Antwort auf den Artikel in der Stuttgarter Zeitung

Im folgenden der Blogbeitrag zu Rolf Spinnlers Artikel in der Stuttgarter Zeitung. ist etwas länger geworden...
Wenn es noch Verbesserungsvorschläge gibt, her damit.
Von Antworten, die keine sind
„Zufallsprodukt der Evolution - oder nicht?“ fragt Rolf Spinnler in der Stuttgarter Zeitung. Einen „Kulturkampf“ sieht er dräuen, da die Frage, in welche Schulfächer religiöse Inhalte gehören auch immer stärker Deutschland erreicht, zuletzt das hessische Kultusministerium. In seinem Artikel ruft Spinnler dazu auf, die Evolutionstheorie kritisch zu betrachten, und macht dabei einen für antievolutionistische Beiträge typischen Fehler. Es lohnt sich daher, auf seine Thesen und Folgerungen genauer einzugehen.
Zentrales Argument Spinnlers ist der Umstand, daß es „Punkte der darwinistischen Lehre“ gibt, bei denen noch Klärungsbedarf besteht. Als Beispiel führt er die Artbildung an, also die Frage, wann und wie aus einer Spezies eine andere Spezies entsteht. In der Tat konnte Darwin diese Frage nicht hinreichend beantworten, und sie ist auch gegenwärtig noch Gegenstand zahlreicher Debatten. Dieselbe Problematik sieht Spinnler „beim 'Urknall' und der Entstehung der Naturgesetze, beim Übergang von der anorganischen zur lebendigen Natur oder bei der Entstehung des menschlichen Geistes.“
Spinnler hat Recht: Keine dieser Fragen kann als hinreichend beantwortet gelten. Was er aber übersieht, ist, daß sich die Naturwissenschaft nicht über gegebene Antworten definiert, sondern über die Suche nach eben solchen. Und auf diesem Gebiet hat die Wissenschaft enorm viel zu bieten: Das Rätsel des menschlichen Geistes hat eine ganze Philosophiedisziplin entstehen lassen. Diese Philosphie des Geistes und die Neurowissenschaft wischt Spinnler mit dem Allgmeinplatz „Diesen Geist gäbe es zwar nicht ohne biologische Grundlagen, aber er ist zugleich mehr als die Summe seiner Entstehungsbedingungen.“ beiseite, als seien alle nicht-dualistischen Erklärungsansätze damit hinreichend widerlegt.
Über evolutionsbiologische Fragen, über Adaptionism, Gradualism und Punctuated Equilibrium, streiten mit Hingabe u.a. der von Spinnler kritisierte Daniel Dennett und sein Kontrahent aus zahlreichen Debatten, Stephen Jay Gould, um dem bestehenden Klärungsbedarf gerecht zu werden. Die Evolutionstheorie ist ebenso wie die diversen Theorien zur Ontologie des Geistes Gegenstand heißer wissenschaftlicher Diskussionen.
Antievolutionisten schert das wenig – sie geben sich mit ihrem argumentum ad ignorantiam zufrieden: Die Evolutionstheorie kann die Artbildung nicht zweifelsfrei erklären, also ist sie falsch – oder zumindest nicht besser als irgendeine andere These, egal ob wissenschaftlich oder nicht. Diesem Fehlschluß unterliegt auch Spinnler, wenn er die diversen evolutionstheoretischen Ansätze als Spekulation, ja bloße Metaphysik abtut. Entlarvend ist sein Gewährsmann für diese These, „der Philosoph“ Robert Spaemann, der weniger Philosoph als vielmehr Tarnkappentheologe ist – ein Schaf im Wolfspelz.
In eben diese lammfromme Richtung geht dann auch Spinnlers Alternativvorschlag: „Die Schöpfungstheologie“, nach der „wir uns selbst einem nicht mehr ableitbaren göttlichen Schöpfungsakt verdanken“.
