Ausgerechnet jetzt, wo ich mich ein wenig hier herausziehen wollte, kommt eine Angelegenheit zur Sprache, die mir sehr wichtig ist und auch noch zum Thema des Threads vielleicht einiges Erhellende beitragen könnte.
Also, noch mal:
HFRudolph hat geschrieben:In ihrem Sinne trifft die Wissenschaft selbstverständlich Aussagen über die Realität und zwar bewiesene Aussagen - die Wissenschaft wäre ansonsten ein reines Denkmodell!
Genau. In ihrem Sinne, dh ihrem subjekiven Denkhorizont, tut sie das natürlich. Um objektiv zu sein fehlt ihr die Letztbegründung. Aus der Sicht aller anderen Erfahrungsdimensionen ist sie in der Tat ein reines Denkmodell.
Insofern muss man auch vom aspektivischen Charakter der Wirklichkeit sprechen.
Was mich nun wundert, ist, dass sich diese Überlegung für Naturalisten, wenn sie sich nur ein wenig rational-selbstkritisch betrachten würden, so schlecht zuende denken lässt.
HFRudolph hat geschrieben:Fisherman's Fellow hat geschrieben:... statt in sich und außerhalb sich den Klangcluster zu spüren und sich von ihm erfüllen zu lassen, der nicht von Geräten gemessen, von schalltoten Räumen isoliert und von Marketingleuten ausgenutzt werden kann. ...
Na, moment. Das ist etwas anderes. Wer sagt denn wohl, dass ein Naturalist das nicht tut?
Was nicht tut: Halluzinieren und sich wohl dabei fühlen?
Oder wie würdest Du eine solche Empfindung einschätzen?
HFRudolph hat geschrieben:Kunst und Kultur können überhaupt erst angemessen gedeihen, wenn man den Geist nicht mit diesen miespetrigen Suggestionen klein macht.
Wovon sprichst Du?
HFRudolph hat geschrieben:Soweit jemand allerdings die reale Existenz einer Gottheit in "Klangclustern...spüren" können soll, muss ich sagen, dass diese Methode wohl nichts mit der Erkenntnis der realen Beschaffenheit der Welt zu tun hat....
Lässt sich diese Behauptung auch beweisen?
Jetzt kommen wir zu den wesentlichen Punkten:
HFRudolph hat geschrieben:Das ist eben auch so eine Irrvorstellung, dass sich der Naturalismus seine Normen irgendwo "borgen" müsse, während das Christentum diese angeblich von vornherein enthält, quasi gottgegeben: Die Begründung von Normen erfolgt immer gleich.
Dass sich dies aus der Sicht des Naturalismus so darstellen muss, ist evident: Wo Gott a priori ausgeschlossen und alle Erfahrung als aus profanen Quellen stammend festgelegt wird (methodischer Atheismus), da gibt es eben nur "gleiche" Begründung von Normen, nämlich gar keine.
Diese Sichtweise ist jedoch genauso einseitig wie die des Islam.
Meiner Glaubenserfahrung stellt sich die Lage völlig anders dar: Gott ist präsent und durch seinen Geist erfahrbar. Sein Wort setzt Maßstäbe, begründet Normen. (Dieses 'Wort' ist nicht identisch mit der Bibel - nur um Missverständnissen vorzubeugen)
Diesen Maßstäben stehen andere entgegen, die die Menschen sich selber erfinden. Für beide gilt die von Jesus formulierte Regel: "Auf Dornsträuchern wachsen keine Trauben: An den Früchten werdet ihr sie erkennen."
HFRudolph hat geschrieben:Die Religionen nehmen auch auf diesem Gebiet in aller Regel eine illegitime Verknüpfung des angeblichen Erkenntnishorizonts mit den Normen vor.
Zu dieser Einschätzung kann man nur kommen, wenn man die naturwissenschaftliche Erfahrungsdimension absolut setzt.
Andernfalls fehlt einem wissenschaftlich-analytisch dimensionierten Menschen schlicht die Kompetenz, dies zu beurteilen.
HFRudolph hat geschrieben:Wenn ein Gläubiger tatsächlich auf diese Art und Weise seine Werte und Normen bilden würde, dann stünde er im wahrsten Sinne des Wortes jenseits von gut und böse.
Nicht der Gläubige, sondern Gott!
HFRudolph hat geschrieben:Auch auf diesem Gebiet müssen sie in nicht unerheblichem Maße mit Suggestionen arbeiten.
So zumindest die Sicht des Naturalismus. Eine aus meiner Sicht völlig unangemessene Einschätzung; und zur Begründung des Naturalismus gegenüber anderen Erfahrungsdimensionen habe ich oben schon einiges geschrieben.
HFRudolph hat geschrieben:Der Naturalismus ist dem Supernaturalismus auf ethisch-moralischem Gebiet weder überlegen noch unterlegen.
In der Historie (wie auch sonst) gibt es zwar nur Plausibilitäten, aber diesen entnehme ich, dass es zumindest in den Wirkungsbereichen des Christentums weniger gewalttätig und monströs zugegangen ist als in politischen Systemen, die ihre Werte rein säkular gewannen.
Damit will ich nicht sagen, dass so genannte "christliche Gesellschaften" in ihrem Wesen christlich gewesen seien. Die mittelalterlichen Staaten zB übernahmen, so wie ich das sehe, wesentlich mehr germanische und keltische Traditionen als christliche, wobei das Christentum ausserhalb von Orden und nonkonformistischen Gemeinschaften nur in einer kaum wiederzuerkennenden "Ultra-Light-Version" in den Pool der sozialen Kräfte einfloss. Immerhin waren einige wenige christliche Werte wirksam.
HFRudolph hat geschrieben:Überhaupt rate ich davon ab, zwischen religiösen Werten und sonstigen Werten zu trennen und erst recht rate ich davon ab, dogmatisch irgendwelche Normkomplexe zu übernehmen.
Zumindest was den Dogmatismus betrifft, sind wir uns einig.
HFRudolph hat geschrieben:Man kann wohl letztendlich ebensowenig darauf verzichten, Gründe für die eigenen Werte zu suchen, wie auf eine Begründung für den eigenen Erkenntnishorizont.
Diese Ansicht halte ich für monströs. Damit öffnet man nicht nur dem blanken Eigennutz Tür und Tor, man begibt man sich darüber hinaus auf dieselbe Stufe von Unterdrückern und Völkermördern: Wer siegt, hat Recht.
Grüßle,
FF
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