Wertefundamentalismus - Wertebegründung - Werterelativismus

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 10:12

Sisyphos hat geschrieben:Ich habe den Begriff Relativismus hier auch zunächst falsch verstanden, ihn nämlich mit Beliebigkeit/Gleichgültigkeit assoziiert, was ich ablehnte. Der Werterelativismus, wie er sich hier für mich herauskristallisiert hat, ist eine Bezeichnung dafür, dass Werte aufgrund von unterschiedlichen bzw. sich in weiten Teilen auch überschneidenden Bedürfnissen ausgehandelt werden.
Meine Gedanken darüber, dass sich Ethiken räumlich differenziert experimentell in der Praxis des Zusammenlebens entwickeln, dass Ethik also evolutionär gedacht werden kann, wurden damit eigentlich sogar bestärkt.

Werterelativismus bestreitet nur die Allgemeingültigkeit einiger (schwache Form) oder aller (starke Form) Werte. (Aus: Otfried Höffe, Hrsg.: Lexikon der Ethik) Oder anders, wie ich es hier seit Tagen predige: Werte sind immer nur Werte auf ein Subjekt (oder auch mehrere, natürlich) bezogen. Wir Bayern haben dafür ein Sprichwort: Katz mod Meis, i ned. Niederdeutsch: Die Katze mag Mäuse, ich nicht.
Ich meine, das zeigt ja auch überwältigend die Praxis: die Inder haben andere Werte als die Schotten. Wer "REcht" hat kann man wiederum nur aus subjektiver Sicht entscheiden: Ich als Bayer stimme einem Teil der indischen Werte zu und einem anderen Teil der schottischen und habe noch selbst welche, die ich als richtig erachte. Davon unbenommen bleibt natürlich, dass es (aus meiner Sicht!!) erstrebenswert ist, sich auf gemeinesame Werte zu einige. Diese Basis kann aber nicht durch Hinweis auf Sachverhalte in der Natur (Z.B.: Das Rind hat saftiges Fleisch, also ist es wertvoll es zu verspeisen) begründet werden.
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon Sisyphos » Sa 5. Mai 2007, 10:18

"... Werte existieren vielmehr nur dort, wo es Organismen gibt, die bestimmte Dinge, Zustände oder Prozesse bewerten, weil diese für sie selbst zuträglich (gut) oder abträglich (schlecht) sind. Was immer also wertvoll (oder wertlos) ist, ist es nur in Bezug aus bestimmte Organismen, die sich in bestimmten Zuständen befinden." (S. 173)


Ich habe Bunge / Mahner noch nicht gelesen, stimme aber zu. Werte kommen in der Natur nicht vor, genauso wenig, wie sie gottgegeben sind. Sie werden von uns generiert. Ich füge hinzu, indem ich meine Argumentation (s.o.) hier integriere, dass wir einen Teil der von uns als wertvoll erachteten Dinge, Zustände oder Prozesse deshalb als wertvoll erachten, weil wir aufgrund unserer menschlichen Natur bestimmte Präferenzen haben, viele davon sogar intersubjektiv teilen. Das ist die Grundlage für gemeinsame - nicht universell gültige, aber doch intersubjektiv ausgehandelte und akzeptierte - Ethiken. Hieran schließt sich der Gedanke des Experimentierens mit verschiedenen Wertesystemen in verschieden Gruppen an; auch der Gedanke des Austauschs zwischen diesen Gruppen und der evolutionären Weiterentwicklung von Wertesystemen. Aus der Beobachtung lässt sich schlussfolgern, dass mehrere Ethiken nebeneinander existieren und es somit einen Wertepluralismus gibt: Werte sind demnach relativ und nicht absolut. Damit treffe ich keine Aussage über die Qualität der gegenwärtig existierenden Wertesysteme, lasse also bei dieser Betrachtung außen vor, dass ich selbst eines präferiere und somit seinen Anspruch auf Universalität zu verteidigen geneigt bin.

:mg:
Sisyphos
 
Beiträge: 692
Registriert: So 4. Mär 2007, 09:50

Beitragvon ostfriese » Sa 5. Mai 2007, 10:42

gavagai hat geschrieben:Nun, da habe ich bei dir einen anderen Eindruck. Wer behauptet, die Phlogiston-Theorie sei noch nicht widerlegt, steht in krassem Widerspruch zur Wissenschaft und ihren Methoden.

