Zappa hat geschrieben:Aber grade bei der Folgeabschätzung spielt doch das (zukünftige) Sein wieder die entscheidende Rolle. Im Übrigen ist es ausgesprochen sinnvoll eine methodisch möglichst gute Folgeabschätzung abzuliefern, womit wir wieder beim zunehmenden Einfluss (Natur)wissenschaftlicher Methoden wären (s.zB. Klimawandel).
Ja, für viele Bereiche, weshalb man, bei Entscheidungsfindungen und Klärung, was zu tun und ob was zu tun ist, gut daran tut diverse Wissenschaftler zu befragen.
Aber wie Nanna ausführte, können die uns im besten Fall sagen, was kommen wird (und im weniger guten Fall widersprechen sie sich gegenseitig, z.B. in der Finanzkrise, bei der zu jeder Meinung stets auch mindestens eine Gegenmeinung von einem ebenso renommierten Experten zu hören oder lesen war), im Rahmen der gerade aktuellen Modelle, für die es mitunter noch keine Vergleichswerte gibt, aber gesetzt den Fall, wir wüssten einen Verlauf halbwegs sicher, es hieße immer noch nicht, dass wir uns klar sind, was wir tun sollten und wie wir das begründen.
Nehmen wir an, man beschließt eine äußerst brutal vorgehende Terrorgruppe zu stoppen. Wie geht man vor? Wie weit darf man gehen? Darf ein Rechtsstaat foltern, um an relvante Informationem zu gelangen? Oder wäre gerade das ein Sieg des Terrors, wenn Rechtsstaaten sich gezwungen sehen Steinzeitmethoden anzuwenden?
Oder geht es nur darum, gut geheimzuhalten, was man macht und eine makellose Fassade anzubieten? Was ist mit gezielten Drohnentötungen eines Terrorführers? Wie weit darf man eine Bevölkerung unter Generalverdacht stellen um eine paar Extremisten zu fassen?
Da spielen politische, militärische, soziologische, psychologische und ethische Motive mit hinein. Darf man das Volk belügen, wenn es niemand merkt? Oder ist lückenlose Transparenz gar keine Forderung, die man an eine Staat stellen sollte? Und wie ist das in der Partnerschaft?
Sind Prinzipien noch ernstzunehmen, wenn man ständig Ausnahmen beansprucht und darf eigentlich jeder die Ausnahmen beanspruchen?
Oder eben die Zukunft der synthetischen Biologie und so weiter, der Frage, wie weit man bei der Fusion von Computer und Bewusstsein gehen sollte und dergleichen.
Der Hinweis darauf, dass die Möglichkeit des Verstoßes besteht ist kein gültiges ethisches Argument. „Es wird sowieso gemacht, was gemacht werden kann und wer das nicht sieht ist einfach nur naiv“ ist ein schlechtes ethisches Argument, denn eine Lüge oder ein Mord wir nicht dadurch gut, dass auch heute sicher wieder gelogen und gemordet werden wird.
Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Aber der Rückgriff auf das biologische Sosein des Menschen oder das Verhalten der Paviane oder Graugänse ist für die Forschung interessant, nicht für die Ethik.
Sehe ich so apodiktisch als Fehlschluss an
Die Beobachtung z.B. dass Homosexualität in der Natur durchaus vorkommt hat einen relevanten Einfluss auf die Homosexualitätsdebatte gehabt, natürlich vor allem weil Gegner mit dessen Unnatürlichkeit argumentiert hatten.
Ist m.E. ein ebenso schlechtes wie gefährliches Argument.
Hier musst Du wieder trennen, in welchem Kontext diskutiert wird. Im Bibelkreis, unter Schwulenfeinden – sind die überhaupt argumentativ umzustimmen, oder gilt hier, dass man warten muss, bis die Generation ausgestorben ist? - oder unter theoretisch ernsthafteren Bedingungen?
Ich finde, das wissenschftliche Argument, dass Homophobie eine Beigabe patriachaler Systeme ist (und von Menschen, die eine patriarchale Denkweise verinnerlicht haben), da viel zielführender und erklärungsmächtiger, das nur nebenbei.
