Frage: Warum glaube ich dennoch daran, in meinen früheren Leben Platon und Mozart gewesen zu sein? Ganz einfach: Weil ich es will. Es hindert mich niemand ran. Ich bin niemandem darüber rechenschaft schuldig. Genauso wie Skeptiker niemandem darüber Rechenschaft schuldig sind, warum sie nicht glauben, dass ich die Wiedergeburt Platons und Mozarts bin. Mein Platon-und-Mozart-Glaube gibt mir eine gewisse Stütze. Allerdings der Skeptizismus tut das auch für seine Anhänger.
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Beitragvon Andreas Müller » So 25. Feb 2007, 23:10

@ Lesum: Dein Vergleich passt zwar, auf der anderen Seite: Wenn er sich für Mozarts Reinkarnation hält, schadet er ja keinem damit. Auch wenn er ein Leben nach dem Tod für entfernt denkbar hält, ist das noch lange nicht das Schlimmste, was man so glauben kann. Wenn er ansonsten rational argumentiert und auf Basis der Realität Lösungen für Probleme sucht, ist das ok für mich. Ich teile seine Meinung nicht, aber Mozart ist schon ok.
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Beitragvon AChrist » Mo 26. Feb 2007, 01:13

Hallo,

vielen Dank für die netten Begrüßungen. Die freuen mich wirklich sehr.

Ich versuche auf möglichst viele Punkte in den Antworten einzugehen. Ich würde gerne auf viel mehr antworten... aber das würde den Rahmen des Threads sprengen.

Kurt hat geschrieben:Telepathie ist für mich etwas extrem unglaubwürdiges. Ich würde (wie James Randi wohl auch) erstmal weiter nach Lücken im Test suchen, dann den Telepathen fragen, ob er mir das auch beibringen kann und wie es geht. Solche Sachen würde ich aber erst glauben, wenn es mehrere Personen vorgemacht haben.


Darum habe ich das Beispiel gewählt. Was "unglaubwürdig" ist, hängt auch wieder mit den gewählten Axiomen zusammen, und ist eher ein subjektives Attribut.

Kurt hat geschrieben:Verdächtig ist das schon. Wenn jemand aus sozialem Zwang (der Gottglaube kommt ja von Erziehung/Schule/Kirche) unbelegte Meinungen übernimmt, spricht das nicht unbedingt für objektives und unabhängiges Denkvermögen. Wobei du erstens nicht genau definiert hast, wie du dir Gott vorstellst (erzkatholisch <-> pantheistisch) und ich zweitens viele Leute kenne, die (meistens recht gedankenlos) an Gott glauben und trotzdem rationale Denker sind. Bei Isaac Newton hat man ja im Nachlass auch alle möglichen theologischen Schriften gefunden, zu meinem Erschrecken.


Meine Behauptung ist ja, dass niemand wirklich nur objektiv und unabhängig denkt. Wenn es der Druck der Eltern ist, religiös zu sein, so kann es genauso auch Trotz gegenüber der Eltern sein, im Erwachsenenalter alles religiöse abzulehnen. Auch die Wahl des Naturalismus als Weltbild muss nicht rein rationale Gründe haben. Ich will jetzt nicht über Eure Gründe detailiert spekulieren (sofern ihr mir das nicht ausdrücklich erlaubt), aber ich vermute nicht nur rationale und kritische Denkweise. Wirkliche Freidenker gibt es nicht.

hikano hat geschrieben:Das bedeutet aber auch, dass mich religiöse Dinge manchmal zum Schmunzeln bringen oder auch echte Aversion hervorrufen.


Kann ich gut verstehen. Ich schrieb ja schon, dass ich gerne mit Esoterikern streite. Mir sträuben sich manchmal die Nackenhaare, wenn ich einige der Aussagen da lese. Bei welchen religiösen Dingen verspürst Du diese Aversion? Warum? Was stößt Dich daran ab? Ich vermute nicht bei allen, die diese Aversion verspüren, rationale Gründe dafür.

Der Autor hat geschrieben:So, jetzt ist erst mal die radikale Arroganz in Person an der Reihe.:up:


Cool :2thumbs: !

Der Autor hat geschrieben:Weißt du noch, was das für eine Runde war? So etwas kommt nämlich fast nie vor. Wir müssten den Sendetag geradezu heilig sprechen.


Für mich hat das den sehr üblen Beigeschmack, als wenn religiöse Menschen da wie Kinder abgetan werden, deren Eltern jetzt diskutieren, ob es für sie schädlich ist, imaginäre Freunde zu haben oder nicht.

Der Autor hat geschrieben:Um reale Lösungen für reale Probleme zu finden, um einen aufgeklärten Diskurs zu erzielen, der ohne unangreifbare, erhabene Worte Gottes auskommt.


In dem Punkt rennst Du bei mir offene Türen ein; d.h. ich stimme Dir zu. Ich schrieb ja weiter oben, dass ich an eine gottgegebene Ethik nicht glaube.

