@Nanna
Danke übrigens noch für Deinen Hinweis auf @Ganimed. Ein selten kluger Kopf, wie ich beim Lesen einiger Threads feststellen durfte.
Er hat für Verständigung gesorgt, für gemeinsame Narrative (siehe Andersons "imagined communities"), aber auch für die zunehmende Akzeptanz gegenüber Pluralismus. Gesellschaften sind heute in sich insgesamt friedlicher, da wo über entwickelte mediale und demokratische Diskurssysteme Austausch stattfindet, finden wir kaum noch gewaltsame Auseinandersetzungen.
Meinst Du damit beispielsweise den Weltrekordkrieger USA, der bis dato in 100 oder 200 Kriege involviert war und wo mittlerweile über 2 Millionen Männer in den Gefängnissen dahinvegetieren? So etwas gibt es im durchschnittlichen Entwicklungsland nicht! Demokratien sind – aus einer Gesamtschau heraus – ihrer längerfristigen wirtschaftlichen Dynamik wegen so ziemlich das raubbauendste und gewalttätigste System überhaupt. Ein Staat existiert nie ohne dessen Komplizen, die Religion, et vice versa. Ein konsequenter Atheist muss dieses Komplizen-Gebilde deshalb ablehnen. Aber wo gibt es schon konsequente Atheisten. Ich kenne kaum einen.
Ansonsten würde ich es auch nicht so normativ betrachten. Es ist nicht so, dass irgendwo bei den Sumerern oder alten Chinesen sich ein paar Leute hingesetzt hätten und gemeint haben, dass sie jetzt mal 10.000 Jahre lang den Staat ausprobieren würden.
Wie das angefangen hat, kannst Du beim Oppenheimer 'der Staat' nachlesen. Beginnen tut es mit der Waffe, wenn autarke Bluts-Gemeinschaften in supragemeinschaftlichen Tribut-Konstrukten zusammengetrieben werden. Oder Indianer werden zwangsmissioniert und zwangsverstaatlicht.
So läuft das, und nicht durch irgendwelche freiwillige Beschlussfassung.
Da wo sich urbane Zentren gebildet haben, entstand Regelungsbedarf und daraus hat sich der Staat in seiner ursprünglichsten Form entwickelt
Nein, umgekehrt. Staatlich-patriarchales Gebahren (aka rohe Gewalt) führt zur Urbanisierung und Zentralisierung der Menschen.
(wobei ich da erstmal nur von organisierter Herrschaft sprechen würde, Staatlichkeit im modernen Sinne ist nochmal eine ganz andere Nummer). Niemand hat sich am Anfang die Frage gestellt, ob es das auf Dauer "bringen" würde. Es ist halt passiert, die Menschheit ist zahlenmäßig gewachsen, hat wirtschaftlich und technologisch zugelegt und die Strukturen interner Organisation sind die Evolution mitgegangen.
Der Krieg ist der Vater aller zivilisatorischen Dinge. Ohne den organisierten und gezielten Einsatz der Waffe ist kein Staat zu machen. Das, was Du hier so niedlich beschreibst, sind alles Euphemismen für den Einsatz nackter Gewalt.
Weißt du noch wo? Ich meine nämlich, u.a. auf die Affenkriege eingegangen zu sein, die logischerweise keine Zivilisationsfolge sein können. Und generell ist das Bild des Edlen Wilden in den letzten Jahrzehnten in der Anthropologie meines Wissens ziemlich auseinandergenommen worden.
Keineswegs. Unsere artverwandteste Spezies, die matristisch organisierten Bonobo (female choice), führen keinen Krieg. Ebenso wenig wie die matristisch organisierten, vorpatriarchalen homines sapientes:
Zitat aus einem Vortrag von Prof. Joachim Bauer:
Die neolithische Revolution bedeutete den Eintritt des Menschen in die
zivilisatorische Welt. Sie bedeutete nicht nur die Erfindung des Eigentums und der
Erwerbsarbeit, sondern den grundlegenden Einzug des ökonomischen Prinzips in
das menschliche Zusammenleben. Der Mensch wurde, nachdem er zu einer
Arbeitskraft und damit Teil eines ökonomischen Kalküls geworden war, nun selbst
zur Ware, was logischerweise zur Folge hatte, dass Menschen begannen, Macht
über andere Menschen auszuüben.