Interessant ist dabei, daß Spinnler, aus dessen Ausführungen ein fundamentales Unverständnis der wissenschaftlichen Methode zu sprechen scheint, Poppers Falsifizierbarkeitsforderung zitiert, wonach eine Theorie nur dann eine solche ist, wenn sie widerlegt werden kann. Der Autor will damit verdeutlichen, daß die Naturwissenschaft für weitere Widerlegungsversuche der Evolutionstheorie offen sein muß, und daher auch die Schöpfungsthese eine wissenschaftliche Relevanz habe.
Leider ist das ein Nagel in die eigene Hand – der Schöpfungsakt schließlich ist „nicht mehr ableitbar“, und somit auch nicht falsifizierbar. Gemäß Spinnlers Popper-Zitat ist die Schöpfungstheologie also unwissenschaftlich – und hat damit zur wissenschaftlichen Debatte wie auch zum Biologieunterricht nichts Relevantes beizutragen.
Es verwundert sehr, wie ein Autor in ein und demselben Artikel die Naturwissenschaft zu mehr Kritikfähigkeit bekehren möchte, um diese Kritikfähigkeit dann zur Einschleusung religiöser Inhalte zu mißbrauchen, die selbst bar jeder Kritikfähigkeit sind. Das aber ist die typische Strategie der „Intelligent-Design“-Anhänger, und so verwundert es lediglich, daß die Stuttgarter Zeitung dieser unwissenschaftlichen Denkweise unkommentiert Papier und Druckerschwärze zur Verfügung stellt.
Es muß sich endlich herumsprechen: Gott erklärt nichts. Die „großen Nahtstellen der Naturgeschichte“ kann die Schöpfungsthese nicht erklären – wenn Gott den Anfang schuf, wer schuf dann Gott? Die Naturwissenschaften können diese Fragen noch nicht beantworten, „Intelligent Design“ aber kann sie per definitionem nicht erklären. Denn zu sagen, Gott sei der Ursprung, ist keine Antwort auf irgendwelche Fragen, sondern eine Verweigerung jeglicher Antwort. Während die Wissenschaft weitersuchen kann, setzt die Schöpfungsthese der Suche ganz einfach ein willkürliches Ende.
In seiner Dokumentation „The Enemies of Reason“, die aktuell beim britischen Channel4 läuft, sagt Richard Dawkins: „Ich werde oft gefragt, woher ich weiß, daß die Naturwissenschaft Recht hat – nun, ich weiß es nicht!“ Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Zu neuen Erkenntnissen über uns selbst, über unseren Geist und über die Natur kommen wir nur durch Nicht-Wissen. Das nämlich läßt uns zweifeln und fragen und so stets Neues entdecken. Wir können diesen Weg gehen oder uns die Antwort „Gott“ geben und zufrieden, aber ohne jeden Erkenntnisfortschritt, unser Leben leben.
Auch auf Spinnlers zweiten großen Denkfehler muß ausdrücklich hingewiesen werden, birgt er doch eine große Gefahr: Die Existenz eines Schöpfergottes gebe dem Leben einen „Sinn“ und daher ethische Verpflichtungen, während die Evolutionstheorie „uns zu nichts verpflichte“. Leider übersieht er dabei, daß ein sehr großer Teil der Bevölkerung nicht an einen Schöpfergott glaubt, und dessen ethische Implikationen für diese Menschen daher von keinerlei Bedeutung sind. Wie eine Ethik idealerweise auszusehen hat, ist eine große Frage – und auch hierauf kann Gott nicht die Antwort sein. Was nützt einem das absolute Wort Gottes, wenn Gott in den Augen vieler relativ ist?
Es sei außerdem noch darauf hingewiesen, daß Spinnler hier einem naturalistischen Fehlschluß unterliegt: Aus der Natur des Menschen als Produkt der Evolution folgt nichts ethisch Relevantes. Aus der „Sinnlosigkeit“ des Evolutionsprozesses folgt in der Tat keinerlei moralische Verpflichtung – aber genauswoenig, daß es keine moralischen Verpflichtungen geben könne. Diese setzt nämlich der Mensch selbst – nicht die Natur, geschweige denn Gott.
Rolf Spinnler versucht in seinem Artikel, eine religiös motivierte These als Wissenschaft zu postulieren, und gleichzeitig eine naturwissenschaftliche Theorie als Ideologie zu diffamieren. Das ist nicht nur inhaltlich falsch, es ist auch gefährlich, und daher moralisch zu hinterfragen.
