provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Es ist eine, aber eine sehr kleine - bestreitet keiner.
Finde immer lustig, wen das von Leuten angeführt wird, denen das Risiko am Roulettetisch mit maximal 1:37 zu hoch ist.
Homöopathie arbeitet dagegen ja mit Hochkonzentrationen.
Was erwartest du? Du bist nicht allein hier, mehr als ein Achzigmillionstel hast du halt bei Wahlen nicht zu melden - so wie wir alle.
provinzler hat geschrieben:Nun abgesehen von meinen Kommentaren hier und anderswo, nutze ich die letzte Option [Alltagsverhalten, Anm. Nanna]. Ich bin mir allerdings im Klaren darüber, dass es vergleichsweise wenige interessieren wird. Ich schaffe ich es damit, mit den Leuten in meinem Umfeld auf friedlicher Basis auszukommen, mit einigen wenigen auch noch mehr, und dem Rest gehe ich so gut es geht aus dem Weg.
Passt doch. Es sollte eh erstmal jeder vor seiner eigenen Tür kehren. Ich bilde mir auch nicht ein, dass ich alleine die Probleme der Welt löse, wenn ich z.B. sauber und fair hergestellte Produkte kaufe, aber ich trage mein Scherflein dazu bei. Und nur so funktionierts. Ich bete das Kollektiv nicht irgendwie an oder so, aber ich bin mir meines Platzes und meiner begrenzten Wirkmächtigkeit bewusst. Würde ich deshalb aber resignieren, würde ich trotzdem anderen Leute ganz konkret schaden. Das Kollektiv ist ja keine Essenz für sich, das sind einfach viele andere Leute.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Quatsch, du lebst im individualistischsten Zeitalter der Geschichte mit einem historischen Maximum an persönlicher Wahlfreiheit.
"Denn seit diesem Tag gehör ich nicht mehr zur Norm, denn ich trag jetzt die Nonkonformistenuniform"(Reinhard Mey)
Ja ich kann im Supermarkt zwischen 25 verschiedenen Erdbeerjoghurts auswählen. Aber schon in der Frage, wie ich gern für mein Alter vorsorgen möchte, werde ich entmündigt.
Der Grundkonflikt aller Gesellschaften ist die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Gleichheit. Das Problem mit deiner Altersvorsorge ist, dass diese derzeit auf einem Solidarsystem beruht und du dich aus diesem kollektiven System ausklinken willst. Ich weiß, dass du dafür gute Gründe hast, aber das Problem ist, dass wir das letztlich alle zusammen entscheiden müssten, weil ein Solidarsystem natürlich nur so lange funktioniert, wie die Starken überproportional einzahlen. Geben wir denen die Möglichkeit, das System zu verlassen, reißt das erstmal Versorgungslöcher und das ist zumindest für diejenigen, die es als moralische Pflicht und als Garantie für eine stabile Gesellschaft betrachten, dass die Schwachen mitversorgt werden, ein Problem. Persönliche Wahlfreiheit hat selbstverständlich Grenzen, wenn man in einem Kollektiv lebt, dafür bekommt man auch etwas zurück, meist in Form von Sicherheit, Stabilität und Verlässlichkeit der Umwelt, in der man lebt.
Das ist für Leute, die es gerne anders machen würden, schwer zu akzeptieren, klar, aber es gibt halt nur begrenzte Möglichkeiten, gemeinsame Regeln auf dem engen Raum, in dem wir zusammen leben, aufzuweichen. Für technisch/organisatorisch machbare Lösungen habe ich persönlich immer ein offenes Ohr, aber ich bin ja auch nur Einer von Vielen.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Der Holocaust wäre nicht möglich gewesen, wäre dem nicht ein ganzes Jahrhundert an geistiger Entwicklung in Richtung Rationalisierung bei den industriellen und logistischen Methoden (Menschen als Nummern) und ein Wandel in der Selbstbetrachtung des Menschen (Rassentheorien) vorausgegangen.
Die Schoah stand am Ende einer langen Kette von Entscheidungen, die aus der ideologischen und politischpragmatischen Perspektive für sich genommen aus Sicht der Entscheider zum jeweiligen Zeitpunkte alle "alternativlos" waren. Die von dir genannten Aspekte waren zwar notwendige aber keineswegs hinreichende Bedingungen
Etwas anderes habe ich auch gar nicht gesagt. Mir ging es lediglich darum, zu illustrieren, dass die Philosophie wesentlich dazu beiträgt, zu definieren, in welchen Grenzen unser politisches Denken sich abspielt.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:
Du hast schon eine sehr zynische, verschlossene Haltung der Gesellschaft gegenüber. Irgendwann wird die eigene Erwartungshaltung da halt auch eine selbsterfüllende Prophezeihung.
Für mich gibt es keine Gesellschaft, sondern nur Menschen. Und mit denen komme ich im Einzelfall durchaus ganz gut aus. Meistens dienen Forderungen, die im "Namen der Gesellschaft" daherkommen, ledglich der Befriedigung ganz egoistischer Bedürfnisse.
Das wird gerne dahinter versteckt, da gebe ich dir vollkommen Recht. Und du forderst ja auch, was dir aus deiner persönlichen Lage heraus richtig erscheint, für die gesamte Gesellschaft ein, oder? Mehr Freiheit, weil DICH deine empfundene Unfreiheit ankotzt, inwiefern ist das weniger ein egoistisches Bedürfnis?
Nur lässt sich mit totaler Selbstbezogenheit halt kein Zusammenleben organisieren. Ich bringe gerne mal wieder das Beispiel von Bürgerhaushalten in Städten. Frankfurt hat da ein größeres Experiment in den letzten Jahren hingelegt, wo Bürger ihre Vorschläge für Verbesserungen am Haushalt einsenden konnten. Ein Sprecher/Politiker meinte neulich - und ich behaupte, dass er das aufrichtig bedauert hat, nicht zuletzt, weil man sich ja auch gut darstellen wollte durch das Verfahren -, dass kein einziger der Vorschläge verwendet werden konnte, weil a) sich relativ wenig Leute beteiligt hatten und b) die Vorschläge von derart extremen Eigeninteressen geleitet waren, dass das schlichtweg nicht als allgemeine Regel einsatzbar war. Ich sehe das als gute Anekdote, die illustriert, dass wir Leute brauchen, die von einem weiteren Fokus geleitet das allgemeine Interesse der Gesellschaft im Auge behalten. Auch da wieder das Stichwort der Rationalitätenfalle: Einzelinteressen und kollektive Interessen sind als solche identifizierbar (Raser versus effizienter Verkehrsfluss für alle ist eines meiner Lieblingsbeispiele, weil es so schön anschaulich ist) und sie kollidieren regelmäßig. Es muss daher allgemeinverbindliche Regeln geben, damit nicht das totale Chaos und die Selbstjustiz ausbrechen. Wir können uns nicht als Ansammlung partikularistischer Kleingemeinschaften organisieren, zumal es ja auch da wiederum Regeln für den gegenseitigen Austausch und die interne Organisation gibt. Wir sind nunmal, biologisch und durch unsere räumliche Nähe, soziale Tiere, die in Kollektiven leben und das ist eine Realität, der man sich stellen muss.