Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt
Verfasst: So 22. Jul 2012, 18:31
ujmp hat geschrieben:Ich konnte das aus Lumens Texten nicht rauslesen. Mir jedenfalls geht es um Ressentiments gegenüber einem Menschenbild, dass den Menschen einfach nur als Teil der Natur sieht, ohne dass er deshalb zu einem Tier wird. Das sind Ressentiments die gerne von Religiösen mehr oder weniger absichtlich geschürt werden.
Das hat er auch nicht unbedingt hier, sondern an anderer Stelle deutlich gemacht. Welches Menschenbild meinst du da? Der Egoismus hat jedenfalls den Vorteil, dass er den Menschen gerade als Tier sieht. Ich bin aber positiv überrascht, dass du deine fehlerhaften Formulierungen einsiehst, zu den richtigstellungen von dir schreibe ich deswegen auch nichts, ich stimme denen zu.
ujmp hat geschrieben:Ach wo, das sind Definitionsprobleme. Altruismus ist einfach nur ein Wort, dass ein objektiv unterscheidbares Verhalten benennt. Streichen wir das Wort einfach aus der Diskussionen und reden über Verhalten A und Verhalten B, und beschreiben diese...
Naja, so einfach kannst du es dir nicht machen. Gewiss sind wir an einem Punkt angekommen, wo wir uns ziemlcih einig sind, auch in Details der Interpretation, dennoch nicht in allen. Ideologien kannst du auch nicht einfach gleichsetzen, weil sie eine ähnliche Ausprägungsform haben: Der Kommunismus ist eine ganz andere als der Faschismus, auch wenn sie aufs Gleiche hinauslaufen. Selbst wenn du übersetzt das gleiche Wort meinst, macht es schon einen gewaltigen Unterschied, ob du "Gott", oder "Allah", oder "Jahwe" sagst. Und spezielle in der Diskussion hier geht es letztlich um ein funktionalistisches und ein idealisiertes Menschenbild, die hier im Konflikt stehen. Die Konsequenzen aus diesen feinen Unterschieden der Interpretation sind sehr bedeutsam für die Wahrnehmung der Umgebung und die Schlussfolgerungen, die unterschiedlicher in ihren Forderungen nicht sein könnten: Während Anhänger des Altruismus niemals verstehen würden, warum sich nicht genug Leute engagieren, würde ein Anhänger des Egoismus klar feststellen, dass sie keinen Anreiz haben. Worte sind sehr mächtig.
ujmp hat geschrieben:Versteh mal, dass ich nicht von den Gemeinsamkeiten rede, sondern von den Unterschieden!
Ich verstehe das ganz gut, unsere Gewichtung ist nur unterschiedlich. Ich denke, dass die Unterschiede wichtiger sind, als die Gemeinsamkeiten in diesem Fall.
ujmp hat geschrieben:Nein, das sind nur unterschiedliche Bennennungen.
Meinst du wirklich? Gut, dann gehen wir weiter mit den Konsequenzen: Was würde wohl der Priester mit diesem Menschen machen? Das harmloseste wäre noch für ihn zu beten, allerdings wenig effektiv. Er könnte aber auch die Todesstrafe oder dergleichen fordern, sodass beeinflussbare Menschen ihm folgeleißten und den Menschen umbringen.
Wenn der Biologe das Sagen hätte, würde er ihn in Gewahrsam nehmen lassen, ihn untersuchen und vielleicht sogar ein Hormonpräparat erfinden, das dieser Mensch und andere mit gleichen Problemen nutzen könnten. Du siehst also für die Taten ist die Benennung der gleichen Sache äußerst wichtig. Ein Weltbild entscheidet über die Taten desjenigen.
ujmp hat geschrieben:Die Aussage, dass wir uns alle "menschlich" verhalten, ist nicht falsch, aber auch nicht besonders informativ. Eine Aussage dagegen, nach der sich manche Menschen so und manche Menschen anders verhalten ist informativer, weil sie die Menge des Gemeinten eingrenzt - eben "differenziert". Zu sagen "Ein Killer ist ganz normaler Mensch" ist wertlos oder eben falsch, wenn normal "durchschnittlich" bedeuten soll.