Prof. Dr. Jürg Helbling, Ethnologe:
Weshalb entstand der Krieg als spezifische selektive Umwelt? Als gesichert gilt, dass in
Wildbeutergesellschaften, in welchen die Menschheit über rund 95% ihrer bisherigen
Geschichte organisiert war, keine Kriege geführt werden. Das ist auch deshalb bedeutsam,
weil die Soziobiologie die These vertritt, dass das menschliche Sozialverhalten von einem
Bioprogramm gesteuert werde, das sich mit der Evolution des Homo sapiens
herausgebildet habe und Resultat seiner Anpassung an die Umwelt des Altsteinzeit (vor
180'000 bis 15'000 Jahren) sei, während welcher Menschen ausschliesslich in
Wildbeutergruppen lebten (Wilson 1975).
Nein, gewisse Optionen stehen uns tatsächlich nicht offen. Eine vorzivilisierte Welt KANN es per definitionem nicht geben. Theoretisch könnte es eine nachzivilisatorische geben, die sich am Ideal der vorzivilisatorischen orientiert, aber das ist bei weitem nicht dasselbe. Alle Ideen der zivilisatorischen Welt, nicht nur die offensichtlichen, sondern auch die Traditionen und eingeübten Kulturpraktiken würden bei uns bleiben.
Das ist nicht rückwärts, sondern vorwärts. Deine Argumentation ist diejenige eines Gefängnis- oder KZ-Insassen, der einem wehmütig zurückschauenden und nach Freiheit strebenden Mitinsassen entgegenhält, er solle sich doch bitte mit seiner Situation abfinden und sich nicht an der verlorenen Freiheit der Vergangenheit orientieren.
Ihr Anarcho-Primitivisten seid ja nicht die Einzigen, die solche rückwärtsgewandten Utopien pflegen. Die Salafisten beispielsweise geben sich auch der Illusion hin, zur urislamischen Gemeinschaft zurückkehren zu können.
Das hat gerade noch gefehlt. Salafisten sind patriarchal-religiös, genau wie Ihr Zivilisations-Gläubigen, die ihr dem ebenso patriarchal-kollektivistischen Neuen Götzen huldigt, dem Staat anstelle des Islams, der sich ebenso über den gesamten Planeten zu einem erdrückenden, kollektivisierenden Einheitsbrei zu globalisieren gedenkt, wie Eure sogenannte Demokratie.
Das geht aber nicht, weil man simplerweise nicht in der Zeit rückwärts reisen kann. Es gibt keine Möglichkeit, einen früheren Zustand originalgetreu herzustellen, die Rekonstruktion trägt immer die Spuren des Späteren.
Das ist auch nicht nötig. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn Ihr wenigstens Bevormundung und Fremdherrschaft ablehnen würdet. Was daraus dann evolviert, könnte man dann sehen. Was zum Teufel geht mich ein Mega- oder gar Gigakollektiv an, dessen Fäden in Brüssel oder sonstwo zusammenlaufen? Ein KZ-Insasse wird erst mal nach Freiheit streben und sie zu erlangen versuchen. Pläne und Spekulationen, wie sich die wieder erlangte Freiheit im Leben dann konkret auswirken soll und wird, sind doch völlig nachrangig.
Eine Quote, die damit zu tun hat, dass wir uns seit kurzem vom Patriarchat wegbewegen und noch nicht so ganz sicher sind, wo wir eigentlich hin wollen.
Wir bewegen uns überhaupt nicht vom Patriarchat (Unterwerfung) weg. Im Gegenteil, die Bevormundung der Mütter und die damit verbundene Einmischung der Organisierten Gewalt bei der Aufzucht der Nachkommen wird immer dreister und ekelhafter. In dieser Gesellschaft werden mittlerweile auch Frauen zu wettstreitenden Patriarchen abgerichtet in den 'Garküchen des Geistes'.
Die Gesellschaft gelangt jedenfalls nicht dorthin, wo Du sie hinwillst. Du wirst einfach hinnehmen müssen, wohin sie driftet durch die Summe der Meinungen der Milliarden. Also Null Selbstbestimmung.
