Fragen zum Kategorischen Imperativ

Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Fr 30. Sep 2011, 19:19

Das ist intuitiv natürlich völlig einleuchtend, aber eben in der Goldenen Regel so nicht explizit enthalten.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Fr 30. Sep 2011, 20:13

Nanna hat geschrieben:Das ist intuitiv natürlich völlig einleuchtend, aber eben in der Goldenen Regel so nicht explizit enthalten.


Der Grundgedanke kann auch folgendermaßen zum Ausdruck gebracht werden:

1. Wenn sich die Person P in der Situation S befindet, dann soll man ihr gegenüber das Verhalten V an den Tag legen.
2. Wenn ich mich in der Situation S befände, dann sollte man mir gegenüber nicht das Verhalten V an den Tag legen.

Ein rationaler moralischer Akteur muss 2 verneinen, wenn er 1 bejaht:

2*. Wenn ich mich in der Situation S befände, dann sollte man auch mir gegenüber das Verhalten V an den Tag legen.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Fr 30. Sep 2011, 20:21

Myron hat geschrieben:1. Wenn sich die Person P in der Situation S befindet, dann soll man ihr gegenüber das Verhalten V an den Tag legen.
2. Wenn ich mich in der Situation S befände, dann sollte man mir gegenüber nicht das Verhalten V an den Tag legen.


Beispiel:

1. Wenn jemand ein Jude ist, dann soll man ihn vergasen.
2. Wenn ich ein Jude wäre, dann sollte man mich nicht vergasen.

Ein Nazi, der so argumentiert, verhält sich moralisch unvernünftig und widersprüchlich. Und ein Nazi, der 1 bejaht und 2 verneint, ist verrückt und kein ernst zu nehmender ethischer Diskussionspartner, denn nur Verrückte würden sich wünschen, wegen ihrer Volkszugehörigkeit vergast zu werden.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Gernot Back » Sa 1. Okt 2011, 09:57

Myron hat geschrieben:1. Wenn jemand ein Jude ist, dann soll man ihn vergasen.
2. Wenn ich ein Jude wäre, dann sollte man mich nicht vergasen.

Ein Nazi, der so argumentiert, verhält sich moralisch unvernünftig und widersprüchlich. Und ein Nazi, der 1 bejaht und 2 verneint, ist verrückt und kein ernst zu nehmender ethischer Diskussionspartner, denn nur Verrückte würden sich wünschen, wegen ihrer Volkszugehörigkeit vergast zu werden.

Ein Nazi argumentiert aber nicht so, sondern er wird im Zweifel in Bezug auf einen Juden, in dem er kein ebenbürtiges Wesen sieht, so argumentieren wie ich in Bezug auf ein lästiges Insekt:

Ich selbst möchte nicht erschlagen werden; dennoch habe ich keine Skrupel, dies mit einer lästigen Fliege zu tun und ich habe noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei!

  1. Wenn jemand eine Fliege ist und einen Menschen ständig belästigt, dann sollte ihn der belästigte Mensch erschlagen dürfen.
  2. Wenn ich eine Fliege wäre und einen Menschen ständig belästigte, dann sollte mich dieser nicht erschlagen dürfen. Vielmehr sollte er Toleranz gegenüber den mir angeborenen Verhaltensweisen als Fliege üben.

Auch aus diesem Dilemma hilft Kants Kategorischer Imperativ kein bisschen mehr als die so genannte "Goldene Regel"; sein einziger Vorteil ist, dass er die gleiche Hilflosigkeit an dieser Stelle mit mehr Wortgeklingel kaschiert.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Sa 1. Okt 2011, 10:16

Man kann sowohl Kants Kategorischen Imperativ als auch die Goldene Regel nach Belieben aushebeln, indem man Andere einfach assertorisch als Nicht-Menschen, d.h. Nicht-Beteiligte definiert und sie damit vom Spiel ausschließt. Das ist aber gegen die Spielregeln, denn das Erklären zum Nichtmenschen verbietet sich sowohl dem Kategorischen Imperativ wie der Goldenen Regel folgend. Natürlich würde der Nazi so argumentieren, wie du sagst, aber das ist dann keine valide Position, und um nichts anderes geht es hier. Kein moralisches Gebot der Welt kann aus sich heraus irgendjemanden hindern, etwas zu tun oder zu denken, wenn er dieses Gebot und seine Spielregeln nicht anerkannt hat. Das ist aber für unsere Diskussion irrelevant. Man würde ja auch nicht mit jemandem Fußball spielen oder über Fußballregeln diskutieren, der bei der ersten Gelegenheit den Ball mit der Hand ins Tor trägt.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Gernot Back » Sa 1. Okt 2011, 12:03

Hallo Nanna!

