Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon ostfriese » Do 29. Nov 2007, 12:33

Um noch mal auf den kritischen Punkt einzugehen:

Pragmatischer Atheismus bedeutet, dass ich so lebe, als gäbe es keinen Gott.
Vernünftigerweise Atheist zu sein bedeutet, die Nichtexistenz Gottes für um Größenordnungen wahrscheinlicher zu halten als seine Existenz.

Zu letzterer (meiner) Position gelangt man schlicht dadurch, dass man jegliche Annahmen von Seinskategorien, die jenseits physikalischer Erfassbarkeit liegen, als metaphysische Willkürakte und somit als nicht diskursfähig, sprich: als irrational verwirft.

Den Maßstab der physikalischen Erfassbarkeit anzulegen ist keineswegs anmaßende Hybris der naturalistischen Ontologie gegenüber alternativen Denkweisen. Hier kommen vielmehr die virtuosen Zirkel ins Spiel, von denen Vollmer spricht: Die Erfolge der (natur)wissenschaftlichen Methode und die naturalistische Ontologie stützen sich gegenseitig. Mit der EE haben wir eine höchst plausible Erklärung dafür, warum unser Erkenntnisapparat auf die Welt passt und all jenes Seiende adäquat erfasst, das für unser Überleben notwendig ist. Darüber hinaus haben Wissenschaftler bei der Erweiterung und Verfeinerung unserer Projektionsflächen sowie bei der Dateninterpretation exzellente Arbeit geleistet und stehen mit dem LHC möglicherweise kurz davor, das Standardteilchenmodell zu vervollständigen. Je weiter der Erklärungs- und Prognoseerfolg der Naturwissenschaften voran schreitet, desto dreister und weltfremder werden die metaphysischen Mimosen, die sich beharrlich weigern, mit der physikalisch erfassbaren Realität in Berührung zu kommen.

Deshalb sollte man vernünftigerweise Atheist sein, nicht Agnostiker.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon El Schwalmo » Do 29. Nov 2007, 13:06

Myron hat geschrieben:Nenne mir bitte einen Grund, warum ein Evolutionsbiologe seine Zeit damit verschwenden sollte, die einfältigen Schriften der theologischen Märchenonkel zu lesen!

keinen.

Es sei denn, er meint, deren Weltbild sei mit seinem inkompatibel und möchte sich auf eine Diskussion einlassen.

Ob die Arbeiten, die ich zitiert habe, 'einfälitge Schriften der theologischen Märchenonkel' sind, mögen andere entscheiden.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Max » Do 29. Nov 2007, 13:36

Es hat sehr wohl einen Sinn für den Wissenschaftler, sich mit Pseudo- und Parawissenschaften auseinander zu setzen. Sie ermöglichen es dem Wissenschaftler auf kritische Einwände zu reagieren. Viele Biologen haben in einer Diskussion mit einem IDler oder einem Kreationisten keine Chance, weil sie seine Argumente nicht kennen. Will sich ein Wissenschaftler aber der Diskussion mit Kreationisten und IDlern stellen, ist es für ihn unerlässlich, sich mit ihren Theorien vertraut zu machen, schlüssige Argumente zu finden; nur so kann er sich für eine Diskussion und eine kritische Auseinandersetzung wappnen.

Außerdem zeigen pseudowissenschaftliche Theorien Prüfsteine für echte wissenschaftliche Theorien auf. Sie vermitteln Ereignisse, an denen wissenschaftliche Theorien scheitern können. Durch sie stößt man auf neue Falsifikationskriterien und macht dadurch seine wissenschaftliche Arbeit rationaler.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Andreas Müller » Do 29. Nov 2007, 15:19

Du vergisst, dass die Wissenschaft stets einer sehr viel besseren inhärenten Kritik unterliegt.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Myron » Do 29. Nov 2007, 16:12

Max hat geschrieben:Es hat sehr wohl einen Sinn für den Wissenschaftler, sich mit Pseudo- und Parawissenschaften auseinander zu setzen. Sie ermöglichen es dem Wissenschaftler auf kritische Einwände zu reagieren. Viele Biologen haben in einer Diskussion mit einem IDler oder einem Kreationisten keine Chance, weil sie seine Argumente nicht kennen. Will sich ein Wissenschaftler aber der Diskussion mit Kreationisten und IDlern stellen, ist es für ihn unerlässlich, sich mit ihren Theorien vertraut zu machen, schlüssige Argumente zu finden; nur so kann er sich für eine Diskussion und eine kritische Auseinandersetzung wappnen.