Dass Du darauf herum reitest, ändert nichts daran, dass Du hier im Irrtum bist. Endgültig widerlegt kann eine Theorie nicht sein, die überwältigenden Argumente, die gegen die Phlogiston-Theorie sprechen, müssen uns genügen. Und sie genügen auch jedem halbwegs intakten Gehirn, das nicht völlig auf Kravall gebürstet ist.

Der pankritische Rationalismus ist eine wissenschaftstheoretische Konsequenz aus der Tatsache, dass die Falsifizierbarkeits-Forderung aus Poppers kritischem Rationalismus streng genommen nicht haltbar ist. Näheres bei Vollmer.

In den anderen Punkten sind wir ja, auch wenn Du da Widersprüche zu konstruieren versuchst, einig. Du kannst also schreiben: nach Bunge, Mahner, gavagai, Sisyphos, Autor, ostfriese ... :up:
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Off-Topic

Beitragvon Klaus » Sa 5. Mai 2007, 11:12

Die Auseinandesetzung zwischen ostfriese und mir, in diesem Thread, sind beigelegt. Ich hoffe zur Zufriedenheit aller.
Benutzeravatar
Klaus
 
Beiträge: 4704
Registriert: Mo 11. Sep 2006, 21:43
Wohnort: get off the Net, I´ll meet you in the Streets

Beitragvon ostfriese » Sa 5. Mai 2007, 11:16

Möchte mich bei Klaus ganz offiziell bedanken, dass wir so schnell zu einer Versöhnung finden konnten. Ich hätte das gleich über PN mit ihm regeln und hier keine schmutzige Wäsche waschen sollen. Nun bin ich erleichtert, dass alles wieder seinen gewohnten Gang gehen kann!
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Beitragvon Andreas Müller » Sa 5. Mai 2007, 11:58

Die Auseinandesetzung zwischen ostfriese und mir, in diesem Thread, sind beigel


:2thumbs:

Niederdeutsch: Die Katze mag Mäuse, ich nicht.


Das ist Standarddeutsch! Niederdeutsch ist Plattdeutsch! Da dreht sich ja mein Magen um.

nicht solch idealistischen Metaphysiken nach (wie anscheinend ein paar Mitdiskutanten hier)


Ja, offensichtlich... Wenn du ein Problem hast, dann formuliere es klar und begründe es auch. Ich habe klar gesagt, warum man meiner Ansicht nach eine für alle Menschen hinreichend begründbare universelle Ethik aus ihren gemeinsamen Bedürfnissen, basierend auf ihrer gemeinsamen Natur, ableiten kann. Deine spitzfinden Plattitüden ändern daran gar nichts.
Andreas Müller
 
Beiträge: 2671
Registriert: So 10. Sep 2006, 23:17

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 12:22

Servus Sisyphos,
im Großen und Ganzen stimme ich deinen Ausführungen zu.
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 12:24

Der Autor hat geschrieben:Wenn du ein Problem hast, dann formuliere es klar und begründe es auch.
Meinst du mich?
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon Andreas Müller » Sa 5. Mai 2007, 13:15

Meinst du mich?


Ja, wen denn sonst? Solche wagen Andeutungen ("Ein paar Mitdiskutanten") kann ich nicht haben.
Andreas Müller
 
Beiträge: 2671
Registriert: So 10. Sep 2006, 23:17

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 13:52

Der Autor hat geschrieben:Ja, wen denn sonst?

Da du weder zitiertest noch einen Namen nanntest, blieb deine Bemerkung extrem vage und es hätte jeder der Mitdiskutanten gemeint sein können.
Der Autor hat geschrieben: Solche wagen Andeutungen ("Ein paar Mitdiskutanten") kann ich nicht haben.
Ok, dann liste ich dir alle Mitdiskutanten (ausser dir und mir) auf: Nox, Kurt, [C]Arrowman, Sisyphos, HFRudolph, Klaus, ostfriese, musikdusche, Max. Alle diese 9 Leute hätten (ausser mir) in deinem Wenn du ein Problem hast, gemeint sein können.

Jetzt zur Sache: dein Beitrag zu meiner Ausgangsthese hier im Thread
Es gibt keine Tatsachen in der Welt, die ethische Urteile wahr machen. Oder anders: Wertvorstellungen lassen sich nicht aus der Natur her begründen. (Naturalistischer Fehlschluss droht!)
ist mir offensichtlich entgangen.
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon ostfriese » Sa 5. Mai 2007, 14:27

gavagai hat geschrieben:Es gibt keine Tatsachen in der Welt, die ethische Urteile wahr machen.

