Darth Nefarius hat geschrieben:Die Zersplitterung wäre kein Nachteil, sondern der Beitrag zum Frieden. Es ist den meisten Syrern bestimmt völlig egal, ob sie in Syren oder Ost-Syrien/Nord- klein oder wie-auch-immer-Syrien leben, solange sie keinen ethnischen Konflikten und Bürgerkriegen ausgesetzt sind und nicht die ganze Zeit um ihr Leben fürchten müssen - die Zersplitterung wäre kaum ein nationales Trauma, wie sich das die Deutschen gerne vorstellen, da es scheinbar nie ein nationales Bewusstsein in diesem Land gab. Sobald sie ihr eigenes Hoheitsgebiet haben, wären sie auch wieder zu Versöhnungen bereit. In der Geschichte hat man viele Zersplitterungen von Großvölkerstaaten gesehen und es war selten ein Nachteil.
Das ist in all der Pauschalität sicher nicht richtig. Vielvölkerstaaten sind nicht zwangsläufig instabil, das zeigen historische Beispiele vom Römischen Reich bis zu den USA. Aber ganz davon abgehen ist die Zersplitterung nicht deshalb ein Problem, weil irgendjemand ein nationales Trauma befürchten würde - davon hat auch keiner etwas gesagt -, sondern weil die Zersplitterung nicht nur territorialer Art ist.
Es ist ja nicht so wie in der Sovjetunion, wo die Rote Armee einfach nur abziehen musste und dann blieben kulturell und territorial klar definierte Staaten wie Polen oder Tschechien zurück. Stattdessen leben die verschiedenen Stämme, Religionsgruppen und Ethnien in Syrien munter durcheinander, teilweise in denselben Nachbarschaften. Ich habe selbst mitten in Damaskus mit Sunniten in einer schiitischen Straße gelebt, die wiederum in der sunnitisch dominierten, aber auch zu etwa einem Fünftel von Christen bewohnten Altstadt lag. Irakische Flüchtlinge bettelten auf den Straßen und eine Palästinenserorganisation hatte vier Häuser weiter ihr Büro. Die deutschen Medien stellen es stark reduziert häufig so dar, als lebten die Kurden im Nordosten, die Alawiten an der Küste um Latakia herum und die arabischen Sunniten im Rest des Landes mit der christlichen Enklave um Maalula, aber so einfach ist die Lage nun halt nicht mal ansatzweise.
Wenn man einfach nur den jeweiligen Landesteilen ihre Unabhängigkeit geben müsste, wäre ja alles banal und einfach, aber Syrien ist eben ethnisch und religiös wild gemischt, da kann man die Parteien nicht mal einfach trennen. Davon abgesehen wollen das bis auf die verrückten Extremisten auch die wenigsten. Ich kenne keinen sunnitischen Syrer, der nicht wenigstens einen Christen und einen Schiiten im Freundeskreis hat und da findet auch keiner was dabei.
Darth Nefarius hat geschrieben:Der Weg zum Einsatz ist immer noch nicht versperrt, sobald man merkt, dass Assad auf Zeit spielt (wie in den Verhandlungen davor). Die Opposition hat den legitimen Anspruch, nicht mit einem Massenmörder, Diktator zu verhandeln. Ihre einzige Bedingung für Verhandlungen war, dass er geht.
Kurios, dass ausgerechnet du derart idealistisch argumentierst. Aber Politik ist die Kunst des Machbaren und der Kompromisse, nicht der Ideallösungen.
Darth Nefarius hat geschrieben:Klar, die einzigen, die gerade mit Waffenausreichend versorgt sind, müssen mit Terroristen paktieren, aber sobald der Westen sich endlich mal bewegen würde und selbst die Opposition anfängt zu unterstützen, würden diese Bündnisse sich auflösen.
