Kann ja sein, dass ich Eure Ausführungen arg mißverstehe, aber ich finde, Ihr geht ganz schön kompliziert an die Frage heran. (Aber: im Folgenden kann ich auch nur ziemlich vage und wiederum komplex über das "Ich"-Phänomen daherreden. Als "Warnung" schick ich voraus, dass ich zwar durchaus auch rational und logisch gerne über solche Dinge nachdenke, aber als "phanastophiler und mystischer" Bright nicht der Ansicht bin, dass man — vor allem als Laie — nur mit Logik diesen Erscheinungen Herr werden kann.)
Ich hänge auch der Ansicht an, dass das "Ich" eine emergente "Eigenschaft" des Bewußtseins ist. Wobei ich allen arg vereinfachenden Herangehensweisen der klassichen Psychologie abhold gegenüberstehe (von wegen Ich, Es und Überich). Die Frage, was das Ich prägt — Gene oder Milieu — wird ja schon lange verhandelt. Meiner Meinung greifen alle Erklärungen zu kurz, die nur das eine (Gene -> Ich-Determinismus) oder das andere (Milieu -> Geknetetwerden) als endgültige Ich-Formatierungsthese postulieren.
Kleiner Gedankensprung: wer beobachtet und bezeichnet sich als "Ich", wenn ich mich als "Ich" wahrnehme und bezeichne? Wer ist da mit wem ident, wenn ich (wer?) von meiner Identität spreche? Da sind ja
mindestens drei im Spiel (gewisse moderne Ansätze gehen sogar von Fünf inneren Instanzen aus, die miteinander interagierend verschiedene Ich-Zustände zeitigen).
Bin "Ich" denn noch "Ich", wenn ich mich z.B. in einen anderen hineinversetzte, also mit Hilfe meines Vorstellungs- und Einfühlungsvermögens in "seine/ihre Haut schlüpfe"? Oder bin ich in diesem Moment jemand anders? Bin "Ich" ein Tier, wenn ich im Spiel zum Panther werde? Bist Du ich, wenn Du dich in mich hineinversetzt? — Arg konfrontiert mit solchen Fragen werden ja. z.B. Liebende oder auch Feinde, denn hier "infiziert" sich das eigene Ich mit dem des anderen; bei Liebenden aus Zuneigung und Rücksicht, bei Feinden aus Abneigung und Konkurrenz. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß bei Liebenden die Grenzen zwischen Ich und Du ganz schon durcheinander kommen können. Das liegt aber nicht etwa daran, dass da "spirituelle Partikelströme" ausgetauscht werden, sondern hat wiederum mit diesem Hineinversetzten Kraft Vorstellungs- und Hineinversetzvermögen zu tun.
Ein Computer, der z.B. das Klima durchrechnet, wird ja auch nicht zum Klima selbst, sondern emuliert eben nur eine Simulation des Klimas, anhand der zu Grunde liegenden Daten. Und hier werden Dinge arg vereinfacht, denn eine Karte des Reiches im Maßstab 1 zu 1 ist nun mal eine Unmöglichkeit. — Das Ganze ist saukompliziert auseinanderzufizzeln, weil es sich hierbei um ein Phänomen "sich selbst enthaltender Gefäße handelt". Sprich: Der Körper ist ein Gefäß, welches das Gefäß der Ich-Erfahrung enthält, welches wiederum verschiedene Zustände der körperlichen und zeitlichen Ich-Erfahrung enthält.
Mensch ist also mensch selbst, weil mensch eben kein anderer ist. Immerhin: die Problematik, warum mensch er/sie selbst und kein(e) andere(r) ist, stellt sich ja z.B. nur dann, wenn man die phantastische Idee zugrunde legt, dass es "irgendwo" ein vorgeburtliches Haus der Seelen gibt, in dem die Selbste bereits voll ausgeformt in Warteschleife herumschwirren und dann rekrutiert werden. Nur so läßt sich denken, dass ein (phantastsiches) vor- oder überirdisches "Ich" auch in einem anderen Körper (einem anderen Universum) als dem eigenen hätte inkarnieren können. Bäume können sich diese Frage gar nicht stellen. Die Frage, warum dieser eine Baum (das eigene Ich) nicht ein anderer Baum (ein anderes Ich) ist, kommt nur zustande, wenn man schlampig mit dem Möglichkeitsraum spielt. Eine Möglichkeit ist nun mal nur als Möglichkeit Fakt, ist aber eben nichts, was tatsächlich der Fall ist. (So wie GOtt als Vorstellung durchaus real ist, aber außerhalb der Vorstellung liegt der GOttes-Idee nichts materiell Faktisches zugrunde.)
