Afghanistan

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Beitragvon stine » Mo 12. Apr 2010, 19:09

Weiß jemand von euch, warum dieser Wahnsinn in Afghanistan eigentlich noch von der Bundeswehr unterstützt werden muss?
Kann die Befriedung durch das Anlernen der dortigen Polizei überhaupt funktionieren oder findet hier lediglich ein Outsourcing von kriegerischen Auseinandersetzungen statt um billig abzurüsten und die Waffenhändler etwas verdienen zu lassen?

Warum müssen unsere Kinder und Männer dort immer noch ihr Leben aufs Spiel setzen?

:( stine
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Re: Afghanistan

Beitragvon platon » Mo 12. Apr 2010, 20:37

Weil der Bundestag das so beschlossen hat. Er schafft auch nicht die Autos ab, durch die bei uns Jahr für Jahr hundert mal mehr Menschen zu Tode kommen und nicht nur solche, die unbedingt Soldat werden wollten.
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Re: Afghanistan

Beitragvon Dissidenkt » Di 13. Apr 2010, 11:43

stine hat geschrieben:Weiß jemand von euch, warum dieser Wahnsinn in Afghanistan eigentlich noch von der Bundeswehr unterstützt werden muss?


Von der Wehrmachtsnachfolgeorganisation ist wohl kaum etwas anderes zu erwarten. Die führen - wie eh und je - nur Befehle aus... [An dieser Stelle fehlt mir ein smilie, der die Hacken zusammen schlägt]
Viel schlimmer ist, dass die Medien diesen Krieg subtil unterstützen, anstatt die Kriegstreiber an den Pranger zu stellen.

stine hat geschrieben:Kann die Befriedung durch das Anlernen der dortigen Polizei überhaupt funktionieren


Selbstverständlich nicht. Polizei ist allenfalls zur Durchsetzung eines allgemein anerkannten kodifizierten Rechts geeignet. Eine Art bürgerliches Recht wird es in Afghanistan auch in 100 Jahren nicht geben, weil es dort schlicht und einfach kein Bürgertum gibt. Das einzige verwurzelte Rechtssystem dort ist die Scharia. Und wenn der letzte NATO-Besatzer gefallen oder abgezogen ist, wird die Scharia auch wieder Maß aller Dinge sein. Das was die kommenden Generationen dann dort über "westliche Werte" lernen, besteht aus Gräbern und Waffenschrott am Straßenrand.

stine hat geschrieben:oder findet hier lediglich ein Outsourcing von kriegerischen Auseinandersetzungen statt um billig abzurüsten und die Waffenhändler etwas verdienen zu lassen?


Die einzigen Profiteure sind Waffenhändler und -produzenten im Westen.
Und die Taliban.

stine hat geschrieben:Warum müssen unsere Kinder und Männer dort immer noch ihr Leben aufs Spiel setzen?


Weil die NATO kein Verteidigungs- sondern ein Hegemonialbündnis ist.



platon hat geschrieben:Weil der Bundestag das so beschlossen hat. Er schafft auch nicht die Autos ab, durch die bei uns Jahr für Jahr hundert mal mehr Menschen zu Tode kommen und nicht nur solche, die unbedingt Soldat werden wollten.


Wolltest du beweisen, dass es dumme Antworten gibt?
Das ist dir eindrucksvoll gelungen!
Ich finde das Thema - und Stines berechtigte Frage - ein bisschen zu ernst, um darauf so einen Schmarrn zu antworten.
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Re: Afghanistan

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 13. Apr 2010, 12:30

Obacht geben! Bitte daran halten:
Beiträge, die andere Personen persönlich angreifen (auch indirekte Beleidigungen), werden nicht toleriert.

Quelle: Forenrichtlinien!
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Re: Afghanistan

Beitragvon smalonius » Di 13. Apr 2010, 19:36

stine hat geschrieben:Warum müssen unsere Kinder und Männer dort immer noch ihr Leben aufs Spiel setzen?

Sie müssen ja nicht. Gehen alle freiwillig dorthin. Von den Wehrpflichtigen wird keiner zum Auslandseinsatz gezwungen.

stine hat geschrieben:Weiß jemand von euch, warum dieser Wahnsinn in Afghanistan eigentlich noch von der Bundeswehr unterstützt werden muss?

Weil wir eine repräsentative Demokratie sind und die Politiker es besser wissen als du oder die Volksmeinung. :pfeif:


Der tiefere Grund ist jedoch Selbstbetrug im Westen. Ich wollte mich zum Thema schon mal auslassen, als es hier um Islam und Terror ging, war aber zu faul. Also jetzt hier.


Die üblichen Erklärungen zu arabischem Terrorismus greifen etwas kurz. Science flies you to the moon, religion flies you into a building. Ganz so einfach darf man sich es nicht machen. Die Liste westlicher Einmischung in Arabien ist lang. Die arabischen Länder waren im zwanzigsten Jahrhundert durchgehend Spielball der Westmächte.


- In den zwei Weltkriegen waren sie willkommene Verbündete für jede Seite. No questions asked.

- Die Briten haben zwischen den Kriegen Giftgas im heutigen Irak eingesetzt, die Grenzen des Iraks wurden von Briten und Franzosen gezogen.

- Die '53er Demokratie im Iran wurde vom CIA gestürzt (Operation Ajax). Premieminister Mossadegh wollte die Ölindustrie verstaatlichen, was den Briten und den Amerikanern überhaupt nicht gefiel. Also wurde Schah Reza Pahlevi installiert. Ich denke, es ist nicht zu weit hergeholt zu behaupten, die iranische islamische Revolution und Khomeini seien letztlich eine Spätfolge dieses Eingriffs. Man fragt sich, wie die arabische Welt heute wohl aussehen würde, hätte sie eine persische Demokratie zum Nachbarn oder gar zum Vorbild gehabt.

