Nanna hat geschrieben:Nicht zufriedenstellend. Ein Nachtwächterstaat ist keine Anarchie. Warum sollte ich unter anarchischen Bedingungen den Anweisungen einer Rechtsinstitution Folge leisten? Auch die "Herrschaft des Rechts" wäre eine Herrschaft und demzufolge in einer Anarchie abzulehnen oder zumindest würde der Zwang, dem Anweisungen Folge zu leisten, entfallen.
Ich habe schon an anderer Stelle gesagt, das es ohne "Nachtwächter" (eine ehren- und anspruchsvolle Aufgabe) wohl nicht geht. Unabhängig davon, das auch anarchische Strukturen nicht Regel und instanzenlos sind. Die "Fremdherrschaft" fängt imho mit "juristischen Personen" an, hinter denen man Verantwortung verstecken und anderen aufbürden kann.
Nanna hat geschrieben:Naturrecht ist entweder ein konservatives "Was ist, soll auch sein, denn die Natur hat es offensichtlich so geschehen lassen" (=naturalistischer Fehlschluss) oder eine dogmatische Setzung von Glaubensinhalten ("Gott/Die Natur hat gesagt, dass es so und so sein soll"). Das Letztbegründungsproblem in allen normativen Lehren kann auch das Naturrecht nicht ausräumen.
Das muss es auch nicht. Das kann es auch nicht - Genausowenig wie ein (ggf. und sogar wahrscheinlich vorhandener) Determinismus im Universum jemals nachvollzogen werden kann. Es gilt nicht 'den Punkt' zu erreichen (was unmöglich ist), sondern ihm sich stetig zu nähern.
Gandalf hat geschrieben:Analog: Kein Mensch hat je den absoluten Nullpunkt erreicht (und kein Mensch wird das jemals), - niemand zweifelt aber daran das es ihn gibt. Und das es einen gibt ist ja nicht einer "Fantasie" geschuldet, sondern der deduktiven Logik.
Ja, aber was soll das jetzt in ethischen Fragen groß heißen?
Axiome zu setzen' (= "handeln") und diese auf ihre Gültigkeit testen. (= "erfahren")
Nanna hat geschrieben:Lies dir doch mal die Kritik-Abteilung in Wikipedia zum Naturrecht durch. Die kongruiert mit vielen meiner Probleme mit dem Naturrecht: https://de.wikipedia.org/wiki/Naturrecht#Kritik
Vielleicht schafft das Klarheit und eine Argumentationsgrundlage.
Ich habe bereits bemerkt, das die Kritik dort, auf (vermeintliches) "gottgebebenes Recht" abstellt. Dieser ganze Artikel dort scheint mir von jemand (einem Naturalisten) verfasst zu sein, der - wie die meisten Diskutanten hier im Forum - in Begriffszuordnungen, Vorstellungen und Philosophien schwelgen, die sich in einer Zeit gebildet haben, als man glaubte, man könne die Welt berechnen, wenn man nur der Bahn eines Atoms folgen könnte. Und alles was nicht-berechnbar sei, sei metaphysisch oder göttlich.
z.B.: (Zitat) Mit dem Wegfall Gottes innerhalb eines naturalistischen Weltbildes ergibt sich für die Naturrechtstheorie das Problem der Entstehung (Genese) von Rechtsnormen jenseits menschlicher Institutionen, insbesondere wenn diese für alle Menschen kulturunabhängig gelten sollen.
Dieses "Problem der Naturalisten" habe ich z.B. überhaupt nicht, da ich von einen 'hochdimensionalen Konfigruatiosraum' ausgehe, dessen 'dynamische Komponenten' nur wie "jenseitige Gesetzmäßigkeiten" aussehen, jedoch real sind und sogar kulturunabhängig gelten, da sie sich zusammen mit der menschlichen Art entwickelt haben.
Nanna hat geschrieben:Schwierig, weil immer die schiefe Ebene zum Sozialdarwinismus gleich um die Ecke lauert. Ich glaube, dass du da viel zu viele implizite Annahmen und Dinge, die dir intuitiv richtig und naheliegend erscheinen, hineinpackst. In meinen Augen klingt das alles sehr nach petitio principii, also zirkulärer Argumentation. Wie Wikipedia hier treffend schreibt: "Aus der 'Natur' des Menschen, aus einer (angeblichen) ewigen Seinsordnung (so die katholische Naturrechtslehre), einem (angeblichen) Ur- oder Idealzustand der menschlichen Gesellschaft lässt sich als Naturrecht nur das herauslesen, was man zuvor in sie bzw. ihn hineingetragen hat." (Hervorhebung durch mich).