Das vor- oder überkörperliche Ich ist meiner Meinung nach reine Fantasy.
Zuerst ist da ein heranwachsender Organismus, der wird geboren und kann im Zuge seines Wachstums irgendwann die Stufe erreichen, sich Kraft seines Bewußtseins seiner selbst gewahr zu werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang die sogenante "Spiegelerfahrung", die man (wenn ich mich richtig erinnere) ab dem 3 bis 4 Lebensjahr leisten kann. Sprich: beim Blick in den Spiegel realisiert man, dass man sich da selbst sieht, aber das Spiegelbild ist eben "nur" eine Reflektion, nicht der eigene Köfper selbst.
Eine "höhere" Form der Spiegelerfahrung kann man dann z.B. anhand von Erinnerungen, z.T. durch Tagebuchschreiberei machen. Das geht mir so, wenn ich heute, als 35-jähriger meine alten Aufzeichnungen lese, als ich z.B. 18 oder 25 war. Dieser jüngere Molo, dessen Aufzeichnungen ich da lese, ist nicht mehr der gleiche, wie ich jetzt bin und doch erkenne ich mich zum Teil wieder, womöglich aber ist mir dieses jüngere Selbst meiner Tagebuchaufzeichnungen mittlerweile völlig fremd. Weitere interessante Frage: wer erkennt sich da wieder, bzw. hat sich da von wem entfremdet (und wer stellt diese Entfremdung fest)? — Solche Beobachtugen führen mich zu der Überzeugung, dass das "Ich" keineswegs eine fixe Sache ist, die greifbar und permament ist wie z.B. ein Tisch (und auch Tische gehen irgendwann den Gang alles irdischen und sind irgendwann nicht mehr Tisch, sondern ein Haufen Schrott).
»Panta rei« sagte Heraklid schon, als er von der Unmöglichkeit sprach, zweimal den selben Fluß zu durchqueren, denn es ändert sich sowohl der Fluß, als auch man selbst.
Soweit ich als schwurbelnder Improvisations-Philosoph über sowas nachdenk, komme ich zu dem Schluß, dass das "Ich" eine sich im Lauf der Zeit wandelnde Angelegenheit ist, und weniger mit Imago- und Gegenstandsphänomenen zu tun hat, sondern fruchtbarer mit Begriffen der Akkustik, der Musik zu greifen ist und das hat immer mit Zeit, also Wandel zu tun. Ein "Ich" ist also weniger wie ein Bild, das einmal gemalt so bleibt wie es ist, sondern ein "Ich" gleicht vielmehr einer Melodie, die im steten Wandel variiert wird (man kann auch die Metamorphose-Bilder eines M.C. Escher als Illustration heranziehen, wo sich in diskreten Schritten Insekten in Fische "verwandeln").

QUELLE:
Jigsawpuzzle.comDaher diese schwere Greifbarkeit, denn da bleibt sich etwas im Lauf der Zeit erkennbar ähnlich, und ändert sich doch zugleich. Der Mensch kommt mit solchen Schwurbeldingen nur schwer zurecht und zieht deshalb (mehr oder weniger "willkürlich") Grenzen. Wenn "Ich außer mir bin vor Zorn oder LIebe bin", dann bin ich eben nicht plötzlich ein anderer. Vielmehr wurde mein "Ich" in eine andere Harmonie transponiert, die im Kontrast steht zum "Alltagsbewußtsein". Immerhin: wir fokussieren ja nicht dauernd mit erbarmungsloser Schärfe auf unser "Ich", sondern eben nur in (selbst-)reflektiven Stimmungen, wobei wir dann sowohl zugleich Ich, Spiegel und Spiegel-Ich sind.
Grüße
Alex / molo