- In den siebzigern und achtzigern handelte man dann nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Man hat Saddam Hussein unterstützt, als dieser im Krieg mit dem Iran lag.

- Man hat die Aufständischen in Afghanistan unterstützt, weil sie im Krieg mit dem kommunistischen Erzfeind USSR lagen. *Einfüge: Zauberlehrling und gerufene Geister, die man nicht mehr los wird.*


Soweit die Liste der gröbsten Kränkungen. Und dann wundert man sich bei uns, wenn die USS Cole angegriffen wird, weil sie vor Saudi-Arabien rumgurkt oder wenn Leute in Hochhäuser fliegen und fragt, "warum hassen sie uns so?" Die Erkenntnis, daß man selbst auch etwas damit zu tun hat, wird verdrängt oder ist zumindest nicht mehrheitsfähig. Ron Paul, republikanischer Präsidentschaftskandidat in den Vorwahlen, hat es ausgesprochen: lassen wir die Leute in Ruhe, dann lassen sie uns in Ruhe. Er hat ziemlich viel Sperrfeuer dafür einstecken müssen.

Die Rhetorik unserer Politiker spricht Bände. Die Kanzlerin hat das jüngste Gefecht in Afghanistan als "hinterhältigen Angriff" bezeichnet. Tja, erwartet sie wirklich, daß "die Taliban" einen Angriff vorher schriftlich ankündigen? Wir lassen unsere Bomben auch ohne Warnung fallen (siehe den Kundus-Luftangriff, in dem der amerikanische Bomberpilot mehrmals vorschlug, die Menge durch Tieflug zu vertreiben, bevor Bomben fallen, was aber von der deutschen Einsatzleitung abgelehnt wurde). Und selbstverständlich schalten wir mißliebige Elemente durch Einsatz von Lenkwaffen aus.

Letztlich ist hier ganz einfache Gruppendynamik am Werk. Wir sind die guten, die Sandneger sind die bösen. Man unterläßt es, die Dinge vom Standpunkt des Gegners aus zu betrachten. Und speziell in Afghanistan versucht man etwas zu erreichen, was die Sowjets mit einer 200 000 Mann starken Armee nicht geschafft haben. :irre:

Die USA hatten vor dem ersten Weltkrieg eine aussenpolitische Doktrin namens splendid isolation - lassen wir die anderen machen und kümmern wir uns um unseren eigenen Kram. Eine Prise davon täte dem Westen heutzutage ganz gut.


Dissidenkt hat geschrieben:Von der Wehrmachtsnachfolgeorganisation ist wohl kaum etwas anderes zu erwarten. Die führen - wie eh und je - nur Befehle aus... [An dieser Stelle fehlt mir ein smilie, der die Hacken zusammen schlägt]

Wie wär's mit dem? Bild Oder doch besser gleich: Bild

Der Ausgewogenheit halber möchte ich hinzufügen, daß ein General es gewagt hat, Verteidungsminister Guttenberg in einem Brief für dessen Verhalten in der Kundus-Affäre zu kritisieren. Es scheint also auch ehrenwerte Leute in der Bundswehrmacht zu geben. Der General wurde in den Ruhestand versetzt. Ich hoffe, irgend ein Untersuchungsausschuß setzt Guttenberg in den Ruhestand. Wetten würde ich aber nicht darauf. :/


Dissidenkt hat geschrieben:Viel schlimmer ist, dass die Medien diesen Krieg subtil unterstützen, anstatt die Kriegstreiber an den Pranger zu stellen.

Nestbeschmutzer. :pfeif:
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Re: Afghanistan

Beitragvon smalonius » Di 13. Apr 2010, 21:18

Nachtrag, falls es jemanden interessiert: Ron Paul, US-Präsidentschaftskandidat, sagt: "Wir sind selber schuld."



Nachtrag II: die USA alleine stellen 1/3 aller Weltmilitärausgaben. Der restliche Westen (EU+Japan+Australien+...) stellt das zweite Drittel. Der Rest der Welt, einschließlich Rußland und China, kommt zusammen auf das restliche Drittel. Das heißt: wir sind die Paranoiden.

Im Überbevölkerungsthread war der Konsens, daß globaler Wohlstand eine Lösung sein könnte. Leider geben die Länder dieser Welt ungefähr 1000 Milliarden $ jährlich für Rüstung aus. Was für eine Zahl. Da muß ich erstmal drüber meditieren, bis ich mir die vorstellen kann. Wären etwa 4 Bundeshaushalte, wenn ich noch auf dem Laufenden bin?
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Re: Afghanistan

Beitragvon Nanna » Di 13. Apr 2010, 22:59

Dissidenkt hat geschrieben:Viel schlimmer ist, dass die Medien diesen Krieg subtil unterstützen, anstatt die Kriegstreiber an den Pranger zu stellen.

Ich habe die bisherige Berichterstattung nicht als undifferenziert erlebt. Es gibt durchaus verständliche Gründe dafür, diesen Krieg zu führen. Einfach von Kriegstreibern zu sprechen und den Befürwortern damit niedere Beweggründe zu unterstellen, dürfte der Debatte kaum dienlich sein.

Dissidenkt hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Kann die Befriedung durch das Anlernen der dortigen Polizei überhaupt funktionieren


Selbstverständlich nicht. Polizei ist allenfalls zur Durchsetzung eines allgemein anerkannten kodifizierten Rechts geeignet. Eine Art bürgerliches Recht wird es in Afghanistan auch in 100 Jahren nicht geben, weil es dort schlicht und einfach kein Bürgertum gibt. Das einzige verwurzelte Rechtssystem dort ist die Scharia. Und wenn der letzte NATO-Besatzer gefallen oder abgezogen ist, wird die Scharia auch wieder Maß aller Dinge sein. Das was die kommenden Generationen dann dort über "westliche Werte" lernen, besteht aus Gräbern und Waffenschrott am Straßenrand.

