Szientismus oder die böse Wissenschaft

Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Aug 2013, 09:33

ujmp hat geschrieben:Evidenz ist nicht abhängig von einer Tatsache, denn es kann auch evident sein, dass eine Tatsachenbehauptung stimmt, obwohl sie nicht stimmt.
Hier verstehe ich nicht, wie Du das meinst.
Kannst Du mir ein konkretes Beispiel geben?
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Aug 2013, 10:31

@ AgentProvocateur:

Ich möchte noch mal auf Deine Gelassenheit bezüglich unserers Nichtwissens zurückkommen.
Ich bin bei Kutschera „Erkenntnistheorie“ gerade auf Seite 35 der pdf-Darstellung.

D1.3-2 in Worten: „a weiß genau dann, dass p, wenn a glaubt, dass p, wenn diese Annahme fundiert ist und wenn p wahr ist.“
(„Glauben“ wird von Kutschera im starken Sinne von „absolut überzeugt sein, dass p“ verwendet.)

Das klappt gut, im Alltag:
Wenn a glaubt, dass der Supermarkt um die Ecke geöffnet hat, weil er der Leiter dieses Supermarktes ist und die Öffnungzeiten selbst festgelegt hat und der Supermarkt tatsächlich geöffnet hat, dann weiß a, dass der Supermarkt geöffnet hat.

Nicht absolut, er könnte gerade zu Hause sitzen und nicht wissen, dass der Supermarkt zwar geöffnet haben sollte, aber wegen eines Wasserrohrbruchs gerade jetzt geschlossen ist. Gegen diese Art von Nichtwissen ist kein Kraut gewachsen, aber das ist nicht schlimm, ein Anruf genügt, um sich upzudaten.


Wenn a glaubt, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist, weil er das in diversen Quellen gelesen hat, die Argumente überzeugend findet und sich das mit seinen Erfahrungen deckt, dann weiß a, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist.

Dumm nur, wenn es z.B. die Arbeit von Batson gibt, die das Gegenteil empirisch belegen will.
Dumm wiederum, wenn es auch hier eine vermeintliche Widerlegeung gibt (ich habe tatsächlich Kritik an Batson gelesen, weiß aber gerade nicht mehr wo) und so geht es hin und her, über Jahre und Jahrzehnte. Dass wir nicht alles wissen, treibt mir keine Tränen in die Augen, ich finde es normal und finde das, was wir trotz allem wissen (oder zu wissen glauben) erstaunlich genug.

Und natürlich kannst Du mit vollem Recht sagen, dass die These, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus sei, entweder wahr oder falsch sein muss. Und dass sich das daran bemisst, was denn nun tatsächlich der Fall ist, was Fakt oder Tatsache ist. Nur, reicht hier eben ein Anruf nicht. Es ist eben noch nicht zweifelsfrei geklärt oder hängt vielleicht davon ab, was man unter Egoismus versteht, man kann vielleicht redlich und sorgfältig den aktutellen Stand der Forschung angeben.

Wir wissen es eben nicht, bzw. ob wir glauben, es zu wissen, hängt davon ab, auf welche Seite der Interpretation wir uns stellen wollen. Und dieser Fall ist doch in der Wissenschaft und Philosophie kein Sonderfall, sondern die Regel. Das macht dieses ontologisch-korespondenztheoretische Wahrheitskriterium, der Übereinstimmung von Annahmen und Tatsachen, doch weitestgehend insuffizient und zwar gerade in den Bereichen, wo wir einen starken Wahrheitsbegriff benötigen würden, in Forschung, Wissenschaft und Philosophie. Auch das bestürzt mich nicht, es geht mir hier streng um die Korrespondenztheorie und ihr Kriterium der Übereinstimmung mit den Fakten.

Für die Alltagsbewältiguung brauche ich im Grunde keinen theoretischen Apparat, für die nichtalltäglichen Bereiche schon. Und hier versagt das Kriteirum m.E. kläglich, weil es zwar überzeugend klingt, aber eben praktisch zu nichts zu gebrauchen ist, weil, wenn wir eine richtige Theorie formulieren, kein Tusch erklingt und wir eben kein Kriterium dafür haben, durch das wir wissen, dass wir immerhin sehr nehe dran sind oder noch sehr weit entfernt.

Der Funktionalismus ist da nur auf den ersten Blick plausibel, für eine Alltagsorientierung mag er wiederum reichen, als wahrheitsunterstützendes Kriterium ist er unbrauchbar, denn auch die Summer mehrerer falscher Annahmen kann zum Ziel führen. Wenn auch nicht explizit, so sagt Kutschera das ja auch, einige Seiten vorher, wenn er bemerkt, dem Hellseher, der ein Erdbeben in Thessaloniki im nächsten Jahr zutreffend voraussagt, würde wir dennoch nicht glauben, dass er es wusste.

Du sagst, das eine sei die (ontologische) Frage, nach dem, was (der Fall) ist, das andere (die erkenntnistheoretische), nach dem, was wir wissen können. Kann ich locker nachvollziehen, finde ich aber sagenhaft unbefriedigend, weil ich glaube, dass Dir das Kriteirum in den allermeisten nichtalltäglichen Fällen ins metaphysisch Unerreichbare enteilt.
Es läuft doch auf ein: Wenn man wüsste, wie es wäre, wüsste man sicher, wie es ist, leider weiß man das nicht, hinaus.
Bei Supermarktöffnungszeiten, okay, kein Problem. Auch nicht beim Weg nach Madrid, vielleicht auch nicht bei der exakten Entferung des Mondes (schon das ne grandiose Leistung), aber wenn wir ganz einfach nicht wissen, was der Fall ist, (weil es u.a. von unserer theoretischen Grundeinstllung abhängt, vielleicht von unserer Kultur, vielleicht von unserer geistigen Grundkonstitution (im Sinne von Kants Kategorien), von der aktuellen Datenlagen – die sich schon bezüglich der Einschätzung wie gesund oder schädlich Kaffe oder Salz ist, alle paar Jahre ändert, das finde ich noch recht alltäglich -, selbstverständlich auch von den gegenwärtigen Überzeugungen (dem Konsens) der scientific communitiy – die gepriesene Methode der peer review Überprüfung und des Gegenlesens führt natürlich im gleichen Zug auch zu einer immer konservativeren Abschottung des Systems*, fundamental Neues kommt erst gar nicht in die renommierten Journale – woher sollten wir unser „Wissen“ denn sonst beziehen?) was dann?