Dadurch gehen aber die Terroristen nicht weg. Es ist nicht so zweigeteilt, wie du das darstellst, in ein islamistisches und säkulares Lager. Stattdessen gibt es ein Kontinuum an Gruppen, die mal rivalisieren und mal kooperieren, wie es die Tageslage halt erfordert. In der Tat würden diese Bündnisse sich auflösen, aber die sind ja nicht unser Hauptproblem. Unser Hauptproblem ist, dass niemand die Opposition realistisch in ihrer Fähigkeit einschätzen kann, nach einem sehr theoretischen Sieg das Land zu befrieden und die Bürgerkriegsparteien zu versöhnen. Lupenreine Demokraten sind das bei weitem auch nicht alle. Wir haben in Syrien derzeit einfach keinen natürlichen Verbündeten und da ist es strategisch durchaus nicht dumm, sich das alte Regime als Verhandlungspartner offen zu halten. Momentan ist Assad der einzige, der sowas wie Staatlichkeit garantieren kann.
Darth Nefarius hat geschrieben:Ich sehe in Assad keine Alternative und ich wundere mich, dass die ach so großartigen Geheimdienste und Spezialeinsatzkräfte der Amerikaner offensichtlich nicht zu einem einzelnen, präzisen Attentat fähig sind. Gelegenheiten gäbe es genug.
Nur fragt dich halt keiner.
Darth Nefarius hat geschrieben:Und was wäre dann gewonnen, wenn aus den Verhandlungen hervorginge, dass Assad seine Chemiewaffen ausliefert? Der Krieg ginge weiter, er würde mit konventionellen Waffen weiter beliefert werden, so wie die Gegenseite, usw.. Das könnte zu einem jahrelangen Bürgerkrieg führen, an dem am Ende nur noch ein Diktator gegen radikale Terroristen kämpft und der letzte Demokrat tot oder im Exil ist. Ist es das, was du willst?
Ah... du hast noch nicht realisiert, dass die C-Waffen und der Bürgerkrieg als zwei unterschiedliche Sachen angesehen werden. Die USA planen nur, Assad für die C-Waffen mit ein paar Raketen zu verwarnen, nicht in den eigentlichen Bürgerkrieg einzugreifen. Das ist eine andere Diskussion und da habe ich eigentlich schon dargelegt, dass es da nur beschissene Optionen gibt. Lies mal was über die jüngere Geschichte des Libanon, Irak und Afghanistan, wenn du wissen willst, warum westliche Militäreinsätze so häufig stecken bleiben. Man muss mit viel mehr Truppen und Aufbauhelfern reingehen, als irgendwer im Westen gerade riskieren und finanzieren will, und selbst dann kann man sich nicht darauf verlassen, dass man nicht ein ein Wespennest sticht und nach dem Abzug alles wieder von vorn beginnt. Letztlich mal was über den Irak gelesen?
Darth Nefarius hat geschrieben:Tatsächlich wurde in der Berichterstattung fast beiläufig erwähnt, dass es schon vor Monaten die ersten Einsätze von Chemiewaffen in kleinerem Maßstab gab. Der Westen hat das verschwiegen, um nicht seine rote Linie als übertreten betrachten zu müssen. Und wenn er angenommen jedes mal keinen Einsatz befohlen hat, wieso hat der dann nicht den zuständigen General hinrichten lassen oder ausgeliefert?
Der Westen hat das nicht verschwiegen, sonst wüsstest du nämlich nichts davon. Man hat das Thema nur vorsichtig behandelt, bis man genaueres weiß. Kein Politiker, der nicht superscharf auf Krieg ist, hätte etwas anderes getan.
Über das Innenleben des syrischen Regimes ist momentan wenig bekannt. Assads Befehle und Dekrete wurden schon vor dem Krieg häufig unterlaufen, teilweise gab es Zweifel an der Loyalität der älteren, höheren Dienstgrade, die mit seinem Vater aufgestiegen waren. Wenn du glaubst, dass das alles so schwarz-weiß ist und Assad der uneingeschränkte Herrscher Syriens ist, tust du dich offenbar schwer, diesen Konflikt in allen seinen Schattierungen zu erfassen.
Darth Nefarius hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Assad mordet munter drauf los, weil er sich darauf verlassen kann, dass niemand sich in dieses Chaos stürzen will, aber er weiß auch, dass das nur so bleibt, so lange er bestimmte Grenzen nicht überschreitet (ethnische Säuberungen und Massenvernichtungswaffen eben).
Sogar diese Grenzen wurden überschritten und er kann trotzdem weitermachen.