Mal davon abgesehen, dass es ein Rechtssystem namens "Scharia" nicht gibt: Das Recht in Afghanistan besteht noch viel mehr als aus Scharia vor allem aus dem jahrtausendealten Stammesrecht, das sehr komplex und lokal ganz unterschiedlich ist.
Die Zukunft des Rechts wird im wesentlichen von der Zukunft der ökonomischen Entwicklung und der Entwicklung in den umliegenden Ländern abhängen. Sollte es dort zu einem Abflauen des islamistischen Fundamentalismus kommen, etwa, weil Iran die Wende zu einer freien Demokratie hinbekommt, und darüberhinaus ein stabiles Regime in Kabul regieren, das einen halbwegs friedlichen Interessensausgleich zwischen den Stämmen und Lokalfürsten hinbekommt, dann ist auch in Afghanistan irgendwann mit Wirtschaftsaufbau und Urbanisierung zu rechnen und das kann durchaus vor Beginn des 22. Jahrhunderts eintreten.

Dissidenkt hat geschrieben:
stine hat geschrieben:oder findet hier lediglich ein Outsourcing von kriegerischen Auseinandersetzungen statt um billig abzurüsten und die Waffenhändler etwas verdienen zu lassen?


Die einzigen Profiteure sind Waffenhändler und -produzenten im Westen.
Und die Taliban.

Ich habe keine Ahnung, wo die Idee vom "billig abrüsten" herkommt. Es ist hundertmal billiger eine Rakete zu verschrotten, als sie auf einem Stahlkoloss um die halbe Welt zu schippern, sie bei horrenden Benzinkosten in den letzten Winkel der Erde zu bringen und sie dort auf einen Hügel zu ballern. Umständlicher wird man das Zeug wirklich nicht mehr los. Eine stehende Armee mag teuer sein, aber richtig teuer ist eine, die sich bewegt.
Die Kriegsziele, dem Terrorismus sein Rückzugsgebiet zu nehmen, nebenbei ein unmenschliches Regime zu erledigen und anschließend einen geostrategisch äußerst wichtigen Winkel der Erde einzunehmen, dürften viel entscheidender gewesen sein, als das - im Vergleich - bisschen Lobbyismus der Waffenindustrie.



smalonius hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Weiß jemand von euch, warum dieser Wahnsinn in Afghanistan eigentlich noch von der Bundeswehr unterstützt werden muss?

Weil wir eine repräsentative Demokratie sind und die Politiker es besser wissen als du oder die Volksmeinung. :pfeif:

Sagen wir es mal so: Politiker sind dem Druck durch die Bündnispartner und dem Sachzwang, eine tragfähige Lösung zu finden, viel direkter ausgesetzt, als Otto Normalbürger, der in 10-Minuten-Umfragen zu Themen, von denen er mit 95%iger Wahrscheinlichkeit weniger als drei Zeitungsartikel gelesen hat, seine Meinung kundtut. Das ganze wird dann hochgerechnet, eingedost und mit dem bräunlichen Etikett "gesundes Volksempfinden" den Politikern vorgesetzt, die das dann irgendwie in ihre Gesamtstrategie einbauen müssen.
Das Wahlvolk ist nicht blöd und auch nicht immer durchweg uninformiert, aber es besteht halt ein deutlicher Unterschied zwischen einem deutschen Wohnzimmer, wo im trauten Familienkreis konsequenzenlos moralisiert werden kann und einem Sitzungstisch, an dem eine politisch durchsetzbare Lösung gefunden werden muss. "Sofort abziehen" lässt sich schön fordern, wenn man - wie der Bürger ja im Grunde auch - in der Opposition sitzt, aber dass eine tatsächliche Umsetzung eine humanitäre Katastrophe wäre, muss man dabei ja nicht beachten. Das muss nur die Regierung.


smalonius hat geschrieben:Die Liste westlicher Einmischung in Arabien ist lang. Die arabischen Länder waren im zwanzigsten Jahrhundert durchgehend Spielball der Westmächte.

Warum so unbescheiden? Die erste westliche Einmischung fand bereits mit Napoleons Ägypten-Expedition 1798 statt. Im 19. Jahrhundert kann über weite Strecken von einer tatsächlichen Unabhängigkeit im osmanischen Reich keine Rede mehr sein. Seit über 400 Jahren, richtig intensiv aber seit den letzten zwei Jahrhunderten, ist der arabische Raum ein "penetrated system"* (ein Begriff, der vom Nahostforscher L. Carl Brown geprägt wurde) oder ein Gebiet des "indirekten Imperialismus", wo also keine formale Herrschaft ausgeübt wird, über politische Berater, Wirtschaftsmacht, militärische Drohungen und Geheimdienstaktionen aber extrem viel Einfluss ausgeübt wird.

*: Definition nach Brown (in: Brown, L. C.: International Politics and the Middle East, London 1984; S.5):
"A penetrated political system is one that is neither effectively absorbed by the outside challenger nor later released from the outsider's smothering embrace. A penetrated system exists in continous confrontation with a dominant outside political system. The degree of penetration is perhaps best measured by the extent to which differences between local, national, regional, and international politics become blurred. That is, the politics of a thoroughly penetrated society is not adequatley explained – even at the local level – without reference to the influence of the intrusive outside system."

Korrekterweise müssen wir dazusagen, dass es sich bei Afghanistan nicht um einen arabischen, sondern einen multiethnischen Staat mit paschtunischer Bevölkerungsmehrheit handelt. Gesprochen wird neben Paschtu auch Farsi, da Afghanistan Teil des historischen Persiens ist. Die Behandlung durch die westlichen Mächte ändert das allerdings nicht, Afghanistan war aufgrund seiner zentralen Lage zwischen Russland und Indien immer schon ein Hauptschauplatz des "Greate Game", bei dem es neben genereller Kontrolle über Zentralasien für die Briten im 19. Jahrhundertvorrangig um die Sicherung Indiens und für die USA im 20. Jahrhundert u.a. um die Verhinderung eines russischen Zugangs zum Indischen Ozean ging.

smalonius hat geschrieben:Die Briten haben zwischen den Kriegen Giftgas im heutigen Irak eingesetzt, die Grenzen des Iraks wurden von Briten und Franzosen gezogen.