Nanna hat geschrieben:Man kann sowohl Kants Kategorischen Imperativ als auch die Goldene Regel nach Belieben aushebeln, indem man Andere einfach assertorisch als Nicht-Menschen, d.h. Nicht-Beteiligte definiert und sie damit vom Spiel ausschließt.

Also ich finde die Verleihung des Ethik-Preise der Giordano-Bruno-Stiftung an Peter Singer durchaus berechtigt, obwohl er sich für Nicht-Menschen einsetzt . Wie siehst du das?

Gruß Gernot
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 1. Okt 2011, 12:12

Myron hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:- die goldene Regel gilt nur für Unterlassungen

Das stimmt nicht: Wenn du willst, dass dir in der Situation S jemand hilft, dann hilf auch du jemandem, der sich in der Situation S befindet!

Ja, ich habe die negative Fassung gemeint: „Was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu".

Die positive Fassung: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ gilt auch für Handlungen, stimmt.

Nur:

- was mir gefällt und was ich möchte, das der andere mit mir tut, muss noch lange nicht dem anderen gefallen, kann ihm sogar sehr missfallen, obgleich die Regel es mir erlaubt, das ihm zuzufügen: „Behandle andere nicht, wie du möchtest, dass sie dich behandeln. Ihr Geschmack könnte nicht derselbe sein.“
- diese Regel verbietet es, anderen zu schaden, egal, was die tun, das bedeutet: man darf sich nicht wehren

Was für den KI meiner Ansicht nach nicht gilt.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Sa 1. Okt 2011, 13:26

Gernot Back hat geschrieben:Hallo Nanna!

Nanna hat geschrieben:Man kann sowohl Kants Kategorischen Imperativ als auch die Goldene Regel nach Belieben aushebeln, indem man Andere einfach assertorisch als Nicht-Menschen, d.h. Nicht-Beteiligte definiert und sie damit vom Spiel ausschließt.

Also ich finde die Verleihung des Ethik-Preise der Giordano-Bruno-Stiftung an Peter Singer durchaus berechtigt, obwohl er sich für Nicht-Menschen einsetzt . Wie siehst du das?

Die Goldene Regel ist zuallererst mal für den Gebrauch im zwischenmenschlichen Bereich bestimmt. Wenn man die Goldene Regel auf das Zusammenleben von Menschen und Kakerlaken anwendet, befindet man sich schon jenseits des Randes der Aussagekraft, weil die Kakerlake diese und andere Regeln des Zusammenlebens nicht versteht und das Fernhalten der Kakerlake aus dem eigenen Wohnbereich oder vom eigenen Essen (je nach Kakerlalkendichte des geografischen Gebiets) häufig die Tötung derselben bedeutet. Dabei will man nach der Goldenen Regel sicher nicht, dass man umgebracht wird, nur weil man unwissentlich anderer Leute Speisen gegessen hat. Eine derartige Ausdehnung der Regel ist wie Newton auf relativistische Rechnungen anzuwenden: es hat noch entfernt irgendwas mit dem Thema zu tun, sinnvolle Ergebnisse kommen aber nicht mehr raus.

Um jetzt nochmal festzustellen, worum es eigentlich ging, bevor du diese Peter-Singer-Nebelkerze gezündet hast: Während Mensch und Kakerlake nach so ziemlich allen objektiv formulierbaren Kriterien tatsächlich nicht gleich sind (genetisch, sozial, von der kognitiven Leistung, dem Bewusstseinsunterschied und der gesamten Lebensweise her), sind Juden, Nazis und sonstig oberflächlich klassifizierte Menschen im allerweitesten Sinne gleich und im ethischen Sinne definitiv als gleichberechtigt zu betrachten (im Mindesten mangels guter Gegenargumente). Wenn jetzt jemand, z.B. "der Nazi", ankommt und "dem Juden" abspricht, von der Goldenen Regel erfasst zu werden, dann ist das eine Verletzung der Goldenen Regel, weil er eine Falschbehauptung über jemanden aufstellt ("Der Jude ist kein Mensch" => nicht annähernd belegbar, sehr gut widerlegbar) und schon damit die Goldene Regel verletzt.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Gernot Back » Sa 1. Okt 2011, 14:05

Hallo Nanna!

Nanna hat geschrieben:
Gernot Back hat geschrieben:
Um jetzt nochmal festzustellen, worum es eigentlich ging, bevor du diese Peter-Singer-Nebelkerze gezündet hast:

Wie kommst du darauf, meinen berechtigten Einwand als "Nebelkerze" zu diffamieren?