Der Autor hat geschrieben:Inwiefern ist es dann eine Ersatzreligion?


Ersatzreligion wird eine Weltanschauung durch irrationalen Gründe, warum, und die Vehemenz, mit der man sie vertritt. Ich will jetzt keine detailierten Spekulationen über die Gründe, warum man Naturalist wird, anstellen. Aber die Emotionalität, die ich bei einigen sehe, lassen mich auch Irrationales erkennen.

Versteht mich nicht falsch: Ich will das nicht verurteilen; kein Mensch denkt wirklich frei.

Kival hat geschrieben:Sorry, aber der Atheismus selbst kann überhaupt keine Ersatzreligion sein. Ein Nicht-Glauben ist kein Glaubensersatz. Der Atheismus bedeutet nur die Abwesenheit eines theistischen Gottes in Weltbild, Anschauung und Lebenspraxis. (...)

Der Naturalismus hingegen _kann_ eine Ersatzreligion sein (je nachdem, wie man ihn versteht), wenn er zum unwiderrufbaren und unanzweifelbaren Dogma wird, davon halte ich allerdings überhaupt nichts. (...)


Ja, ich habe mich da schwammig ausgedrückt und Begriffe vermischt; sorry. Vielleicht ist auch der Begriff "Ersatzreligion" unglücklich gewählt. Ich hoffe, mit den Antworten konnte ich ein wenig Klarheit darüber bringen, was ich meine.

Der Autor hat geschrieben:Das wäre zwar suboptimal, aber ich glaube, es würde nicht einmal einen großen Unterschied machen,(...)


Es macht einen großen Unterschied im Umgang mit anderen Menschen.

taotne hat geschrieben:Wenn du an Gott ect. glaubst, weil es dir hilft mit deinem Leben fertig zu werden, schadet das ja noch niemanden. Ein Problem entsteht dann, wenn Glaube Auswirkungen auf politische, ökonomische oder ökologische Entscheidungen hat. Dies wird besonders in den USA von zb. den "Neuen Atheisten" kritisiert. Deshalb auch das radikale Auftreten.


Ja, es ist fatal, auf Gott oder ähnlichem bei Klimawandel etc. zu hoffen, oder dem eigenen Kind eine Bluttransfusion zu verweigern. Das bin ich vollkommen mit Dir einer Meinung. Im radikalen Auftreten von Dawkins und Co. sehe ich aber nicht nur Kritik daran.

Nox hat geschrieben:Deinen "Glauben" halte ich nicht für naiv, glaube aber trotzdem, dass du dir da falsche Hoffnungen machst. Aber auch meine Position ist da natürlich nicht beweisbar - allerdings "ökonomischer" :)


Was passieren wird, wird passieren. Wenn es ein Jenseits für die Seele gibt, gibt es das; wenn nicht, dann nicht. Daran ändern weder meine Hoffnungen noch Eure Ansichten etwas.

Der Autor hat geschrieben:@ AChrist: Du bist doch eigentlich weder religiös noch allgemein gläubig. Das einzige übernatürliche Element scheint mir deine Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod zu sein. Oder?


Wie ich schon schrieb, bin ich Agnostiker von der gläubigen Seite aus. Insofern bin ich durchaus religiös zu nennen. Dabei ist das Element des Weiterlebens nach dem Tod, das mir wichtige Element. Ich bin aber gewohnt im Rahmen des Naturalistischen Weltbildes zu denken. Ich unterscheide strickt zwischen glauben und wissen. Und, was "wichtige Entscheidungen" angeht, verlasse ich mich nur auf's Wissen. Man könnte mein Weltbild als "naturalistisch mit Schnörkeln" bezeichnen.

Herzblut hat geschrieben:Deine abschliessenden Fragen sind natürlich schon "der Hammer". Aber ich will es versuchen.


Danke, das sollen sie sein. Jemand, der in der beschriebenen Sterbebettsituation weiter rein rational denkend bleiben kann... ich weiß nicht, ob ich ihn bedauern oder bewundern soll.

Joe hat geschrieben:Mit "im dem Thread auf die Schulter klopfen" meinst du wahrscheinlich mein Lob an LinuxBug. Das gab ich ihm aber nicht, weil er seine Skepsis gegenüber einem Leben nach dem Tod äußerte, sondern wegen der zugleich tiefsinnigen, tröstlichen und humorvollen Art und Weise, wie er es machte.


Nein, ich meinte die Tatsache, dass man in einem Forum, in dem kein Widerspruch zu erwarten ist, so einen Thread aufmacht. Es spricht nichts dagegen, das zu tun. Ich sehe nur den Sinn nicht; es ist keine wirkliche Diskussion, wenn man fast nur Zustimmung erwarten kann.