Wenn es noch Verbesserungsvorschläge gibt, her damit.
Von Antworten, die keine sind
„Zufallsprodukt der Evolution - oder nicht?“ fragt Rolf Spinnler in der Stuttgarter Zeitung. Einen „Kulturkampf“ sieht er dräuen, da die Frage, in welche Schulfächer religiöse Inhalte gehören auch immer stärker Deutschland erreicht, zuletzt das hessische Kultusministerium. In seinem Artikel ruft Spinnler dazu auf, die Evolutionstheorie kritisch zu betrachten, und macht dabei einen für antievolutionistische Beiträge typischen Fehler. Es lohnt sich daher, auf seine Thesen und Folgerungen genauer einzugehen.
Zentrales Argument Spinnlers ist der Umstand, daß es „Punkte der darwinistischen Lehre“ gibt, bei denen noch Klärungsbedarf besteht. Als Beispiel führt er die Artbildung an, also die Frage, wann und wie aus einer Spezies eine andere Spezies entsteht. In der Tat konnte Darwin diese Frage nicht hinreichend beantworten, und sie ist auch gegenwärtig noch Gegenstand zahlreicher Debatten. Dieselbe Problematik sieht Spinnler „beim 'Urknall' und der Entstehung der Naturgesetze, beim Übergang von der anorganischen zur lebendigen Natur oder bei der Entstehung des menschlichen Geistes.“
Spinnler hat Recht: Keine dieser Fragen kann als hinreichend beantwortet gelten. Was er aber übersieht, ist, daß sich die Naturwissenschaft nicht über gegebene Antworten definiert, sondern über die Suche nach eben solchen. Und auf diesem Gebiet hat die Wissenschaft enorm viel zu bieten: Das Rätsel des menschlichen Geistes hat eine ganze Philosophiedisziplin entstehen lassen. Diese Philosphie des Geistes und die Neurowissenschaft wischt Spinnler mit dem Allgmeinplatz „Diesen Geist gäbe es zwar nicht ohne biologische Grundlagen, aber er ist zugleich mehr als die Summe seiner Entstehungsbedingungen.“ beiseite, als seien alle nicht-dualistischen Erklärungsansätze damit hinreichend widerlegt.
Über evolutionsbiologische Fragen, über Adaptionism, Gradualism und Punctuated Equilibrium, streiten mit Hingabe u.a. der von Spinnler kritisierte Daniel Dennett und sein Kontrahent aus zahlreichen Debatten, Stephen Jay Gould, um dem bestehenden Klärungsbedarf gerecht zu werden. Die Evolutionstheorie ist ebenso wie die diversen Theorien zur Ontologie des Geistes Gegenstand heißer wissenschaftlicher Diskussionen.
Antievolutionisten schert das wenig – sie geben sich mit ihrem argumentum ad ignorantiam zufrieden: Die Evolutionstheorie kann die Artbildung nicht zweifelsfrei erklären, also ist sie falsch – oder zumindest nicht besser als irgendeine andere These, egal ob wissenschaftlich oder nicht. Diesem Fehlschluß unterliegt auch Spinnler, wenn er die diversen evolutionstheoretischen Ansätze als Spekulation, ja bloße Metaphysik abtut. Entlarvend ist sein Gewährsmann für diese These, „der Philosoph“ Robert Spaemann, der weniger Philosoph als vielmehr Tarnkappentheologe ist – ein Schaf im Wolfspelz.
In eben diese lammfromme Richtung geht dann auch Spinnlers Alternativvorschlag: „Die Schöpfungstheologie“, nach der „wir uns selbst einem nicht mehr ableitbaren göttlichen Schöpfungsakt verdanken“.
Interessant ist dabei, daß Spinnler, aus dessen Ausführungen ein fundamentales Unverständnis der wissenschaftlichen Methode zu sprechen scheint, Poppers Falsifizierbarkeitsforderung zitiert, wonach eine Theorie nur dann eine solche ist, wenn sie widerlegt werden kann. Der Autor will damit verdeutlichen, daß die Naturwissenschaft für weitere Widerlegungsversuche der Evolutionstheorie offen sein muß, und daher auch die Schöpfungsthese eine wissenschaftliche Relevanz habe.