Ich bin z.B. wie Singer dagegen, einen gesunden nicht-menschlichen Primaten als Organspender für einen geistig behinderten Menschen zu missbrauchen, zumal wenn Letzterer über weniger Ich-Bewusstsein verfügt als Ersterer. Da wäre es eher legitim, einen geistig behinderten Menschen ohne Ich-Bewusstsein ungefragt als Organspender für den nicht-menschlichen Primaten mit Ich-Bewusssein zu verwenden! Wie verhältst du dich dazu? Wer ist im humanistischen Sinne eigentlich ein "Jemand" und wer nicht? Kann man das allein an der Zugehörigkeit zu der Spezies Homo festmachen, wenn ja, wie begründest du das dann?

Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen (wem oder was eigentlich?) zu!

Gruß Gernot
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Sa 1. Okt 2011, 15:49

Gernot Back hat geschrieben:Wie kommst du darauf, meinen berechtigten Einwand als "Nebelkerze" zu diffamieren?

Du hast angefangen, das Werk eines großen Denkers ohne große Begründungen als "Wortgeklingel" und "aufgedunsenes Geschwafel" zu "diffamieren". Der Umgangston war deine Wahl, jetzt beschwer dich nicht, wenn ich Tit for tat mit dir spiele.

Singers Tierethik ist aus der Goldenen Regel nicht ableitbar und ich mag keine unpräzisen Argumentationen, wo alles irgendwie zu einer Einheitssoße verwaschen wird, das habe ich dir in diversen Islamdiskussionen schon klarzumachen versucht. Ich bin nicht für die Rechtfertigung unethischer Handlungen, wir haben, was unsere prinzipielle Haltung zu diesen Dingen angeht, vom Ergebnis her wahrscheinlich sehr nahe Standpunkte. Das muss aber trotzdem - aus Prinzip! - argumentatorisch sauber dargelegt werden und da kann ich es einfach nicht verstehen, dass du unsere beiden moralischen Großregeln hier so jovial über's Knie brichst.

Gernot Back hat geschrieben:Ich bin z.B. wie Singer dagegen, einen gesunden nicht-menschlichen Primaten als Organspender für einen geistig behinderten Menschen zu missbrauchen, zumal wenn Letzterer über weniger Ich-Bewusstsein verfügt als Ersterer. Da wäre es eher legitim, einen geistig behinderten Menschen ohne Ich-Bewusstsein ungefragt als Organspender für den nicht-menschlichen Primaten mit Ich-Bewusssein zu verwenden! Wie verhältst du dich dazu?

Ich lehne das genauso ab, und zwar wegen der prinzipiellen Ähnlichkeit des Behinderten zum Gesunden. Auch der Behinderte gehört zur Spezies Mensch und innerhalb dieser Spezies gelten die Menschenrechte, die ich aus einem der Goldenen Regel relativ nahestehenden, in erster Linie aber funktionialistischen Begründungsschema heraus ablehne (z.T. von Rawls inspiriert). Es geht mir aber weniger um den Behinderten (vorausgesetzt, er hat so wenig Hirn übrig, dass er nicht über die Gefühlswelt einer Ameise hinauskommt), sondern um den an sich barbarischen Akt, einen anderen Menschen derart zu behandeln, weil dies meiner Meinung nach der menschlichen Zivilisation als Ganzes schadet.

Das alles lässt sich aber nicht aus einer im logischen Sinne strengen Auffassung der Goldenen Regel ableiten, sondern Bedarf im Mindesten der Erweiterung, die Myron erklärt hat, wo der Gewalthabende ("Mächtige" oder, wie Hegel sagen würde, "Herr") sich aus Einsicht in die Rolle des Untergebenen ("Ohnmächtiger", "Knecht") hineinversetzt und sich überlegt, welche Behandlung er theoretisch als Erleidender akzeptieren würde. Nur darum ging es mir, Alarmismus ist nicht nötig. In erster Linie sehe ich das hier als eher akademische Debatte, wo es darum geht, welche philosophischen Positionen valide sind. Du denkst mir gerade zu sehr vom Ende her.

Gernot Back hat geschrieben:Wer ist im humanistischen Sinne eigentlich ein "Jemand" und wer nicht? Kann man das allein an der Zugehörigkeit zu der Spezies Homo festmachen, wenn ja, wie begründest du das dann?