Schlecht und gefährlich ist es, weil Du hier mehr pokerst und taktierst, als argumentierst. Du sagst im Grunde genommen: „Lass uns den naturalistischen Fehlschluss doch hier mal gelten lassen, man kann ihn auch prima gegen die wenden, die ihn benutzen.“ Sehr gefährlich, denn wenn Du hier eine Ausnahme machst, was machst Du, wenn jemand daherkommt und sagt: „Kinder mit Down-Syndrom sollten abgetrieben werden“ und danach nicht artig schweigt, sondern nachlegt, oder ein Populist die Gunst der Stunde nutzt und sagt: „
Sowas ist unter natürlichen Gesichtspunkten gar nicht überlebensfähig.“ Die Aufforderung doch „die Natur entscheiden zu lassen“ hat die ganzen fragwürdigen und zu unrecht idealisierten Biologismen im Schlepptau, denen zufolge nur was fit und gut (nützlich) ist überlebt, so sei das eben mit der Evolution, ein Nautrgesetz, da habe niemadn reinzupfuschen. Amen.
Zappa hat geschrieben:Die Beobachtungen von Piaget haben doch durchaus zum Verständnis der menschlichen Moralentwicklung beigetragen, die evolutionäre, genetische und verhaltensmäßige hochgradige Verwandschaft der menschlichen "Rassen" war ein wichtiges Argument gegen Rassismus etc. pp.
... der jetzt als Transhumanismus wie der Phönix aus der Asche entsteht?!
Zappa hat geschrieben:Begründungen haben für mich sowieso notwendig einen Seinsbezug, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Das aber Begründungen mit Seinsbezug eine besondere argumentative Kraft haben, kann doch nicht bestritten werden.
Im Allgemeinen werden sie gegenüber der Logik als nachrangig angesehen.
Zappa hat geschrieben:Aber das geht doch viel weiter! Das Kinder eine Bezugsperson brauchen spielt bei der Betreuung von Waisen eine Rolle, das Hühner scharren wollen bei der Tierhaltung (wenn auch noch viel zu wenig), das Hunde Empathie aufbringen bei europäischen Ernährungstabus etc. pp.
Du hast den Vor- oder Nachteil, dass für Dich viele Forderungen bereits als ethisch relevant feststehen, die für andere überhaupt nicht feststehen.
Das Problem, was Du m.E. verkennst ist, dass der Schäferhundproll, der „auf'm Platz“ seinen Adol... nein, übertreiben wir nicht, seinen Hasso niederbrüllt, weil ja jeder weiß, dass man Hunden erst den Willen brechen („brächn!“) muss, damit sie folgsam werden und der sicher weiß, dass der Mensch Fleisch („Flaaisch“) braucht, weil er sonst krank wird, dem ebenso klar ist, dass in der Kindererziehung Schläge noch keinem geschadet haben und so weiter, sicher nicht bis in die feinsten Verästelungen ethischer Argumente folgen wird … aber der wird sich auch von den neusten Erkenntnisse der Wissenschaft nicht in seiner Weltsicht beeinflussen lassen. Wer auf dem Niveau einer Planierraupe argumentiert, meinst Du der geht plötzlich in sich und sagt: „Ach so, das ist eine gesicherte Erkenntniss der neuen Forschung? Na wenn das so ist, dann ziehe ich mein Argument zurück und denke darüber nach, welche Folgen das für mein Leben hat.“
Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Aber ethische relevante Diskussionen finden ja unter Experten statt und da ist die genaue Begründung und die Vermeidung von Fehlschlüssen ein zu forderndes Kriterium, so wie Du ja im Rahmen der Wissenschaft auch bestimmte Standards als unhintergehbar festgesetzt sehen willst. Warum forderst Du hier weniger als Du haben könntest?
Zunächst einmal ist das kein Expertenrefugium, natürlich gestehe ich auch hier Experten einen größeren Einfluss zu, aber entscheiden muss ich mich täglich!
Sicher, ich glaube auch – ein interessanter Aspekt der intergalen Theorie – dass man für verschiedene Stufen der Entwicklung verschiedene Übersetzungsmodi finden muss. Das ist ein pragmatischer Ansatz, der aber glaube ich auch ethisch zu legitimieren ist, sofern man sich der Gefahren bewusst ist, die damit verbunden sind.
Zappa hat geschrieben:Hinzu kommt - ich hatte das schon mal gepostet -, das die meisten moralischen "Entscheidungen" offenbar spontan-intuitiv, quasi instinktiv ablaufen, was bei einem sozialen Wesen evolutionär natürlich hochgradig Sinn macht. Die rational Expertise wird meist nachgeliefert, ist aber interessant dass wir das zu brauchen scheinen.