Nun, eine ganze Reihe von Wissenschaftlern hat sich ja die bereits die Mühe gemacht, auf die Argumente der Kreationisten und ID-ioten einzugehen, sie zu zerlegen und zu widerlegen—mit Erfolg!
(Siehe z.B.: http://www2.truman.edu/~edis/books/id — und beispielsweise ist neulich eine weitere zentrale Behauptung von Michael Behe, dem Chef-ID-ioten, gründlich widerlegt worden: http://pandasthumb.org/archives/2007/11/an-open-letter-4.html)
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon ostfriese » Do 29. Nov 2007, 16:21

Die Diskussion mit stine im anderen Thread ist doch ein Paradebeispiel dafür, dass bestimmte Positionen sich außerhalb des rationalen Diskurses befinden. Wann immer sie sich vorwagt in Richtung empirisch oder ethisch relevanter Schlüsse, wird sie mühelos und (meistens) sauber widerlegt. Mehrfach schon war sie zu argumentativen Rückziehern gezwungen und hat fairerweise sogar einige naturalistische bzw. humanistische Auffassungen ausdrücklich anerkannt.

Allerdings nie ohne den stereotypen Zusatz der Art: "Trotzdem glaube ich, das da noch mehr ist..."

An dieser Stelle endet alles Argumentieren, denn hiermit zieht sich stine aus dem rationalen Diskurs zurück.

Ein Feld, auf dem wahllos untestbare und unverständliche Postulate gesät werden, kann man nicht sinnvoll bestellen, oder wie Kanitologe es auf dem Blog ausdrückte: Man kann auf einem solchen Gebiet nicht dilettieren.

Intelligenz oder Eloquenz allein garantieren noch nicht den Anspruch, von Wissenschaftlern oder Philosophen als Gesprächspartner ernst genommen zu werden...
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Myron » Do 29. Nov 2007, 16:53

Myron hat geschrieben:Nun, eine ganze Reihe von Wissenschaftlern hat sich ja die bereits die Mühe gemacht, auf die Argumente der Kreationisten und ID-ioten einzugehen, sie zu zerlegen und zu widerlegen—mit Erfolg!
(Siehe z.B.: http://www2.truman.edu/~edis/books/id — und beispielsweise ist neulich eine weitere zentrale Behauptung von Michael Behe, dem Chef-ID-ioten, gründlich widerlegt worden: http://pandasthumb.org/archives/2007/11/an-open-letter-4.html)


Hier ist z.B. eine wissenschaftliche Kritik an Behe's neuestem Machwerk "The Edge of Evolution":
http://pandasthumb.org/archives/2007/10 ... of-th.html
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon El Schwalmo » Do 29. Nov 2007, 17:37

Myron hat geschrieben:Nun, eine ganze Reihe von Wissenschaftlern hat sich ja die bereits die Mühe gemacht, auf die Argumente der Kreationisten und ID-ioten einzugehen, sie zu zerlegen und zu widerlegen—mit Erfolg!

teilweise. Kreationisten sind 'weiche Ziele'. Wenn jemand ernsthaft eine 6000 Jahre alte Erde vertreten möchte, hat er keine Chance, dies in einem rationalen Diskurs zu tun.

