Myron hat geschrieben:Wer fordert den ernsthaft die Abschaffung der Geisteswissenschaften, der Kunst, des Sports und aller nichtwissenschaftlichen Hobbys?
Das habe ich so nicht gesagt.
Was ich meinte, war: ich bin in Foren schon auf viele Leute gestoßen, die ernsthaft meinten, dass nur diejenigen Fragen, die Naturwissenschaften behandeln, relevante Fragen seien. Man mag es "Positivismus" oder "Szientismus" nennen, wie auch immer. Daraus folgt nun nicht, dass auch die Abschaffung aller nicht-naturwissenschaftlichen Disziplinen gefordert werden würde, es ist jedoch so, (scheint mir zumindest so), als ob diese lediglich (großzügigerweise) geduldet würden, weil man zurzeit noch keinen Plan hat, wie man alles auf Physik zurückführen kann. Man solle einfach anerkennen, dass Physik die Krone der Schöpfung sei. Chemie und Biologie sind zwar auch irgendwie Naturwissenschaften, aber eigentlich und genau genommen ein bisschen minderwertig, nicht ganz ernst zu nehmen. Weil ja letztlich alles Physik sei, immerhin zumindest alles hypothetisch auf Physik zurückführbar sei. Und die anderen Nicht-Naturwissenschaften sind noch unwürdiger. Ganz zu schweigen von Philosophie und anderen Laberfächern. Mathematik jedoch ist wenigstens noch eine Hilfwissenschaft der Physik, aber insofern dieser ganz klar untergeordnet. Ist ja auch keine empirische Wissenschaft, das ist schon Disqualifikation genug, begründet eine klare Minderwertigkeit gegenüber der Physik.
Das ist nun zugegebenermaßen sehr polemisch ausgedrückt und es ist viel persönliche Evidenz dabei, (ich habe da schon lustige Sachen erlebt, z.B. einen Physiker, der mir bei einem philosophischen Thema den Mund verbieten wollte, weil er Physiker sei und daher den vollen Durchblick habe). Allerdings nicht nur, meiner Ansicht nach sind Sam Harris, (teilweise) Dawkins und auch der im Ausgangsbeitrag verlinkte Jerry Coyne Beispiele für Szientisten, (wenn sich die zu philosophischen Themen äußern, dann rollen sich bei mir regelmäßig die Fußnägel hoch).
Und Pinkers im Ausgangsbeitrag verlinkten Artikel finde ich zumindest ein bisschen naiv. Für mich kommt es ziemlich merkwürdig rüber, wenn so ein idealistisches Wissenschaftsbild vertreten wird, (Naturwissenschaft bietet die Lösung aller Fragen und hat nur gute, humane und humanistische Auswirkungen. Alles, was gut und lobenswert in dieser Welt ist, ist naturwissenschaftlicher Erkenntnis geschuldet. Und alles, was schlecht ist, hat mit Naturwissenschaft nichts, aber auch gar nichts zu tun). Was zwar, wie schon gesagt, den Umständen in den USA geschuldet sein mag; dort mag es vielleicht nutzbringend sein, so eine schwarz-weiß Konfrontation zu fahren, klare, binäre Lager zu bilden, aber aus meiner europäischen Sicht und Situation wirkt das leider ziemlich strange.
(Nun habe ich immerhin ein paar der von Pinker bemängelten negativen Bezeichungen untergebracht: "Szientismus", "Positivismus" und "naiv").
Noch eine Anmerkung: ich bin davon trotz meiner Polemik nicht genervt, ich habe da keinen Hut im Ring, bin nicht persönlich betroffen, will keine Pfründe wahren, wie auch immer. Ich finde das einfach nur als außenstehender Beobachter recht interessant. Und auch nochmal: mag vielleicht sein, dass die Situation in den USA völlig anders ist als in Europa, es dort eine hilfreiche Strategie sein mag, sich in einer Wagenburg zu verschanzen und sich selber als makellos und unfehlbar darstellen zu müssen, um in keinster Weise angreifbar zu sein, weil das dort irgendwie ein Krieg ist, man muss die Truppen um sich scharen und whatever. Wäre dem so, dann könnte ich das immerhin noch ansatzweise nachvollziehen.