Und wir bewegen uns oft im Ungefähren, jedenfalls meiner Überzeugung nach.
So als Bild gesehen, kommt mir das vor, als würde man ein wahnsinnig tolles Meßgerät finden, von dem man weiß, dass es hochkomplex und präzise sein muss, nur leider nicht weiß, wofür man es einsetzt.
Kutschera bringt es einige Seiten später, aus einem anderen Blickwinkel, selbst auf den Punkt, wenn er (auf pdf-Seite 39) schreibt:
„Man kann auch nicht definieren: a weiß, dass p, genau dann, wenn p gilt, a davon überzeugt ist, und wenn a das mit Sacherverhalten begründen kann, von denen a weiß, dass sie gelten.
Denn das wäre offensichtlich zirkulär.“
Der Punkt ist, dass wenn wir sicher wissen, wir offensichtlich sicher wissen, sich der Rekurs auf Tatsachen aber erübrigt, wenn wir nicht wissen, wie die Dinge sind (mit Sachverhalten begründen können).

Vielleicht klärt Kutschera das ja sellbst auf den folgenden Seiten, weiter bin ich aber leider noch nicht.

* Die NASA hat geau darauf praktisch reagiert und befragt explizite Laien zu ihren Projekten, um einen Input von außen und geistige Blutauffrischung zu bekommen.
Aber das ist m.E. nicht allein ein soziologisches oder gruppenpsychologisches Phänomen, sondern ein logisches, das Kutschera im Vorwort erwähnt. Ein System kann seine Geltungskriterien nicht selbst, aus sich heraus, bestimmen, damit ist die Frage, ob der Szientismus metamethodische Fragen, mit dem Hinweis darauf, sie seien (im Sinne der Methode) nicht wissenschaftlich genug zurückweisen kann, im Grunde schon gegessen.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Myron » Do 15. Aug 2013, 18:11

Vollbreit hat geschrieben:
John Searle hat geschrieben:„Andererseits berichtet die Aussage 'Ich empfinde jetzt einen Schmerz im unteren Teil meines Rückens' eine epistemisch objektive Tatsache in dem Sinn, dass sie durch die Existenz einer wirklichen Tatsache, die nicht von irgendeiner Haltung, Einstellung oder Meinung von Beobachtern abhängig ist, wahr gemacht wird. Das Phänomen selber freilich, der wirkliche Schmerz, hat eine subjektive Existenzart.“
(ebd.)


Was ist daran erkenntnistheoretisch objektiv, dass ich den Ort benennen kann?
Man hat ja herausgefunden, dass psychischen Schmerzen, Kränkungen, Beleidigungen in den selben Arealen verarbeitet werden, wie phsysische.
Ist die Aussage „Es tut mit so weh, dass mein Bruder gestorben ist“ oder „Es zerreißt mich, dass ich im Büro derartig gemobbt werde“, nun erkenntnistheoetisch objektiv?

Oder was ist mit der Aussage: „Ich empfinde die Beziehung zu meiner Mutter enger, als die zu meinem Vater“?
Ist das eine subjektive Aussage über etwas Objektives (Mutter/Vater) oder über etwas Subjektives (Beziehung zu Mutter/Vater)?
Aber Searle schrieb ja auch, der Unterscheid sei bisweilen graduell.


Unter der epistemischen Objektivität einer Aussage oder eines Urteils versteht Searle dessen Tatsachenbezogenheit, -gestütztheit oder -begründetheit; und natürlich gibt es emotionale Beziehungen betreffende psychische Tatsachen, die derartige Aussagen/Urteile wahr machen.

Vollbreit hat geschrieben:Vielleicht, um das mal ins Positive zu weden, kann man mal eine Reihenfolge aufstellen von Dingen, die man maximal objektiv wissen kann, die man maximal subjektiv wissen kann und Aussagen die objektiv schwach sind und die subjektv schwach sind und vielleicht nur geglaubt werden.
In welcher Weise und wann dürfen wir unser Wissen als ein 1a-Wissen bezeichnen und wann nicht.
Ist formallogisches Wissen stärker/schwächer als empirisches?
Ist die Aussage, dass mein Knie weh tut stärker/schwächer, als die, dass die Lichtgeschwindigkeit 299.792,458 km/sec beträgt?
Ist das evtl. nur kulturell bedingt, oder gibt es dafür „objektive“ Kriterien?


Es gibt unterschiedliche Glaubensstärken oder -grade oder unterschiedliche Grade subjektiver Gewissheit, subjektiven Sicherseins, aber keine unterschiedlichen Wissensstärken oder-grade.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon AgentProvocateur » Do 15. Aug 2013, 18:15

Vollbreit hat geschrieben:D1.3-2 in Worten: „a weiß genau dann, dass p, wenn a glaubt, dass p, wenn diese Annahme fundiert ist und wenn p wahr ist.“
(„Glauben“ wird von Kutschera im starken Sinne von „absolut überzeugt sein, dass p“ verwendet.)
[...]
Wenn a glaubt, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist, weil er das in diversen Quellen gelesen hat, die Argumente überzeugend findet und sich das mit seinen Erfahrungen deckt, dann weiß a, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist.

Nein, da fehlt noch das Kriterium "p ist wahr". Auch wenn a noch so gute Gründe hat, anzunehmen, dass p Wissen sei, kann es sich bei p um lediglich fälschlich angenommenes Wissen handeln, also nicht um Wissen in der o.g. Defintion.

Analog folgt nicht daraus, dass a X (mit welchen guten Gründen auch immer) für wahr hält, X deswegen schon wahr sein müsste. Für-wahr-halten ist nicht wahr-sein und aus für-wahr-halten folgt nicht wahr-sein.