Bei ID sieht es etwas anders aus, eben weil es, streng genommen, nichts behauptet. Die Frage ist, ob man darüber rational diskutieren kann (ich denke eher nicht), noch schwerer wird es aber, diese Menschen zu widerlegen. 'Theoretisch' wäre das sehr einfach: beispielsweise konkret aufzeigen, wie eine Bakterien-Geißel durch Mutation und Selektion entstehen kann, und zwar nicht nur auf der Basis von Sequenzhomologien (die würden auch bestehen, falls ein Designer basteln würde), sondern auf der Basis von konkreten Selektionsbedingungen, Angabe von Randbedingungen und so weiter. Selbst wenn alle Bestandteile vorhanden sind, ist noch lange nicht klar, dass die korrekt zusammengebaut werden.

Ich teile Behes Argumentation, vor allem hinsichtlich IC, nicht. Seine Argumente sind uralt, sie wurden im Prinzip schon zu Lebzeiten Darwins vorgetragen (wenn man 'IC' etwas weiter fasst, sogar schon lange vorher). Man kann aber mit guten Gründen vertreten, dass diese Probleme im Rahmen der Selektionstheorie bisher nicht gelöst wurden.

Einige Kritiker machen allerdings den Fehler, das, was sie kritisieren, gar nicht genau genug zu kennen. Oft werden Behe Positionen unterstellt, die er gar nicht vertritt. Besonders pikant ist es, wenn das, was er seinen Kritikern vorhalten kann, in der Nähe der Stellen steht, welche die Kritiker angreifen. So haben beispielsweise etliche Menschen die Entwicklung des Linsenauges als Widerlegung von IC angesehen. Behe schreibt aber in seinem Buch expressis verbis, dass das Auge gar nicht IC sei, und dass er kein Problem damit habe, dessen Entstehung darwinistisch zu erklären. Seiner Meinung nach ist die Transduktionskaskade in den primären Sinneszellen IC. Interessanterweise fangen die üblichen Erklärungen der Evolution des Linsenauges, beispielsweise der fast schon Klassiker

Nilsson, D.-E.; Pelger, S. (1994) 'A Pessimistic Estimate of the Time Required for an Eye to Evolve' Proceedings of the Royal Society of London B 256:53-58

nach der Enstehung dieser Kaskade an ('weil man ja irgendetwas voraussetzen muss'). Das ist sicher rational, aber jemand, der behauptet, dass ab dann alles einfach sei, wird sich etwas seltsam vorkommen, wenn man ihm das als Argument präsentiert, sollte klar sein.

Ich kann gerne an konkreten Beispielen aufzeigen, dass etliche Autoren entweder etwas angreifen, was Behe nicht vertritt oder dass das, was sie schreiben, nicht stichhaltig ist.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon ostfriese » Do 29. Nov 2007, 18:02

Was mich mal ehrlich interessieren würde: Tragen die Gegner der Evolutionstheorie eigentlich irgendetwas bei zur Aufdeckung noch ungeklärter Probleme? Oder wurden all diese Probleme bereits von Naturwissenschaftlern gesehen und ohne Zutun von theologisch motivierten Spitzfindern gewissenhaft genug diskutiert?

Zwei Fragen also:

1. Sind die Evolutionsbiologen in Bezug auf ihre für wahr gehaltenen Theorien tatsächlich selbstkritisch genug, oder bilden sie de facto auch nur einen Verein von Gläubigen?

2. Existiert ein ernst zu nehmender Beitrag von opponierenden Nichtwissenschaftlern (welche selbst keine diskutable Alternative, sondern allenfalls Ad-hoc-Hypothesen ohne Erklärungswert anbieten) zur Weiterentwicklung der Evolutionstheorie?
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon El Schwalmo » Do 29. Nov 2007, 18:41

ostfriese hat geschrieben:Was mich mal ehrlich interessieren würde: Tragen die Gegner der Evolutionstheorie eigentlich irgendetwas bei zur Aufdeckung noch ungeklärter Probleme?

schwer zu sagen.

Ich kenne bisher nur ein Beispiel, in dem derartige Kritik dazu geführt hat, dass etwas nachuntersucht wurde: die Birkenspanner-Story. Majerus hat Jahre geopfert, um etwas 'wasserdicht' zu machen, was längst als erwiesen galt.

ostfriese hat geschrieben:Oder wurden all diese Probleme bereits von Naturwissenschaftlern gesehen und ohne Zutun von theologisch motivierten Spitzfindern gewissenhaft genug diskutiert?