Das ist eine rein definitorische Frage, die davon abhängt, für welchen Zweck man den "Jemand" definiert. Ich bin nicht überzeugt, dass eine Ameise sich für denselben Status wie ein Mensch qualifiziert, weil sie nicht vernunftbegabt ist. Ich gestehe ihr trotzdem ein Recht auf Leben zu, allerdings mit im Vergleich zum Menschen deutlich abgespeckterem Umfang. Wenn sie in meine Wohnung läuft und ihre Kumpel mitbringt, werde ich jedenfalls nicht freundlich bitten, dass sie doch wieder gehen soll, sondern das ganze etwas rabiater lösen.
Ein Mensch ist immer ein Jemand mit vollen Menschenrechten, alle anderen Lebewesen ordne ich auf einer davon abfallenden Leiter ein, die sich nach Kriterien richten würde, die ich selber noch nicht näher definiert habe, aber Bewusstsein, Intelligenz, Schmerzempfinden, auch Bedeutung für das Ökosystem oder Bildung einer höheren Ordnung (Ameisenstaat als Ganzes) gehören schonmal dazu.

Gernot Back hat geschrieben:Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen (wem oder was eigentlich?) zu!

Du führst ja gerade selber an, dass die Regel nicht derart eindeutig ist, wie sie auf den ersten Blick vielleicht klingt, sondern Zusatzannahmen braucht. Das ist auch das Wesentliche, was ich aussagen wollte.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Sa 1. Okt 2011, 16:35

Gernot Back hat geschrieben:Ein Nazi argumentiert aber nicht so, sondern er wird im Zweifel in Bezug auf einen Juden, in dem er kein ebenbürtiges Wesen sieht, so argumentieren wie ich in Bezug auf ein lästiges Insekt:
Ich selbst möchte nicht erschlagen werden; dennoch habe ich keine Skrupel, dies mit einer lästigen Fliege zu tun und ich habe noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei!


Dem würde ich erwidern, dass Juden Menschen und keine Fliegen oder "Ratten" sind, und dass der rassistische Überlegenheitswahn der Nazis jeglicher faktischen Grundlage entbehrt.

Gernot Back hat geschrieben:
  1. Wenn jemand eine Fliege ist und einen Menschen ständig belästigt, dann sollte ihn der belästigte Mensch erschlagen dürfen.
  2. Wenn ich eine Fliege wäre und einen Menschen ständig belästigte, dann sollte mich dieser nicht erschlagen dürfen. Vielmehr sollte er Toleranz gegenüber den mir angeborenen Verhaltensweisen als Fliege üben.


Dem würde ich erwidern, dass Belästigungen keinen Mord und erst recht keinen Völkermord rechtfertigen, und dass die Behauptung, die Juden würden die Deutschen "belästigen" oder bedrohen jeglicher faktischen Grundlage entbehrt und eben auf nichts als einem absurd-irrationalen rassistischen Wahn beruht.
Falls ein Nazi darauf antworten sollte, dass er einfach Lust habe, Juden zu quälen und zu töten, und dass es ihm völlig gleichgültig sei, ob er sich dabei amoralisch und irrational verhalte, dann ist das ethische Gespräch natürlich sofort beendet. Mit solchen Leuten gibt es nichts zu diskutieren, denen muss man einfach mit Gegengewalt das böse Handwerk legen.

Und was echte lästige Fliegen anbelangt, so kann man durchaus darüber diskutieren, ob es moralisch legitim ist, sie zu töten (wenn man sie auch auf andere Weise loswerden kann, die sie nicht das Leben kostet).
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Sa 1. Okt 2011, 16:51

Gernot Back hat geschrieben:Wer ist im humanistischen Sinne eigentlich ein "Jemand" und wer nicht? Kann man das allein an der Zugehörigkeit zu der Spezies Homo festmachen, wenn ja, wie begründest du das dann?


Der (psychologische) Begriff der Person ist an sich speziesunabhängig: Jedes Tier, das über Selbstbewusstsein, Verstand und (begriffliches/sprachliches [*) Denkvermögen (mit der Fähigkeit zum vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsgerichteten gedanklichen Selbstbezug) verfügt, ist eine Person.

[* Die Experten streiten darüber, ob nichtwortsprachliches begriffliches Denken möglich ist. Falls nicht, dann spricht das dagegen, Menschenaffen als Personen zu bezeichnen, da sie über keine menschenähnliche Wortsprache verfügen.]
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Sa 1. Okt 2011, 22:58

Ich habe noch einige Zeit über den ollen Kant und seinen Prüfungsvorschlag nachgedacht. Wenn ich recht verstehe, geht es darum, festzustellen ob eine Handlung H moralisch richtig ist. Was macht man also? Man formuliert die Maxime M der Handlung H. Wenn man wollen kann, dass diese Maxime M für alle Gesetz wird, dann ist H moralisch richtig.