Nein, kann er nicht. Die C-Waffen sind mit dem Massaker von Ghuta strategisch wertlos geworden. Jeder weitere C-Waffen-Einsatz wird einen massiven Vergeltungsschlag der USA/NATO bedeuten. Einmal kann man sich rausreden, aber wenn man es zweimal tut, ist klar, dass man nichts dazulernt, und dann hat man seine Verhandlungsfähigkeit unterminiert.
Darth Nefarius hat geschrieben:Ich glaube nicht, dass er die Chemiewaffen ausliefern wird, und selbst wenn, nicht alle - und selbst dann hätte man nichts gewonnen, sondern nur einen politischen Sieg davongetragen, um als Westen nicht als prinzipienlos, schwach und feige zu gelten. Ein Pyrrussieg. Ich denke auch nicht, dass man einem Diktator in seiner Lage noch die Rationalität, wie du sie vermutest, wirklich zuordnen kann.
Ein Teil der C-Waffen wäre schon mal ein vorläufiger Erfolg. Und der Rest ist ja, wie ich gesagt habe, ebenfalls nicht mehr sinnvoll einsetzbar.
Assad selbst ist übrigens ein sehr rationaler Mensch und er durchblickt seine eigene strategische Lage halt einfach weit besser als du. Dazu kommt, dass Assad nicht das gesamte Regime ist. Seine ältere Schwester Buschra gilt als mächtige Strippenzieherin und die eigentlich Intelligente in der Familie, sein impulsiver jüngerer Bruder Mahir als Triebfeder der Brutalität. Dazu kommen jede Menge Generäle und hohe Verwaltungsbeamte, die auch ihre eigene Agenda verfolgen.
Darth Nefarius hat geschrieben:In der Geschichte hat sich kein Diktator freiwillig schwächen lassen, als er kurz davor war, gestürzt zu werden. Dieselbe Rationalität hätte man auch Saddam zusprechen können, Gaddaffi, Hitler oder sonstwem. Die Realität sah dann aber anders aus. Es ist sowieso irrational, sich zum Diktatoren zu machen, früher oder später hat man nicht mehr die Kraft oder Autorität, die Bevölkerung über Angst und Gewalt in Schach zu halten und es endet böse.
Richtig, deshalb streben ja alle Diktatoren auch nach anderen Quellen der Legitimität, weil eine reine Gewaltherrschaft zu kostspielig ist, um sie längerfristig aufrechtzuerhalten. Und dass sich niemand freiwillig schwächen lassen würde, ist eine Binsenweisheit, die du mit deinen egoistischen Nützlichkeitserwägungen doch nachvollziehen können müsstest. Was soll daran irrational sein?
Darth Nefarius hat geschrieben:Unsinn, ein Luftschlag wäre das Züngelchen an der Waage, wie es in Lybien war und würde völlig ausreichen.
Es wird "Libyen" geschrieben und der Vergleich ist Quark. Informier dich doch erst mal über die Länder und Situationen, bevor du losdozierst.
Darth Nefarius hat geschrieben:Der Unterschied zu Irak und Afghanistan ist jetzt, dass der Angriff zuerst von der Bevölkerung ausging, nicht von Bush oder sonstwem. Damit hat man auch die Bevölkerung auf seiner Seite und wird nie als Besatzer dastehen, wenn man einen Luftschlag ausführt. Die Franzosen werden in Lybien immer noch gefeiert.
Als ob unser Image vor Ort gerade das größte Problem wäre. Wie ein ranghohes al-Quaida-Mitglied neulich meinte, müsse man Amerika in Syrien übergangsweise als Verbündeten gegen denselben Feind betrachten, solle sich, Brüder, aber darüber klar sein, dass sich nach einem Sieg in Syrien dieselben Raketen auf al-Quaida richten würden. Und wenn du den Irak betrachtest, hast du eine sehr gute Vorstellung davon, was Syrien nach einem Sturz Assads blühen würde.
Du denkst viel zu sehr in hermetischen Freund-Feind-Kategorien. Mit solchem Denken sind im Nahen Osten schon viele gescheitert.
Darth Nefarius hat geschrieben:Es wäre ja gar nicht so schlimm, den Gruppen ihre eigenen Grenzen zu geben.
