von Vollbreit » Do 15. Aug 2013, 10:31
@ AgentProvocateur:
Ich möchte noch mal auf Deine Gelassenheit bezüglich unserers Nichtwissens zurückkommen.
Ich bin bei Kutschera „Erkenntnistheorie“ gerade auf Seite 35 der pdf-Darstellung.
D1.3-2 in Worten: „a weiß genau dann, dass p, wenn a glaubt, dass p, wenn diese Annahme fundiert ist und wenn p wahr ist.“
(„Glauben“ wird von Kutschera im starken Sinne von „absolut überzeugt sein, dass p“ verwendet.)
Das klappt gut, im Alltag:
Wenn a glaubt, dass der Supermarkt um die Ecke geöffnet hat, weil er der Leiter dieses Supermarktes ist und die Öffnungzeiten selbst festgelegt hat und der Supermarkt tatsächlich geöffnet hat, dann weiß a, dass der Supermarkt geöffnet hat.
Nicht absolut, er könnte gerade zu Hause sitzen und nicht wissen, dass der Supermarkt zwar geöffnet haben sollte, aber wegen eines Wasserrohrbruchs gerade jetzt geschlossen ist. Gegen diese Art von Nichtwissen ist kein Kraut gewachsen, aber das ist nicht schlimm, ein Anruf genügt, um sich upzudaten.
Wenn a glaubt, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist, weil er das in diversen Quellen gelesen hat, die Argumente überzeugend findet und sich das mit seinen Erfahrungen deckt, dann weiß a, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist.
Dumm nur, wenn es z.B. die Arbeit von Batson gibt, die das Gegenteil empirisch belegen will.
Dumm wiederum, wenn es auch hier eine vermeintliche Widerlegeung gibt (ich habe tatsächlich Kritik an Batson gelesen, weiß aber gerade nicht mehr wo) und so geht es hin und her, über Jahre und Jahrzehnte. Dass wir nicht alles wissen, treibt mir keine Tränen in die Augen, ich finde es normal und finde das, was wir trotz allem wissen (oder zu wissen glauben) erstaunlich genug.
Und natürlich kannst Du mit vollem Recht sagen, dass die These, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus sei, entweder wahr oder falsch sein muss. Und dass sich das daran bemisst, was denn nun tatsächlich der Fall ist, was Fakt oder Tatsache ist. Nur, reicht hier eben ein Anruf nicht. Es ist eben noch nicht zweifelsfrei geklärt oder hängt vielleicht davon ab, was man unter Egoismus versteht, man kann vielleicht redlich und sorgfältig den aktutellen Stand der Forschung angeben.
Wir wissen es eben nicht, bzw. ob wir glauben, es zu wissen, hängt davon ab, auf welche Seite der Interpretation wir uns stellen wollen. Und dieser Fall ist doch in der Wissenschaft und Philosophie kein Sonderfall, sondern die Regel. Das macht dieses ontologisch-korespondenztheoretische Wahrheitskriterium, der Übereinstimmung von Annahmen und Tatsachen, doch weitestgehend insuffizient und zwar gerade in den Bereichen, wo wir einen starken Wahrheitsbegriff benötigen würden, in Forschung, Wissenschaft und Philosophie. Auch das bestürzt mich nicht, es geht mir hier streng um die Korrespondenztheorie und ihr Kriterium der Übereinstimmung mit den Fakten.
Für die Alltagsbewältiguung brauche ich im Grunde keinen theoretischen Apparat, für die nichtalltäglichen Bereiche schon. Und hier versagt das Kriteirum m.E. kläglich, weil es zwar überzeugend klingt, aber eben praktisch zu nichts zu gebrauchen ist, weil, wenn wir eine richtige Theorie formulieren, kein Tusch erklingt und wir eben kein Kriterium dafür haben, durch das wir wissen, dass wir immerhin sehr nehe dran sind oder noch sehr weit entfernt.
