@ ganimed:
Um mich zu korrigieren: Es ist natürlich nicht die Willensfreiheitsdiskussion, die hier im Zentrum steht, sondern die Diskussion um ein Ich oder Selbst, auch wenn beides oft zusammen auftritt.
Die Frage ist ja, was eigentlich gemeint ist, wenn man von einem Ich/Selbst redet oder ihm die Existenz abspricht.
Was genau leugnet jemand, der sagt, dass es ein Selbst nicht gibt?
Im Grunde wird ja damit gesagt, was Buddhisten seit 2500 Jahren sagen (aber, dass es auch da Korrekturen gibt, wird gerne übersehen), dass nämlich das Ich keine feste, unveränderliche Entität ist, sondern, ein Bündel von Eigenschaft (bei den Buddhisten Skandhas genannt), deren wesen die stete Veränderung ist. Und so ist es auch bei der Hirnforschung. Man sieht die Areale interagieren, aber niemanden, der das steuert, man sieht das Orchester bei der Arbeit, aber der Dirigent fehlt.
Es war dann Nagarjuna, der bemerkte, dass es widersprüchlich ist, jemandem Übungen zur Ichüberwindung aufzutragen, wenn da wirklich niemand ist, der davon angesprochen werden kann, also, der übt.
Blenden wir in unsere Zeit, ist es der Widerspruch, dass man niemanden überzeugen kann (von den Ergebnissen der Hirnforschung), den es nicht gibt. Wird also aus dem eher aktiven und bewussten Vorgang des Überzeugens ein Umprogrammieren durch Konditionierung. Ist am Ende auch schwierig bis unhaltbar, will ich aber nicht vertiefen.
Philosophen meinen nun eher, dass es da etwas gibt, was Argumente verarbeitet (nicht nur Reize) und sich überzeugen lässt (nicht nur auf Lohn und Strafe oder Verstärkung reagiert) und sie stellen sich das nicht als Gespenst vor. Wie sie sich das vorstellen, ist je nach Schule verschieden.
Ich sehe auch den ganz praktischen Sinn nicht, den es hat, wenn man an jede „Ich“ oder „mich“ oder „selbst“ Formulierung den Zusatz hängt „Die Illusion meines Hirn, die ein Ich/Selbst produziert“, weil da überhaupt nichts ändert. Meine Ich-Illusion hat Durst, geht ins Kino, ist traurig. Wo ist der Unterschied?
Die Frage die wissenschaftlich relevant ist, ist die, der empirischen Verifikation.
D.h. gibt es ein empirisches Ich, das man erfahren, beschreiben und herzeigen kann.
Und man kann, die Psychologie tut das andauernd.
Und da gibt es das Spektrum vom Ichverlust über die Ich-Schwäche bis zum starken und gesunden ist.
Theoretisch beschrieben und empirisch überprüfbar, z.B. durch das strukturelle Interview.
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=& ... OJgiLL9JGgEine Selbstrepräsentanz, die ihre Absichten und Ziele halbwegs kohärent formulieren kann, die sich und andere psychisch unterscheiden kann und deren Motive selbstständig sind, in dem Sinne, dass man die Kontrolle über die eigenen Gliedmaßen, Gefühle und Gedanken hat.
Die psychotische Variante sieht so aus, dass jemand die Beine nicht mehr bewegen kann und sagt: „Das ist der Nachrichtensprecher, der sendet geheimen Strahlen aus, die mich lähmen.“ Oder eben die berüchtigten imperativen inneren Stimmen die sagen: „Töte Onkel Dittmayer!“
Das ist schon gravierend und man macht einige Wirbel darum, doch eigentlich hat sich nur etwas desorganisiert, was gar nicht existiert. Da Neurologen und Psychiater ja eng verwandt sind, würde mich interessieren, wie sie diesen Widerspruch auflösen, einen wegzusperren, der kein Ich hat und denselben Zustand zum Normalfall auszurufen…
Kurz und gut, ich habe eigentlich gar kein Problem damit, wenn Hirnforscher behaupten, dass es ein Ich, als einen festen, dauerhaft lokalisierbaren und unveränderlichen neurologischen Kern im Gehirn nicht gibt, ich habe aber ein großes Problem damit, dass diese Ansicht nun allen und allem übergestülpt werden soll und irgendwie „richtiger“ sein sollte, als andere. Wieso denn? Weil das Verfahren indirekter ist.
Psychologen meinen damit eine Instanz, die ich oben skizzenhaft beschrieben habe, warum sollte deren Definition weniger wert sein, wo aus der doch sehr viel Gravierendes und für das Leben Relevantes daraus folgt. Allein der Unterschied zwischen einem gesunden Ich und einer Identitätsdiffusion ist außerordentlich wichtig und hat Konsequenzen für alle gravierenden Bereiche des Lebens. Und man kann es testen, also „sehen“.
Und natürlich habe auch die Philosophen ihre Berechtigung, selbst Descartes. Einfach zu sagen, ja, das ist ja dualistisch, ist billig. Herzeigen zu können und begründen zu können, wo sich Descartes tatsächlich geirrt hat und wo nicht, macht den Unterschied aus.
Was ist denn falsch am phänomenologischen Ich? In meiner Welt ist es immer noch so, dass es einen Jemand braucht, der etwas von sich und der Welt wissen will, um Forschung zu betreiben. Vor aller systematischen Forschung – und alles andere ist keine Wissenschaft – kommt das bewusste verstehen Wollen.
Oder meinst Du, dass ein Hirn, wenn es nur komplex genug ist, ganz von selbst beginnt Mikroskope zu bauen?