Wodurch entsteht Fortschritt?

Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon xander1 » Di 27. Apr 2010, 18:27

Ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass "der Westen" so erfolgreich ist. In anderen Orten hat man die gleiche Zeit gehabt sich zu entwickeln. Es muss doch verschiedene Schlüsselursachen geben, warum an Orten eine starke Entwicklung vor sich geht und an manchen Orten alles still zu stehen bleibt oder gar Verschlechterungen eintreten.

Und ich frage nicht nach einer bestimmten Art des Fortschrittes. Ich meine z.B. technischen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sprachlichen, Bildungsfortschritt, wissenschaftlichen Fortschritt, geistigen Fortschritt, Fortschritt der Ideen und Kreativität, politischen Fortschritt, medizinischen Fortschritt, Engergietechnischen Fortschritt, Umwelt-Belangen-Fortschritt, Geschichts-Erkenntnis-Fortschritt, Infrastruktur-Fortschritt, Ressourcen-Abbau-Fortschritt, Entdeckungs-Fortschritt (von Orten Unterwasser oder Weltall) usw. usf. Zur Kultur zählt widerum eine Menge: Architektur, Musik, alles visuelle, Film, Theater, usw.

Eigentlich ist das ein riesiges Thema mit dem man mehrere Bücher füllen kann. Es müssen doch spezielle historische Schlüsselstellungen vorhanden sein.

Mir fällt z.B. ein, dass in der Geschichte Europas bis vor 200 Jahren die Menschen kein sauberes Wasser hatten und deshalb immer leicht betrunken waren, wie ich in einer Ernährungswissenschaftlichen Zeitschrift gelesen habe. Die Entdeckung der Mikroorganismen in dreckigem Wasser hat dazu geführt, dass die Menschen schließlich Wasser nur noch gekocht haben, so dass ohne Alkohol Europa viel fortschrittlicher werden konnte.

Die Leistungsgesesellschaft und die Ideologie der freien Entfaltung von Jedermann im Humanismus kombiniert mehrere Fortschrittsgedanken die gegenseitig voneinander Profitieren.

Und nicht zuletzt soll in diesem Thema nicht die Kritik an dem Fortschritt fehlen. Wozu braucht man denn so viele sinnlose Handy-Applikationen. Wozu braucht man die vielen Features in moderner Software? Mir erscheint gerade mein Gebiet der Informatik sinnfrei, wenn es nicht gerade darum geht neue Algorithmen zu finden, um wirklich reale Probleme zu lösen, wie Stauregulierung von IBM in Städten durch Ampelsysteme. Vielleicht hat der Computer und Fernseher uns sogar zurückentwickeln lassen, da Menschen davon süchtig werden, anstelle zu lernen, studieren, oder an ihrem eigenen Haus zu bauen oder einen weiteren Nebenjob anzufangen, was alles sehr viel sinnvoller wäre oder ein gutes Buch zu lesen, was allemal besser ist, als ständig News im Internet zum Zeit totschlagen, zu lesen.

Ein weiterer großer Schritt in Richtung Fortschritt war die Verbesserung des Ackerbaus. So muss die halbe oder ganze Bevölkerung sich nicht ausschließlich damit beschäftigen ihre Nahrung zu erlangen.

Natürlich kann hier das Thema Naturalismus und Religion ins Spiel kommen, aber das ist doch wirklich nur ein Teilaspekt des Ganzen.

Wieso sollen wir eine Leistungsgesellschaft haben, wenn doch erst die nächste Generation von unserem Fortschritt profitieren wird?
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon ujmp » Di 27. Apr 2010, 18:46

xander1 hat geschrieben:Ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass "der Westen" so erfolgreich ist. In anderen Orten hat man die gleiche Zeit gehabt sich zu entwickeln. Es muss doch verschiedene Schlüsselursachen geben, warum an Orten eine starke Entwicklung vor sich geht und an manchen Orten alles still zu stehen bleibt oder gar Verschlechterungen eintreten.