Finde ich auch interressant und wird ja als geradezu konstitutiv für unser menschliches Sosein angesehen: Das Geben und Nehmen/Verlangen von Gründen. Schon hier würde ich fragen, was es denn nun für uns bedeuten soll, dass das für Buntbarsch, Eichhorn und Orang-Utan überhaupt keine Rolle spielt.
Zappa hat geschrieben:Mal Butter bei die Fische: Was schätzt Du wieviel Prozent deiner moralischen Entscheidungen werden durch ethische Experten beeinflusst, wieviel durch tradierte Normen und wie viele Fälle intuitiv? Ich sag mal spontan für mich: 5, 50 und 45%!
„Intuitiv“ fällt ja durchaus mit tradierten Normen zusammen. Man meint es sei intutiv, in Wirklichkeit sind es kulturelle Klischees.
Die meisten moralischen Entscheidungen sind ja nicht sehr weitreichend, aber ohne mich zu drücken, halte ich die Frage für falsch gestellt.
Rein in der Summe, sind meine moralischen Entscheidungen vermutlich zu 80% oder weit mehr routiniert abgespult, eine Mischung aus beliebig zusammengeschraubten eigenen Vorurteilen, gesellschaftliche Versatzstücke nutzend.
Das ist m.E. aber irrelevant, denn die Relevanz liegt in der Frage, ob ich bei einem echten ethischen Dilemma (die im Leben nicht sehr häufig auftreten) in der Lage bin dort die Lupe draufzuhalten und hier sehr genau abzuwägen. Insofern wäre ich nicht entsetzt, wenn man mir quantitativ nachweisen würde, dass meine vermuteten 80% Gewohnheit viel zu optimistisch waren und meine moralischen Handlungen zu 99,5% aus solchen Gewohnheiten bestehen, wenn ich sagen würde, bei den 5 Fällen echter ethischer Dilemmata in meinen Leben habe ich mir alle Zeit genommen, die Argumente abgewogen und alles bedacht, was mir zu bedenken möglich war, dann eine Nacht drüber geschlafen und dann entschieden. Dass ich das kann, reicht mir, die Prozentzahlen lassen mich da ehrlich gesagt völlig kalt.
Zappa hat geschrieben:Insgesamt, ich bleibe dabei, hat das Ganze viel mehr mit Sein als mit Sollen zu tun: Vom Entscheidungshintergrund, über die Entscheidung selber bis hin zur Folgeabschätzung praktisch nur Sein. Nur die rationale und emotionale (Über Ich und so) Begründung hat was mit Sollen zu tun, aber wie viel davon ist in Wirklichkeit als Sollen empfundenes Sein?
Für die theoretische Debatte bleibt der Unterschied zwischen Sein und Sollen weiter relevant, er ist aber mehr graduell als absolut und ich weiß nicht wie groß seine Rolle in der Praxis wirklich ist ...
Es ist ja in Foren oft so, dass man bei anderen das Gefühl hat, dass man zwar nicht derselben Meinung ist, aber ich bin mir fast sicher, dass wir in sehr vielen Fällen der Lebenspraxis, ähnlich entscheiden würden.
Ich habe mit Deiner Interpretation von Wissenschaft keine Probleme und würde sie sofort unterschreiben, mit der anderer Interpreten sehr wohl.
Eine absolute Grenze würde ich auch nicht ziehen, ganz einfach, weil ja durch die Lebens
praxis die sorgsam getrennten theoretisch verschiedenen Bereiche ohnehin wieder zusammenfließen. D.h. wenn ich etwas sauber logisch oder ethisch herleite, so muss ich das ja praktikabel umsetzen und die Befolgung einer Gebrauchsanweisung ist eine Interpretation (und die helfende Regel der Regel der Regel … führt in einen unendlichen Regress).
Das heißt aber andererseits nicht, das alles beliebig wäre, denn ich finde es schon sehr wichtig, dass man sich überlegt, welche Konsequenzen aus einer Idee, wenn man sie auf die Spitze treibt, folgen. Dann kann man immer noch eine Idee in der Praxis so umbiegen, dass die Gefahren umschifft, aber sehenden Auges segelt es sich halt besser als im dichten Nebel.