Das ist Demokratie! "Die sog."Demokratie" ist die perfideste, weil vom Bürger (= Unterhund der Macht) undurchschaubarste Steigerungsform von Macht und Unfreiheit." (Dr. Paul C. Martin)
Vor zweihundert Jahren, als die Liebesheirat die Ausnahme war, ist das alles nicht passiert, keine Ahnung, ob die Menschen glücklicher waren, wahrscheinlich nicht unbedingt.
Sie waren ebenso unglücklich, weil Zwang wider die menschliche Natur ist. Sexuelle Freiheit bei gleichzeitig intakter Gemeinschaft ist nun mal das Privileg der staatslosen, vorpatriarchalen Blutsgemeinschaft.
Der Punkt ist: Systeme evolvieren. Sie bauen auf dem auf, was schon da ist und nutzen altes für neue Zwecke. Dass wir soziale Probleme haben, ist unbestritten, aber ich denke, dass sich Wege finden lassen werden, diese Komplexität zu einem zufriedenstellenden Maß zu beherrschen.
Dafür sehe ich keinerlei Anzeichen, dass dies nun erstmals in der Geschichte der Zivilisationen anders sein sollte. Das ist doch reiner Zweckoptimismus ohne reales Fundament. Ich sehe lediglich, dass aufgrund der heutigen Fallhöhe sich das potenzielle Chaos im Vergleich zu früheren verschwundenen Zivilisationen nochmals um Faktoren erhöht hat.
Tainter ist niemand, der mir bislang über den Weg gelaufen ist, also habe ich jetzt mal nur eben den Wikipediaartikel gelesen. Wenn der Tainters Position korrekt wiedergibt, sind zwei Möglichkeiten, dem Kollaps zu entgehen, nämlich fortgesetzte technologische Entwicklung und stabilisierende Gesellschaften in der Nachbarschaft, die den Absturz auffangen können.
Ich denke, dass gerade die Computertechnologie etwas ist, dessen Folgen wir noch überhaupt nicht abschätzen können. Wir haben unheimliche Zuwächse an Produktivität und vor allem Automatisation dadurch erreicht und vieles ist dadurch an Bürokratie einfacher geworden. Die Forschungen bei der Analyse von Big Data haben überhaupt erst begonnen und es kann gut sein, dass wir darüber erstmal in der Geschichte Werkzeuge entwickeln, die derartige Komplexitäten ein Stück weit beherrschbar machen.
Da fehlt mir einfach die Logik. Weil alles noch komplexer ist als früher, soll die Komplexitätssteigerung, die ja gerade die Ursache der Unbeherrschbarkeit ist, beherrschbar werden? Ich sehe in solchen Begründungen nur Zweckoptimismus, und der ist fatal, weil der ja gerade immer wieder von neuem dazu führt, dass man sich kollektiv in eine ausweglose Situation hinein manövriert. Das ist wiederum das Wesen der Zivilisation. Eine sogenannte Rationalitätenfalle, die es in der Gemeinschaft eben gerade nicht gibt, weil dort die Interessen des Individuums und des Kollektivs beinahe die selben sind. Im Hyperkollektivismus, einem Wettstreitsystem, laufen die Interessen des Einzelnen und der Gesamtheit diametral auseinander. Es läuft per se auf Gewinner und Verlierer hinaus.
Der andere Punkt ist der, dass es heute keine isolierten Gesellschaften mehr gibt, sondern eine beginnende Weltökonomie, die punktuelle Krisen auffangen kann, aber natürlich auch als Gesamtsystem anfälliger dadurch geworden ist. In welche Richtung wir da gehen werden, weiß keiner, auch Tainter nicht. Er mag stringente Erklärungen anzubieten haben, das weiß ich nicht, hab ihn nicht gelesen, aber er kann sein Modell auch nicht empirisch auf Allgemeingültigkeit prüfen.