Ich halte dieses Verfahren inzwischen für falsch und undurchführbar, aus 3 Gründen:

1) Was mich als erstes verwirrt hat: es wird nicht angegeben, wie man von Handlung H auf die Maxime M kommt. Erklärungsversuche habe ich teilweise von euch geliefert bekommen, aber das scheint mir nicht eindeutig und zwingend. Was soll man von einem Verfahren halten, wo dieser wichtige und entscheidende Punkt nicht ausgeführt ist?

2) Eine Handlung hat in den meisten Fällen viel mehr als eine Maxime. Wenn ich Cola trinke, dann fallen mir sofort 2 ein. Maxime 1 = Selbsterhaltung durch die Bewahrung vorm Verdursten, Maxime 2 = Spaßmaximierung durch die Wahl des wohlschmeckensten Getränkes. Bei Ausführung der Handlung H folge ich also mehrere Maximen M1 bis Mn. Welche soll man zur Prüfung heranziehen und warum diese? Oder ist H nur dann moralisch richtig, wenn alle seine Maximen Gesetz werden könnten?

3) Wieso ist etwas moralisch richtig genau dann wenn es für alle gelten kann? Gegenbeispiel: soweit ich weiß ist untersucht worden, wie wichtig Altruismus für eine menschliche Gesellschaft ist. Ergebnis war, dass es für eine Gesellschaft optimal ist, wenn Altruismus nur bei einem Teil der Gesellschaft ausgeprägt ist. Es kommt also auf die richtige Mischung an. Es wäre gar nicht gut, wenn alle Menschen altruistisch wären, ebenso wie es schlecht wäre, wenn alle Menschen egoistisch wären. Wenn also von Handlung H eine der Maximen der Altruismus ist, dann greift die Kategorisierung offensichtlich nicht. Obwohl die Handlung für sich sicherlich moralisch richtig sein kann, wäre es doch nach obigen Erkenntnissen eben nicht wünschenswert, dass die Maxime Altruismus wirklich für alle gelten würde. Kants Verfahren würde also das falsche Ergebnis "moralisch nicht richtig" liefern.

Jetzt frage ich mich nur, wieso diese Punkte nicht auch in dem Absatz "Rezeption und Kritik" auf Wikipedia (oder Eislers Wörterbuch) auftauchen. Vermutlich liege ich falsch. Aber wo?
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Sa 1. Okt 2011, 23:20

Nanna hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:der Angeklagte könnte vom Richter verlangen, nicht verknackt zu werden, wenn der Richter nicht verknackt werden will

ganimed hat geschrieben:Verstehe ich nicht. Der Richter will doch Gerechtigkeit, also würde er auch wollen, dass er verknackt wird wenn er etwas ausgefressen hat. Ich würde mir also vorstellen, dass der Angeklagte gar kein Argument hat.

Zu viele implizite Annahmen. Woher weißt du, dass der Richter Gerechtigkeit will?

Ich weiß nicht, ob der Richter Gerechtigkeit will. Aber spielen wir beide Fällte mal durch.
Fall 1: Richter will Gerechtigkeit (im Sinne von Justizialer Ordnung): das heißt, dass der Richter es begrüßt, wenn jeder, der eine entsprechende Tat beging, auch verknackt wird (wenn das Gesetz dies vorsieht) sogar er selber (wenn er in dieser Situation wäre).
Fall 2: Richter will keine Gerechtigkeit (im Sinne von Justizialer Ordnung): aller Justiz-Zwänge enthoben, ist der Richter frei, die Entscheidung nach anderen Maximen zu fällen, beispielsweise nach der goldenen Regel. Dann würde er möglicherweise den Täter tatsächlich verschonen, wie dieser verlangt.
Fazit: Der Angeklagte kann eine Freilassung vom Richter mit Hinweis auf die goldene Regel nur verlangen, indem er dem Richter unterstellt, dass dieser auf alle juristischen Regeln pfeift. Ich als Richter würde mir so eine Unterstellung verbitten. Im Normalfall ist die goldene Regel also kein Freilassungs-Argument gegenüber einem Richter.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Sa 1. Okt 2011, 23:38

ganimed hat geschrieben:Fazit: Der Angeklagte kann eine Freilassung vom Richter mit Hinweis auf die goldene Regel nur verlangen, indem er dem Richter unterstellt, dass dieser auf alle juristischen Regeln pfeift. Ich als Richter würde mir so eine Unterstellung verbitten. Im Normalfall ist die goldene Regel also kein Freilassungs-Argument gegenüber einem Richter.

