provinzler hat geschrieben:Ich persönlich vermute allerdings sehr, dass es nicht an der Besitzverteilung liegt, sondern eigentlich um ganz etwas andres geht. Nämlich den sozialen Status und der wird nicht zwangsläufig übers Geld definiert. Deshalb wirst du dieses Problem auch nicht los, wenn du die Erträge einer Volkswirtschaft absolut gleichmäßig auf alle verteilst.
Richtig, das Problem loswerden ist annähernd unmöglich, da sind wir uns einig. Die Frage ist aber, ob wir deshalb aufhören sollten, das Problem einzudämmen. Ich würde ganz klar sagen: Nein. Wir investieren ja auch nicht in immer sicherere Autos oder Flugzeuge, weil wir glauben, das Problem von Verkehrsunfällen zu 100% lösen zu können, aber wir fühlen uns in einem nagelneuen A320 einfach wohler als in einer abgehalfterten, 30 Jahre alten 737 irgendwo über Afrika.
Und dann wird der soziale Status eben auch und vorrangig übers Geld definiert, da brauchen wir uns doch keine Illusionen zu machen. Besitz ist vielleicht keine hinreichende, aber eine durchaus notwendige Bedingung für einen gewissen sozialen Status. Wir reden vielleicht nicht immer gleich über besonders viel Besitz, aber die meisten Leute mit gesellschaftlichem Status sind normalerweise einkommenstechnisch schon in der gehobenen Mittelschicht oder darüber anzusiedeln. Natürlich gibt es Ausnahmen, ein olympischer Goldmedaillengewinner in einer Randsportart oder ein Theaterregisseur mit Kunstverstand als ökonomischen Fähigkeiten mag im Einzelfall eher bescheiden leben, aber das ist eben nicht die Mehrheit. Wer ein ordentliches Professorengehalt hat, verdient schon deutlich über 50.000€ im Jahr, das ist zwar noch lange kein Chefarztgehalt, aber schlecht leben lässt sich davon nicht. Man hat also häufig entweder sozialen Status, weil man Geld hat, oder hat Geld, weil man sozialen Status hat.
provinzler hat geschrieben:(von den Negativeffekten über idiotische Anreizsysteme mal ganz abgesehen).
Schwierig. Viele Langzeitarbeitslose haben ja durchaus den Willen zu arbeiten - sofern sie die Arbeitslosigkeit nicht schon völlig depressiv und apathisch gemacht hat -, sind aber nicht vermittelbar, weil sie in der Wirtschaft keiner haben will. Nun kann man es natürlich à la Gandalf bequem machen und behaupten, dass wir in einem freieren Wirtschaftssystem, wo der böse Staat nicht reinfuhrwerkt, das Problem überhaupt nicht hätten, aber das bringt uns zum einen nicht weiter (die Realität schert sich nunmal nicht um unsere Idealvorstellungen und verlangt konkretere Lösungsansätze, die näher am Gegenstand sind) und umgeht das Problem, anstatt es lösen. Wenn wir uns z.B. die USA ansehen, haben wir dort signifikante Arbeitslosigkeit, obwohl die USA in den letzten Jahrzehnten liberalisiert haben, wo es nur geht. Ich sehe das Problem mit den Anreizsystemen schon, andererseits gibt es Wohlfahrtsstaaten wie die skandinavischen Länder, die ihren Bürgern ziemlich viel hinterherschmeißen und trotzdem wirtschaftlichen Erfolg haben, und eben stark liberalisierte wie die USA oder das UK, die mit ernsthaften Problemen kämpfen. Die richtigen Anreizsysteme scheinen also in einer wirtschaftlich liberalisierten Gesellschaft nicht automatisch besser zu sein als in einer mit mehr staatlichem Interventionismus.
Natürlich kommt man um große Reparaturen am gesamten ökonomischen System nicht herum, wenn man das Problem der Arbeitslosigkeit lösen will, aber den Weg der reinen Liberalisierung zu gehen scheint so pauschal nicht zu helfen.
provinzler hat geschrieben:Denn dann gibts halt immer noch Klügere, Schönere, Größere, Stärkere usw. Ich prophezeie dir, dass du die soziale Hackordnung damit nicht abschaffen wirst, sondern nur die Sortierkritierien geändert werden.