Vollbreit hat geschrieben:Vielleicht klärt Kutschera das ja sellbst auf den folgenden Seiten, weiter bin ich aber leider noch nicht.

Sorry, wenn ich nicht auf alles im Einzelnen eingehe, aber mir scheint, Du willst auf die Frage hinaus, ob es perfektes Wissen geben könne. Und eben diese Frage behandelt Kutschera im anschließenden Artikel "Perfektes Wissen". Nach dem Kutschera vertretenen Wissensbegriff gibt es solches nur bei analytischen Aussagen und bei Sinneswahrnehmungen. In allen anderen Bereichen kann es kein perfektes Wissen geben. Man mag das vielleicht ein bisschen unbefriedigend finden, dass es in vielen Bereichen kein perfektes Wissen gaben kann, sehr viel unbefriedigender wäre es mE jedoch, wenn man einen schwächeren Wissensbegriff verwenden würde.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Myron » Do 15. Aug 2013, 19:31

ujmp hat geschrieben:Evidenz ist nicht abhängig von einer Tatsache, denn es kann auch evident sein, dass eine Tatsachenbehauptung stimmt, obwohl sie nicht stimmt.


Als Evidenz im erkenntnistheoretischen Sinn gilt all dasjenige, das einen Glauben, ein Urteil, eine Annahme rechtfertigt oder begründet. Evidenzen sind Rechtfertigungsgründe. Um welche Art von Entität handelt es sich dabei? Rechtfertigende Gründe sind bekannte Tatsachen oder Wahrheiten. Der englische Philosoph Timothy Williamson hat folgende Gleichung aufgestellt: evidence = knowledge. Das heißt, die Gesamtheit meines Wissens stellt die Gesamtheit meiner Beweise oder Belege dar.
Manche (mich eingeschlossen) sind der Meinung, dass allein bekannte psychische Tatsachen/Wahrheiten, die die eigenen Erlebnisse/Erfahrungen betreffen, eigentliche Rechtfertigungsgründe sind. Zum Beispiel ist die psychische Tatsache/Wahrheit, dass ich vor mir einen Computerbildschirm sehe (oder zu sehen scheine), ein Beweis für meine Annahme, dass vor mir ein Computerbildschirm steht; und die psychische Tatsache, dass ich mich daran erinnere (oder zu erinnern scheine), gestern eine Flasche Bier in meinen Kühlschrank gestellt zu haben, ist ein Beweis für meine Annahme, dass in meinem Kühlschrank eine Flasche Bier steht.

Wenn epistemologische Rechtfertigungsgründe in psychologischen/phänomenologischen Erfahrungstatsachen bestehen, welche Arten von Erfahrung sind dann unsere natürlichen Erkenntnisquellen? Antwort:

1. Sinneswahrnehmung:
1.1. Äußere Wahrnehmung (Perzeption)
1.2. Innere Wahrnehmung/Selbstwahrnehmung (Propriozeption/Interozeption/Introspektion)
2. Vernunft-/Verstandeseinsicht (rationale Intuition), intellektuelle Anschauung
3. Erinnerung (Gedächtnis)
4. Bezeugung (mündliche oder schriftliche) Zeugnisse /Zeugenaussagen (setzt 1.1 voraus!)
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Do 15. Aug 2013, 19:53

Myron hat geschrieben:und die psychische Tatsache, dass ich mich daran erinnere (oder zu erinnern scheine), gestern eine Flasche Bier in meinen Kühlschrank gestellt zu haben, ist ein Beweis für meine Annahme, dass in meinem Kühschrank eine Flasche Bier steht.

Genau, es ist nach allem Wissen, das dir zu Verfügung steht, evident. Diese Annahme bleibt auch gut begründet, wenn jemand heimlich dein Bier weggebeamt hat, was zwar nicht auszuschließen ist, wo für aber überhaupt nichts spricht!
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Fr 16. Aug 2013, 07:41

Myron hat geschrieben:Unter der epistemischen Objektivität einer Aussage oder eines Urteils versteht Searle dessen Tatsachenbezogenheit, -gestütztheit oder -begründetheit; und natürlich gibt es emotionale Beziehungen betreffende psychische Tatsachen, die derartige Aussagen/Urteile wahr machen.
Und an dieser Stelle kann es sich ja primär eher um die Aussagen des Subjekts handeln.
Nehmen wir an, jemand sagt, er fühle mit A eine engere Verbundenheit, als mit B, dann ist die Frage was Objektivierung im Folgenden meint.
Man könnte anhand der subjektiven Aussagen schauen, ob man korrelierende objektive Parameter findet.
Nehmen wir an, man findet welche, Anzahl und Dauer der Kontakte, Zahl und Dauer der Augenkontakte, meinetwegen irgendwelche Oxytocinausschüttungen usw., dann kann man natürlich wieder von diesen Parametern auf die Beziehung anderer Individuen rückschließen und ich bin sicher, dass das zu einem gewissen Grad geht.

Der Bogen wird m.E. in dem Moment überspannt, wenn nun jemand sagt, er fühle zu A eine engere Bindung als zu B, ihm das aber abgesprochen wird, weil die objektiven Parameter vermeintlich etwas anderes ergeben. Hier kann man natürlich versuchen zu klären, wie das kommt, dass es Abweichungen gibt, aber dem Subjekt seine prima facie Berechtigungen abzusprechen, da braucht es gute Gründe.
Der Schluss von der Tatsache, dass wir optischen Täuschungen unterliegen können, zur Behauptung, wir könnten auch anderswo getäuscht werden, mag noch angehen, in dem Moment, wo daraus gemacht wird, dass wir immer getäuscht sind oder dem Subjekt allen Kompetenzen abgesprochen werden, ist es zu viel und folgt auch ganz einfach nicht. Das ist kein guter Grund, sondern ein ungültiger Schluss.

Ansonsten ist das Projekt des Abgleichs von Subjektivem und Objekjtivem natürlich spannend, unendlich komplex und es wird prinzipielle Grenzen geben, weil Menschen nun mal Individuen sind, so dass alles was über Deskritption hinausgeht, ab einem bestimmten Punkt nicht mehr auf ein anderes Individuum zu übertragen ist.