Das ist richtig. Nun muss man hier aber vorsichtig mit Pauschalurteilen sein, denn die künstliche Grenzziehung muss nicht zwangsläufig zur Katastrophe führen, auch wenn sie sicherlich anhand ethnischer Kriterien klüger gezogen hätte werden können. Es hat sich - sehr zum Erstaunen auch der Politikwissenschaft, die das so nicht erwartet hatte -, herausgestellt, dass es auch bei künstlichen, am Reißbrett entstandenen Staaten, eine nach relativ kurzer Zeit einsetzende Nationalisierung gibt. Im Irak wird das durch die extreme Inhomogenität der Bevölkerungsgruppen und das im arabischen Raum besonders schwere Erbe der Stammestraditionen überblendet, aber trotzdem lässt sich auch ein irakischer Nationalismus feststellen. Die Iraker fühlen sich mehr als Iraker als als Araber, die panarabische Idee ist seit gut 30 Jahren tot. Ausnahme bilden vielleicht die Kurden, aber bei den Schiiten gibt es derzeit nicht mal ansatzweise eine Mehrheit für einen Anschluss an den schiitischen Iran.

smalonius hat geschrieben:In den siebzigern und achtzigern handelte man dann nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Man hat Saddam Hussein unterstützt, als dieser im Krieg mit dem Iran lag.

Um den Bogen zu Afghanistan zu schlagen: Wir tun das ja auch heute noch. Der Westen, sprich: wir, paktiert dort mit zwielichtigen Warlords, über deren Menschen- und Bürgerrechtsverständnis nicht unbedingt viel positives bekannt ist, es wird eine Marionettenregierung unterstützt, der sofort mit Entzug der Hilfen gedroht wird, wenn sie aller politischen Klugheit folgend, einen Schritt auf die gemäßigten Taliban zumacht, obwohl genau das kurioserweise auch im Westen mittlerweile laufend erwogen wird.

smalonius hat geschrieben:Man hat die Aufständischen in Afghanistan unterstützt, weil sie im Krieg mit dem kommunistischen Erzfeind USSR lagen. *Einfüge: Zauberlehrling und gerufene Geister, die man nicht mehr los wird.*

Nunja, auch hier war nicht alles falsch: Prinzipiell war die Unterstützung moralisch durchaus zu rechtfertigen, schließlich hatten die Afghanen auch selbst etwas vom Abschütteln der Besatzer. Die eigentlichen Fehler wurden danach gemacht. Vielleicht kennt man einer hier den Film "Der Krieg des Charlie Wilson", der auf einer wahren Geschichte beruht. Am Ende gibt es eine Szene, die Anfang der 90er nach dem Fall des Ostblocks spielt und die das jahrelange zivile (!) Engagement Wilsons exemplarisch zusammenfasst. Dort bittet Wilson um ein paar Millionen Dollar für den Aufbau von Schulen und einfacher Infrastruktur, damit Afghanistan sich entwickeln kann, die Politbürokraten lehnen das aber mit gleichgültiger Miene ab.
Allerdings hat man sich in den 90ern durchaus um einen Rückkauf der Antiluftraketen bemüht, die seinerzeit geliefert worden waren, der auch einigermaßen erfolgreich war. Man hat also zumindest den Versuch gemacht, das gefährliche Zeug dort auch wieder herauszubekommen, das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man behauptet, das Hochrüsten durch die CIA wäre das Problem gewesen. Was eher das Problem war, war schlicht, dass der unterentwickelten Ökonomie des Landes nach dem Sieg keinerlei Aufmerksamkeit mehr geschenkt wurde.


smalonius hat geschrieben:Ron Paul, republikanischer Präsidentschaftskandidat in den Vorwahlen, hat es ausgesprochen: lassen wir die Leute in Ruhe, dann lassen sie uns in Ruhe. Er hat ziemlich viel Sperrfeuer dafür einstecken müssen.

Er hat zwar einerseits Recht, andererseits ist es so einfach nun auch nicht. Im Falle von Bedrohungen, z.B. durch Atomprogramme in politisch unterentwickelten Staaten (nur zur Erinnerung: Keine der derzeitigen Atommächte hat je offen die Absicht ausgedrückt, ein anderes Land "vernichten" zu wollen, im Gegensatz zum Iran), von Genoziden (wie in Darfur, wo meiner Meinung anch längst eine Viertelmillion UN-Soldaten stehen sollte) oder anderen humanitären Katastrophen wie Hungernöten, sind wir sowohl verpflichtet als auch ermächtigt, in anderen Erdteilen zu intervenieren. Die Tatsache, dass wir 500 Jahre Kolonialismus auf dem Buckel haben, heißt nicht, dass wir uns jetzt davonstehlen können und andere Völker komplett alleine mit dem Schlamassel lassen dürfen, in den wir sie reingeritten haben. Im Zweifel heißt das natürlich mehr Zurückhaltung als bisher, andererseits ist das Maß der gegenseitigen Abhängigkeiten derart groß, dass ich da keine saubere Trennung für realistisch halte. Allein durch Handel und Ressourcenhunger und durch ganz natürliches Einsickern anderer Kulturen durch Migration und Medien ist einer Auseinandersetzung mit den Problemen anderer Erdteile nicht aus dem Weg zu gehen. Einfach "in Ruhe lassen" geht schlicht nicht und muss auch nicht sein.


smalonius hat geschrieben:Letztlich ist hier ganz einfache Gruppendynamik am Werk. Wir sind die guten, die Sandneger sind die bösen. Man unterläßt es, die Dinge vom Standpunkt des Gegners aus zu betrachten. Und speziell in Afghanistan versucht man etwas zu erreichen, was die Sowjets mit einer 200 000 Mann starken Armee nicht geschafft haben. :irre:

Dabei sollten wir aber nicht unterschlagen, dass gerade anfangs die Sovjets nicht so unwillkommen waren, wie man denken könnte. Es gab durchaus positive Impulse, insbesondere bei der Emanzipation der Frauen, die erstmals arbeiten gehen konnten. Soziale Gerechtigkeit wollten die Afghanen durchaus mehr als bisher, wobei mit dem Sozialismus wiederum die wengisten etwas anfangen konnten. Es ist nur nicht so, dass die Sovjets bezüglich Modernisierung gar nichts geschafft hätten und ihre Niederlage geht ja zu einem großen Teil auch auf das Konto der Amerikaner. Damit rechtfertige ich keineswegs den unprovozierten Einmarsch der Sovjets, nur sollte man Afghanistan nicht von vornherein als das Armeengrab der Erde ansehen. Letztendlich bräuchte man in Afghanistan mehr Soldatenm aber vor allem viel mehr Geld für den Aufbau von Infrastruktur. Hätten wir da ordentlich geklotzt die letzten Jahre, müssten wir das Problem vielleicht nicht noch die nächsten 50 Jahre mit uns herumschleppen. Wer weiß, wann das nächste Land nolens volens entscheidet, dass es in Afghanistan wegen Drogenanbau, Gewaltherrschaft und Terrorismusverstecken mal wieder genug ist und der zweite Einmarsch im 21. Jahrhundert ansteht?

smalonius hat geschrieben:Die USA hatten vor dem ersten Weltkrieg eine aussenpolitische Doktrin namens splendid isolation - lassen wir die anderen machen und kümmern wir uns um unseren eigenen Kram. Eine Prise davon täte dem Westen heutzutage ganz gut.

Die USA hatten nie eine Devise dieses Namens, der Begriff ist ein rein britischer aus dem 19. Jahrhundert. Die USA hatten hingegen die Monroe-Doktrin, die den europäischen Mächten bedeutete, dass sie es mit den USA zu tun bekämen, wenn sie sich in inneramerikanische Fragen einmischen würden. Innerhalb Amerikas waren die USA aber schon früh mit dabei, ihren Einfluss zu entfalten und im Pazifikraum taten sie sich durchaus auch als Kolonialmacht hervor. Dass ihr Eifer da gebremst war, dürfte daran liegen, dass der Kolonialisierungsdrang bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vor allem darin befriedigt wurde, dass eine Unmenge Land innerhalb der USA einzunehmen war. Und es macht ads Vorgehen gegen die Indianer und Sklaven nicht unbedingt besser, dass es eine innenpolitische Frage war, oder?

Trotzdem gebe ich dir recht. Die Welt entwickelt sich meist dort am besten, wo wir uns rausgehalten haben, siehe Südostasien und Südamerika. Da, wo wir unsere Stellvertreterkriege abgehalten haben, im arabischen Raum und in Afrika bevorzugt, sieht die Welt aus wie ein Kornfeld nach einem Panzermanöver. Ich fände es allerdings großartig, wenn wir, sozusagen auch als Widergutmachung für in den letzten 500 Jahren begangene Schandtaten, den ärmsten Ländern der Welt eine ordentliche Ladung Infrastruktur bauen würden, denn neben anderen geographischen Voraussetzungen ist fehlende Infrastruktur das Haupthindernis für wirtschaftliche Entwicklung.
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Re: Afghanistan

Beitragvon Kurt » Mi 14. Apr 2010, 00:26

Hallo Nanna,

schön, dass hier noch jemand eine differenzierte Meinung hat und sich auch noch die Mühe macht, diese auszudrücken. Wollte ich nur mal gesagt haben. :-)
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Re: Afghanistan

Beitragvon Nanna » Mi 14. Apr 2010, 01:03

Danke! Da man gerade in Internetforen ja meist nur dann Rückmeldungen erhält, wenn jemand etwas auszusetzen hat, freue ich mich über so ein Lob natürlich gleich doppelt.
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Re: Afghanistan

Beitragvon stine » Mi 14. Apr 2010, 07:39

@Nanna: Vielen Dank für die umfangreiche Schilderung.
Doch nochmal dazu:
Nanna hat geschrieben:Ich habe keine Ahnung, wo die Idee vom "billig abrüsten" herkommt. Es ist hundertmal billiger eine Rakete zu verschrotten, als sie auf einem Stahlkoloss um die halbe Welt zu schippern, sie bei horrenden Benzinkosten in den letzten Winkel der Erde zu bringen und sie dort auf einen Hügel zu ballern. Umständlicher wird man das Zeug wirklich nicht mehr los. Eine stehende Armee mag teuer sein, aber richtig teuer ist eine, die sich bewegt.
Die Kriegsziele, dem Terrorismus sein Rückzugsgebiet zu nehmen, nebenbei ein unmenschliches Regime zu erledigen und anschließend einen geostrategisch äußerst wichtigen Winkel der Erde einzunehmen, dürften viel entscheidender gewesen sein, als das - im Vergleich - bisschen Lobbyismus der Waffenindustrie.
Ich bin mir da nicht sicher, ob das Argument so einfach abzuschütteln ist.
Bekriegen kann sich doch nur, wer Waffen für Angriff und/oder Verteidigung ausreichend zur Verfügung hat. Und Waffen scheint es an den Kriegsschauplätzen dieser Welt genug zu geben. Da stellt man sich doch berechtigt die Frage woher diese kommen und mit welchem Geld sie bezahlt wurden. Die Ausrüstung mit russischen Maschinenpistolen, meist älteren Modellen, lassen da freilich den Verdacht zu, dass militärische Altbestände verschachert wurden.
Waffenhandel war auch immer schon das beste Geschäft unerschrockener und skrupelloser Hintermänner, ich glaube, da braucht sich niemand was vormachen.