Lesum hat geschrieben:Nun die Frage: Warum glaube ich dennoch daran, in meinen früheren Leben Platon und Mozart gewesen zu sein? Ganz einfach: Weil ich es will. Es hindert mich niemand ran. Ich bin niemandem darüber rechenschaft schuldig. Genauso wie Skeptiker niemandem darüber Rechenschaft schuldig sind, warum sie nicht glauben, dass ich die Wiedergeburt Platons und Mozarts bin. Mein Platon-und-Mozart-Glaube gibt mir eine gewisse Stütze. Allerdings der Skeptizismus tut das auch für seine Anhänger.


Ja, na und? Dann wäre ich einer von vielen, die sich für eine Reinkarnation von Mozart hielten (dabei war ich in Wirklichkeit Beethoven *Ironie*). Wem wäre ich für diesen Glauben Rechenschaft schuldig? Wer hat das Recht, sich darüber ein Urteil zu erlauben, was in meinem Kopf stattfindet? Urteile darf man sich nur darüber erlauben, was ich aufgrund dessen, was in meinem Kopf stattfindet, tue.

Viele Grüße
AChrist
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Beitragvon Andreas Müller » Mo 26. Feb 2007, 01:23

Dann wäre ich einer von vielen, die sich für eine Reinkarnation von Mozart hielten (dabei war ich in Wirklichkeit Beethoven *Ironie*). Wem wäre ich für diesen Glauben Rechenschaft schuldig? Wer hat das Recht, sich darüber ein Urteil zu erlauben, was in meinem Kopf stattfindet?


Psychologen. Sorry, aber genau so ist es.
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Beitragvon Kurt » Mo 26. Feb 2007, 01:52

AChrist hat geschrieben:Ersatzreligion wird eine Weltanschauung durch irrationalen Gründe, warum, und die Vehemenz, mit der man sie vertritt. Ich will jetzt keine detailierten Spekulationen über die Gründe, warum man Naturalist wird, anstellen. Aber die Emotionalität, die ich bei einigen sehe, lassen mich auch Irrationales erkennen.

Versteht mich nicht falsch: Ich will das nicht verurteilen; kein Mensch denkt wirklich frei.


Also von mir aus darfst du ruhig spekulieren, wie ich zum Atheismus gekommen bin. Ich glaube, das liegt zum Großteil schon in meiner Persönlichkeit verankert, dir mir angeboren ist. Ich vesuch mal, mich da einzuordnen: Auf einer Skala konformanzbedürftig <-> rebellisch würde ich mich auf 80% (ziemlich rebellisch) einordnen, bei leichtgläubig <-> skeptisch bei 98%, äußerst skeptisch. Ich kenne persönlich keinen skeptischeren Menschen als mich. Dazu noch ein überdurchschnittlicher IQ, um dem Humbug auch auf den Grund gehen zu können.

Es mag Menschen geben, die aus Zufall die richtige Einstellung vertreten, meinetwegen weil sie aufgeklärte Eltern hatten und deren Meinung übernommen haben. Andere sind Rebellen, leichtgläubig und dumm (Typus Sektenanhänger, Esoteriker, Rechtsradikale).

Als Gegenfrage: Wie stellst du dir einen Menschen vor, der wirklich frei denkt? Ist dieses Ziel erstrebenswert und wie kommt man dorthin? Wenn alle Axiomenmengen gleichwertig sind, nach welchen Maßstäben wählst du sie dann?
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Beitragvon Herzblut » Mo 26. Feb 2007, 02:51

AChrist hat geschrieben:
Herzblut hat geschrieben:Deine abschliessenden Fragen sind natürlich schon "der Hammer". Aber ich will es versuchen.


Danke, das sollen sie sein. Jemand, der in der beschriebenen Sterbebettsituation weiter rein rational denkend bleiben kann... ich weiß nicht, ob ich ihn bedauern oder bewundern soll.

AChrist,

ich denke, alles hängt vom Einzelfall ab. Von Set und Setting. Wer z.B. an Botulismus oder anderen
Vergiftungen stirbt, wird in den letzten Minuten seines Lebens nur totale Panik und Todesangst
verspüren. Ratio gibt es da nicht mehr.

So will ich nicht sterben.

http://www.dr-bernhard-peter.de/Apothek ... ulinum.htm

AChrist hat geschrieben:Ja, na und? Dann wäre ich einer von vielen, die sich für eine Reinkarnation von Mozart hielten (dabei war ich in Wirklichkeit Beethoven *Ironie*). Wem wäre ich für diesen Glauben Rechenschaft schuldig? Wer hat das Recht, sich darüber ein Urteil zu erlauben, was in meinem Kopf stattfindet? Urteile darf man sich nur darüber erlauben, was ich aufgrund dessen, was in meinem Kopf stattfindet, tue.

Solange dein Zustand nicht ins Schizophrene abgleitet, ist ja alles OK. Das Problem ist nur, dass
du das selbst gar nicht bemerken wirst....

Gruss
Herzblut
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