Die Frage ist, was man unter 'gewissenhaft genug diskutiert' versteht.

Vielleicht ein Beispiel. Ein zentrales Thema der Evolutionsbiologie ist die Entstehung von Neuheiten. Diese Frage wurde jahrzehntelang vom MainStream bewusst 'weggedrückt'. Es ist sehr interessant, im ersten Artikel, der diese Frage wieder im Rahmen des MainStream thematisierte, die Gründe dafür nachzulesen:

Mayr, E. (1960) 'The emergence of evolutionary novelties' in: Tax, S.; (ed.) 'Evolution after Darwin. Vol 1. The Evolution of Life' Chicago, University of Chicago Press S. 349-380

Das lag vor allem daran, dass sich der Standard erst etablieren musste. Dazu kam noch etwas, das in meinen Augen noch genauer wissenschaftshistorisch untersucht werden muss: Dobzhansky, der führende Kopf in der Etablierung der Standard-Theorie der Evolutionsbiologen, definierte 'Evolution' als 'Verschiebung von Allelfrequenzen in Populationen'. In diesem Weltbild ist nicht einmal konkret angebbar, was eine 'evolutionäre Neuheit' sein könnte. Inzwischen wird die Frage, vor allem von EvoDevo, wieder in den Vordergrund gestellt. Wurde nun diese Frage in der 'Blütezeit' der STE 'gewissenhaft genug diskutiert'?

ostfriese hat geschrieben:Zwei Fragen also:

1. Sind die Evolutionsbiologen in Bezug auf ihre für wahr gehaltenen Theorien tatsächlich selbstkritisch genug, oder bilden sie de facto auch nur einen Verein von Gläubigen?

Sehr schwer zu sagen. Jeder, der eine Alternative jenseits des MainStream vertritt, wirft diesem genau das vor, auch wenn diese Alternative vollkommen im Rahmen des Naturalismus vertreten wird. Ein gutes Beispiel ist die Diskussion um PunkEek ('durchbrochene Gleichgewichte'). Gould hat in diesem Rahmen durchaus behauptet, dass der MainStream überhaupt nicht kritisch genug war.

ostfriese hat geschrieben:2. Existiert ein ernst zu nehmender Beitrag von opponierenden Nichtwissenschaftlern (welche selbst keine diskutable Alternative, sondern allenfalls Ad-hoc-Hypothesen ohne Erklärungswert anbieten) zur Weiterentwicklung der Evolutionstheorie?

Dazu ist mir nichts bekannt. Üblicherweise setzt sich eine Auffassung nur durch, wenn sie fachlich gut begründbar ist.

Beschäftigung mit Heterodoxien (das ist weit mehr als Einwände von religiös motivierten Menschen) kann sehr informativ sein. Man sieht die Welt dann mit anderen Augen.

Kennst Du Korthof? Der hat mit die besten Rezensionen im Web stehen, die ich kenne. Dem geht es wie mir: man lernt oft mehr, wenn man nicht noch Buch des MainStream liest, sondern sich mit Alternativen befasst. Korthof ist Naturalist wie ich und hat mit Evolutionsgegnern nichts am Hut.

BTW, auch an dessen Besprechung von Behes Arbeiten kann man zeigen, dass er Behes Konzept noch gründlicher studieren sollte.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon ostfriese » Do 29. Nov 2007, 18:53

Danke für Deine Ausführungen!

El Schwalmo hat geschrieben:die Birkenspanner-Story. Majerus hat Jahre geopfert, um etwas 'wasserdicht' zu machen, was längst als erwiesen galt.

Es adelt Wissenschaftler, wenn sie mit solcher Akribie zu Werke gehen. Allerdings wäre es tragisch, wenn z.B. ID-ler es fertig brächten, Evolutionsbiologen vom Weiterforschen abzuhalten, indem sie öffentlichkeitwirksam angebliche Erklärungslücken breit träten...
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon stine » Do 29. Nov 2007, 20:27

ostfriese hat geschrieben:Die Diskussion mit stine ...
... noch nicht den Anspruch, von Wissenschaftlern oder Philosophen als Gesprächspartner ernst genommen zu werden...