Aber nur deshalb, weil du mit dem Wort "Richter" eine im Allgemeinen in seinen Absichten sehr integere Person vermutest (implizite Annahme!). Das ist aber ein kulturelles Vorurteil und die Goldene Regel hat kein Handbuch, in dem steht, welche Vorurteile respektive Zusatzannahmen (s.o.) erlaubt sind. Natürlich ist das im Alltag nicht entscheidend, jeder kann mit gesundem Menschenverstand erkennen, was die Goldene Regel in etwa (aber eben nicht präzise und zwingend im Sinne formaler Logik) verlangt. Wenn du aber klare Aussagen willst - und das willst du, wie du selbst sagst, genauso wie du beim TÜV mit der Aussage "Die Bremsen funktionieren vom Prinip her, also sie machen zumindest die Räder irgendwie langsamer" nicht zufrieden bist) -, dann brauchst du eine logisch exakt formulierte Regel.
Wenn du, dem folgend, mal alle Vorurteile dem Richter und Angeklagten gegenüber streichst und vielleicht nur noch R und A hast, dann stellt sich, je mehr Kontext man subtrahiert, in der Tat die Frage, was R berechtigt, A zu verknacken. Nur, und wirklich NUR, wenn man der Goldenen Regel noch weitere Zusatzannahmen beifügt, funktioniert sie wieder. Ironischerweise kommen aber die dabei nötigen Abstraktionen, etwa, dass der Richter sich denkt "Jeder A, der Mist gebaut hat, darf unter diesem Umständen verknackt werden, sogar wenn ich R das selbst wäre.", der Definition der Maxime von Kant schon wieder relativ nahe. Denn der Richter würde so tatsächlich ein allgemeines Gesetz ("Mist gebaut -> Gefängnis; kein Ansehen der Person!") formulieren und danach handeln. Klingt schon wieder recht stark nach dem Kategorischen Imperativ, oder?
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Gernot Back » So 2. Okt 2011, 09:48

Hallo Nanna!
Nanna hat geschrieben:
Gernot Back hat geschrieben:Wie kommst du darauf, meinen berechtigten Einwand als "Nebelkerze" zu diffamieren?

Du hast angefangen, das Werk eines großen Denkers ohne große Begründungen als "Wortgeklingel" und "aufgedunsenes Geschwafel" zu "diffamieren". Der Umgangston war deine Wahl, jetzt beschwer dich nicht, wenn ich Tit for tat mit dir spiele.

Entschuldige, wenn ich dabei deine religiösen Gefühle verletzt habe. Ich hatte ja keine Ahnung, was :god: Kant dir bedeutet!

Nanna hat geschrieben:
Gernot Back hat geschrieben:Ich bin z.B. wie Singer dagegen, einen gesunden nicht-menschlichen Primaten als Organspender für einen geistig behinderten Menschen zu missbrauchen, zumal wenn Letzterer über weniger Ich-Bewusstsein verfügt als Ersterer. Da wäre es eher legitim, einen geistig behinderten Menschen ohne Ich-Bewusstsein ungefragt als Organspender für den nicht-menschlichen Primaten mit Ich-Bewusssein zu verwenden! Wie verhältst du dich dazu?

Ich lehne das genauso ab, und zwar wegen der prinzipiellen Ähnlichkeit des Behinderten zum Gesunden. Auch der Behinderte gehört zur Spezies Mensch und innerhalb dieser Spezies gelten die Menschenrechte, die ich aus einem der Goldenen Regel relativ nahestehenden, in erster Linie aber funktionialistischen Begründungsschema heraus ablehne (z.T. von Rawls inspiriert). Es geht mir aber weniger um den Behinderten (vorausgesetzt, er hat so wenig Hirn übrig, dass er nicht über die Gefühlswelt einer Ameise hinauskommt), sondern um den an sich barbarischen Akt, einen anderen Menschen derart zu behandeln, weil dies meiner Meinung nach der menschlichen Zivilisation als Ganzes schadet.

In dieesem Fall solltest du auch für ein striktes Abtreibungsverbot eintreten. Menschliche Foeten haben zwar bis einschließlich zur 14. Schwangerschaftswoche so wenig Hirn, dass sie "über die Gefühlswelt einer Ameise" kaum hinauskommen, nichtsdestominder sind sie menschliche Wesen und haben dabei in den meisten Fällen, wenn sie nicht aufgrund einer Erbkrankheit abgetrieben werden, sogar das Potential sich zu vollkommen körperlich und geistig gesunden Kindern und schließlich Erwachsenen zu entwickeln.

Wie löst du diesen Widerspruch auf: Hättest du abgetrieben werden wollen, nur weil deine Mutter damals ihre Berufsausbildung hätte beenden wollen?
Die Antwort liefere ich dir auch gleich: Es wäre dir zum damaligen Zeitpunkt , mit einem Empfinden und den geistigen Fähigkeiten einer Ameise egal gewesen und damit hätte deine Mutter damals auch bereits jedes moralische (wie alt bist du, ich glaube auch: bereits jedes juristische) Recht gehabt, dies in einem entsprechenden Konfliktfall zu tun.