Ja, hier ging es aber nicht um "menschlich", sondern "egoistisch" oder "altruistisch". Das ist sehr informativ. In der Kriminologie müssen Motive und Denkschemata verstanden und erahnt werden, um eine Tat korrekt zu deuten oder vielleicht vorherzusagen. Ich habe auch nie von "durchschnittlich" gesprochen, sondern erstmal festgestellt, was NICHT die Ursache des Problems ist. Wenn eine falsche Ursache diagnostiziert wird, kann das schlimme Konsequenzen haben. Ein weiteres Beispiel: Geisteskrankheit könnte im Mittelalter als Besessenheit ausgelegt werden, in der Moderne als Geisteskrankheit. Im ersten Fall würde der Mensch raqsiert, gebranntmarkt und am Ende wohl getötet werden, im zweiten Fall therapiert und mit Medikamenten ausgestattet werden. Wie gesagt, die Bezeichnungen der vielleicht selben Sache sind entscheidend für den Umgang mit dieser.
ujmp hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Ah, ein unerwarteter Fürsprecher. Ja, mir ist auch bewusst, dass nicht jede Motivation bewusst sein kann.
Ürigens: Ich spreche nie für oder gegen dich, sondern für oder gegen das, was du da gesagt hast.
ich habe dich auch nur als Fürsprecher bezeichnet, nicht als meinen Fürsprecher. Mich habe ich in den ersten Satz überhaupt nicht einbezogen.
Vollbreit hat geschrieben:Nicht unbedingt. Das Tier, was an den egoistischen Genen hängt, kann in seinem Verhalten sowohl egoistisch als auch altruistisch sein. Das ist die Konsequenz aus dem Konzept der selfish genes.
ich habe nur Lumens Sichtweise widergegeben. Abgesehen davon sehe ich das anders und ich habe auch nahegelegt, von Dawkins wegzukommen.
Vollbreit hat geschrieben:Er erkennt in diesem Fall klar, dass der Begriff „Egoismus“ einfach vollkommen ungeeignet ist, die ganze Palette des sozialen Verhaltens zu erklären, dass dann in sozialer Beschreibung mal Egoismus, mal Altruismus genannt wird.
Er ist absolut geeignet, weil er die Motivation preisgibt. Die Motivation ist für die Kooperation mit einem Gegenüber wichtig. Wenn ich also erkenne, dass ich das Gegenüber nur überzeugen kann, wenn es seinen eigenen Voprteil in einer Aktion erkennt, dann habe ich einen großen Nutzen aus dieser Erkenntnis.
Und ja, man sollte den Begriff Altruismus wirklich sein lassen und nur beim Egoismus bleiben.
Vollbreit hat geschrieben:Ihr behauptet, dass das, was in sozialer Beschreibung „altruistisch“ genannt wird, an seiner biologischen Wurzel egoistisch motiviert ist.
Dafür fehlt erstens, die Begründung. Warum sollte das so sein? Sagt es doch mal.
Das wird so sein, weil ein Individuum nur dann seine Gene, seine Eigenschaften weitergeben kann, wenn es eine für dieses Individuum nützliche Eigenschaft hat. Sich selbst nützen zu wollen IST eine nützliche Eigenschaft und wird somit vererbt. Das bedeutet, dass nur Egoisten fitt sind.
Vollbreit hat geschrieben:Zweitens: Warum soll es überhaupt nur einen Urtrieb geben, und nicht mehrere?
Es ist kein Urtrieb im eigentlichen Sinne. Die Urtriebe sind Fortpflanzung und Selbsterhaltung. Sie lassen sich nur zum Egoismus zusammenfassen, der kein wirklicher Urtrieb ist, sondern ein Modell, um die Motivation des Handelns zusammenzufassen.
Vollbreit hat geschrieben:Drittens: Ihr schmuggelt damit heimlich, biologischen Begründungen in soziale Kontexte ein:
Soziologisch würde man es altruistisch nennen, sagt ihr, aber im Kern ist es Egoismus.
Und damit behauptet ihr implizit eine Reihenfolge, bei der die biologische Sicht höherrangig ist, ebenfalls vollkommen unbegründet.
Das ist keineswegs unbegründet, die Soziologie ist keine echte Wissenschaft.
Vollbreit hat geschrieben:Die biologisierende Deutung ist leider momentan nervtötende Marotte, die ich in diesem Thread kritisiere.
Wenns dir Spaß macht. Richtig liegst du mit deiner Ablehnung dadurch natürlich nicht.