Myron hat geschrieben:Es gibt unterschiedliche Glaubensstärken oder -grade oder unterschiedliche Grade subjektiver Gewissheit, subjektiven Sicherseins, aber keine unterschiedlichen Wissensstärken oder-grade.
Stimmt, Wissen ist in einem bestimmten Sinne ganz oder gar nicht, entweder ich weiß, was 2+2 ist oder nicht.
Dennoch gibt es ja Aussagen, die (vermutlich) stärkere inferentielle Folgen haben, als andere.
Sollte der Satz: „Angesichts der Quantentheorie gilt die zweiwertige Prädikatenlogik nur noch begrenzt“ richtig sein ist er sicher weitreichender als der Satz „Das Frühstücksei wog 112 Gramm“.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Fr 16. Aug 2013, 07:42

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:D1.3-2 in Worten: „a weiß genau dann, dass p, wenn a glaubt, dass p, wenn diese Annahme fundiert ist und wenn p wahr ist.“
(„Glauben“ wird von Kutschera im starken Sinne von „absolut überzeugt sein, dass p“ verwendet.)
[...]
Wenn a glaubt, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist, weil er das in diversen Quellen gelesen hat, die Argumente überzeugend findet und sich das mit seinen Erfahrungen deckt, dann weiß a, dass die Wurzel allen menschlichen Verhaltens der Egoismus ist.

Nein, da fehlt noch das Kriterium "p ist wahr". Auch wenn a noch so gute Gründe hat, anzunehmen, dass p Wissen sei, kann es sich bei p um lediglich fälschlich angenommenes Wissen handeln, also nicht um Wissen in der o.g. Defintion.

Analog folgt nicht daraus, dass a X (mit welchen guten Gründen auch immer) für wahr hält, X deswegen schon wahr sein müsste. Für-wahr-halten ist nicht wahr-sein und aus für-wahr-halten folgt nicht wahr-sein.
Das ist mir so weit klar, aber geht es ja gerade, dass sich die Erkennbarkeit dieses Kriteriums entzieht, was m.E. das Kriterium als solches mitbeschädigt.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Vielleicht klärt Kutschera das ja sellbst auf den folgenden Seiten, weiter bin ich aber leider noch nicht.

Sorry, wenn ich nicht auf alles im Einzelnen eingehe, aber mir scheint, Du willst auf die Frage hinaus, ob es perfektes Wissen geben könne.
Kein Problem, erst mal habe ich mich ja zu entschuldigen, da ich oft viel Text raushaue, der nicht immer systematisch ist, aber ich sortiere mich beim Schreiben, andere machen das vielleicht in der Ruhe im Sessel oder beim Spaziergang, insofern konfrontiere ich andere da manchmal mit Unfertigem, was ja nicht immer Spaß macht und es freut mich, dass einige das gut tolerieren können.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und eben diese Frage behandelt Kutschera im anschließenden Artikel "Perfektes Wissen". Nach dem Kutschera vertretenen Wissensbegriff gibt es solches nur bei analytischen Aussagen und bei Sinneswahrnehmungen. In allen anderen Bereichen kann es kein perfektes Wissen geben. Man mag das vielleicht ein bisschen unbefriedigend finden, dass es in vielen Bereichen kein perfektes Wissen gaben kann, sehr viel unbefriedigender wäre es mE jedoch, wenn man einen schwächeren Wissensbegriff verwenden würde.
In meiner Welt kann es auch kein perfektes Wissen geben, bin gespannt was Kutschera dazu schreibt, Deine Begründung kann ich so weit zunächst nachvollziehen, für mich ist diese Grenze zwischen überzeugt sein und sicherem Wissen, noch immer etwas dubios, aber ich versuche das zunächst für mich zu klären.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Fr 16. Aug 2013, 20:34

Vollbreit hat geschrieben:Sollte der Satz: „Angesichts der Quantentheorie gilt die zweiwertige Prädikatenlogik nur noch begrenzt“ richtig sein ist er sicher weitreichender als der Satz „Das Frühstücksei wog 112 Gramm“.

Logik und Kausalität und erst recht Physik sind verschiedene Sachen. Aus Beobachtungen, z.B. der Quanteneffekte folgt für die Logik überhaupt nichts.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Sa 17. Aug 2013, 08:19

Friedrich Waismann hat geschrieben:Sogar die die Logik, obgleich allem Anschein nach a priori par excellence, ist von der allgemeinen Neuorientierung nicht unberührt geblieben. […]
Ich darf zum Schluss auf diese Zusammenhänge noch ein wenig eingehen. Wir wollen einmal annehmen, der Impuls eines Elektrons sei sehr genau bestimmt worden, dann ist also der Ort ganz unbestimmt. Nun möge aber jemand trotzdem den Standpunkt vertreten, dass sich das Teilchen im Augenblick er Impulsmessung an einer ganz bestimmten Stelle befindet – ist diese Aussage wahr oder falsch? Ist sie wahr, so würde das bedeuten, dass das Elektron mit Sicherheit an der betreffenden Stelle zu finden wäre, ist sie aber falsch, so wird damit ganz und gar ausgeschlossen, dass es dort anzutreffen ist. Wenn wir also daran festhalten, die Aussage müsse – ungeachtet ihrer experimentellen Verifizierbarkeit – entweder wahr oder falsch sein, geraten wir in jedme Fall in Widerspruch zur Heisenbergschen Relation (vollständige Kenntnis des Impulses bedingt vollständige Kenntnis des Ortes …). Die Meinung aber, sie sei weder wahr noch falsch, ist wiederum mit dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten unvereinbar. Was aber dann?
Die merkwürdige Situation, auf die wir hier gestoßen sind, enthüllt ein Konflikt zwischen Logik und Physik. Ist die Physik richtig, muss die Quantentheorie falsch sein. Und wenn die Quatentheorie (und insbesondere die Unbestimmheitsrelation in Ordnung ist, kann irgend etwas an der klassichen Logik (insbesondere am Satz vom ausgeschlossen Dritten) nicht stimmen. Nach der Kopenhagener Deutung ist die Aussage nicht entscheidbar, also weder wahr noch falsch. Wir wollen nohc einmal überlegen, was der Satz vom ausgeschlossenen Dritten genau besagt. Er will aussagen, dass wir es mit einer echten Alternative zu tun haben – unser Teilchen ist hier an dieser Stelle, oder es ist nicht hier, nämlich irgendwo anders. Und zwar muss sich das dem Satz zufolge aus rein logsichen Gründen so verhalten. Wenn das stimmt, so bleibt uns keine andere Wahl, als dem Teilchen einen bestimmten Aufenhaltsort zuzuschreiben, wohingegen die Quantentheorie erklärt, dass diese gnaze Vorstellung aufzugeben sei. Das also, grob gesprochen, ist die Diskrepanz ziwchen Physik und Logik.
(F. Waismann, Niedergang und Sturz der Kausalität, in ter Haar/Crombie, Wendepunkte in der Physik, Vieweg 1963, S.121f)