Moralische Urteile können sowieso nicht "wahr" sein, sie können allenfalls gelten.


Nochmal zur Falsifikation. Ein ungelöstes Problem der Wissenschaftstheorie ist die Frage, was man unter der "Wahrheit" synthetischer Urteile überhaupt verstehen will. Woran könnten wir erkennen, dass wir eine gefunden haben (und sei es nur die Wahrheit der Behauptung, dass eine andere Aussage falsch ist)? Ein vermeintlicher Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Wirklichkeitsbeschreibung ist immer nur ein Widerspruch zwischen zwei Aussagen über die Wirklichkeit!

Gibt es Phlogiston? Nein. Gibt es Kräfte? Nein, wenn man darunter das Newtonsche Konzept versteht. Heute spricht man von Wechselwirkungen -- ohne zu wissen, was man damit eigentlich meint. Niemand hat je ein Feld, eine elektromagnetische Welle oder ein Elementarteilchen gesehen. Dies alles sind Modelle, die sich zur Naturbeschreibung bewährt haben. Wobei wieder zu diskutieren wäre, was man unter "bewährt" eigentlich verstehen will. Die Physik weiß streng genommen nicht mal, was ein Experiment, eine Messung ist. Die Quantentheorie hat weit mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Wir wissen zwar aus der Evolutionären Erkenntnistheorie, warum unsere Anschauung beim Verständnis der modernen Physik so kläglich versagt, allein: Das hilft uns nicht...

PS.: Ein Kollege hat mich neulich darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns auch des Verständnisses mathematischer Begriffe nicht sicher sein können. Die paradoxen Implikationen des Satzes von Banach-Tarski deuten darauf hin, dass unsere Vorstellung von "Raum" irgendwie problematisch ist. Aber wir vermögen nicht zu "begreifen", in welcher Hinsicht...
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 15:29

ostfriese hat geschrieben:Nochmal zur Falsifikation. Ein ungelöstes Problem der Wissenschaftstheorie ist die Frage, was man unter der "Wahrheit" synthetischer Urteile überhaupt verstehen will.
Es gibt verschiedene Wahrheitstheorien. Siehe dazu meinen Artikel "Was ist Wahrheit?"- Überblick zu aktuellen Wahrheitstheorien http://www.gavagai.de/themen/HHP68.htm Für viele Wissenschaftler ist dieses proble (so oder anders) gelöst.
ostfriese hat geschrieben:Woran könnten wir erkennen, dass wir eine gefunden haben (und sei es nur die Wahrheit der Behauptung, dass eine andere Aussage falsch ist)?

Da halte ich es mit Popper (und einer Korrespondenztheorie der Wahrheit): alles Wissen ist Vermutungswissen. Aber das muss man nicht ständig dazusagen. Darauf reiten normalerweise nur Leute herum, die von einem Gewissheitsanspruch ausgehen, die dem gesprächspartner klarmachen wollen, dass sie Popper gelesen haben. Ich dagegen weiß (jetzt immer nur mit gedachtem Index: Vermutungswissen im Sinne Poppers): "München liegt an der Isar". (Da gestehe ich dir zu: vielleicht wurde die Isar heute Vormittag umgeleitet und fließt in die Mangfall. Aber diesen letzten Gewissheitsanspruch kann man getrost vernachlässigen; ich vernachlässige ihn). Ich weiß auch (ich habe es falsifiziert): "München liegt nicht am Inn" (mit gedachtem Index: Vermutungswissen im Sinne Poppers).
ostfriese hat geschrieben: Ein vermeintlicher Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Wirklichkeitsbeschreibung ist immer nur ein Widerspruch zwischen zwei Aussagen über die Wirklichkeit!
Nein. Die Wirklichkeit ist keine Aussage.
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon Kival » Sa 5. Mai 2007, 15:53

@Ostfriese

Kennst du zufällig Lakatos? Ich wollte mich demnächst mit ihm beschäftigen, er äußert wohl ähnliches, das die Falsifikation immer nur eine Theorie durch eine andere Theorie und nie durch "reine Erfahrung" falsifziert wird.
Benutzeravatar
Kival
 
Beiträge: 575
Registriert: Di 6. Feb 2007, 22:16
Wohnort: Hamburg

Beitragvon Andreas Müller » Sa 5. Mai 2007, 16:03

hätte jeder der Mitdiskutanten gemeint sein können.