Nanna hat geschrieben:"Sofort abziehen" lässt sich schön fordern, wenn man - wie der Bürger ja im Grunde auch - in der Opposition sitzt, aber dass eine tatsächliche Umsetzung eine humanitäre Katastrophe wäre, muss man dabei ja nicht beachten. Das muss nur die Regierung.
Ja, hast recht. Trotzdem ist Volksmeinung nicht zu unterschätzen. Der Vietnamkrieg hat den USA viel Kraft gekostet und damit aufzuhören, sich endgültig aus den Gebieten zurückzuziehen schien erst möglich, als sich das Volk und viele engagierte Prominente öffentlich dagegenstellten.
Also einfach die Regierungsmeinung unkritisch hinzunehmen, wäre auch falsch.

Nanna hat geschrieben:Im Zweifel heißt das natürlich mehr Zurückhaltung als bisher, andererseits ist das Maß der gegenseitigen Abhängigkeiten derart groß, dass ich da keine saubere Trennung für realistisch halte. Allein durch Handel und Ressourcenhunger und durch ganz natürliches Einsickern anderer Kulturen durch Migration und Medien ist einer Auseinandersetzung mit den Problemen anderer Erdteile nicht aus dem Weg zu gehen. Einfach "in Ruhe lassen" geht schlicht nicht und muss auch nicht sein.
Die Abhängigkeiten des Westens sind größer, als die des Ostens. WIR brauchen deren Resourcen und nicht umgekehrt sie unseren Wohlstand. Ich bin überzeugt davon, dass in "Ruhe lassen" länger anhaltenden Frieden brächte, als die ständige Einmischung des Westens in eine uns ohnehin unbekannte Lebensweise.

LG stine
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Re: Afghanistan

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mi 14. Apr 2010, 08:42

smalonius hat geschrieben:Nachtrag II: die USA alleine stellen 1/3 aller Weltmilitärausgaben. Der restliche Westen (EU+Japan+Australien+...) stellt das zweite Drittel. Der Rest der Welt, einschließlich Rußland und China, kommt zusammen auf das restliche Drittel. Das heißt: wir sind die Paranoiden.

Dir ist bekannt, dass man Daten nicht unbedingt vergleichen kann? Du bist dir sicher, dass die Soldausgaben für die 2,3 Millionen chinesischen Soldaten, 1,1 Millionen Nordkoreaner, der 1,2 Millionen Inder , ..., pro Kopf genau so hoch ist, wie die für die 1,3 Millionen US-Soldaten pro Kopf?
Der US-Anteil an den Militärausgaben (übrigens mit 41,5% also deutlich mehr als 1/3) ist m.E. weniger ein Zeichen von Paranoia (auch wenn diese vorhanden sein dürfte), eher ein Zeichen des Hegemonialdenkens der USA.
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Re: Afghanistan

Beitragvon Dissidenkt » Mi 14. Apr 2010, 11:42

smalonius hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Von der Wehrmachtsnachfolgeorganisation ist wohl kaum etwas anderes zu erwarten. Die führen - wie eh und je - nur Befehle aus... [An dieser Stelle fehlt mir ein smilie, der die Hacken zusammen schlägt]

Wie wär's mit dem? Bild Oder doch besser gleich: Bild


:2thumbs:


smalonius hat geschrieben:Der Ausgewogenheit halber möchte ich hinzufügen, daß ein General es gewagt hat, Verteidungsminister Guttenberg in einem Brief für dessen Verhalten in der Kundus-Affäre zu kritisieren. Es scheint also auch ehrenwerte Leute in der Bundswehrmacht zu geben. Der General wurde in den Ruhestand versetzt. Ich hoffe, irgend ein Untersuchungsausschuß setzt Guttenberg in den Ruhestand. Wetten würde ich aber nicht darauf. :/


Es gibt eine Menge ehrenwerter Bürger in Uniform, keine Frage! Enige haben sich im Darmstädter Signal organisiert. Leider stellen sie im Gros der BW nur eine Minderheit dar.
http://www.darmstaedter-signal.de/aktuell/2009_11_15_Ak_DS_Afghanistan.php

Besonderen Respekt verdient Jürgen Rose.
http://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Rose_(Publizist)
Einer der ganz wenigen, die für ihren Verfassungspatriotismus tatsächlich gerade stehen und sich nicht für völkerrechtswidrige Kriege einspannen lassen.

Der Mehrheit hat allerdings nach wie vor eine Landsermentalität in den Köpfen, die in Saufgelagen, viehischen Aufnahmeritualen oder widerlichen Souvenirfotos mit Totenschädeln zum Ausdruck kommt. Diese Leute gehen nach Afghanistan, weil ihnen saftige Zuschläge und sexy Abenteur im Katalog von y-Reisen versprochen werden. Kanonenfutter.

smalonius hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Viel schlimmer ist, dass die Medien diesen Krieg subtil unterstützen, anstatt die Kriegstreiber an den Pranger zu stellen.

Nestbeschmutzer. :pfeif:


Das Nest beschmutzen diejenigen, die Hand in Hand mit ihren Büchsenspannern in den Staatsmedien unsere Verfassung unterhöhlen. Kriegstreiber, die Mord und Totschlag wieder zur Option der Politik machen wollen.

Kurz skizzierte Guttenberg die deutsche Ausgangslage. In den 20 Jahren seit dem Mauerfall habe sein Land einen langen Weg in kurzer Zeit zurückgelegt, erläuterte der Minister den Amerikanern. Die derzeit weltweit zehn Operationen, an denen deutsche Soldaten beteiligt sind, belegten, dass militärisches Engagement in der Bundesrepublik wieder Platz und Akzeptanz gefunden habe. Die Bundeswehr sei eine Armee im Einsatz geworden, und ihre Auslandsmission würden in der Bedeutung weiter zunehmen: „Was heute eine Ausnahmesituation ist, muss zur Selbstverständlichkeit werden“, sagte Guttenberg. Soweit die generelle Zustandsbeschreibung.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article5275996/Guttenberg-redet-in-Washington-Klartext.html

Ein paar Infos zur US-Marionette, die sich in der deutschen Staatspropaganda gewöhnlich nicht finden:
http://www.zeitgeist-online.de/exklusivonline/dossiers-und-analysen/230-das-guttenberg-dossier-teil-1.html


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Nanna hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Viel schlimmer ist, dass die Medien diesen Krieg subtil unterstützen, anstatt die Kriegstreiber an den Pranger zu stellen.

