Ehrenamt, der Bankrott?

Ehrenamt, der Bankrott?

Beitragvon stine » Di 29. Jun 2010, 07:30

Klaus hat irgendwo hier im Forum mal geschrieben, das Ehrenamt wäre die Bankrotterklärung eines Staates.
Ich möchte deswegen an dieser Stelle die Diskussion aufwerfen, ob alles, was an Tätigkeiten in einem sozialen System geleistet werden muss, bezahlt werden sollte?
Und:
Wenn man sich im Forum so durchliest, stellt man fest, dass viele hier ein Grundeinkommen allein für's menschliche Dasein fordern, sich aber keine Gedanken machen, wo dieses Geld herkommen soll. Besitzabgaben und Einkommensversteuerung trifft die, die sich bezahlt verdient machen oder deren Eltern schon bereit waren unternehmierisches Risiko auf sich zu nehmen.
Wenn Ehrgeiz und Engagegement also nur gegen Bezahlung gerecht sind, man dann aber wiederrum für die abzweigen muss, die sich mit einem Grundeinkommen ohne Engagement zufrieden geben würden, sollten dann die, die ein Grundeinkommen haben, sich nicht wenigstens ehrenamtlich betätigen oder ist das dann, wegen des Grundeinkommens, nicht eigentlich schon wieder ein Bezahljob und fällt unter das Mindestlohngesetz?

Und wo hörte die Beschäftigung auf, ein Ehrenamt zu sein?
Dem Ehrenamt selbst kann man vorwerfen, dass die Wahl der Ausführenden oft nicht der benötigten Qualifikation entspricht; wer macht schon gerne was umsonst? Allerdings wachsen die Menschen mit ihren Aufgaben und können genau hier ihre Stärken entdecken, weil sie nicht der Gefahr ausgesetzt sind ihren Arbeitsplatz verlieren zu können. (Der Kassenwart im Verein oder in der Partei ist im "echten" Leben vielleicht "nur" Regaleinrichter im Supermarkt).

So könnte man den Faden dann auch weiterspinnen und sagen, die "Gelernten" verdienen das Geld, damit sich die "Ungelernten" ihre Beschäftigung aussuchen können, ohne kritisierenden Chef und ohne Gefahr des Stellenverlustes. Vielleicht besetzen sie auch umsonst Stellen, die eine gute Bezahlstelle wären?
Ist das Ehrenamt also die Konkurrenz zur bezahlten Arbeit und dürfte es das gar nicht geben?

Wie ist das nun mit dem Ehrenamt? :ka:


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Re: Ehrenamt, der Bankrott?

Beitragvon musicman » Di 29. Jun 2010, 10:24

Du vermsicht da zwei Sachen, das BGE und das Ehrenamt haben nichts miteinander zu tun.
Das BGE wäre ein Lösungsansatz, wenn man bedenkt, daß eh schon 700Milliarden/Jahr Transferleistungen im sozialen Bereich hin und her geschoben werden, ca die Hälfte die dafür benötigt würde. Der Rest könnte über eine erhöhte MwSt. finanziert werden. Angesichts der Tatsache, daß Vollbeschäftigung momentan illusorisch ist und viele ihr Gehalt sowieso durch staatliche Zuschüsse aufgebessert bekommen(müssen?), damit es reicht, hätte es den Vorteil, daß auch diejenigen die es erwirtschaften davon profitieren, da es für alle gleich ist. Wenn jemand mit dem Minimum zufrieden ist- gut, wenn nicht geht man arbeiten und bekommt es trotzdem zusätlich zum Gehalt, das ist fairer, als wenn wie momentan nur die Nehmer vom Transfer profitieren.
Das Ehrenamt hat damit gar nichts zu tun und warum Klaus das als Bankrott ansieht erschließt sich mir nicht.
Wenn ich als Jugendtrainer im Fußballverein tätig bin, ist das meine freie Entscheidung und dafür will ich weder Geld, noch käme ich auf die Idee zu sagen, daß dafür eigentlich die Gesellschaft zuständig ist- wer soll das sein? Der Staat ?
Ich würde es eher andersrum sehen und sagen, wenn sich keiner mehr engagiert, ohne Profit im Hinterkopf zu haben, das ist eigentlich die Bankrotterklärung einer Gesellschaft, das wäre dann eine Ansammlung infantiler Individuen die wie das Baby an der Mutterbrust mehr,mehr mehr schreien.
Wahrscheiblich meinst Du aber so eine Art Verpflichtung für Transferempfäner zu gemeinnütziger Arbeit, das kann man diskutieren, aber als Ehrenamt würde ich das nicht bezeichnen.

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Re: Ehrenamt, der Bankrott?

Beitragvon Bionic » Di 29. Jun 2010, 21:52

Naja zuerst mal ist das Ehrenamt sehr wichtig. Ich glaube nicht, dass alle Tätigkeiten bezahlt werden sollten.
Viele aber die ehrenamtlich sind, sollten eigentlich schon bezahlt werden.
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Re: Ehrenamt, der Bankrott?

