Ach, Jürgen ...

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Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 12:28

"Bei seinem Vortrag auf dem Kapitol kritisierte Habermas die Säkularisierungstheorie und forderte die Laizisten zur Einsicht auf. Nein, der Glaube sterbe nicht automatisch ab in modernisierten Gesellschaften. Ja, man brauche "religiöse Gemeinschaften" zur Meinungs- und Willensbildung. "Vom postmetaphysischen Standpunkt aus erlaubt der Wettbewerb zwischen unterschiedlichen religiösen oder kosmologischen Lehren keine vernünftige Lösung mehr", sagte Habermas und fügte in der Debatte noch hinzu: "Ich verstehe nicht, weshalb Zeichen eines Glaubens nicht offen getragen werden dürften."

Am Freitagabend fügte er, im Disput unter anderem mit dem Bischof von Terni, hinzu: "Wir sollten aufhören nachzudenken, was vernünftig ist am Glauben und was nicht." Ein "reformierter Agnostizismus" fragt nicht nach der metaphysischen Ursuppe, aus der ein Argument sich speist, er prüft nur die Anschlussfähigkeit im demokratischen Diskurs. Die katholische Kirche sei als weltweite, zentrale Organisation besser für die globale Herausforderung gewappnet als ihre protestantischen Konkurrenten."


(http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,506197,00.html)
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Max » Di 18. Sep 2007, 13:12

"Ich verstehe nicht, weshalb Zeichen eines Glaubens nicht offen getragen werden dürften."
Weil es sich dabei um einen Glauben handelt und man auf einem Glauben keine politischen und ethischen Entscheidungen aufbauen kann?

Achja: Seid wann darf ein Glaube nicht offen zu Schau getragen werden in Europa?
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon stefan2 » Di 18. Sep 2007, 15:52

"... er ist halt ein schlichter alter Mann... "

... das hat man doch vorgestern in einem anderem Zusammenhang gehört?! Passt hier wahrscheinlich auch. Vielleicht sollte man ein Heim für alte Kardinäle, ... einrichten mit einer Kanzel bzw. einem Katheder an zentraler Stelle: da können sie sich gegenseitig was vorpredigen und keiner hört so richtig hin.

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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 16:01

stefan2 hat geschrieben:"... er ist halt ein schlichter alter Mann... "


So schlicht im Gemüt ist Deutschlands einzig verbliebender "Großdenker" nun nicht.
Aber dass er sich als alter Mann auf die Seite der postrationalistischen Postmodernisten geschlagen hat, denen es wieder behagt, mit den Religionen 'diskursiv' zu kuscheln, hat mich sehr enttäuscht.
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon stefan2 » Di 18. Sep 2007, 16:08

So hab ich das auch nicht gemeint. Ich denke, auch Meisner ist kein "schlichter alter Mann", obgleich er in einer ganz anderen Liga spielt wie Habermas - da sind wir uns bestimmt einig. Sehr enttäuscht bin ich darüber auch - keine Frage.
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Sisyphos » Di 18. Sep 2007, 17:35

Hmm. Ist der Jürgen Habermas jetzt Dodo-verdächtig? Oder wäre das respektlos? :/
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon stefan2 » Di 18. Sep 2007, 17:48

Das hat er sicher nicht verdient - und das Ganze dann mit knapp zwanzig abstimmenden Hanseln...
Wenn's nicht ein Eulen-nach-Athen-tragen wäre, könnte man ja den "schlichten alten Herrn" aus Köln vorschlagen. Aber das ist ja schon fast ein Dodoissimus ...
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Myron » Mi 19. Sep 2007, 00:36

Myron hat geschrieben:[i]"Bei seinem Vortrag auf dem Kapitol kritisierte Habermas die Säkularisierungstheorie und forderte die Laizisten zur Einsicht auf. (...) Am Freitagabend fügte er, im Disput unter anderem mit dem Bischof von Terni, hinzu: "Wir sollten aufhören nachzudenken, was vernünftig ist am Glauben und was nicht.
(http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,506197,00.html)


Ich finde es wirklich befremdlich, dass ausgerechnet der "altlinke" Habermas den Religiösen einen Freibrief für Irrationalität ausstellt, wo er doch wissen muss, dass sich der religiöse Fanatismus und Terrorismus aus einer absurd-irrationalen Religiosität speisen, die niemals selbstkritisch danach fragt, "was vernünftig ist am Glauben und was nicht", und aus ebendiesem Grunde gemeingefährlich ist.