Dann wirfst du den Vorwurf, wir hätten eine idealistische Philosophie also mal eben jedem an den Kopf?

ist mir offensichtlich entgangen


So ist es. Der steht in dem Thread, der dann aber geschlossen wurde, weil sich die Diskussion zu weit vom Thema des Threads verschoben hat. Finde ich jetzt nicht.

Wertvorstellungen lassen sich nicht aus der Natur her begründen.


Doch. Der naturalistische Fehlschluss droht zwar, muss aber nicht begangen werden. Ich denke, man kann universelle Werte auf Grundlage der gemeinsamen Bedürfnisse der Menschen aufstellen, deren Basis ihre Natur ist. Wir alle müssen essen, wollen nicht gefoltert werden oder willkürlich eingesperrt etc., daraus ergeben sich die Menschenrechte.

Du scheinst das Problem deiner philosophischen Spielereien nicht zu sehen: Wenn du Werte zu sehr relativierst, dann hat der Steiniger genauso Recht wie der Humanist, der Mörder wie der Tierschützer. Wenn die einzige Voraussetzung sein soll, dass Menschen subjektiv etwas als richtig erachten, dann sehe ich schwarz. Für mich haben Leute, die ihre Frauen steinigen nicht Recht, Rassisten haben nicht Recht und Völkermörder auch nicht. Und wenn ich der einzige Mensch auf der Welt wäre, der das so sieht, ich wäre trotzdem im Recht und die anderen nicht. Allermindestens die Opfer von Steinigungen sind schon mal dagegen, ob sie in der Mehrzahl sind ist nicht relevant.

Vielleicht steckt das ja irgendwo in deinen verworrenen Ausführungen drin. Aber warum schreibst du nicht einfach: Ich befürworte die Menschenrechte. Und dann kannst du immer noch erklären, wie das im Detail aussehen soll. Aber erst mal alles relativieren und mit Spitzfindigkeiten anfangen, das ist nicht sinnvoll.
Andreas Müller
 
Beiträge: 2671
Registriert: So 10. Sep 2006, 23:17

Beitragvon ostfriese » Sa 5. Mai 2007, 16:15

Kival, gelesen habe ich Lakatos nicht. Aber es ist ja eigentlich nicht zu bezweifeln. Denn was sollte eine "reine Erfahrung" denn sein? Erst, wenn sie uns bewusst wird, wenn wir sie gedanklich erfassen und sprachlich kodieren können, bekommt sie für uns eine intersubjektiv mitteilbare Bedeutung. Und in genau diesem Moment wird die Erfahrung zur Aussage, die Wirklichkeit zur Wirklichkeitsbeschreibung. Wäre es so trivial, wie gavagai unterstellt, hätte es den Positivismus wohl nie gegeben... (by the way: Ich bin kein Positivist.)

In meinen Augen ist für die Frage, was wir unter Wahrheit verstehen könnten, durchaus bedeutsam, was die Hirnforschung in den kommenden Jahren aufdecken wird über die neuronale Verarbeitung von Reizen. Denn sie steht letztlich für jene Korrespondenz zwischen Realität und Beschreibung, die wir nicht naiv voraussetzen können. Die EE erklärt nur, warum unsere Rekonstruktion der Welt keine völlig unzutreffende sein kann, aber nicht, was "zutreffend" in diesem Zusammenhang eigentlich bedeuten soll.

Ja, ich weiß, es hat was Zirkuläres. Aber das ist, wenn das Bewusstsein über sich selbst redet, ja nicht zu vermeiden...
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 17:08

Der Autor hat geschrieben:Dann wirfst du den Vorwurf, wir hätten eine idealistische Philosophie also mal eben jedem an den Kopf?
Es geht um eine Behauptung von dir. Und es geht um diese Behauptung von dir Wenn du ein Problem hast, dann formuliere es klar und begründe es auch. (ich habe sie zitiert. Aber da du gegen Zitieren bist, hast du es wohl nicht gelesen).
Der Autor hat geschrieben:
ist mir offensichtlich entgangen

So ist es. Der steht in dem Thread, der dann aber geschlossen wurde, weil sich die Diskussion zu weit vom Thema des Threads verschoben hat. Finde ich jetzt nicht.
Dann ist es mir nicht entgangen. Doch ich diskutiere grundsätzlich nicht quer über die Threads.
Der Autor hat geschrieben:
Wertvorstellungen lassen sich nicht aus der Natur her begründen.