Ein häufiges Missverständnis geht in die Richtung, dass man meint: Auch wenn nun kein Forscher daher kommt, der ein Teilchen misst, so sei dieses schon an einem Ort und zwar auch an einem bestimmten. Wir kennen diesen Ort vielleicht nicht, aber irgendeinen müssen die kleinsten Teilchen ja auch haben. Würde jemand alle physikalischen Grundlagen des Universums genau kennen, dann wüsste er selbstveständlich auch, wo sich dies jeweiligen kleinsten Teilchen befinden und zwar exakt.

Das Spannende ist nun, dass genau an dieser Stelle die eigentliche quantenphysikalische Herausforderung ins Spiel kommt, denn, nach ihr es gibt diesen definierten Ort nicht. Dass es diesen Ort gibt, ist eine ganz alltägiche Meinung und hier stimmt sie eben auch immer. Ich befinde mich jetzt gerade irgendwo und man kann beliebig genau sagen wo ich mich befinde. Nur für die Quantenwelt gilt das eben nicht. Diese Vorstellung es gäbe für jedes Teilchen im Universum, zu einem definierten Zeitpunkt t 2 genau einen definierten Ort, der von den Gegebenheiten des Zustandes eben (t 1) abhängt, entspricht einer Einstellung die (in der Sparache der Physik) realistisches Universum heißt – und die Quantenphysik sagt uns, dass es dieses realistische Universum nicht gibt.

Man kann nun dennoch sagen, dass die Logik etwas ganz eigenes sei, unabhängig von aller Empirie. Und dass in ihr nun mal gelte, dass eine Tatsachenbehauptung entweder wahr ist oder falsch. Gemäß des Korrespondenztheorie der Wahrheit, ist eine Aussage genau (also nur) dann wahr, wenn sie mit den von ihr behaupteten Tatsachen übereinstimmt. Es kann sein, dass die meisten nicht wissen, wo ich mich aufhalte, aber dennoch ist die Behauptung ich befände mich gerade in Münschen entweder definitiv wahr oder falsch. Für Tatsachenbehauptungen aus der Quantenwelt bricht dies zusammen.
Zwar kann man den Ort eines Teilchens definitiv bestimmen, aber dieser Messvorgang verändert dann wieder den Impuls des Teilchens (und der Impuls ist ja so eine Art Steckbrief oder Charaktereigenschaft eines Teiclchens), wir wissen dann also nicht mehr, mit wem genau wir es zu tun haben. Wir wissen, da ist jemand, das nun beliebig genau, wir können vielleicht noch sagen es ist ein Mensch, aber ob er männlich oder weiblich, alt oder jung ist, können wir nicht sagen, wissen dafür aber, dass der genau auf diesem Stuhl in München sitzt.

Ein anderes Gedankenexperiment, was mit dieser Diskrepanz spielt, ist Schrödingers Katze. ( https://de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6dingers_Katze ) Abhängig von dem unbestimmbaren Verhalten von Quanten ist die Katze nun in einem mathematisch-statistischen Zwischenzustand, zwischen Leben und Tod. Für die alltägliche Welt ist die Aussage „Die Katze ist tot“ aber klar und eindeutig richtig oder falsch. In der Quantenwelt kann man diese Aussage aber tatsächlich nicht treffen. Hier beißen sich Quantenwelt und Alltagswelt und sind inkompatibel.
Die eigentliche Frage scheint zu sein, inwieweit das bizarre Quantenverhalten bis in unsere Alltagswelt durchdrückt und an welcher Stelle.
Die Quantenphysik widerspricht nicht den Naturgesetzen (wie sollte sie auch?), die Alltagswelt allerdings auch nicht. Dennoch scheint da irgendws nicht zu passen und ein Kandidat wäre unsere Logik. Und damit das Rätsel nicht zu einfach wird, basiert die Mathematik, mit der wir die quantenphysikalischen Modelle erstellen, ihrerseits auf eben dieser Logik. 2+2=4 ist wahr und nicht, teils teils oder höchstwahrscheintlich wahr oder mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit wahr.

Man kann anerkennen, dass wir vielleicht nicht alles sicher wissen können, aber doch einiges und dies würde reichen. Schön und gut, aber wir können nicht so tun, als würden wir die experiemtellen Befunde über die Quantenwelt nicht kennen. Eine Logik von der man sagen muss, sie gelte überall nur nicht unterhalb einer bestimmten Größe, ist irgendwie nicht der empirisch unantastbare Hintergrund, der Logik ja sein soll. Möglicherweise liegt dies ja an meinem oberflächlichen Wissen über die Quantenphysik, aber wenn jemand da eine Antwort kennt, wäre ich dankbar, wenn er sie mir mittteilt.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Gandalf » Sa 17. Aug 2013, 15:35

Vollbreit hat geschrieben:Man kann anerkennen, dass wir vielleicht nicht alles sicher wissen können, aber doch einiges und dies würde reichen. Schön und gut, aber wir können nicht so tun, als würden wir die experiemtellen Befunde über die Quantenwelt nicht kennen. Eine Logik von der man sagen muss, sie gelte überall nur nicht unterhalb einer bestimmten Größe, ist irgendwie nicht der empirisch unantastbare Hintergrund, der Logik ja sein soll. Möglicherweise liegt dies ja an meinem oberflächlichen Wissen über die Quantenphysik, aber wenn jemand da eine Antwort kennt, wäre ich dankbar, wenn er sie mir mittteilt.