..nicht hineingetragen- sondern (durch "Abfragen per Handlung") herausgeholt - bzw. 'erfahren' hat.
Nanna hat geschrieben:Ich entscheide das ja nicht allein und apodiktisch. Das tust ja im Gegenteil eher du, indem du deine eigenen impliziten Annahmen durch den Naturrechts-Fleischwolf drehst und so verschleierst, dass du derjenige bist, der die Brocken oben eingeschmissen hat.
Du scheinst immer noch zu mißverstehen: 'Du' bist Teil 'meines' Experimentes. Und ich Teil Deines - auch wenn Du es nicht wahrhaben willst, indem Du ständig der klassichen Vorstellung nachhängst, es gäbe jemals so etwas wie Objektivität. Auch Du unterliegst dem Unvollständigkeitssatz, in dem Augenblick in dem Du die Simulation startest! - und es hat keinen Sinn zu lamentieren, dass das nun mal so ist. Es sei denn Du verweigerst Dich der Realität (Was ich mittlerweile Konstruktivisten reglemäßig, weil begründet unterstelle) Ich gehe um "180 Grad gedreht" vor: Während Du (prizipiell vergeblich) und immer wieder versuchst, etwas "objektives zu konstruieren" - habe ich mich schon längst mit der Tatsache abgefunden, dass das nicht möglich ist, und ich mich aus der "subjektiven Generalkonstruktion" nur "stückweise herausrechnen" kann, damit ich dem Objektiven etwas näher komme (ohne es erreichen zu können). Ich versuche also zunächst mal die Wirklichkeit so zu nehmen, wie sie ist - und dann meine subjektive Sicht darauf zu erkennen bzw. zu eliminieren.
Nanna hat geschrieben:Ein bisschen wie Geldwäsche eigentlich: Man hat eigene, subjektive Argumente, packt sie in neue Kisten, schreibt "Naturrecht" drauf und schwupps, schon ist es sauber, unantastbar, objektiv und ewig. Gute Immunisierungsstrategie aber.
..ahja... - hast Du jetzt mich erkannt - oder Dich beschrieben?
Nanna hat geschrieben:Meine Überlegungen zu Fairness verzichten auf solche Objektivierungsspielchen und machen Fairness zu einer Frage, die die Diskursgemeinschaft partizipativ, gleichberechtigt und transparent aushandelt.
Schön das Du zugibst den "fairness-Begriff" subjektiv gestaltet zu haben und auch diese "Diskursgemeinchaft" nur eine Absprache von interessengeleiteten Subjekten innerhalb einer konstruierten Realität sein kann...
Nanna hat geschrieben:Ich hatte ja schon Rawls angedeutet. Rawls sagt, meines Erachtens völlig zu Recht, dass die Gaben und die Startposition im Leben einem zukommen und unverdient sind.
Ds Leben auf diesem Planeten ist also einfach so "zu-fällig" vom Himmel gefallen? Ich dachte Du wolltest auf Gott verzichten?
Nanna hat geschrieben:Daher müssen gesellschaftliche Regeln so gestaltet sein, dass niemandem aufgrund dieser Startposition ein struktureller Nachteil entsteht. Es darf durchaus Ungleichbehandlung geben und manch einer darf von Regeln mehr profitieren als Andere (Schwächere). Zumindest aber darf eine Regel dem Schwächsten nicht zum Nachteil gereichen. Grundlegende Regeln sollen mit dem berühmten Gedankenexperiment des Schleiers des Nichtwissens erarbeitet werden, d.h. wir stellen uns vor, dass wir nicht wüssten, wo wir in unseren Leben qua Geburt und Genen stehen würden. Da jeder befürchten muss, als dummer Idiot in irgendeinem Slum geboren zu werden, würde jeder Regelungen blockieren, die solche Menschen komplett chancenlos lassen. Gleichzeitig hätte auch jeder die Chance, als reicher Intelligenzbolzen geboren zu werden und würde sich daher gegen Regelungen wehren, die ihn in dieser Situation zu sehr an der Entfaltung hinderten.