Tainter zeigt, dass problem-solving-societies empirisch dem Grenznutzenproblem erliegen. Zusätzliche Investition in zusätzliche Komplexität, Energie und Kredit wird ab einem bestimmten Punkt kontraproduktiv, und nach Ueberschreiten dieses Kulminationspunktes kracht das Konstrukt zusammen. Klar wenn Griechenland kollabiert, wird es einigermassen aufgefangen vom Rest der Welt, weil dieser Rest bereits (zurecht!) fürchtet, dass ein Tropfen, der das Fass zum Ueberlaufen bringt, zu einer unkontrollierbaren Kettenreaktion führt, weil eben das globalisierte Gesamtkonstrukt bereits in der Nähe des Kulminationspunktes angelangt ist. Paul C. Martin hat diesen Endzustand bereits in den 80er Jahren korrekt vorausgesagt:
"Heute ist weltweit Bagehot total: Alle Staaten werden für alle Staaten, alle Notenbanken für alle Notenbanken haften, einschließlich Währungsfonds und Weltbank und vielen anderen internationalen Institutionen. Und alle Staaten werden für alle Banken geradestehen, aber auch alle Notenbanken für alle Staaten und alle Staaten für alle Notenbanken. Alle, alle, alle werden für alle, alle, alle dasein. Und alle wissen, dass keinem von allen etwas passieren darf, weil dann allen etwas zustößt." Ja, das hat uns einiges gebracht, aber wir werden auch gleichzeitig effizienter in unserem Ressourcenverbrauch und Gedanken wie das craddle-to-craddle-Prinzip (wie im Regenwald: hoher Verbrauch bei vollständiger Wiederverwertung; verursacht einen extremen Energiedurchsatz, ist aber ansonsten komplett neutral für die Umwelt) setzen sich allmählich durch.
Setzen sich allmählich durch? Der Ressourcen-Verbrauch steigt exponentiell, genau so wie die Artenvernichtung. Energie- und Ressourcen-Verbrauch wird von den fortgeschrittenen Staaten einfach exportiert und das fertige Produkt dann importiert, was einen zusätzlichen Verbrauch zur Folge hat. Der Verbrauch hat sich innert 200 Jahren verhundertfacht.
Das ist exponentiell wuchernder Kollektivismus. So etwas kann nie und nimmer längerfristig funktionieren, sondern stets nur bis zum vorprogrammierten Kollaps.
Ja, da haben wir ironischerweise ähnliche Ziele. Aber ich bin von allen Kritikern unserer Lebensumstände in diesem Forum meines Erachtens einer derer, die die realistischsten Gedanken zu dem Thema haben. Radikale Systemumwälzungen sind auch im Falle eines kulturellen Niedergangs eher nicht zu erwarten, höchstens in die Richtung autoritärer Systeme, die wir alle nicht haben wollen.
Warum soll das nicht zu erwarten sein? Aufgrund der errungenen Fallhöhe und dem damit verbundenen potenziellen Chaos sehe ich eher eine Umwälzung in nie dagewesenem Umfang, bis hin zu einer allfälligen Selbstauslöschung unserer eigenen Spezies. Es
darf ja schon gar nichts mehr passieren, angesichts hunderter Atomreaktoren, die niemals unbetreut herumstehen dürfen. So weit hat man es gebracht mit dem sogenannten Fortschritt.
Also müssen wir versuchen, das jetzige System zu verbessern und den Grad an Freiheit, den wir bereits haben, nicht mit riskanten Systemänderungen zu gefährden.
Das Riskanteste an der ganzen Veranstaltung ist von Beginn weg deren Erhaltung. Je früher man das Experiment beendet, desto besser. Das gilt auch heute noch. Ein Strukturkollaps heute mit 500 verdampfenden Atomreaktoren ist für Flora und Fauna 'besser' als einer, der morgen oder übermorgen stattfindet, wenn sich die Reaktoren auch noch auf die Südhalbkugel ausgebreitet haben werden.
Ich glaube, die Motive von Kampf und Konkurrenz sind älter als die Zivilisation. Irgendwas gibt es immer, was man dem anderen neiden kann und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Motive nicht in vorzivilisatorischen Gesellschaften vorhanden waren, wenn bereits Affen oder Wölfe entsprechende Verhaltensweisen an den Tag legen.
Es gibt, wie gesagt, weder bei Affen noch bei staatslosen Gemeinschaften eine systematische Betreibung von Konzentrationslagern, in welchen Hühner, Schweine oder Artgenossen
lebenslänglich ein unbeschreiblich grausames Dasein fristen. Zivilisation ist erwiesenermassen die Maximierung des Leids.