Es hängt nicht mit "der Größe" zusammen, sondern mit der Möglichkeit des vollständigen Wissens über etwas. Gemäß Gödels Unvollständigkeitssatz können wir das niemals. Logik kann immer nur abschnittsweise angewendet werden, niemals vollständig: Völlig unabhängig der Quantenphysik. Das ergibt sich aus der Logik selbst und spielt dann eine Rolle, wenn man z.B. einen Simulator bauen will, der die Wirklichkeit abbilden können soll.

Innerhalb quantenphysikalischer Betrachtungen werden wir nur mit der (physikalischen) "Nase" darauf gestoßen, weil es sich bei Quantensystemen immer um Ganzheiten aus Beobachtetem und Beobachter handelt. Also etwas, das der "klassischen Lehre" (von Subjekt und Objekt) widerspricht, von der wir uns wohl auch in diesem Jahrhundert nur schwer befreien können. Wir sind immer auch Teil des zu untersuchenden "Etwas", das wir im Augenblick der Untersuchung ändern (bzw. nach meiner Interpretation: 'ausgewählt wird'). Über etwas, was wir nicht untersuchen, können wir auch keine Aussagen treffen. Das 'nicht Untersuchte', sollte man aber nicht mit dem 'nicht-(unmittelbar)-Beobachteten verwechseln. Denn auch das was man auf Grund unseres prinzipiell unvollständigen Erfassungsvermögens (..was man durch eine Turingmaschine simulieren kann) "nicht sieht" hat physikalische Relevanz.

Grüße
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » So 18. Aug 2013, 07:58

Kann gut sein, dass die Größe nur das Einfallstor der Erkenntnis war.
Quantenphysikalisch ist die Welt im Grunde nur holistisch zu betrachten und auch Einzelobjekte zu definieren macht wenig Sinn.

Aber, wer a sagt, muss auch b sagen. Wenn man als Argument gegen den Physikalismus oder Szientismus eine realistische Betrachtung ins Feld führt, die behauptet, es gäbe keinen Anlass, dass die physikalistische Sicht auf das was „rot“ in Wirklichkeit sein soll (elektromagnetische Wellen eines bestimmten Frequenzbereichs) an sich schon besser oder höherwertiger wäre, als das was wir realistisch als „rot“ bezeichnen, eine Farbe mit bestimmten Eigenschaften, Assoziationen, logischen Festlegungen usw., dann kann man auch nicht behaupten (ohne dies näher zu begründen), warum nun die quantenphysikalische Perspektive zum Maßstab aller Dinge werden soll.

Meine Tasse kann ich noch immer als logisches Einzelding betrachten und ob und inwieweit quatenlogischen Besonderheiten in unsere Alltagswelt durchdringen, ist ja eben unklar. Und selbst wenn unsere Alltagswelt die der Besonderheiten ist, so stellt diese doch ein stabiles und erfolgreiches Konstrukt dar, eines, in dem wir uns bewegen.

Aber es stimmt schon, Welt ist wohl wesentlich holistisch, aus der Perspektive der Quantenphysik ergab sich nur, was sich aus der Perspektive der Sprachspiele auch ergeben hat und was uns die Mystiker schon längst mitteilten.

Die realistsiche Perspektive ist die Alltagsperspektive, auf die anderen Perspektiven kommt man ja nur durch geistige Erkenntnis oder die direkte Schau, so unmittelbar zugänglich, wie das realistische Konstrukt, wenn ich das mal so nennen darf, ist uns aber nichts.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » So 18. Aug 2013, 09:15

Von der Beobachtbarkeit eines Elementarteilchen auf die Beobachtbarkeit der ganzen Welt zu schließen, ist falsch ("jumping to conclusions bias").

Elementarteilchen haben eine "Aufenthaltswahrscheinlichkeit", deren Varianz sich in makroskopischen Objekten, die aus Milliarden von Milliarden solcher Elementarteilchen bestehen, zu Null rausmittelt. Elementarteilchen kann man deshalb schlecht messen, weil man zum Messen etwas benötigt, das sich mindestens in einer ähnlichen Größenordnung befindet, am besten aber viel kleiner ist. Wie das Attribut "Elementar-" schon sagt, gibt es da kaum etwas. Das Problem besteht schlicht darin, dass man Elementarteilchen nicht vermessen kann ohne den Zustand, den man messen möchte zu verändern. Das ist die Bedeutung von Aussagen wie "Wir schaffen durch die Beobachtung erst den Zustand." "Beobachtung" hat hier nichts mit Bewusstwerden zu tun. Und wenn gesagt wird, dies sei "kein technisches Problem der Messgenauigkeit sondern ein prinzipielles", dann stimmt das nur in sofern, dass die physikalischen Grenzen prinzipiell keine genauere Technik erlauben, weil es eben physikalisch nichts gibt, was mit einem Elementarteilchen interagieren kann, ohne seinen zu messenden Zustand signifikant zu beeinflussen.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » So 18. Aug 2013, 10:35

Schlecht definierte englische Fachbegriffe mögen ja imposant klingen, aber den wiki-Artikel (in english of course: https://en.wikipedia.org/wiki/Jumping_to_conclusions ) fand ich da nicht sonderlich erhellend, vielleicht kanst Du ja selbst, in german, formulieren, was Du sagen willst? Viele hier verstehen ja auch deutsch.