Leider ist das ein Nagel in die eigene Hand – der Schöpfungsakt schließlich ist „nicht mehr ableitbar“, und somit auch nicht falsifizierbar. Gemäß Spinnlers Popper-Zitat ist die Schöpfungstheologie also unwissenschaftlich – und hat damit zur wissenschaftlichen Debatte wie auch zum Biologieunterricht nichts Relevantes beizutragen.
Es verwundert sehr, wie ein Autor in ein und demselben Artikel die Naturwissenschaft zu mehr Kritikfähigkeit bekehren möchte, um diese Kritikfähigkeit dann zur Einschleusung religiöser Inhalte zu mißbrauchen, die selbst bar jeder Kritikfähigkeit sind. Das aber ist die typische Strategie der „Intelligent-Design“-Anhänger, und so verwundert es lediglich, daß die Stuttgarter Zeitung dieser unwissenschaftlichen Denkweise unkommentiert Papier und Druckerschwärze zur Verfügung stellt.
Es muß sich endlich herumsprechen: Gott erklärt nichts. Die „großen Nahtstellen der Naturgeschichte“ kann die Schöpfungsthese nicht erklären – wenn Gott den Anfang schuf, wer schuf dann Gott? Die Naturwissenschaften können diese Fragen noch nicht beantworten, „Intelligent Design“ aber kann sie per definitionem nicht erklären. Denn zu sagen, Gott sei der Ursprung, ist keine Antwort auf irgendwelche Fragen, sondern eine Verweigerung jeglicher Antwort. Während die Wissenschaft weitersuchen kann, setzt die Schöpfungsthese der Suche ganz einfach ein willkürliches Ende.
In seiner Dokumentation „The Enemies of Reason“, die aktuell beim britischen Channel4 läuft, sagt Richard Dawkins: „Ich werde oft gefragt, woher ich weiß, daß die Naturwissenschaft Recht hat – nun, ich weiß es nicht!“ Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Zu neuen Erkenntnissen über uns selbst, über unseren Geist und über die Natur kommen wir nur durch Nicht-Wissen. Das nämlich läßt uns zweifeln und fragen und so stets Neues entdecken. Wir können diesen Weg gehen oder uns die Antwort „Gott“ geben und zufrieden, aber ohne jeden Erkenntnisfortschritt, unser Leben leben.
Auch auf Spinnlers zweiten großen Denkfehler muß ausdrücklich hingewiesen werden, birgt er doch eine große Gefahr: Die Existenz eines Schöpfergottes gebe dem Leben einen „Sinn“ und daher ethische Verpflichtungen, während die Evolutionstheorie „uns zu nichts verpflichte“. Leider übersieht er dabei, daß ein sehr großer Teil der Bevölkerung nicht an einen Schöpfergott glaubt, und dessen ethische Implikationen für diese Menschen daher von keinerlei Bedeutung sind. Wie eine Ethik idealerweise auszusehen hat, ist eine große Frage – und auch hierauf kann Gott nicht die Antwort sein. Was nützt einem das absolute Wort Gottes, wenn Gott in den Augen vieler relativ ist?
Es sei außerdem noch darauf hingewiesen, daß Spinnler hier einem naturalistischen Fehlschluß unterliegt: Aus der Natur des Menschen als Produkt der Evolution folgt nichts ethisch Relevantes. Aus der „Sinnlosigkeit“ des Evolutionsprozesses folgt in der Tat keinerlei moralische Verpflichtung – aber genauswoenig, daß es keine moralischen Verpflichtungen geben könne. Diese setzt nämlich der Mensch selbst – nicht die Natur, geschweige denn Gott.
Rolf Spinnler versucht in seinem Artikel, eine religiös motivierte These als Wissenschaft zu postulieren, und gleichzeitig eine naturwissenschaftliche Theorie als Ideologie zu diffamieren. Das ist nicht nur inhaltlich falsch, es ist auch gefährlich, und daher moralisch zu hinterfragen.