Nanna hat geschrieben:Mir ist bewusst, dass die goldene Regel sich nicht zur umfassenden Normbegründung eignet, das ist ein Standpunkt, den auch ich hier schon früher vertreten habe. Allerdings ist die Formel für den Alltagsgebrauch und den Umgang unter Gleichen durchaus hilfreich, weil sie auf einfache Weise ermöglicht, sich in Richtung eines nicht-aggressiven Gleichgewichts zu orientieren.
Im Alltag reicht schon die Regel "nicht aggressiv sein"- äußerst primitiv aber genauso alltagstauglich. Was mich an der goldenen Regel so stört ist ja nicht, dass sie für Banalitäten ausreicht, sondern dass ihre Struktur (besonders bei Kant) als Basis für komplexeste soziale Probleme genommen wird, ohne einschränkung. Der Anspruch der meisten, die die goldene Regel erwähnen ist ja daraurf einen komplexen Verhaltenskodex aufzubauen, diesem genügt sie aber bei Weitem nicht. Wenn du also vom Alltagsgebrauch sprichst, ist diese Regel den Motto folgend "warum einfach, wenn es auch kompliziert und falsch geht?!". Dass diese Regel so oft herhalten muss, weil sie für die einfachen Belange ausrecht, ist ein Problem. Eine Analogie wäre es, die im Alltag als flache Scheibe zu sehen, aber wenn dieser Gedanke zu oft gebraucht wird, ist er schlecht auch in komplexeren Situationen todzukriegen. Deswegen empfehle ich nicht die goldene Regel als Basis zu nehmen.
Nanna hat geschrieben:Du missverstehst weiterhin meine Aussage als deskriptiv, obwohl sie weitgehend präskriptiven Charakter hat. Es geht nicht darum, was ich im Sinne einer kausalen Reaktion bei diesem oder jenem Verhalten zu erwarten habe (de facto ist äußerst unsicher, was mein Verhalten in Bezug auf andere bewirkt, weil da unheimlich viele Variablen mitmischen), sondern was ich unter den Bedingungen eines zivilisierten Miteinanders erwarten können sollte und was ich beitragen kann, um diese zivilisierten Bedingungen zu schaffen. Und natürlich ist eine dies praktizierende Mehrheit hier Voraussetzung. In einer unzivilen Gesellschaft mit geringem
sozialem Kapital ist eine derart kooperativ angelegte Toleranz natürlich unproduktiv, aber in so einer Gesellschaft lebe ich meines Erachtens glücklicherweise nicht.
Ich missverstehe nicht, ich will deutlich machen, dass dies auch ein kausales Problem ist. Ich empfehle gerade diese Variablen abzuschätzen (z.Bsp. die Ideologien des Gegenübers), anstatt halsstarrig zu meinen, dass der schon noch wie die anderen reagieren wird. Das ist aufwändiger aber mit einem geringeren Fehler behaftet. Philosophien, die sich auf einem "sollten" aufbauen und viele irreale Bedingungen setzen, finde ich untauglich. Deshalb halten sich die meisten Naturwissenschaftler auch mit Imperativen stark zurück. Wenn man die Situation nicht richtig analysiert, kann man auch keine korrekte Reaktion durchführen. Zumindest erkennst du aber die Notwendigkeit des sozialen Kapitals, dass sie hier im Land keine Rolle spielt ist aber nicht auf das einzelne Individuum übertragbar. Also musst du auch diesen Bestandteil der Persönlichkeit erfassen, um das Verhalten gut abzuschätzen.
Nanna hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Eine Weltanschauung kann die eigenen Taten determinieren, deshalb solltest du dich durchaus für diese interessieren.
Das "kann" solltest du hier sehr groß schreiben, weil die Kausalbeziehungen hier weitaus weniger klar sind, als du das vielleicht annimmst. Meist haben wir es ja doch mit viel diffuseren Korrelationen zu tun. Der eine Fundamentalist mag Selbstmordattentäter werden, der andere in stiller Einkehr vor sich hinmeditieren, selbst wenn die Glaubensinhalte sich stark ähneln. Da ist wenig vorherzusehen. Übrigens habe ich nirgendwo gesagt, dass ich mich für andere Weltanschauungen als Konzepte nicht interessieren würde, ich habe nur keinen ausgeprägten Missionierungsdrang.