ujmp hat geschrieben:Das Problem besteht schlicht darin, dass man Elementarteilchen nicht vermessen kann ohne den Zustand, den man messen möchte zu verändern.
Was allgemein bekannt ist: https://de.wikipedia.org/wiki/Quantenme ... he_Messung
Ich sehe nicht, wo dieser Aspekt bei dem was Gandalf und ich schrieben nicht berücksichtigt wurde, wieso meinst Du, dass dieser Hinweis die Diskussion weiter bringt?

ujmp hat geschrieben:Das ist die Bedeutung von Aussagen wie "Wir schaffen durch die Beobachtung erst den Zustand."
Die wer noch mal hier formuliert hatte?

ujmp hat geschrieben:"Beobachtung" hat hier nichts mit Bewusstwerden zu tun.
Wie meinst Du das?

ujmp hat geschrieben:Und wenn gesagt wird, dies sei "kein technisches Problem der Messgenauigkeit sondern ein prinzipielles", dann stimmt das nur in sofern, dass die physikalischen Grenzen prinzipiell keine genauere Technik erlauben, weil es eben physikalisch nichts gibt, was mit einem Elementarteilchen interagieren kann, ohne seinen zu messenden Zustand signifikant zu beeinflussen.
Das würde ich schlicht als falsch bezeichnen und wenn ich Waismann richtig verstanden habe, würde er das auch so sehen.
Deine Aussage läuft darauf hinaus, dass, wenn es kleinere Teilchen als Elementarteilchen geben würde, man auch präzise messen könne, nur leider gibt es diese kleineren Teilchen nicht, womit Du ein prinzipielles Problem vorliegen hast.
Zudem ist es nicht erwiesen (und nicht mal wahrscheinlich) dass wir in einem realistischen Universum leben.
Vergleiche: https://de.wikipedia.org/wiki/Bellsche_Ungleichung
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » So 18. Aug 2013, 11:38

Vollbreit hat geschrieben:Schlecht definierte englische Fachbegriffe mögen ja imposant klingen, aber den wiki-Artikel (in english of course: https://en.wikipedia.org/wiki/Jumping_to_conclusions ) fand ich da nicht sonderlich erhellend, vielleicht kanst Du ja selbst, in german, formulieren, was Du sagen willst? Viele hier verstehen ja auch deutsch.


Das bedeutet dass man aus einer Beobachtung einen zu weit reichenden Schluss zieht, zu diesem Schluss springt bzw. eine wirkliche Begründung überspringt. Quantenesoteriker bedienen sich gerne einer Sprache, die voll davon ist, und meinen damit die Welt auf den Kopf stellen zu können. Du bist ja grad auch schon bei den Mystikern angekommen und Gandalf tummelt sich, wie es mal den Anschein hatte, auch gerne mal auf entsprechenden Websites...


Gandalf hat geschrieben:Innerhalb quantenphysikalischer Betrachtungen werden wir nur mit der (physikalischen) "Nase" darauf gestoßen, weil es sich bei Quantensystemen immer um Ganzheiten aus Beobachtetem und Beobachter handelt. Also etwas, das der "klassischen Lehre" (von Subjekt und Objekt) widerspricht, von der wir uns wohl auch in diesem Jahrhundert nur schwer befreien können.


Das stimmt so nicht, höchstens in einer sehr metaphorischen Weise. Wir können nämlich sehr gut beobachten, dass Elektronen so klein sind, dass wir keine Möglichkeit haben, ihren Ort und ihren Impuls über eine bestimmte Genauigkeit hinaus zu messen, eine Genauigkeit, die mathematisch und physikalisch genau beschriebenen werden kann. Und Ort und Impuls können nicht beliebig sein, sie spielen sich in einem gut beobachtbaren Rahmen ab.


Vollbreit hat geschrieben:Kann gut sein, dass die Größe nur das Einfallstor der Erkenntnis war.
Quantenphysikalisch ist die Welt im Grunde nur holistisch zu betrachten und auch Einzelobjekte zu definieren macht wenig Sinn.

Das ist für meinen Geschmack Esoterik in Reinkultur. Holismus ist auch so ein Käse. In jedem System kann es lokale Kräfte geben, die einander aufheben, so dass andere Teile des Systems lokal nicht von diesen Kräften betroffen sind. Denk an den Sack Reis in China...
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » So 18. Aug 2013, 12:12

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:"Beobachtung" hat hier nichts mit Bewusstwerden zu tun.
Wie meinst Du das?

Der Impuls und der Ort wird eines Elementarteilchens wird von einer lokalen Interaktion mit einem anderen quantenmechanischen Objekt beeinflusst, nicht von dem Bewusstsein eines Beobachters.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » So 18. Aug 2013, 12:18

Vollbreit hat geschrieben:Deine Aussage läuft darauf hinaus, dass, wenn es kleinere Teilchen als Elementarteilchen geben würde, man auch präzise messen könne, nur leider gibt es diese kleineren Teilchen nicht, womit Du ein prinzipielles Problem vorliegen hast.

Das hab ich ja gesagt, ich hab es nur präziser ausgedrückt: Es ist ein physikalisches Problem: Und noch präziser: es ist speziell kein Problem, dass der Logik widerspricht, noch nicht einmal dem Kausalitätsmodell.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » So 18. Aug 2013, 15:53

Vollbreit hat geschrieben:
Friedrich Waismann hat geschrieben:Sogar die die Logik, obgleich allem Anschein nach a priori par excellence, ist von der allgemeinen Neuorientierung nicht unberührt geblieben. […]
Ich darf zum Schluss auf diese Zusammenhänge noch ein wenig eingehen. Wir wollen einmal annehmen, der Impuls eines Elektrons sei sehr genau bestimmt worden, dann ist also der Ort ganz unbestimmt. Nun möge aber jemand trotzdem den Standpunkt vertreten, dass sich das Teilchen im Augenblick er Impulsmessung an einer ganz bestimmten Stelle befindet – ist diese Aussage wahr oder falsch? Ist sie wahr, so würde das bedeuten, dass das Elektron mit Sicherheit an der betreffenden Stelle zu finden wäre, ist sie aber falsch, so wird damit ganz und gar ausgeschlossen, dass es dort anzutreffen ist. Wenn wir also daran festhalten, die Aussage müsse – ungeachtet ihrer experimentellen Verifizierbarkeit – entweder wahr oder falsch sein, geraten wir in jedme Fall in Widerspruch zur Heisenbergschen Relation (vollständige Kenntnis des Impulses bedingt vollständige Kenntnis des Ortes …). Die Meinung aber, sie sei weder wahr noch falsch, ist wiederum mit dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten unvereinbar. Was aber dann?