Was sollte einem entsprechend geistig behindert geborenen Menschen, der noch nicht einmal ein Potential dazu hat, aus dieser Lage herauszukommen, da auch nur annähernd die gleichen Rechte geben wie dir in der ersten 14 Wochen nach deiner Zeugung?

Nanna hat geschrieben:
Gernot Back hat geschrieben:Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen (wem oder was eigentlich?) zu!

Du führst ja gerade selber an, dass die Regel nicht derart eindeutig ist, wie sie auf den ersten Blick vielleicht klingt, sondern Zusatzannahmen braucht. Das ist auch das Wesentliche, was ich aussagen wollte.


Und: Inwiefern hilft dir Kants Kategorischer Imperativ da in dem gerade beschriebenen Fall jetzt eher aus der Patsche als die Goldene Regel "Do as you would be done by"? Mit dem Kategorischen Imperativ kommst du da keinen Schritt weiter und kannst auch aus diesem deine gefährlich religiös anmutende Tabu-Ethik nicht herleiten, die sich an willkürlich gewählten oder gar nur postulierten Symbolen festmacht:

Ähnlichkeit des Behinderten zum Gesunden

Genauso gut könntest du -so wie Christen und Juden das tun- von einer Gottesebenbildlichkeit des Menschen reden!

Gruß Gernot
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » So 2. Okt 2011, 20:05

Nanna hat geschrieben:Aber nur deshalb, weil du mit dem Wort "Richter" eine im Allgemeinen in seinen Absichten sehr integere Person vermutest (implizite Annahme!).

Eben nicht nur dann. Ich hatte doch extra eine Fallunterscheidung gemacht und auch den anderen Fall betrachtet, wo der Richter nicht integer ist. Nochmal im Schnelldurchlauf (für mich selbst zum sortieren):
Fall A: R verknackt A, weil das Gesetz das so will. Die goldene Regel findet keine Anwendung, A kann einpacken mit seinem Argument.
Fall B: Wenn R auf das Gesetz pfeift, dann verknackt R A nicht, weil er selber in derselben Situation auch nicht verknackt werden wollte (goldene Regel). A konnte sich sein Argument sparen, bzw. hätte damit offene Türen eingerannt.
Fall C: Wenn R sowohl auf Gesetz als auch auf goldene Regel pfeift, dann macht er irgendwas aus irgendwelchen anderen Gründen. A kann sich sein Argument sparen weil der Richter auf dem Ohr taub ist.

Insgesamt ist also die goldene Regel ein sehr schwaches Argument von A und kann kaum oder gar nicht auf die Entscheidung von R einwirken.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » So 2. Okt 2011, 20:14

Ähnlichkeit des Behinderten zum Gesunden
Genauso gut könntest du -so wie Christen und Juden das tun- von einer Gottesebenbildlichkeit des Menschen reden!

Bei der goldenen Regel geht es darum, sich in den Gegenüber hineinzuversetzen. Man könnte die goldene Regel auch so formulieren: Mensch, benutze deine Empathie (die du sowieso nicht abschalten kannst, wenn du sie denn hast).
Und Voraussetzung für Empathie ist eine gewisse Ähnlichkeit, insofern macht Nannas Argument Sinn. Bei Spinnen wird es schwierig, bei plüschig, süßen Säugetieren viel einfacher, bei Mitmenschen geht es sehr gut solange nicht durch psychologischen Drill und Entmenschlichung die Empathie überlistet und ausgeschaltet wird.
Ich sehe keine klare Begründung, wieso der Behinderte die Rechte und der Embryo jene Reche hat. Ich sehe nur, dass jeder Mensch sich da wohl so seine eigene Meinung aufgrund innerer Zustände bildet. Wie viel Empathie man drauf hat ist ja, wie ich höre, unterschiedlich und hängt sicher auch von der eigenen Biografie und den eigenen Erfahrungen ab. Kulturabhängig ist es allemal, wer in Europa aufwächst, lernt die Todesstrafe kritisieren. Mit einem Wort: Moral ist reine Geschmackssache. Ich finde, Kant muss endlich einsehen, dass es für Moral keine logischen Prinzipien gibt.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 3. Okt 2011, 17:18

ganimed hat geschrieben:Bei der goldenen Regel geht es darum, sich in den Gegenüber hineinzuversetzen. Man könnte die goldene Regel auch so formulieren: Mensch, benutze deine Empathie (die du sowieso nicht abschalten kannst, wenn du sie denn hast).