Wie ich schon sagte sind die Gruppen nicht in getrennten Gebieten, weshalb neue Grenzen neue Minderheiten bedeuten würden. Wichtiger ist aber, dass das Nationengefüge und die Machtbalance des Nahen Ostens durcheinander käme, und dass das alles nicht so trivial ist.
Darth Nefarius hat geschrieben:Sobald Deutschland und Frankreich, Osterreich und Preußen ihre Grenzen manifestierten, gab es auch keine Konflikte mehr und es konnten sich sogar Freundschaften ausbilden. Aber ohne klar definierte Grenzen wäre das nicht möglich gewesen.
Soweit ich mich erinnere, hat uns das nicht abgehalten, zwei Weltkriege vom Zaun zu brechen, aber das ist ja nicht so wichtig, so lange der Vergleich gut klingt.
Darth Nefarius hat geschrieben:Ein Tropfen auf den heißen Stein. Geholfen wäre den Exilanten und Flüchtlingen am meisten, wenn man diesen Bürgerkrieg endlich beenden würde. Ich würde mich mit einer Spende nur versuchen, selbst zu beruhigen. Und bis ich tatsächlich sagen kann, dass ich nicht mehr spenden kann, wäre ich pleite. Ich verachte symbolische Handlungen und werde sie auch nicht ausführen.
Wenn ein Kind in einem überfüllten Flüchtlingscamp Zugang zu sauberem Wasser bekommt, ist das keine symbolische Handlung. Aber war ja klar, dass du wieder mal nur auf Machtprojektionen anspringen würdest. Du scherst dich ja auch nicht wirklich darum, den Konflikt im Detail zu verstehen und eine gangbare Lösung zu finden. Die Realität in Syrien passt dir nicht, und was dich irritiert, muss gewaltsam beseitigt werden. Linderung für die Menschen, die unter dem Konflikt leiden - wen interessierts? Ist ja nichts, was eine ordentliche Tracht Prügel für Assad nicht lösen könnte.
JustFrank hat geschrieben:So weit ich es aus dem wirren Berichtsgemenge heraus überblicken kann, kämpfen in Syrien nicht die, nach unserer Moralauffassung Guten gegen die, offenbar auch nur nach unserem Verständnis Bösen. Wenn man sich anschaut, wer dort alles rumballert, ist zu erwarten, dass sich die Opposition gegen Assad nach einem Sieg sofort in zahlreiche Interessengruppen zerlegt und das Schlachten übergangslos weitergeht.
Schau, JustFrank hat's im ersten Absatz schon gepeilt.
Zappa hat geschrieben:Leider ist die Lehre aus dieser Geschichte mal wieder, dass alle weltpolitischen Sauereinen - zumindest vorübergehend - ungestraft bleiben, solange man einen vetoberechtigten "Partner" im Weltsicherheitsrat hat; was dieses Gremium aufs Neue mehr als überflüssig erscheinen lässt.
Das Komplizierte an politischen Sytemen ist, dass sie sich häufig noch lange über die Situation hinaus überleben, für die sie ursprünglich mal eingerichtet wurden. Der Sicherheitsrat repräsentiert schon seit Jahren nicht mehr die weltpolitische Situation. Man müsste entweder die Vetos abschaffen/abschwächen oder zumindest die Zusammensetzung erneuern. Das Problem ist ja dann auch immer, dass die NATO so letztlich häufig zu unilateralen Maßnahmen greift, d.h. das Veto ignoriert, was so ja auch nicht wirklich gedacht ist. Der grundlegende Konflikt wird aber wohl bestehen bleiben, so lange nicht alle Regierungen im Sicherheitsrat nachhaltig demokratisiert sind und sich dank eines zivilgesellschaftlichen Denkens für R2P und ähnliche Normen verantwortlich fühlen. Das Problem zwischen Russland und den USA ist ja nicht so sehr, dass Russland mit Syrien verbündet ist, sondern dass die Russen sich in die Ecke gedrängt fühlen und nicht noch einen der letzten Verbündeten abschreiben wollen. Zwischen den USA und Deutschland würde ein solcher Konflikt gar nicht erst entstehen, weshalb die vorläufige Antwort vielleicht eine Intensivierung gegenseitiger vertrauensbildender Maßnahmen sein könnte.