Lokale Schlüsselursachen muss es nicht unbedingt geben, es könnte auch einfach Zufall sein, oder besser gesagt, eine so große Menge von Einzelfaktoren, dass man es nicht mehr aufschlüsseln kann (Einwegverschlüsselung ;-))
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon Zappa » Di 27. Apr 2010, 19:19

"Ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass "der Westen" so erfolgreich ist."

Ganz gut beantwortet wird diese Frage in "Arm und Reich" von Jared Diamond.

Klimatische und geographische Besonderheiten (Vorhandensein kultivierbarer Pflanzen und domestizierbarer Tiere, Ebenen für die Entwicklung von Rädern, Küstengewässer für die des Bootsbaus) und deren Folgen (höhere Bevölkerungsdichte, Entwicklung von Berufen, Stämmen, Völkern und deren politische Institutionen, militärische Entwicklungen und Resistenzen gegenüber von Haustieren übertragbare Krankheiten) sind die wesentlichen Einflussfaktoren.

Erklärt nicht alles, aber alles viel besser als andre Thesen. Und ist vor allem falszifizierbar, im Gegensatz zu dem meisten geschichtsphilosophischen Geblubber.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon Nanna » Di 27. Apr 2010, 20:35

Der Erfolg des Westens dürfte stark mit der europäischen Kultur zusammenhängen. Die Frage ist, wie sie so geworden ist, wie sie heute ist. Gerade der Pluralismus und der starke Wettbewerb von Ideen, Systemen und Technik hat sicherlich viel zu diesem extremen Tempo beigetragen.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass gerade Europas Kleinräumigkeit und gleichzeitig sein Reichtum an Ressourcen wie Zappa sie nach Diamond beschrieben hat, zu diesem starken Wettbewerb geführt bzw. ihn überhaupt erst ermöglicht hat, da man ja auf engstem Raum um Ressourcen (dazu zählen auch Ideen und Ideologien) konkurrierte.
Der tropische Regenwald wäre hier ein gutes Beispiel zur Illustration aus der "echten" Natur. Da gibt es eine Fülle von Spezialisten, weit entwickelte Ökosysteme (vergleichbar unserem komplexen Wirtschaftssystem), kaum dominierende Arten (sozusagen Demokratie bzw. Anarchie, vergleichbar einem freien Markt), viele Ressourcen usw. Im borealen Nadelwald hingegen, vergleichbar den eintönigen und schwer zugänglichen Gegenden Zentralasiens oder Afrika, gibt es dagegen nur einen langsam voranschreitenden Fortschritt. Angenommen, die Regenwäldler finden nun einen Weg, den Regenwald zu verlassen (analog zu den Entdeckern der europäischen Neuzeit) und die Ressourcen des Nadelwalds abzuzweigen und nach Hause zu importieren, dann wäre das in etwas das, was die Europäer irgendwann auch getan haben, nachdem permanente innere Streitigkeiten und Kriege, die mit hohem Materialeinsatz geführt werden konnten. Dabei dürfte, wie gesagt, das enge Aufeinandersitzen unterschiedlicher Kulturen zusammen mit ausreichenden Rohstoffen den Wettbewerb und Ideenaustausch derart angeheizt haben, dass Europa einfach ein viel höheres inneres Entwicklungstempo vorlegte. Auch die traditionelle Sozialstruktur mag dabei eine Rolle gespielt haben. Das sind aber natürlich alles Spekulationen. Die Ursachen dürften äußerst zahlreich gewesen sein.

Letztlich darf man auch den Kollegen Zufall nicht ganz vergessen. Die Entwicklung der Geschichte ist manchmal stark von den Entscheidungen Einzelner abhängig (siehe Kubakrise) oder deren Einfallsreichtum (killer applications wie Kanone, Dampflokomotive oder Glühbirne) oder den wirklich fast puren Zufall (Entdeckung des Penicillins).