Doch. Der naturalistische Fehlschluss droht zwar, muss aber nicht begangen werden

a) ich meine natürlich mit meiner Aussage: Wertvorstellungen lassen sich schlüssig nicht aus der Natur her begründen. Das sollte eigentlich klar sein, wenn ich verkürzt schreibe: Wertvorstellungen lassen sich nicht aus der Natur her begründen.
b) Wenn der naturalistische Fehlschluss nicht begangen wird, dann hat man Wertvorstellungen nicht aus der Natur her begründet.
Denn es ist gerade der naturalistische Fehlschluss, wenn Wertvorstellungen aus der Natur her begründet werden.
Der Autor hat geschrieben: Ich denke, man kann universelle Werte auf Grundlage der gemeinsamen Bedürfnisse der Menschen aufstellen, deren Basis ihre Natur ist. Wir alle müssen essen, wollen nicht gefoltert werden oder willkürlich eingesperrt etc., daraus ergeben sich die Menschenrechte.
Man kann aufstellen. Aber nicht begründen.
1) Man muss nicht essen. Man muss nur essen, wenn man weiterleben will. Damit hat man schon die Wertung durch einen Organismus (derjenige, der weiterleben will) in den Prämissen.
2) Selbst wenn viele oder gar alle Lebewesen nicht gefoltert werden wollen, heisst das noch lange nicht, dass Foltern schlecht ist.
Der Autor hat geschrieben: Du scheinst das Problem deiner philosophischen Spielereien nicht zu sehen

Es ist nicht meine philosophische Spielerei. Zumindest schon David Hume wies darauf hin. Ich zitierte ausführlich Bunge/Mahner. Und könnte noch Tausend andere zitieren. Es ist eigentlich ein Allgemeinplatz. Gerade deshalb tue ich mich so leicht, die Begründung des SOLL aus dem IST abzulehnen.
Der Autor hat geschrieben:Wenn du Werte zu sehr relativierst, dann hat der Steiniger genauso Recht wie der Humanist
Nein.
Das Rechthaben ist ja wieder eine Wertung. Und "Werte existieren ... nur dort, wo es Organismen gibt, die ... bewerten ..." (Bunge, Mahner: Über die Natur der Dinge. Stuttgart 2004. S. 173)
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 19:08

Kival hat geschrieben:@Ostfriese
Kennst du zufällig Lakatos? Ich wollte mich demnächst mit ihm beschäftigen, er äußert wohl ähnliches, das die Falsifikation immer nur eine Theorie durch eine andere Theorie und nie durch "reine Erfahrung" falsifziert wird.
Bravo. Damit ist auch Imre Lakatos auf meiner Seite: er hält es für möglich (und es passiert ja auch ständig), dass Theorien falsifiziert werden. Durch was, ist ja zunächst nebensächlich. Lakatos war Schüler Poppers und wandte sich hauptsächlich gegen Thomas Kuhn und seinem überspitzt formulierten Paradigmenwechsel.
Beide ergänzen und verfeinern Poppers Falsifikationismus (Kuhn sieht es wahrscheinlich nicht so; es läuft aber darauf hinaus).
Einig sind sich alle: Das Auftreten von Widersprüchen zwischen einer Theorie und der Empirie erfordert eine Korrektur. Klar, wird man eine etablierte Theorie nicht gleich verwerfen, wenn jemand aus Korea einen Widerspruch im Geheimlabor festgestellt hat. Klar auch: man wird durch Zusatzhypothesen die alte Theorie zu retten versuchen. Und man wird die widerlegte Theorie erst dann ersetzen (und das ist jetzt Lakatos), wenn man die alte durch eine neue Theorie ersetzen kann. Die neue Theorie muß (im Regelfall) die Erfolge der alten erklären (sie soll ja kein Rückschritt sein) und die Mißerfolge der Vorgängertheorie beseitigen.
Zum Nachlesen in Lakatos: "Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme". In: Imre Lakatos & Alan Musgrave, Hg: Criticism and the Growth of Knowledge, London 1970, deutsch: Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig 1974
Wie du, Kival, aber richtig bemerkst, war auch Lakatos davon überzeugt, dass man Theorien falsifizieren kann. Er vertrat einen (gegenüber Popper) modifizierten Falsifikationismus. Ja (und das scheint mir ein weiteres Argument, gegen ostfrieses These, man könne Theorien nicht falsifizieren), gute wissenschaftliche Theorien müssen falsifizierbar sein. Wenn also die Theorien, die Ostfriese im Auge hat, nicht falsifizierbar sind, dann sind es eben schlechte Theorien (schlecht in Bezug auf wissenschaftlichen Standard). Sehr viele religiöse "Theorien" sind von dieser Art. Man kann nicht falsifizieren (und zwar prinzipiell nicht), dass ein oder mehrere Götter das Universum erschaffen haben. Das ist deshalb keine würdige wissenschaftliche These.
Ich habe weder den genannten Artikel noch das entsprechende Buch, aber wenn es dir wichtig ist, kann ich einscannen: Imre Lakatos: "Science and Pseudosience".
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon gavagai » Sa 5. Mai 2007, 19:19