Danke, Ostfriese, für deine immerwährende Höflichkeit!
Leider war Theologie nicht mein Studienfach, vielleicht hätte ich sonst öfter punkten können.

Aber einen Versuch war es wert!

LG stine
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon El Schwalmo » Do 29. Nov 2007, 20:28

ostfriese hat geschrieben:Danke für Deine Ausführungen!

El Schwalmo hat geschrieben:die Birkenspanner-Story. Majerus hat Jahre geopfert, um etwas 'wasserdicht' zu machen, was längst als erwiesen galt.

Es adelt Wissenschaftler, wenn sie mit solcher Akribie zu Werke gehen. Allerdings wäre es tragisch, wenn z.B. ID-ler es fertig brächten, Evolutionsbiologen vom Weiterforschen abzuhalten, indem sie öffentlichkeitwirksam angebliche Erklärungslücken breit träten...

noch schlimmer: es kann sein, dass Wissenschaftler bestimmte Ergebnisse zurückhalten, weil sie nicht Wasser auf die falschen Mühlen lenken wollen. Als PunkEek aufkam, sahen Kreationisten ihre Chance, via Sprünge den Darwinismus auszuhebeln. Das hat Forscher nicht gerade dazu motiviert, etwas zu publizieren, das wie ein Sprung aussah.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Max » Do 29. Nov 2007, 20:59

El Schwalmo hat geschrieben:PunkEek
Was ist das?
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Andreas Müller » Do 29. Nov 2007, 21:35

Punctuated equilibrium (sometimes referred to as punctuated equilibria) is a theory in evolutionary biology, which posits that evolution amongst sexually reproducing species takes place in rapid bursts, separated by long periods in which little change occurs. According to the punctuated equilibrium hypothesis, phenotypic evolution — evolution of the characters coded for by the genome — is localized in rare events of branching speciation (called cladogenesis), and occurs relatively quickly compared to species' full and stable duration on earth.
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon ostfriese » Do 29. Nov 2007, 22:16

stine hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Die Diskussion mit stine ...
... noch nicht den Anspruch, von Wissenschaftlern oder Philosophen als Gesprächspartner ernst genommen zu werden...


Danke, Ostfriese, für deine immerwährende Höflichkeit!
Leider war Theologie nicht mein Studienfach, vielleicht hätte ich sonst öfter punkten können.

Aber einen Versuch war es wert!

LG stine

Ich bin weder Wissenschaftler noch Philosoph, außerdem verbringe ich hier nur meine Freizeit. Also darfst Du, liebe stine, immer darauf zählen, dass ich Deine Argumente nach bestem Wissen und Gewissen prüfe, sofern ich sie verstehe. =)
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Do 29. Nov 2007, 22:38

Ich weiß nicht um die Förderlichkeit des folgeden Beitrages, aber das Problem des Wissenschaftsglaubens hat erstmalig doch unser netter Herr Nietzsche formuliert; so z.B. in " Der Genealogie der Moral" dritte Abhandlung

24.