Interessante Wikipediaartikel zum Thema findet man in der Kategorie Technischer Fortschritt.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon ujmp » Mi 28. Apr 2010, 07:54

Es gibt auch die Meinung, dass die Menschen im Norden im Schnitt etwas Klüger sind. Auf Grund der viel härteren klimatischen Bedingungen in diese Breitengraden mussen die Menschen Technoligien entwickeln, um zu überleben - einen europäischen Winter überlebt man nicht im Lendenschurz. Dass hat sicher auch zu einer Selektion der "Problemlöser" geführt, aber wohl vorallem die Kulturen geprägt. Es fällt auf, dass die wirtschaftlich und politisch dominanten Regionen von Norden nach Süden abnehmen (inkl. Asien). Witzigerweise haben sich sogar auf dem amerikanischen Kontinent die Eroberervölker in einer ähnlichen Reihenfolge angesiedelt - es braucht wohl jedes Volk sein Wetter.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon xander1 » Mi 28. Apr 2010, 17:33

Hat der Westen es eigentlich verdient so fortschrittlich zu sein oder haben die anderen einfach nur Pech gehabt?
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon stine » Mi 28. Apr 2010, 17:56

ujmp hat geschrieben:Es gibt auch die Meinung, dass die Menschen im Norden im Schnitt etwas Klüger sind.
Wo beginnt bei dir der Norden? :reden:

LG stine
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon Zappa » Mi 28. Apr 2010, 17:57

Der Westen hat in vielen Punkten Glück gehabt.

Z.B. gab es ja im fruchtbaren Halbmond sehr viele kultivierbare Pflanzen und domestizierbare Tiere. Deshalb ist dort die Landwirtschaft geschichtlich zuerst und mit sehr großem Erfolg "erfunden" worden. Da der eurasische Kontinent in der west-ost Achse verläuft, konnten diese "Erfindungen" einfacher exportiert werde. Auf dem amerikanischen Kontinent mit seiner nord-süd Achse war das nicht möglich: Unterschiedliche Klimazonen mit unterschiedlichen Tageslängen und Sonneneinstrahlungen verhinderten insbesondere den Export erfolgreicher Kulturpflanzen (die es zudem in Amerika weniger gibt). Erst durch den weltweiten Handel war es später möglich Kulturpflanzen von einer Klimazone in die andere über weite Strecken zu verschiffen (Beispiel: Kartoffel)

Zweiter Glücksfall war die relativ robuste ökologische Umwelt, in der wir leben. Der fruchtbare Halbmond ist längst unfruchtbar und viele Zivilisationen (insbesondere in Amerika und im Pazifik) sind aus ökologischen Gründen unter gegangen.

Es kommen noch andere Faktoren dazu, wie landwirtschaftlich und militärisch nutzbare Großtiere und geographische Besonderheiten, wie zerklüftete Küstenlinien, die die Entwicklung der Schifffahrt befördern.

Wir haben also ausgesprochen glückliche Startbedingungen gehabt, die natürlich auch erfolgreich genutzt. Nach Diamond wäre aber Australien oder Amerika bei gleich günstigen Ausgangsbedingungen das gleiche Schicksal beschieden gewesen. Vielleicht hätten dann Amerikaner Europa entdeckt und uns erobert.

Intelligenz als Hypothese lehnt Diamond aufgrund fehlender Daten ab.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon Zappa » Mi 28. Apr 2010, 17:58

stine hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Es gibt auch die Meinung, dass die Menschen im Norden im Schnitt etwas Klüger sind.
Wo beginnt bei dir der Norden? :reden:


Na nördlich des Weißwurstäquators :lachtot:
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon ujmp » Mi 28. Apr 2010, 18:58

stine hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Es gibt auch die Meinung, dass die Menschen im Norden im Schnitt etwas Klüger sind.
Wo beginnt bei dir der Norden? :reden:

Oben. :fies:
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon ujmp » Mi 28. Apr 2010, 19:32

Zappa hat geschrieben:Der Westen hat in vielen Punkten Glück gehabt..