Beitragvon John » Fr 2. Jul 2010, 07:08

Mit den Sozialschwachen ist oft kein Gewinn zu erwirtschaften. Sie sind totes Humankapital ohne Rendite (O-Ton: Deutsche Bank). Der neoliberalen Agenda folgend ist es daher nur logisch, dass nach und nach staatliche Leistungen und Aufgaben desintegriert und der privaten Willkür anheim gestellt werden.

Im Hinblick auf die These von Klaus wird das an zwei Beispielen ganz besonders deutlich - den Tafeln und der Abschaffung des Zivildienst.

Ersteres entwickelt sich bereits tumorhaft und streut nur so durch die Lande. "Die Tafel", sie ist eine Institution geworden, für viele Menschen oft der einzige Weg an bezahlbares Essen für die gesamte Familie zu kommen. Die Haltung der Politik dazu wäre nicht nachvollziehbar, wüsste man nicht, dass die Tafeln längst Teil der politischen Agenda sind. Dass Ehrenämtler bei den Tafeln händeringend gesucht werden, ist nur direkter Ausdruck dieser Agenda, und beiliebe kein Grund zum Feiern.

Letzteres steckt noch in den Kinderschuhen, hat seinen ersten Schritt jedoch schon am gestrigen Tage gemacht. Am 1.Juli 2010 trat die Verkürzung der Wehrpflicht in Kraft, und somit auch die Verkürzung des Zivildienstes. Mittelfristig ist die Abschaffung der Wehrpflicht (Heeresprivatisierung) geplant. Die Folge wird eine ersatzlose Streichung des Zivildienstes sein, was zu einen unkompensierbaren Personalengpass bei den Pflegeinstitutionen führen wird. Die Leistungen der Pflege werden folglich sinken, die Preise steigen, weil der Zivildienst nur noch von Ehrenämtlern und Freiwilligen organisiert wird.

Diese und andere (noch kommende) Projekte stellen in der Tat eine Bankrotterklärung dar. Es ist die Bankrotterklärung der parlamentarischen Staatsorgane, zugleich ihr Kniefall vor den Eigentümern der Produktionsmittel und den Banken.
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Re: Ehrenamt, der Bankrott?

Beitragvon stine » Fr 2. Jul 2010, 07:39

So gesehen hast du recht, John!

John hat geschrieben:Diese und andere (noch kommende) Projekte stellen in der Tat eine Bankrotterklärung dar. Es ist die Bankrotterklärung der parlamentarischen Staatsorgane, zugleich ihr Kniefall vor den Eigentümern der Produktionsmittel und den Banken.
Dem könnte man allerdings entgegenhalten, dass viele freiwillige Leistungen gerade von denen ausgehen, die alles haben. Das bedeutet, dass sie (privat) zurück geben, was der Staat nicht mehr umverteilt, weil staatliche Ausgaben in andere Projekte, wie Rüstung, Bildung und Kinderaufbewahrung, sonstige öffentliche Aufgaben, fließen.

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Re: Ehrenamt, der Bankrott?

Beitragvon Klaus » Fr 2. Jul 2010, 08:25

Das Ehrenamt wird überall dort eingeführt und natürlich metaphorisch gerühmt, wo sich der Staat aus der Betreuung sozial Schwacher zurückzieht. Gravierende Unterschiede sind hier bei Großstädten und auf dem Lande auszumachen. Dort gibt es Beispiele, dass selbst die Altenbetreuung ehrenamtlich erfolgt.

In Sachsen hat sich der Staat aus der Betreuung von Kinder und Jugendlich fast gänzlich verabschiedet. Dort werden eine Fülle von Freizeitangeboten durch die NPD-Sachsen realisiert. Und die Eltern sind zufrieden, warum auch nicht. Die NPD-Sachsen generiert auf dies Art und Weise die Wähler von Morgen.

@John, was du zum Zivildienst schreibst ist ziemlich falsch. Zivildienst wird dort geleistet, wo es staatlich anerkannte Zivildienststellen gibt. Diese Dienststellen werden staatlich enorm bezuschusst. Die Arbeitsmarktneutralität des ZD ist schon lange nicht mehr gegeben. Einrichtungen wie die Caritas, der ASB, oder die AWO leben vorzüglich mit der Institution des ZD. Die Frage ist, ob man für die hunderte von Millionen Euro nicht Arbeitsplätze schaffen könnte, wenn man wöllte.
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Re: Ehrenamt, der Bankrott?

Beitragvon stine » Fr 2. Jul 2010, 09:23

Klaus hat geschrieben:Dort werden eine Fülle von Freizeitangeboten durch die NPD-Sachsen realisiert. Und die Eltern sind zufrieden, warum auch nicht. Die NPD-Sachsen generiert auf dies Art und Weise die Wähler von Morgen.
Sehr bedenklich! :nosmile:

Aber macht eines deutlich: Die Menschen wollen "betreut" werden und es braucht Animation und Motivation. Da ist anscheinend alles recht, egal woher es kommt.

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