[...] Diese Verneinenden und Abseitigen von Heute, diese Unbedingten in Einem, im Anspruch auf intellektuelle Sauberkeit, diese harten, strengen, enthaltsamen, heroischen Geister, welche die Ehre unsrer Zeit ausmachen, alle diese blassen Atheisten, Antichristen, Immoralisten, Nihilisten, diese Skeptiker, Ephektiker, Hektiker des Geistes (letzteres sind sie sammt und sonders, in irgend einem Sinne), diese letzten Idealisten der Erkenntniss, in denen allein heute das intellektuelle Gewissen wohnt und leibhaft ward, – sie glauben sich in der That so losgelöst als möglich vom asketischen Ideale, diese »freien, sehr freien Geister«: und doch, dass ich ihnen verrathe, was sie selbst nicht sehen können – denn sie stehen sich zu nahe – dies Ideal ist gerade auch ihr Ideal, sie selbst stellen es heute dar, und Niemand sonst vielleicht, sie selbst sind seine vergeistigtste Ausgeburt, seine vorgeschobenste Krieger- und Kundschafter-Schaar, seine verfänglichste, zarteste, unfasslichste Verführungsform: – wenn ich irgend worin Räthselrather bin, so will ich es mit diesem Satze sein!... Das sind noch lange keine freien Geister: denn sie glauben noch an die Wahrheit... Als die christlichen Kreuzfahrer im Orient auf jenen unbesiegbaren Assassinen-Orden stiessen, jenen Freigeister-Orden par excellence, dessen unterste Grade in einem Gehorsame lebten, wie einen gleichen kein Mönchsorden erreicht hat, da bekamen sie auf irgend welchem Wege auch einen Wink über jenes Symbol und Kerbholz-Wort, das nur den obersten Graden, als deren Secretum, vorbehalten war: »Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt«... Wohlan, das war Freiheit des Geistes, damit war der Wahrheit selbst der Glaube gekündigt... Hat wohl je schon ein europäischer, ein christlicher Freigeist sich in diesen Satz und seine labyrinthischen Folgerungen verirrt? kennt er den Minotauros dieser Höhle aus Erfahrung?... Ich zweifle daran, mehr noch, ich weiss es anders: – Nichts ist diesen Unbedingten in Einem, diesen sogenannten »freien Geistern« gerade fremder als Freiheit und Entfesselung in jenem Sinne, in keiner Hinsicht sind sie gerade fester gebunden, im Glauben gerade an die Wahrheit sind sie, wie Niemand anders sonst, fest und unbedingt. Ich kenne dies Alles vielleicht zu sehr aus der Nähe: jene verehrenswürdige Philosophen-Enthaltsamkeit, zu der ein solcher Glaube verpflichtet, jener Stoicismus des Intellekts, der sich das Nein zuletzt eben so streng verbietet wie das Ja, jenes Stehenbleiben- Wollen vor dem Thatsächlichen, dem factum brutum, jener Fatalismus der »petits faits« (ce petit faitalisme, wie ich ihn nenne), worin die französische Wissenschaft jetzt eine Art moralischen Vorrangs vor der deutschen sucht, jenes Verzichtleisten auf Interpretation überhaupt (auf das Vergewaltigen, Zurechtschieben, Abkürzen, Weglassen, Ausstopfen, Ausdichten, Umfälschen und was sonst zum Wesen alles Interpretirens gehört) – das drückt, in's Grosse gerechnet, ebensogut Ascetismus der Tugend aus, wie irgend eine Verneinung der Sinnlichkeit (es ist im Grunde nur ein modus dieser Verneinung). Was aber zu ihm zwingt, jener unbedingte Wille zur Wahrheit, das ist der Glaube an das asketische Ideal selbst, wenn auch als sein unbewusster Imperativ, man täusche sich hierüber nicht, – das ist der Glaube an einen metaphysischen Werth, einen Werth an sich der Wahrheit, wie er allein in jenem Ideal verbürgt und verbrieft ist (er steht und fällt mit jenem Ideal). Es giebt, streng geurtheilt, gar keine »voraussetzungslose« Wissenschaft, der Gedanke einer solchen ist unausdenkbar, paralogisch: eine Philosophie, ein »Glaube« muss immer erst da sein, damit aus ihm die Wissenschaft eine Richtung, einen Sinn, eine Grenze, eine Methode, ein Recht auf Dasein gewinnt. (Wer es umgekehrt versteht, wer zum Beispiel sich anschickt, die Philosophie »auf streng wissenschaftliche Grundlage« zu stellen, der hat dazu erst nöthig, nicht nur die Philosophie, sondern auch die Wahrheit selber auf den Kopf zu stellen: die ärgste Anstands-Verletzung, die es in Hinsicht auf zwei so ehrwürdige Frauenzimmer geben kann!) Ja, es ist kein Zweifel – und hiermit lasse ich meine »fröhliche Wissenschaft« zu Worte kommen, vergl. deren fünftes Buch S. 263 – »der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt, bejaht damit eine andre Welt als die des Lebens, der Natur und der Geschichte; und insofern er diese »andre Welt« bejaht, wie? muss er nicht eben damit ihr Gegenstück, diese Welt, unsre Welt – verneinen?... Es ist immer noch ein metaphysischer Glaube, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht, – auch wir Erkennenden von Heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch wir nehmen unser Feuer noch von jenem Brande, den ein Jahrtausende alter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato's war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit göttlich ist... Aber wie, wenn gerade dies immer mehr unglaubwürdig wird, wenn Nichts sich mehr als göttlich erweist, es sei denn der Irrthum, die Blindheit, die Lüge, – wenn Gott selbst sich als unsre längste Lüge erweist?« – – An dieser Stelle thut es Noth, Halt zu machen und sich lange zu besinnen. Die Wissenschaft selber bedarf nunmehr einer Rechtfertigung (womit noch nicht einmal gesagt sein soll, dass es eine solche für sie giebt). Man sehe sich auf diese Frage die ältesten und die jüngsten Philosophien an: in ihnen allen fehlt ein Bewusstsein darüber, inwiefern der Wille zur Wahrheit selbst erst einer Rechtfertigung bedarf, hier ist eine Lücke in jeder Philosophie – woher kommt das? Weil das asketische Ideal über alle Philosophie bisher Herr war, weil Wahrheit als Sein, als Gott, als oberste Instanz selbst gesetzt wurde, weil Wahrheit gar nicht Problem sein durfte. Versteht man dies »durfte«? – Von dem Augenblick an, wo der Glaube an den Gott des asketischen Ideals verneint ist, giebt es auch ein neues Problem: das vom Werthe der Wahrheit. – Der Wille zur Wahrheit bedarf einer Kritik – bestimmen wir hiermit unsre eigene Aufgabe –, der Werth der Wahrheit ist versuchsweise einmal in Frage zu stellen... (Wem dies zu kurz gesagt scheint, dem sei empfohlen, jenen Abschnitt der »fröhlichen Wissenschaft« nachzulesen, welcher den Titel trägt: »Inwiefern auch wir noch fromm sind« S. 260 ff, am besten das ganze fünfte Buch des genannten Werks, insgleichen die Vorrede zur »Morgenröthe«.)
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon ostfriese » Do 29. Nov 2007, 23:02