Ich sollte den Satz eher so formulieren:"die Weltanschauung determiniert die eigenen Taten", denn die kausalen Stränge müssen nicht wenige oder klar erkennbar sein, um doch deutlich zu wirken. Ich erkenne vieles aus sowjetischen Haltungen in mir wider, die ich von meinen Eltern gelernt habe, obwohl weder ich noch sie mit der Ideologie oder dem System etwas anfangen konnten und äußerst renitent und speziell waren. Vieles aus der Geschichte färbt auf uns ab, bestimmt unsere Haltungen und so wiederum unsere Taten. Diese Informationen sin viel wichtiger als die Vorraussetzung, der oder diejenige wird auch schon noch der goldenen Regel folgen. Auch Fundamentalismus kannst du nicht unter einen Kamm kehren und so sagen, dass, weil er sich unterschiedlich ausprägt, nicht zur Charakteranalyse und zu Antizipation ausreicht. Wenn man genauer definiert, kann man klar abschätzen, wer meditieren wird und wer sich in die Luft jagt. Der Missionierungsdrang, den du wem auch immer attestierst, hat nichts mit einer Psychoanalyse, die die Handlungen abschätzen helfen soll, zu tun.
Nanna hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:"Es gibt schon genug Probleme" hat noch nie jemanden überzeugt, oder eines gelöst.
Ich halte Überfremdungsängste für größtenteils fehlinvestierte Energie, die an anderer Stelle deutlich produktiver eingesetzt wäre. Wenn ich sage, dass es bereits genug Probleme gibt, dann meine ich damit eben, dass man sich keine weiteren zusätzlich einzubilden braucht, wo keine sein müssten. So eine Haltung einzunehmen löst in der Tat Probleme!
Nein, das nennt man unangemessene Ignoranz, denn du verkennst die Rolle der einzelnen Erfahrungen und Weltanschauungen des Individuums in der Gesellschaft indem du sie vernachlässigst. Hier hat niemand Überfremdungsängste, ich habe mehr Vorsicht gegenüber derjenigen Gesellschaft, die ich kenne.
Nanna hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Inhalte habe ich der Form immer vorgezogen - deine Asführungen erinnern mich an meine ehemalige Deutschlehrerein (und alle anderen Lehrämtler):" deine Kritik ist zu destruktiv.
Scheint keine so dumme Frau zu sein. Dass du die soziale Klaviatur zwar wunderbar analysieren, aber nicht unbedingt ingeniös spielen kannst und auch noch standhaft darauf bestehst, dass dies ein Vorteil und kein Mangel sei, hat nun nur noch bedingten Neuigkeitswert.
Du unterschätzt, mal wieder bzw. immer noch, die Kraft symbolischer Handlungen und auch deine Trennung von Form und Inhalt ist künstlich übertrieben. Der größere Teil zwischenmenschlicher Kommunikation findet bekanntlich über nonverbale Signale statt, also Mimik, Gestik, Körperhaltung, Ton, Sprechweise usw., sprich, Dinge, die eher zum Wie als zum Was gehören. Trotzdem sind auch diese Dinge natürlich letztlich wieder ein Was, ein Inhalt. Wenn ich jemandem betont kooperativ und wohlwollend gegenübertrete, sagt das auch etwas Inhaltliches aus und es hat konkrete Folgen für mich.
Wenn ich will bin ich ein Virtuos auf der sozialen Klaviatur. Ich weiss aber, wann ich nicht so sauber spielen muss, um Wirkung zu zeigen, bzw. gerade dadurch eine bestimmte Reaktion zu provozieren. Ich denke aber im Schlusswort haben wir einen Konsens, wenn du meinst, dass der Inhalt die Form bestimmt. Eine Ausführung, die ich durch die Priorisierung des Inhaltes vorrausgesetzt habe. Getrennt hast aber du die Form vom Inhalt als du die Weltanschauung nicht als Vorraussetzung für eine bestimmte Verhaltensform genommen hast. Es ist ja nicht so, dass (wenn wir auf deinen Freund zu sprechen kommen) Liberale unhöfliche dumme Fanatiker seien, sie gehören eher zu den Leuten, mit denen man reden kann, da sie nur eine Ideologie kennen: Profitmaximierung, Leistungsorientierung, Opportunismus. Wenn du genauer überlegst, dann wirst du feststellen, dass du mit einem ideologischen Grünen oder SPDler vielleicht nicht so gepflegt reden könntest (das war nur ein Beispiel).