Der Funktionalismus ist da nur auf den ersten Blick plausibel, für eine Alltagsorientierung mag er wiederum reichen, als wahrheitsunterstützendes Kriterium ist er unbrauchbar, denn auch die Summer mehrerer falscher Annahmen kann zum Ziel führen. Wenn auch nicht explizit, so sagt Kutschera das ja auch, einige Seiten vorher, wenn er bemerkt, dem Hellseher, der ein Erdbeben in Thessaloniki im nächsten Jahr zutreffend voraussagt, würde wir dennoch nicht glauben, dass er es wusste.
Du sagst, das eine sei die (ontologische) Frage, nach dem, was (der Fall) ist, das andere (die erkenntnistheoretische), nach dem, was wir wissen können. Kann ich locker nachvollziehen, finde ich aber sagenhaft unbefriedigend, weil ich glaube, dass Dir das Kriteirum in den allermeisten nichtalltäglichen Fällen ins metaphysisch Unerreichbare enteilt.
Es läuft doch auf ein: Wenn man wüsste, wie es wäre, wüsste man sicher, wie es ist, leider weiß man das nicht, hinaus.
Bei Supermarktöffnungszeiten, okay, kein Problem. Auch nicht beim Weg nach Madrid, vielleicht auch nicht bei der exakten Entferung des Mondes (schon das ne grandiose Leistung), aber wenn wir ganz einfach nicht wissen, was der Fall ist, (weil es u.a. von unserer theoretischen Grundeinstllung abhängt, vielleicht von unserer Kultur, vielleicht von unserer geistigen Grundkonstitution (im Sinne von Kants Kategorien), von der aktuellen Datenlagen – die sich schon bezüglich der Einschätzung wie gesund oder schädlich Kaffe oder Salz ist, alle paar Jahre ändert, das finde ich noch recht alltäglich -, selbstverständlich auch von den gegenwärtigen Überzeugungen (dem Konsens) der scientific communitiy – die gepriesene Methode der peer review Überprüfung und des Gegenlesens führt natürlich im gleichen Zug auch zu einer immer konservativeren Abschottung des Systems*, fundamental Neues kommt erst gar nicht in die renommierten Journale – woher sollten wir unser „Wissen“ denn sonst beziehen?) was dann?
Und wir bewegen uns oft im Ungefähren, jedenfalls meiner Überzeugung nach.
So als Bild gesehen, kommt mir das vor, als würde man ein wahnsinnig tolles Meßgerät finden, von dem man weiß, dass es hochkomplex und präzise sein muss, nur leider nicht weiß, wofür man es einsetzt.
Kutschera bringt es einige Seiten später, aus einem anderen Blickwinkel, selbst auf den Punkt, wenn er (auf pdf-Seite 39) schreibt:
„Man kann auch nicht definieren: a weiß, dass p, genau dann, wenn p gilt, a davon überzeugt ist, und wenn a das mit Sacherverhalten begründen kann, von denen a weiß, dass sie gelten.
Denn das wäre offensichtlich zirkulär.“
Der Punkt ist, dass wenn wir sicher wissen, wir offensichtlich sicher wissen, sich der Rekurs auf Tatsachen aber erübrigt, wenn wir nicht wissen, wie die Dinge sind (mit Sachverhalten begründen können).
Vielleicht klärt Kutschera das ja sellbst auf den folgenden Seiten, weiter bin ich aber leider noch nicht.
* Die NASA hat geau darauf praktisch reagiert und befragt explizite Laien zu ihren Projekten, um einen Input von außen und geistige Blutauffrischung zu bekommen.
Aber das ist m.E. nicht allein ein soziologisches oder gruppenpsychologisches Phänomen, sondern ein logisches, das Kutschera im Vorwort erwähnt. Ein System kann seine Geltungskriterien nicht selbst, aus sich heraus, bestimmen, damit ist die Frage, ob der Szientismus metamethodische Fragen, mit dem Hinweis darauf, sie seien (im Sinne der Methode) nicht wissenschaftlich genug zurückweisen kann, im Grunde schon gegessen.