Dass es ein Verdienst ist, glaub ich auch nicht. Aber das mit den "günstigen Bedingungen" ist alles relativ. Die Kimbern sind z.B. m.W. als Wirtschaftsflüchlinge durch Europa gezogen, weil sie nicht mehr über die Winter gekommen waren.

Zappa hat geschrieben:Intelligenz als Hypothese lehnt Diamond aufgrund fehlender Daten ab.

Da gibts auch andere Meinungen, aber ich mag es grad nicht nochmal aufwärmen.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon stine » Do 29. Apr 2010, 06:35

Zappa hat geschrieben:Nach Diamond wäre aber Australien oder Amerika bei gleich günstigen Ausgangsbedingungen das gleiche Schicksal beschieden gewesen. Vielleicht hätten dann Amerikaner Europa entdeckt und uns erobert.

Intelligenz als Hypothese lehnt Diamond aufgrund fehlender Daten ab.
Vielleicht ist das ein Fehler. Auch wenn das Thema ein Pfui-Thema ist, aber das Tier Mensch unterscheidet sich ebenso, wie andere Tierarten in ihrer Ausformung.
Es gibt auch heute noch Kulturstämme, die mit sich im Reinen sind und keine Flugzeuge erfinden wollen oder nicht einmal das Bedürfnis haben sich Wasserleitungen in ihr Zelt zu legen. Sie sind was sie sind und alles Vorwärtsstreben, wie unser Kulturkreis dies betreibt, scheint ihnen fremd zu bleiben.

Ob die Indianer Europa je entdeckt hätten ist daher fraglich. Und wenn doch, dann wäre interessant gewesen, ob sie uns auch ausrotten hätten wollen oder in Reservate verbannen.

LG stine
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon stine » Do 29. Apr 2010, 06:36

stine hat geschrieben:Wo beginnt bei dir der Norden?

Zappa hat geschrieben:Na nördlich des Weißwurstäquators :lachtot:

ujmp hat geschrieben:Oben. :fies:

Dachte ich es mir doch!
:verzweifelt:
LG stine
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon ujmp » Do 29. Apr 2010, 07:19

Zappa hat geschrieben:Wir haben also ausgesprochen glückliche Startbedingungen gehabt, die natürlich auch erfolgreich genutzt. ..

Es sollte wohl lieber "sie" :aufsmaul: statt "wir" heißen ;-)

Ich gehe nach Poppers geflügeltem Wort von der Vorstellung aus, dass es Probleme waren, die die Menschen vorangebracht haben und gerade nicht glückliche Bedingungen. Problemlöser wird man, wenn man Probleme hat.

Zappa hat geschrieben:Nach Diamond wäre aber Australien oder Amerika bei gleich günstigen Ausgangsbedingungen das gleiche Schicksal beschieden gewesen. Vielleicht hätten dann Amerikaner Europa entdeckt und uns erobert..

Das ist wahrscheinlich anti-rassistisch gemeint. Dem stimme ich insofern voll zu.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon ujmp » Do 29. Apr 2010, 07:31

stine hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Wo beginnt bei dir der Norden?

Zappa hat geschrieben:Na nördlich des Weißwurstäquators :lachtot:

ujmp hat geschrieben:Oben. :fies:

Dachte ich es mir doch!
:verzweifelt:
LG stine

Ich meinte "wo es kalt ist, aber nicht nicht so kalt dass es gar nicht mehr geht". Es gibt natürlich auch Eskimos oder nordamerikanische Indianer - was nicht so richtig zu der von mir genannten These zu passen scheint.

In Bezug auf widrige Umweltbedingungen gibt es zwei Aspekte: a) bin ich klug genug, mit ihnen fertig zu werden und b) bin ich klug genug, ihnen auszuweichen, wenn ich nicht damit fertig werde.

z.b. a) verstehe ich es, vorräte für lange Winter anzulegen, b) verstehe ich, dass ich meinen Wohnregion verlassen sollte, wenn es nicht geht.