"Realität" und "Rationalität" sind für die Postmodernisten, die Postmetaphysiker, die Postrationalisten offenkundig nur noch schnöde Begriffe. Es komme schließlich allein auf "die Anschlussfähigkeit im demokratischen Diskurs" an.
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Tapuak » Mi 19. Sep 2007, 08:11

Warum sind immer alle überrascht, wenn Hamermas mal wieder solchen Unsinn verzapft hat? Dieses Kokettieren mit der Religion betreibt er doch schon seit Jahren, und auch ein wissenschaftlich orientierter Denker war er nie. Im Gegenteil, "defizitär" war wissenschaftliches Denken für ihn seit jeher. Das sind also keine neuen Entwicklungen oder ein plötzliches "Umfallen". Er war in dieser Hinsicht nie wirklich anders (zumindest wüsste ich das nicht).
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon ostfriese » Mi 19. Sep 2007, 15:58

Da würde ich den Herrn H. doch mal fragen wollen, was er unter "anschlussfähig im demokratischen Diskurs" versteht.

Ist anschlussfähig nur, was von hinreichend vielen Trotteln geglaubt und/oder praktiziert wird? Oder nicht vielleicht -- langfristig -- eher das, was sich in einer kritisch-rationalen Auseinandersetzung als akzeptierbar bzw. geboten herausstellt?

H. drückt sich vor dem moralischen Urteilen. Das Prinzip, nichts vorzuschreiben, ist nicht selbstanwendbar und daher paradox. Obendrein ist es widernatürlich, denn wir Menschen sind von Natur aus wertende Wesen.

So segensreich die Entlarvung unsicherer Wertefundamente sein mag, so verhängnisvoll ist das Abgleiten in einen diffusen Relativismus.

Großdenker? Dass ich nicht lache! Auf den Thron haben ihn hauptsächlich selbsternannte "Intellektuelle" gehoben, denen naturwissenschaftliches Denken immer schon suspekt war: weil sie wenig bis gar nichts davon verstanden. Wenn ihr mich fragt: Der Kaiser friert...
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Myron » Mi 19. Sep 2007, 16:06

ostfriese hat geschrieben:Da würde ich den Herrn H. doch mal fragen wollen, was er unter "anschlussfähig im demokratischen Diskurs" versteht.


Er meint ja, dass die religiösen Gemeinschaften zur Meinungs- und Willensbildung in einer demokratischen Gesellschaft gebraucht würden. "Anschlussfähig" sind sie für ihn anscheinend dann, wenn sie sich konstruktiv am "demokratischen Diskurs" beteiligen.

Ich habe gerade erfahren, dass "Anschlussfähigkeit" ein terminus technicus der soziologischen Systemtheorie ist:
http://de.wikipedia.org/wiki/Anschluss_(Soziologie)

Was genau er bedeutet, weiß ich (noch) nicht.
(Die Systemtheorie à la Luhmann ist auch nicht unbedingt dazu gedacht, verstanden zu werden ... :furz:)

"Anschlussfähigkeit:
Einer der bedeutsamsten Grundbegriffe moderner Theoriebildung, da alle autonomen Einheiten ihre Eigenständigkeit und interne Reproduktion innerhalb eines Milieus vollziehen. Wenn die Organisation der internen Reproduktion von Elementen keine Anschlussfähigkeit mit der Umwelt herstellen kann, erlischt sie. Das gilt für lebende und psychische Systeme gleichermassen wie für Kommunikationen und Kulturen."

(http://www.brock.uni-wuppertal.de/cgi-b ... %E4higkeit)

Vielleicht will Habermas sagen, dass die Religionen den kommunikativen Anschluss an den säkularen Teil der Gesellschaft nicht verlieren dürfen.
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Kival » Mo 24. Sep 2007, 00:08

Myron hat geschrieben:
stefan2 hat geschrieben:"... er ist halt ein schlichter alter Mann... "


So schlicht im Gemüt ist Deutschlands einzig verbliebender "Großdenker" nun nicht.


Er ist eine aufgebauschte Plaudertaschen mit recht hohem Bildungsgrad - Großdenker... was für eine Beleidigung jedes jemals Großdenkenden!

Aber dass er sich als alter Mann auf die Seite der postrationalistischen Postmodernisten geschlagen hat, denen es wieder behagt, mit den Religionen 'diskursiv' zu kuscheln, hat mich sehr enttäuscht.


Vertritt er schon seit Jahren und passt doch perfekt zu seiner irrationalistischen Grundhaltung.

stefan2 hat geschrieben:Das hat er sicher nicht verdient


Oh doch.
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Re: Ach, Jürgen ...

Beitragvon Myron » Mo 24. Sep 2007, 00:17

Kival hat geschrieben:Er ist eine aufgebauschte Plaudertaschen mit recht hohem Bildungsgrad - Großdenker... was für eine Beleidigung jedes jemals Großdenkenden!


Das sehen manche anders:

"Jürgen Habermas currently ranks as one of the most influential philosophers in the world."

"Jürgen Habermas rangiert derzeit als einer der einflussreichsten Philosophen der Welt."

(http://plato.stanford.edu/entries/habermas)

Siehe insbesondere:
"The Dialogue between Naturalism and Religion": http://plato.stanford.edu/entries/haber ... aBetNatRel
(Hab ich selber eben erst entdeckt.)

Da gibt's auch ein Buch:

* Habermas, Jürgen. Zwischen Naturalismus und Religion: Philosophische Aufsätze. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005.
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