stines Einwände sind durchaus berechtigt.
Ich stimme stines These von der höheren Moral der Christen
nicht zu und der These von der Notwendigkeit der Religion zur Etablierung von Moral nur eingeschränkt.
Aber hier werden Äpfel und Birnen verglichen. Oben die Zahl der Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen, bei der Knaststatistik, welche sind es da? Formell Religiöse oder welche, die sich so bezeichnen? Ich kann das nicht erkennen. Und wenn sie sich selbst so bezeichnen: Warum sollte man ihnen glauben, weil sie so vertrauensvoll sind, dass sie sogar im Knast sitzen? Erich Honecker hätte sich vermutlich als Demokraten bezeichnet. Vielleicht sitzen im Knast einfach mehr Religiöse, weil sie sich einen Vorteil davon versprechen, wenn Gott sie plötzlich verändert? Hafterleichterung oder andere Gratifikationen.
Die Aussage der Wissenschaftler Glaube/Unglaube/Agnostizismus finde ich da wesentlich glaubwürdiger.
Was den Weltfriedensindex angeht allerdings wieder nicht. Länder in denen sich der Atheismus breiter macht, sind Länder mit einer nachlassenden Vitalität, die Geburtenrate sinkt, der Anteil an jungen Männern sinkt und es gibt eine statistische Korrelation zwischen einer überproportional hohen Zahl an jungen Männern (15-29 J.) anteilig an der Gesamtbevölkerung (youth bulge) und Kriegen, Bürgerkriegen, Unruhen, insbesondere wenn diese Männer keine soziale Funktion zugewiesen bekommen.
Das erklärt die Friedfertigkeit ausreichend.
Und was den Polizeitstreik in den Staaten angeht, so meinst Du, mat-in, wohl das hier:
Stephen Pinker hat geschrieben:„Als Halbwüchsiger war ich in dem als so friedlich gepriesenen Kanada während der romantischen 1960er Jahre ein glühender Anhänger des Bakunin‘schen Anarchismus. Ich hatte nur ein verächtliches Lächeln für die Behauptung meiner Eltern übrig, dass die Hölle ausbrechen würde, wenn der Staat seine Macht preisgäbe. Unsere gegensätzlichen Vorhersagen wurden am 17. Oktober 1969 um acht Uhr morgens einer empirischen Prüfung unterzogen, als die Polizei von Montreal in den Streik trat. Um elf Uhr zwanzig wurde die erste Bank überfallen. Um zwölf Uhr hatten die meisten Geschäfte im Stadtzentrum wegen Plünderungen geschlossen. Nach eine paar Stunde steckten Taxifahrer die Garage eines Limousinenservices an, der ihnen die Flughafenkunden wegschnappte, von Dach eines Gebäudes erschoss ein Heckenschütze einen Polizeibeamten aus der Provinz, Plünderer drangen in mehrere Hotels und Restaurants ein, und ein Arzt erschlug einen Einbrecher in seinem Vorstadthaus. Am Abend dieses Tages waren sechs Banken ausgeraubt, hundert Geschäfte geplündert, zwölf Brände gelegt, vierzig Wagenladungen Schaufensterglas zerbrochen und Schäden in Höhe von drei Millionen Dollar an Privateigentum angerichtet, bevor die Stadtverwaltung die Armee und, natürlich, die Mountain Police zu Hilfe rief, damit sie die Ordnung wiederherstellten. Dieser eindeutige empirischen Test machte aus meinen politischen Überzeugungen Kleinholz...“
(Stephen Pinker 2002, dt.2003, S.458f, zit. aus. R.Dawkins, Der Gotteswahn, 2006, dt.2008 ullstein tb, S.317)
Dawkins fragt dann, warum Gott diese Menschen nicht bremst, man könnte ebenso fragen, warum die doch bewiesene angeborene biologischen Fairness oder der Wunsch nach Kooperation durch reziproken Egoismus, der ja alles von selbst regelt, wenn man ihn nur lässt, sie nicht bremst.
Ein Zusammenhang zwischen Intelligenz und Moral ist zwar gegeben, aber er ist nicht direkt proportional. Gerade bei den ärgsten notorisch Kriminellen kann man bisweilen Spitzenwerte der Intelligenz messen, 186 und 194 (der zweithöchste je gemessene Wert in einem ordentlichen Test) und allgemein ist Intelligenz zur Etablierung von entwickelter Moral notwendig, aber nicht hinreichend.
Was Religion gut kann, ist Menschen in die konventionelle Ebene der Moral einzuführen, Gehorsam, um des Gehorsams Willen (meine eingeschränkte Zustimmung). Diejenigen, die in der Lage sind, diese oft nichtbegründeten Anweisungen wieder zu hinterfragen und sich nichtssagenden Anweisungen widersetzen, sind tatsächlich die statistisch Intelligenteren (die zur postkonventionellen Moral aufsteigen), was aber nicht allein ausreichend ist:
Lawrence Kohlberg hat geschrieben:„Zu den Fähigkeiten des Ichs, die in konsistenter Weise mit der experimentell gemessenen, bzw. geschätzten Ehrlichkeit von Kindern korrelieren, gehören die folgenden: Intelligenz (IQ); Bereitschaft, Belohnungen aufzuschieben (die größere Belohnung in der Zukunft wird der kleineren in der Gegenwart vorgezogen) und Aufmerksamkeit (Stabilität und Ausdauer der Aufmerksamkeit bei einfachen experimentellen Aufgaben).“
(L.Kohlberg, Die Psychologie der Moralentwicklung, Suhrkamp,1995, S.14)
So kommt Kohlberg später zu dem Schluss:
Lawrence Kohlberg hat geschrieben:„Intelligenz kann als eine notwendige aber noch nicht hinreichende Ursache des moralischen Fortschritts angesehen werden. Alle moralisch fortgeschrittenen Kinder sind gescheit, aber nicht alle gescheiten Kinder sind moralisch fortgeschritten“
(Kohlberg, a.a.O., S.33)
PS:
Die Frage, ob ein Krimineller, noch dazu ein schwer oder chronisch Krimineller nun formal Atheist oder religiös ist oder sich so sieht ist sowie sinnlos, wenn man sie ernsthaft beantworten und nicht nur für einen polemischen „wir sind aber besser“ Schlagabtausch gebrauchen will.
Der Grund ist, dass gerade Kriminelle, besonders chronisch und schwer Kriminelle nahezu ausnahmslos eine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben (aber nicht jeder Narzisst ist kriminell!), je krimineller mit umso aggressiveren und antisozialeren Beimengungen. Ein solcher Charakter ist aber gekennzeichnet, durch die „Unfähigkeit, sich einem Wertesystem verpflichtet zu fühlen, das über Grenzen selbstsüchtiger Bedürfnisse hinausgeht [...]“. (O. Kernberg)
Das schließt Identifikationen sowohl mit seichten, konventionellen, als auch komplexen, individualistischen Wertesystemen aus.