Man muss gar nicht soweit bis zu den Jägern und Sammlern zurückgehen. Nehmen wir die Zeit der Völkerwanderung, das war eine Zeit voller Probleme, da war nix mit easy living.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon Nanna » Do 29. Apr 2010, 13:05

ujmp hat geschrieben:Ich gehe nach Poppers geflügeltem Wort von der Vorstellung aus, dass es Probleme waren, die die Menschen vorangebracht haben und gerade nicht glückliche Bedingungen. Problemlöser wird man, wenn man Probleme hat.

Dann frage ich mich, warum die Länder der sog. Dritten Welt sich nicht rasanter entwickeln, immerhin haben die genug von der Ressource "Probleme". Herausforderungen können natürlich die Kreativität fördern, aber man muss auch die äußeren Bedingungen haben, um die Probleme lösen zu können. Ackerabau kann man auch nicht mit dem agrartechnischen Wissen des 21. Jahrhunderts lösen, wenn man in der Wüste oder auf steinigen Bergen sitzt. Die Menschen gehen ja auch immer dahin, wo es schon etwas gibt (Städte, Kultur, Nahrungsmittel), nicht dahin, wo es die größten Probleme zu lösen gibt.
Die großen Zivilisationen haben sich immer da gebildet, wo es fruchtbares Ackerland und Ressourcen gab, am Nil oder in Mesopotamien in der Antike z.B. Die "grüne Revolution", die in China in den 80er Jahren den Grundstock für die derzeitige Entwicklung gelegt wurde, geht beispielsweise auch auf das Vorhandensein fruchtbarer Flussdeltas zurück. Im selben Zeitraum haben sich Staaten in Afrika beispielsweise vom selben Niveau wie China ausgehend überhaupt nicht weiterentwickelt, weil es ihnen an Wasser, fruchtbaren Böden und schiffbaren Flüssen als grundlegender Infrastruktur fehlt.

Zudem kommen die Probleme von allein. Wer auf einem saftigen Stück Ackerland sitzt und gelernt hat, es rudimentär zu bebauen, der zieht schnell die Begehrlichkeiten umherstreifender Nomaden auf sich, die um das Land konkurrieren, ergo müssen Verteidigungsstrategien entworfen werden. Hat er das Land einigermaßen gesichert, werden Einwanderung und Bevölkerungswachstum durch das Nahrungsmittelangebot eine urbane Organisation samt Bürokratie, Architektur, Rechtskodices, Logistik usw. erfordern. Die Komplexität dieser Systeme verursacht ihrerseits wiederum Probleme, das ganze entwickelt eine starke Eigendynamik.
Wie die Zellkulturen in einer Petrischale können sich auch Gesellschaften nur entwickeln, wenn sie genug Energie- und Rohstoffzufuhr erhalten. Das ist die Grundbedingung dafür, dass überhaupt eine Entwicklung möglich ist. Erst in zweiter Instanz wird dann relevant, wie effizient die Lösungsstrategien sind, die die Menschen angesichts auftretender Schwierigkeiten entwickeln.
Und hier geht das ganze ja dann auch sehr eliminativ, um nicht zu sagen: evolutionär, vor sich. Wenn man bedenkt, wie oft in einem Land in den letzten Jahrtausenden Herrscher, politisches System, gesellschaftliche Normen und oftmals selbst die bewohnenden Völker gewechselt haben, dann sollte klarwerden, dass nicht nur ein Wettbewerb monolithischer Kulturkreise stattfindet, sondern eben auch ein kultureller Austausch stattfindet, der sozioökonomische Systeme sehr schnell untergehen lässt, wenn effizientere Wettbewerber im selben Gebiet auftauchen. Von daher wäre es auch Blödsinn, sich in Deutschland beispielsweise als Erben der griechisch-römischen Kultur zu bezeichnen. Fakt ist, dass diese Erbe auch im Orient einen großen Stellenwert genoss und dass umgekehrt viele Ideen, wie z.B. der Monotheismus, aus dem Orient importiert sind. Wenn wir uns als Europäer in eine stringent durchlaufende Linie bis hin zu "überlegenen Ureuropäern" stellen, dann ist das Geschichtsklitterung. Tatsache ist, dass alle Teile der Erde irgendetwas zur Zivilisation beigetragen haben und in Europa eben eine Reihe günstiger Bedingungen vorherrschte, um diese Ideen auf fruchtbaren Boden fallen zu lassen. Durch den Imperialismus haben aber auch wir Ideen wieder exportiert, die nun vielleicht in anderen Ländern mit nach heutigen Kriterien günstigeren Bedingungen mehr Effekt zeigen werden als hierzulande.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon ujmp » Fr 30. Apr 2010, 09:21