Das ist meiner Ansicht nach nicht richtig, bei der goldenen Regel geht es explizit nicht darum, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Und eben das halte ich für ein Problem der Goldenen Regel.

Es geht vielmehr darum, den anderen als gleich zu sich anzusehen und daher davon abzusehen, ihm etwas zuzufügen, was man selber nicht zugefügt haben möchte: in der negativen Fassung: „Was Du nicht willst, das man Dir tu', das füg' auch keinem anderen zu“, bzw. in der positiven Fassung: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst“ ihn eben so zu behandeln, wie man selber behandelt werden möchte.

ganimed hat geschrieben:Kulturabhängig ist es allemal, wer in Europa aufwächst, lernt die Todesstrafe kritisieren. Mit einem Wort: Moral ist reine Geschmackssache. Ich finde, Kant muss endlich einsehen, dass es für Moral keine logischen Prinzipien gibt.

Klar ist Moral davon abhängig, was man für Bedürfnisse und Interessen und Ansichten man hat und die wiederum sind auch abhängig von der Kultur. (Allerdings bedeutet das nicht, dass Moral völlig beliebig wäre, denn Menschen teilen viele Bedürfnisse und Interessen.)

Der KI und auch die goldene Regel sind natürlich ungeeignet dafür, einfach so aus sich heraus eine universell (für alle denkbaren Lebensformen) gültige Moral zu erstellen. Aber dafür sind beide auch nicht gedacht, das sind keine Regeln, aus denen man ohne jedes Hintergrundwissen eine solche universell gültige Moral ableiten könnte.

Ich denke, der Punkt bei beiden ist die Einführung eines Universalisierungsprinzipes in der Ethik und ein solches halte ich für unverzichtbar - falls man eine Ethik möchte, die von allen akzeptiert werden kann. Dann kann keiner einfach so ein Sonderrecht für sich beanspruchen, was er dem anderen aber anspricht. Genauso könnte der andere dasselbe Sonderrecht beanspruchen.

Nur denke ich auch, dass dieses Universalisierungsprinzip im KI plausibler dargestellt wird als in den beiden Versionen (die positive und negative) der Goldenen Regel, denn beim KI geht es nicht nur darum, von sich auf andere zu schließen.

Aber wie gesagt: weder KI noch die Goldene Regel können eine komplette Ethik begründen.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Mo 3. Okt 2011, 22:57

AgentProvocateur hat geschrieben:bei der goldenen Regel geht es explizit nicht darum, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen

Doch doch doch :) Ich stelle mir vor, ich wäre der andere (ich versetze mich in den anderen hinein) und überprüfe dann, ob ich (in dem anderen) dann so behandelt werden möchte. Wenn ja, dann springe ich zurück in meinen eigenen Körper und behandle ihn auch so, oder wenn nicht, dann eben nicht. Um festzustellen, ob ich so behandelt werden wollte, muss ich mich also erstmal mit dem anderen identifizieren. Und das geht nur mit Empathie (bzw. deren Teilaspekt "Perspektivenübernahme", wie ich bei Wikipedia gefunden habe unter dem Begriff "Empathie").

AgentProvocateur hat geschrieben:Der KI und auch die goldene Regel sind natürlich ungeeignet dafür, einfach so aus sich heraus eine universell (für alle denkbaren Lebensformen) gültige Moral zu erstellen.

Das sehe ich inzwischen auch so.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich denke, der Punkt bei beiden ist die Einführung eines Universalisierungsprinzipes in der Ethik und ein solches halte ich für unverzichtbar - falls man eine Ethik möchte, die von allen akzeptiert werden kann.

Wenn, wie du ja auch sagst, die Ethik irgendwie auch kulturabhängig ist, dann bekommt man eine Ethik, die von allen akzeptiert werden kann, letztlich doch nur durch die Gleichschaltung aller Kulturen, oder? Das kann es aber wohl nicht sein, denke ich mir. Zumindest klingt es sehr unrealistisch und eigentlich auch nicht wünschenswert. Da verzichte ich lieber auf eine allgemein gültige Ethik.
Und die goldene Regel gilt zwar für alle gleich (insofern schon universal) überlässt es aber jedem individuell, was er denn möchte dass man ihm tu, bzw. was er nicht will. Das kategorische Prinzip hier ist also Individualität pur nach dem Motto: macht was ihr wollt. So bekommt man auf keinen Fall eine Ethik, die von allen akzeptiert wird.
Aber immerhin ist die goldene Regel anwendbar, bzw. wird sie ganz intuitiv von uns angewandt. Für Kants verklausulierten Unsinn kann man das nicht sagen.
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