Halt Kival,
ich suchte nur nach dem deutschen Lakatos Aufsatz. Den fand ich nicht. Hier ist er in Englisch (sicher auch noch auf anderen URLs):
Imre Lakatos: "Falsification and the Methodology of Scientific Research Programmes"
http://www.philosophy.ru/edu/ref/sci/lakatos.html
Interessant auch das (und IMO sogar prägnanter): Imre Lakatos: "Science as Successful Prediction"
http://www.stephenjaygould.org/ctrl/lakatos_prediction.html
Da erläutert er sein Konzept des "sophisticated falsificationism" gegenüber dem "naive falsificationism". Aber: da beißte die Maus keinen Faden ab: er vertritt ebenfalls einen Falsifikationismus.
gavagai
 
Beiträge: 344
Registriert: So 29. Okt 2006, 21:17
Wohnort: Wasserburg am Inn

Beitragvon Andreas Müller » Sa 5. Mai 2007, 19:51

Man muss nicht essen. Man muss nur essen, wenn man weiterleben will.


Das ist genau der Satz, den ich erwartet habe. Wahrscheinlich sagst du als Nächstes, dass es ja auch Leute gibt, die nicht weiterleben wollen und man die Regel deshalb nicht verallgemeinern kann. Noch immer hast du dich nicht klar geäußert: Bist du für die Menschenrechte oder nicht?

Selbst wenn viele oder gar alle Lebewesen nicht gefoltert werden wollen, heisst das noch lange nicht, dass Foltern schlecht ist.


Doch. Genau da liegt der Sinn von Wertungen, um solche Fälle zu bewerten. Klar bewerten das Menschen, nämlich aufgrund ihrer Natur. Kulturübergreifend bewerten Menschen Foltern als schlecht, mindestens in dem Sinne, dass sie selbst nicht gefoltert werden möchten. Und warum? Weil Überleben und Vermeiden von Schmerzen Hauptantriebe jedes Lebewesen sind. Das liegt in ihrer Natur, so funktioniert die Evolution. Warum soll ich das also nicht aus der Natur ableiten?

Werte existieren ... nur dort, wo es Organismen gibt, die ... bewerten ..."


Na und? Solche Dinge sind derart selbstverständlich, dass man sie gar nicht erwähnen muss.
Das hakt man ab und dann fängt man an, was Sinnvolles mit seiner Zeit anzufangen.
Andreas Müller
 
Beiträge: 2671
Registriert: So 10. Sep 2006, 23:17

Beitragvon ostfriese » Sa 5. Mai 2007, 20:36

gavagai, wenn Lakatos einen Falsifikationismus im Popperschen Sinne (verfeinert oder nicht) vertritt, dann ist er diesbezüglich überholt.

Ich habe auch nicht Lakatos allgemein zugestimmt (wie könnte ich, ohne ihn gelesen zu haben), sondern nur seiner von Kival umrissenen These, dass wissenschaftliche Hypothesen nicht durch die Erfahrung widerlegt werden, sondern sich allenfalls im Widerspruch zu anderen Aussagen über die Wirklichkeit befinden. Und diese Auffassung von Lakatos unterstützt meine Behauptung und widerspricht Deiner. Aber ich kann mir vorstellen, dass Du den Kern seiner Aussage lieber überlesen möchtest und Dich stattdessen am Wörtchen "widerlegt" aufhängst. Hilft Dir aber nicht... =)
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste

cron