@ nanna und zappa: Ihr habt wahrscheinlich recht.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon pluto » Fr 30. Apr 2010, 10:36

xander1 hat geschrieben:Ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass "der Westen" so erfolgreich ist. ....


Welch begrenzte Sicht der Dinge. Kulturen entstehen und vergehen. Als in China und Japan schon ein technische Hochleistungen vollbracht wurden haben wir hier in Europa noch im Mittelalter rumgekrebst, in Mittel und Südamerika waren Inka und Azteken ab dem 13. Jahrhundert hoch kultiviert und in Ägypten gabs eine Hochkultur ab ca. 3000 v. Chr. um mal nur ein paar Beispiele zu nennen.
Warum eine Kultur aufsteigt - und wieder untergeht hängt von vielen - wie schon angesprochen - glücklichen und unglücklichen Zufällen ab und 'der Westen' ist nur eine in einer langen Reihe und wird 100% nicht die letzte sein.

Eine ordentliche Katastrophe und - falls der Mensch sie überlebt - alles fängt von vorne an.

Als weltweite Katastrophen ist sicher (nur wann ist die Frage):
- Ausbruch einer der Supervulkane (z.B. Yellowstone oder Toba)
- ein Meteor ab einer bestimmten Größe
- Klimawandel durch Kontinentalplattenverschiebungen
und wahrscheinlich sind selbst gemachte Katastrophen wie
- Atomkrieg
- massive Umweltzerstörung

Der Mensch hat eine Gehirnentwicklung erreicht die ein hohes problemlösend Potential hat. Aber nicht die Einsicht, dass mit jedem gelösten Problem auch neue geschaffen werden. 'Fortschritt' ist also immer relativ und ob etwas als 'wirklicher' Fortschritt zu werten ist kann oft erst nach einiger Zeit bewertet werden - wenn überhaupt, denn 'des einen Freud - des andern Leid.
Auch andere Kulturen sind an ihrer Arroganz untergegangen - wird uns 'Westerlingen' nicht anders gehen.
(Dazu gibt es nette Filme: 'Der Untergang des amerikanischen Imperium' und 'Die Invasion der Barbaren' )
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon xander1 » So 2. Mai 2010, 23:39

pluto hat geschrieben:Welch begrenzte Sicht der Dinge.

Was du schreibst lernt heute jedes Kind in der Schule und ist nichts neues sondern nur widergekautes. Außerdem bist du nicht in der Lage Zeitformen zu unterscheiden. Ich habe Präsens verwendet, währenddessen du über die Vergangenheit und Zukunft gesprochen hast, als ich gefragt habe, warum der Westen so erfolgreich ist.
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Re: Wodurch entsteht Fortschritt?

Beitragvon pluto » Mo 3. Mai 2010, 14:51

xander1 hat geschrieben:
Was du schreibst lernt heute jedes Kind in der Schule ...

Na ja, du anscheinend nicht.
Und an deinem Ton merke ich, dass du noch ein Kind bist. Aber da das hier anscheinend geduldet wird...
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