Ich habe die bisherige Berichterstattung nicht als undifferenziert erlebt.


Natürlich haben wir es nicht mit platter Ostblockpropaganda zu tun. Die "Meinungsbildung" funktioniert hier - wie ich mit dem Wörtchen "subtil" zum Ausdruck gebracht habe - wesentlich geschickter.

Konforme Berichterstattung

Insgesamt wird vorausgesetzt, dass eine den Eliten angenehme Stimmung erzeugt wird, Debatten und Kritik müssen sich in einem informell vorgezeichneten Kreis bewegen, dürfen sich niemals außerhalb dieses Zirkels bewegen.

Die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich muss hingenommen werden, Hunger ist schlimm, aber unvermeidlich, Kapitalismus ist das beste Wirtschaftssystem, Polizei ist immer gut, Deutschland wird vom „islamistischen“ Terrorismus bedroht, die USA ist unser wichtigster Partner, die offizielle Version des 11. September hat gefälligst zu stimmen, der Lissabon-Vertrag ist gut für Europa, die Hisbollah ist nur mit dem Zusatz „radikalislamistisch“ zu nennen, die Hamas nur in Verbindung mit Iran, Chavez ist als Populist zu bezeichnen, Staaten wie Iran, Nordkorea, Venezuela und Myanmar sollten möglichst in negativen Zusammenhängen dargestellt werden, bei China und Russland kann davon abgewichen werden, wenn es sich um eine für den Westen profitable wirtschaftliche Zusammenarbeit handelt, oder im Fall Kuba, wenn es um Strände und Musik geht. Dies sind nur ein paar Beispiele für informelle Vorgaben, an die sich Journalisten zu halten haben, wenn sie bei großen westlichen Medien arbeiten wollen.

http://www.hintergrund.de/index.php/20090923495/hintergrund/medien/medien-macht-manipulationen.html



Im Ergebnis werden imperiale Kriege als Befreiungskriege bezeichnet. Bürgerliche Freiheiten werden zu unserem eigenen Besten unterdrückt. Wichtige Ereignisse werden nicht angesprochen oder falsch dargestellt. Regierungs- und Geschäftsinteressen werden von ganzem Herzen gutgeheißen. Amerika wird immer "wundervoll" genannt. Gemeinnützige soziale Veränderung wird als Häresie betrachtet. Der Markt ist das Beste, wird uns erzählt, also laßt ihn in Ruhe, und Patriotismus heißt, Gesetzlosigkeit und korporative Geächtete zu unterstützen, indem wir kaufen, kaufen bis wir umfallen.

http://www.hintergrund.de/index.php/20091221627/hintergrund/medien/bezahlte-luegen-das-soll-als-journalismus-in-den-groessten-massenmedien-gelten.html


Nanna hat geschrieben:Es gibt durchaus verständliche Gründe dafür, diesen Krieg zu führen.


Es gibt auch "verständliche Gründe" für Hitlers Ostfeldzug. 1939 hätte dir die jeder Deutsche runterbeten können. Das macht ihn aber nicht akzeptabler.

Nanna hat geschrieben:Einfach von Kriegstreibern zu sprechen und den Befürwortern damit niedere Beweggründe zu unterstellen, dürfte der Debatte kaum dienlich sein.


Es geht nicht um "niedere" Beweggründe, sondern um die moralischen Eckpfeiler der deutschen Politik.

Nanna hat geschrieben:Mal davon abgesehen, dass es ein Rechtssystem namens "Scharia" nicht gibt: Das Recht in Afghanistan besteht noch viel mehr als aus Scharia vor allem aus dem jahrtausendealten Stammesrecht, das sehr komplex und lokal ganz unterschiedlich ist.



"Stanmmesrecht" ist weder kodifiziert, noch allgemein anerkannt. Es ist nichts anderes, als das Recht des Stärkeren in einem feudalistischen System von Sklaverei und Unterdrückung. GENAU darin liegt der Erfolg der Taliban. Auf die Regeln der Scharia kann sich jeder Muslim berufen, auch wenn diese lokal unterschiedlichen Interpretationen unterliegen. Die Scharia gibt den rechtlosen Bauern und Habenichtsen zumindest ein kleines Maß Rechtssicherheit. Auch wenn die Strafen manchmal archaisch und die Rechtsfindung in unseren Augen pittoresk sein mag. Für die Menschen dort ist es besser als der Feudalismus der Warlords oder das Clanrecht lokaler Fürsten.
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Re: Afghanistan

Beitragvon smalonius » Do 15. Apr 2010, 17:28

Nanna hat geschrieben:Politiker sind dem Druck durch die Bündnispartner und dem Sachzwang, eine tragfähige Lösung zu finden, viel direkter ausgesetzt

Druck durch Bündnispartner ist eine heikle Angelegenheit. Man sollte ihm nicht immer nachgeben. Wie war das? Da erschießt jemand in Sarajevo einen Thronfolger und ehe man sich versieht, hat man den 1. Weltkrieg, weil Beistandspakte ineinander greifen wie fallende Dominosteine.

Daß in Afghanistan eine tragfähige Lösung gefunden wurde, bezweifle ich. Man hat ein paar führende Köpfe erwischt, Osama Bin Laden ist verschollen, der Rest hat sich wahrscheinlich nach Pakistan oder sonstwohin abgesetzt. Wie stabil die Lage in Afghanistan nach dem Abzug westlicher Truppen sein wird, muß sich noch zeigen.