Dass die Welt nach Problemlösungen schreit, ist Rechtfertigung genug, sie möglichst zutreffend beschreiben zu wollen.

Und umgekehrt: Die Freiheit (sogar von allen Gewissheiten), welche Nietzsche so rühmt, ist als Wert selbstverständlich auch hinterfragbar...
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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon stine » Fr 30. Nov 2007, 09:00

– auch wir Erkennenden von Heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch wir nehmen unser Feuer noch von jenem Brande, den ein Jahrtausende alter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato's war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit göttlich ist... Aber wie, wenn gerade dies immer mehr unglaubwürdig wird, wenn Nichts sich mehr als göttlich erweist, es sei denn der Irrthum, die Blindheit, die Lüge, – wenn Gott selbst sich als unsre längste Lüge erweist?« – – An dieser Stelle thut es Noth, Halt zu machen und sich lange zu besinnen. Die Wissenschaft selber bedarf nunmehr einer Rechtfertigung (womit noch nicht einmal gesagt sein soll, dass es eine solche für sie giebt).


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Re: Was ist Wissenschaftsgläubigkeit?

Beitragvon Pip » Fr 30. Nov 2007, 10:51

Ach stine, du machst es dir mal wieder zu leicht.

Etwas aus dem Zusammenhang reißen, und dann drunterschreiben "das gefält mir" ist unter euch Christen zwar Tradition, aber keine wirklich gute Idee. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du Nietzsche nicht mehr mögen würdest, wenn du mal mehr von ihm liest. :mg:
Pip
 

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