Ich will die soziale Hackordnung gar nicht abschaffen. Aber wenn wir mal bei dem Beispiel mit der Körbchengröße bleiben: Es ist unwahrscheinlich, dass Sabine im Leben dauernd mehr Möglichkeiten hat, weil sie zwei BH-Größen größer kauft als Andrea. Hat sie aber doppelt so viel Geld, sieht die Sache anders aus. Wir reden nicht über die soziale Hackordnung und wir reden auch nicht darüber, die Oberschicht oder die "niederen" sozialen Schichten abzuschaffen, wir reden (oder
sollten reden) über die Herstellung persönlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Das Gefühl von Ohnmacht entsteht, wenn man das Gefühl hat, an seinem Schicksal nichts ändern zu können, das gilt für den Armen, der keinen Beruf ergreifen kann, für den Reichen, der vor lauter Angst vor den besitzlosen Horden und der Kriminalität in seinem goldenen Käfig festsitzt und für den Wutbürger, der sich vom politischen Prozess nicht wahrgenommen fühlt.
Die Existenz einer Hackordnung ist ok, wegen ihrer Ordnungs- und Orientierungsfunktion sogar wünschenswert, solange es gegenseitigen Respekt und gegenseitiges Vertrauen gibt, was bei leichter Ungleichverteilung viel einfacher zu bewerkstelligen ist als bei krassen ökonomischen Missverhältnissen - und wenn ein Kind zu Weihnachten, Geburtstag etc. jeweils Geschenke im Wert mehrerer hundert oder gar tausend Euro erhält (durchschnittlich geben deutsche Eltern über 300 Euro
pro Kind für Weihnachtsgeschenke aus!), während andere froh über eine warme Mahlzeit oder eine Extrahose von takko sind, sind das Missverhältnisse!
Es geht also nicht ums nivellieren, sondern um's Vermeiden zu großer und vor allem zu breiter Spitzen. Ein paar sehr Arme und ein paar sehr Reiche steckt die Gesellschaft locker weg, aber wenn ganze Gruppen unter systematischer Ohnmacht leiden (z.B. Kinder alleinerziehender Mütter), hat langfristig eine Fragmentierung der Gesellschaft mit wachsenden sozialen und monetären Kosten zur Folge. Die Zersplitterung einer Gesellschaft ist immer teuer!
provinzler hat geschrieben:Ich prophezeie übrigens auch, dass das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in der von den Befürwortern angedachten Höhe nicht funktionieren wird. Anhand der Anreizstrukturen lässt sich ziemlich gut vorhersagen, wie sich die Dinge früher oder später entwickeln. Und je höher die Lohnersatzleistungen angesetzt werden, desto unattraktiver wird Erwerbstätigkeit. Das perpetuum mobile gibts auch in der Ökonomie nicht :D
Ich bin ja kein Ökonom, das weißt du (für die anderen: provinzler und ich kennen uns schon eine Weile von wo anders), aber mein Gedanke ist der, dass sich die Güter, die durch stark automatisierte Massenproduktion gefertigt werden, im Prinzip größtenteils einfach ohne Gegenleistung verteilen ließen, sofern die Energieversorgung der Fabriken und Infrastruktur und die Finanzierung der Wartungsarbeiten gesichert sind (z.B. über Steuerfinanzierung, profitieren ja auch alle davon). Man könnte beispielsweise vereinbaren, dass automatische Fabriken nach zehn oder fünfzehn Jahren verstaatlicht werden, so dass sich Investitionen weiterhin lohnen, so dass auch die modernsten Modelle durchaus kostenpflichtig wären. Das BGE würde dann niemandem das Wasser abgraben, weil ja in komplett maschinisierten Produktionszweigen kein Konkurrenzverhältnis mehr zu Menschen besteht, anders gesagt, würden Autos nur noch durch Maschinen gebaut, wären die Autoarbeiter eh arbeitslos, völlig egal, ob die Autos hinterher zugunsten des Fabrikbesitzers verkauft oder einfach vergeben werden.
Allerdings ist klar, dass wir da über Zustände reden, die vielleicht mal eintreten, wenn wir beide unseren fortgeschrittenen Lebensabend feiern, für den Augenblick sehe ich auch im BGE noch nicht des Rätsels Lösung. Aber vielleicht kann man ein über Jahrzehnte gestaffeltes Einführungsprogramm machen oder es in irgendeiner Region einfach mal konkret ausprobieren. Der entscheidende Punkt, was die Anreize angeht, ist meines Erachtens nämlich, dass man durch das Bezahlen von Gehalt keine faule Person fleißig und keine fleißige Person faul macht. Wer jetzt schon gern arbeitet und gebraucht werden will, tut das auch weiterhin und wer schon immer Arbeit als Zumutung empfand, ja, der wird dann halt gehen, aber wie viele Leute das dann konkret sind, müsste man ausprobieren. Das sollten wir aber in einem anderen Thread besprechen.