Das ist m.e. falsch. Wenn ich weiß, dass das Elektron an einem bestimmten Ort nicht ist, besagt das nicht, das dadurch der Ort, wo es sich tatsächlich befindet, festgelegt ist. Es ist auch keine "Beobachtung der Tasse" wenn ich feststelle, dass sie nicht im Schrank ist. Als Beobachter muss ich dabei auch überhaupt keine Interaktion mit der Tasse eingehen um das festzustellen. - Kann ich ja nicht, weil sie nicht da ist!
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon AgentProvocateur » So 18. Aug 2013, 17:54

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Deine Aussage läuft darauf hinaus, dass, wenn es kleinere Teilchen als Elementarteilchen geben würde, man auch präzise messen könne, nur leider gibt es diese kleineren Teilchen nicht, womit Du ein prinzipielles Problem vorliegen hast.

Das hab ich ja gesagt, ich hab es nur präziser ausgedrückt: Es ist ein physikalisches Problem: Und noch präziser: es ist speziell kein Problem, dass der Logik widerspricht, noch nicht einmal dem Kausalitätsmodell.

Mein Verständnis der Quantenmechanik ist zwar extremst limitiert, aber soweit ich weiß, ist es nicht richtig, zu meinen, die Heisenbergsche Unschärferelation würde lediglich ein Messproblem und keine fundamentale Eigenschaft von Quantenphänomenen behandeln. Siehe auch Teilchen-Welle-Dualismus. (Jemand, der sich damit besser auskennt, möge mich gerne korrigieren.)

ujmp hat geschrieben:Das ist m.e. falsch. Wenn ich weiß, dass das Elektron an einem bestimmten Ort nicht ist, besagt das nicht, das dadurch der Ort, wo es sich tatsächlich befindet, festgelegt ist. Es ist auch keine "Beobachtung der Tasse" wenn ich feststelle, dass sie nicht im Schrank ist. Als Beobachter muss ich dabei auch überhaupt keine Interaktion mit der Tasse eingehen um das festzustellen. - Kann ich ja nicht, weil sie nicht da ist!

Die Tasse muss irgendwo sein, sonst gibt es keine Tasse. Die Tasse kann nicht ein bisschen hier und ein bisschen dort sein. Bei dem Elementarteilchen ist das anders, das ist, falls der Impuls hinreichend genau bestimmt wurde, weder hier noch dort und auch sowohl hier als dort. Schrödingers Katze ist sowohl tot als auch lebendig.

So, wie ich das verstehe, läuft das darauf hinaus, dass (zumindest viele) unsere(r) Konzepte aus dem Mesokosmos in der Quantenmechanik nicht anwendbar sind. Z.B., auf das Argument von Waismann bezogen: dass dort der Satz aus der Logik vom ausgeschlossenen Dritten nicht gilt.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » So 18. Aug 2013, 18:58

AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Verständnis der Quantenmechanik ist zwar extremst limitiert, aber soweit ich weiß, ist es nicht richtig, zu meinen, die Heisenbergsche Unschärferelation würde lediglich ein Messproblem und keine fundamentale Eigenschaft von Quantenphänomenen behandeln. Siehe auch Teilchen-Welle-Dualismus. (Jemand, der sich damit besser auskennt, möge mich gerne korrigieren.)

Ich kenne mich auch nicht wirklich damit aus, nur stelle ich fest, dass sich hinter vielen Vagheiten, die man darüber hören kann, viel heiße Luft befindet. Was heißt z.B. "fundamental"? Was man da konkret oft hören kann ist, dass es ein "fundamentales" Messproblem, kein technisches, aber ein physikalisches ist. Wenn man nämlich fragt, worin es konkret besteht, kommt die Erklärung, das Elektronen so klein sind usw. z.B. hier (english unfortunately, but very good explained):


AgentProvocateur hat geschrieben: Bei dem Elementarteilchen ist das anders, das ist, falls der Impuls hinreichend genau bestimmt wurde, weder hier noch dort und auch sowohl hier als dort. Schrödingers Katze ist sowohl tot als auch lebendig.

Ich hab da große Zweifel, dass das von Physikern durchweg so verstanden wird. Das ist oft sehr viel von "Wahrscheinlichkeit" die Rede. Wenn das Leben der Katze von einem Münzwurf abhinge, wäre jeder Zustand gleichwahrscheinlich. Aus der Perspektive der objektiven Wahrscheinlichkeit befindet sich die Katze jedoch nur in einem von beiden möglichen Zuständen, da die Münze gefallen ist, auch wenn mir subjektiv, auf Grund des mangelnden Einblickes in die Kiste beide Zustände gleichwahrscheinlich scheinen (Wahrscheinlichkeit als Grad der Überzeugung).


AgentProvocateur hat geschrieben:So, wie ich das verstehe, läuft das darauf hinaus, dass (zumindest viele) unsere(r) Konzepte aus dem Mesokosmos in der Quantenmechanik nicht anwendbar sind. Z.B., auf das Argument von Waismann bezogen: dass dort der Satz aus der Logik vom ausgeschlossenen Dritten nicht gilt.

Es leuchtet mir nicht ein, was das mit einem Axiom der Logik zu tun haben soll. Nehmen wir mal an, jemand beweist, dass Berlin nicht nur in Berlin ist sondern auch in Hamburg. Dann ist die Aussage "Herr Kommisar, ich kann nicht in Berlin gewesen sein, ich war ja in Hamburg" einfach falsch, und nicht wahr und falsch zugleich, und auch nicht weder wahr noch falsch. Das ist ein begriffliches Problem, ein analytisches, aber das hat doch nichts mit Physik zu tun!
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