Nanna hat geschrieben:Korrekterweise müssen wir dazusagen, dass es sich bei Afghanistan nicht um einen arabischen, sondern einen multiethnischen Staat mit paschtunischer Bevölkerungsmehrheit handelt.

Stimmt. Korrekterweise darf man nicht mal Persien/den Iran zu Arabien rechnen.

Nanna hat geschrieben:Afghanistan war aufgrund seiner zentralen Lage zwischen Russland und Indien immer schon ein Hauptschauplatz des "Greate Game", bei dem es [...] für die USA im 20. Jahrhundertu.a. um die Verhinderung eines russischen Zugangs zum Indischen Ozean ging.

Ja, so ging das Argument damals, kann mich noch erinnern. Den afghanischen Zugang zum Meer habe ich allerdings seitdem auf allen Karten vergeblich gesucht. ;-)

Nanna hat geschrieben:Allerdings hat man sich in den 90ern durchaus um einen Rückkauf der Antiluftraketen bemüht, die seinerzeit geliefert worden waren, der auch einigermaßen erfolgreich war. Man hat also zumindest den Versuch gemacht, das gefährliche Zeug dort auch wieder herauszubekommen, das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man behauptet, das Hochrüsten durch die CIA wäre das Problem gewesen.

Das wußte ich nicht. Ich dachte auch eher an Strukturen, die damit geschaffen wurden, und an zwielichte Leute, die man dadurch gefördert hat.

Nanna hat geschrieben:Im Falle von Bedrohungen, z.B. durch Atomprogramme in politisch unterentwickelten Staaten (nur zur Erinnerung: Keine der derzeitigen Atommächte hat je offen die Absicht ausgedrückt, ein anderes Land "vernichten" zu wollen, im Gegensatz zum Iran)

Dieser "offen ausgedrückten Absicht" scheint ein Übersetzungsfehler zugrunde zu liegen:

"WIPED OFF THE MAP" - The Rumor of the Century
by Arash Norouzi
The Mossadegh Project | January 18, 2007

[...] So what did Ahmadinejad actually say? To quote his exact words in farsi: "Imam ghoft een rezhim-e ishghalgar-e qods bayad az safheh-ye ruzgar mahv shavad."

That passage will mean nothing to most people, but one word might ring a bell: rezhim-e. It is the word "Regime", pronounced just like the English word with an extra "eh" sound at the end. Ahmadinejad did not refer to Israel the country or Israel the land mass, but the Israeli regime. This is a vastly significant distinction, as one cannot wipe a regime off the map. Ahmadinejad does not even refer to Israel by name, he instead uses the specific phrase "rezhim-e ishghalgar-e qods" (regime occupying Jerusalem).

So this raises the question.. what exactly did he want "wiped from the map"? The answer is: nothing. That's because the word "map" was never used. The Persian word for map, "nagsheh", is not contained anywhere in his original farsi quote, or, for that matter, anywhere in his entire speech. Nor was the western phrase "wipe out" ever said. Yet we are led to believe that Iran's President threatened to "wipe Israel off the map", despite never having uttered the words "map", "wipe out" or even "Israel".

The full quote translated directly to English:

"The Imam said this regime occupying Jerusalem must vanish from the page of time".

http://www.mohammadmossadegh.com/news/r ... e-century/


Nanna hat geschrieben:Allein durch Handel und Ressourcenhunger und durch ganz natürliches Einsickern anderer Kulturen durch Migration und Medien ist einer Auseinandersetzung mit den Problemen anderer Erdteile nicht aus dem Weg zu gehen. Einfach "in Ruhe lassen" geht schlicht nicht und muss auch nicht sein.

Ich sehe schon einen Unterschied zwischen UN-Hilfsmissionen auf der einen Seite und nation building wie dem Sturz von Saddam auf der anderen. Und in Nordkorea oder gar China würde sowieso niemand einmarschieren wollen.

Nanna hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Die USA hatten vor dem ersten Weltkrieg eine aussenpolitische Doktrin namens splendid isolation
Die USA hatten nie eine Devise dieses Namens,

Hoppla, da hab ich jahrelang Mist erzählt. :ops:

Nanna hat geschrieben:Ich fände es allerdings großartig, wenn wir, sozusagen auch als Widergutmachung für in den letzten 500 Jahren begangene Schandtaten, den ärmsten Ländern der Welt eine ordentliche Ladung Infrastruktur bauen würden

Tja, die Welt kann sich Armeen leisten, oder sie kann sich Entwicklung leisten, nur beides gleichzeitig wird so richtig teuer. :/


1von6,5Milliarden hat geschrieben:Dir ist bekannt, dass man Daten nicht unbedingt vergleichen kann? Du bist dir sicher, dass die Soldausgaben für die 2,3 Millionen chinesischen Soldaten, 1,1 Millionen Nordkoreaner, der 1,2 Millionen Inder , ..., pro Kopf genau so hoch ist, wie die für die 1,3 Millionen US-Soldaten pro Kopf?

Ich kenne das Argument. Ob ich's glaube? Weiß nicht. Da würde ich vorher gerne Zahlen sehen, wie hoch die Personalkosten im Vergleich zu den Materialkosten sind.
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Re: Afghanistan

Beitragvon Entität » Mo 19. Apr 2010, 20:28

Ich denke nicht, dass es noch sehr viel Sinn macht - aber [del]Deutschland[/del] die deutsche Regierung will sich in der Nato behaupten und ist auch sehr an einem ständig Sitz im UN-Sicherheitsrat interessiert.
Außenpolitische Interessen und das Besetzen von Machtpositionen werden von der Regierung als wichtiger eingestuft , als sowas unwichtiges wie der Wille des Volkes.

Georg Schramm dazu:
http://www.youtube.com/watch?v=6CUQXATq-Rk

greets
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