Worum es bei Religion wirklich geht, haben wir aus den Augen verloren, ja wir haben uns blenden lassen. Es geht nicht um Götter, sondern es geht um Menschen und soziale Verbände. Mein neues Credo:
"Es ist nicht Zweck einer Religion, gültige theologische oder philosophische oder wissenschaftliche Aussagen zu machen."Wir alle sind auf die übliche Sicht hereingefallen, Atheisten wie Gläubige, und wir haben uns Jungferngeburt und Höllenqual um die Ohren gehauen. Jedoch in Wirklichkeit ist der übernatürliche Rahmen einer Religion völlig belanglos. Darum geht es nicht, genauso wenig wie es bei 1860-München-Fans gegen FC-Bayern-Fans um Fußball geht.
Es ist völlig egal, woran Gläubige glauben. Sonnengott, Trinity, die Himmlische
Mehrjungfrau, der Galaktische Strohmann, der Große Wieheißternoch, das ist nur Fassade.
Der Zweck von Religion ist es, ein verläßliches soziales Band zwischen Menschen zu schaffen. Zweck einer Religion ist auch, den Gläubigen Methode zu sein zur "Glückssynthese", ungefähr im Sinne, was uns Julia/Gilbert als "Stumbling on Happiness" oder als psychologisches Immunsystem verkaufen wollen.
Eine kleine Geschichte, wie ich die soziale Wirkung von Religion sehe:
Sagen wir, du bist ein Anhänger des Galaktischen Strohmans.
Du gehst auf die Straße, demütig deinen Stohmannhut tragend. Du triffst Leute, die Mehrjungfrau-Anstecker tragen oder Trinity-Bomben oder Einheitszeichen. Schließlich triffst du einen weiteren Strohmann-Gläubigen, der ebenso demütig seinen Strohmann-Hut trägt wie du. Du weißt, daß du diesem Menschen trauen kannst, denn Strohmann-Hüte sind kostspielig: sie sind teuer in der Anschaffung, und teuer im Gebrauch, denn sie sehen so albern aus, daß alle anderen dich dafür auslachen. Strohmann-Hüte sind dazu da, um deine Gruppenzugehörigkeit zu demonstrieren, auf eine möglichst fälschungssichere Weise.
Du kannst deinem Glaubensbruder noch aus einem anderen Grund trauen: wenn er dich aufs Kreuz legt, dann kannst du dich rächen, in dem du sein Fehlverhalten mit ein bisschen Ratsch und Tratsch in der Gemeinde verbreitest. Das würde den sozialen Ruin für den Glaubensbruder bedeuten, deshalb wird er es sich zweimal überlegen, dich aufs Kreuz zu legen.
Soweit die Geschichte. Sie ist nicht allzuweit von üblicher Gruppen- und Sozialdynamik entfernt, nur daß der Strohmann-Überbau mehr hergibt, als die üblichen sozialen Unterscheidungen. Fußballclubs haben dann doch nicht soviel Strahlkraft, genausowenig wie Golf-GTI- gegen Opel-Manta-Clubs.
Ich sollte erwähnen, daß meine Geschichte mehr Sinn ergibt in kleinen Gemeinden mit religiöser Vielfalt. Sie gibt weniger Sinn in Gesellschaften, in denen jeder der selben Religion angehört - dann wird Religion immer unwichtiger, wie wir im christlichen Europa sehen. Kleine religiöse Gemeinden ziehen allerdings auch in Europa immer noch einen Vorteil aus ihrer Rand-Religion.
Was sind die Vorteile von Religionszugehörigkeit?
- religiöse Menschen haben mehr Kinder
- religiöse Menschen sind glücklicher
- religiöse Gemeinschaften sind stabiler als weltliche
Vorrausgesetzt das stimmt - und es gibt Zahlen, die das belegen - muß man annehmen, daß Religion eine evolutionär sinnvolle Anpassung ist. Im Gegensatz zu Dawkins und Co., die Religion als
mind-virus, als Krankheit des Geistes sehen.
Nicht jedes Phänomen ist eine evolutionäre Anpassung. Daß aber Religion, als fast allgegenwärtige Erscheinung, durch die Bank eine Fehlanpassung sein soll, erscheint mir eher abwegig.