Auch dieses Axiom hatte ich schon an anderer Stelle gesetzt: 'Regelgerechtigkeit ist möglich' - "soziale Gerechtigkeit" ein Ding der Unmöglichkeit, da immer einem anderen 'objektiv' etwas weggenommen wrden muss, weill man jemand anderem zu einem (stets subjektiven) Ausgleich verhelfen. Aber Regelgerechtigkeit erreicht man nicht dadurch, dass man in der Gesellschaft ständig neue Regeln aufstellt, die ihren Ursprung in Gefühlen und induktiven Unterstellungen haben, sondern das man genau diese "ausmerzt"!? In einer Chancen-'reichen' (..nicht '-gleichen'!) Umwelt hätte auch der "dumme Idiot in einem Slum" eine Perspektive. (Bei meiner Tochter bei Siemens in Indien steht ständig nur jemand dafür bereit, auf Anforderung ein Blatt Papier zu lochen, sowie ein anderer die Kaffeetassen abzuräumen)
Ergo: Nur in dem man systematisch Chancen vermehrt anstatt sie einzuschränken, schafft man größtmögliche Gerechtigkeit.
Nanna hat geschrieben:Diese Argumentation ist komplett transparent und offen für Kritik. Ich lege lückenlos (falls Lücken da sind, versuche ich die auf Anfrage gern zu schließen) offen, WARUM ich davon ausgehe, dass eine Regelung fairer ist als eine andere. Ich verstecke mich nicht hinter gloriosen Begriffen wie dem ewigen Naturrecht. Und ich drücke meine Argumentation auch niemandem auf.
Dann sind wir an diesem Punkt wohl nur in einem scheinbaren Widerspruch gewesen. Denn ich sehe die "Regel- oder Verfahrensgerechtigkeit" als naturgegeben an...
Nanna hat geschrieben:Insofern maße nicht ich mir an, für andere zu entscheiden, sondern ich möchte einen für alle offenen Aushandlungsprozess erhalten/etablieren. In diesem Prozess habe ich dann auch nicht mehr zu sagen als du. Wo erhebe ich mich da also über Andere?
Ich empfand das Du den Begriff "fair" nicht immer in Bezug auf Regelgerechtigkeit gebraucht hast, sondern als einen(subjektiven) 'Anspruch' den andere zuerfüllen haben.
Nanna hat geschrieben:Ich finde nicht, dass der Herr mit den Arbeitern fair umgeht, nein. Allerdings geht es in diesem Gleichnis auch nicht um Fairness, sondern um Gnade. Die Arbeiter, die später gekommen sind, hätten sicherlich auch am Morgen gern gearbeitet, wenn andere Landbesitzer ihnen Arbeit gegeben hätten.
Danke, - das war wirklich der Punkt auf den ich hinaus wollte und den die meisten übersehen: Das was man nicht sieht: Den Arbeiter, der keine Arbeit hat und nicht weis, wie er sich und seine Familie ernähren soll - und trotzdem kein "Anscheinsrecht" auf Beschäftigung ableitet gegenüber jemandem der ihm zu nichts verpflichtet ist.
Nanna hat geschrieben:Der Herr in der Geschichte sieht dieses Unglück und will es ausgleichen, was ich einen sehr menschenfreundlichen Zug von ihm finde.
..'eine' mögliche Interpretation. Es könnte aber auch sein, das "der Herr" sich verkalkuliert hat und er merkt, das es seine bisherigen Arbeiter nicht schaffen, die Ernte rechtzeitig vor dem Unwetter einzuholen. (Also auch eine rein egoistische Position führt dazu, das Menschen in Lohn und Brot kommen, die ansonsten vlt. verhungern müssten)
Nanna hat geschrieben: Aber natürlich ist es unfair. Die anderen Arbeiter haben deutlich mehr gearbeitet und grundsätzlich sollte "gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten".
Alles andere ist tatsächlich Willkür, ...
Überprüfe die Prämissen! Es war kein Stundenlohn vereinbart, -sondern (lies nach) Der Vertrag lautete: "ein Denar für den Tag". Und diese Regel galt für alle gleich...
Es ist ein Gleichnis wider dem Neid in der Gesellschaft: http://www.bibleserver.com/text/EU/Matth%C3%A4us20
BTW: Man muss imho (begründet) davon ausgehen, das die meisten "Geschichten" und Gleichnisse in der Bibel einfach 'uralte Lebenserfahrung' widerspiegeln und damit viele sinnvolle Handlungsweisen begründen ohne das sie "göttlichen Ursprungs" wären, wie viele religiöse wohl vermuten. Es ging wohl meistens um's nackte überleben und wie man Konflikte vermeidet und löst. Der semitische Gott scheint übrigens ein sehr guter Oekonom der "österreichischen Schule" gewesen sein, denn auch die Eigentumsrechte haben speziell in den 10 Geboten eine überragende Bedeutung. (und mir wird immer klarer, warum Sozialisten stets antisemtisch unterwegs sind)