Bisheriges Streben der Evolution

Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 14. Nov 2012, 21:50

ganimed hat geschrieben:Ich glaube ja, das Multiple-Realisierungs-Argument ist nicht gut. Auf beiden Seiten der Gleichung sind sehr unscharfe Begriffe, M und G. Man könnte also auch gegenargumentieren, dass wenn ein M scheinbar durch zwei verschiedene G repräsentiert wird, dann sind es in Wirklichkeit eben zwei verschiedene M. Oder anders formuliert: Schmerzen sind nicht gleich Schmerzen.

Aber das würde genau genommen bedeuten, auf alle generalisierende Begriffe, (z.B. "Schmerz" und "Tisch"), verzichten zu müssen. Dann gäbe es nur noch Einzeldinge, die alle für sich stünden und die nichts miteinander zu tun hätten. Wir dürften dann nicht mehr "Schmerz" oder "Tisch" sagen, sondern nur noch z.B. "Ding12455" und "Ding784551".

ganimed hat geschrieben:Nochmal ein Zitat: "Es klingt daher ziemlich unwahrscheinlich, dass jedem mentalen Zustand genau ein neurophysiologischer Zustand entsprechen soll."
Wer so etwas sagt, nimmt doch wohl an, so scheint mir, dass mentale Zustände nicht vollständig von neurophysiologischen Vorgängen erzeugt werden. Ich würde so eine Position jetzt spontan gleich wieder Dualismus nennen. Der Glaube an eine geistige Ebene.
Ohne diese geistige Ebene bleibt nur die Annahme, dass mentale Zustände tatsächlich von neurophysiologischen Vorgängen erzeugt werden. Und dann ist es nicht nur sehr wahrscheinlich sondern völlig zwingend logisch (aufgrund der eindeutigen ursächlichen Beziehung), dass jeder mentale Zustand von genau einem bestimmten Gehirnvorgang erzeugt wird.

Das hast Du noch falsch verstanden. Gemeint ist: "ein M-Typ entspricht nicht einem G-Typ". M-Typ wäre z.B. Schmerz, G-Typ wäre ein bestimmter Gehirn-/bzw. Körperzustand, der bei ausnahmslos allen, die Schmerz empfinden, glechfalls vorzufinden wäre.

Daraus folgt aber nicht Dualismus, d.h. es wird dadurch nicht angezweifelt, dass jedes M-Token (d.h. ein einzelner mentaler Zustand) durch ein G-Token (ein einzelner Körper-/Gehirn-Zustand) realisiert wird, dass also mentale Zustände über Körperzustände supervenieren.

Um aber sagen zu können: "Schmerz ist der Gehirn-/Körperzustand XYZ, Schmerz ist auf XYZ reduzierbar, identisch mit XYZ" wäre es notwendige Voraussetzung, dass der M-Typ "Schmerz" einem ganz bestimmten G-Typ entsprechen würde. (Man nennt das übrigens Identitätstheorie).
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mi 14. Nov 2012, 21:59

ganimed hat geschrieben:Muss eine objektive Beschreibung eines Motors oder eines menschlichen Gehirnvorgangs wirklich dieses Wissen enthalten? Beim Motor jedenfalls nicht. Ich finde, dann beim Menschen auch nicht.


Ja, da unterscheiden wir uns. Du meinst, dass wenn die Funktion beschrieben ist, alles beschrieben ist. Ich nicht.

ganimed hat geschrieben:Aha, auf Wissenschaftsebene gilt das also auch. Na dann sind wir ja mit diesem Thema auch endlich fertig.


Gut.

ganimed hat geschrieben:Noch ein Nachschlag auf Metaebene: du hast auf Lumens sehr treffende Beispiele geantwortet:
    "Sind aber alles keine normativen Forderungen die sich zwingend aus der Deskription ergeben."
Ich bin wohl heute abend ein wenig ungeduldig. An anderen Abenden wäre ich vielleicht nicht so kritisch. Aber hier fällt mir auf, wie du Gegenargumente immer nur wieder zerpflückst.


So macht man das gewöhnlich.

ganimed hat geschrieben:Und wenn es nur das kleinste Härchen ist, du ergreifst es, wie mir scheint, for the sake of the argument. Lumen hat beispielhaft gezeigt, wie sich normative Forderungen aus Deskriptionen ergeben.


Nö. Ich sehe da keine normative Forderung, die sich ergibt.
Es sind 18°C im Raum. Wenn Deine Freundin, von der Du weißt, dass sie leicht friert das mit leicht genervter Stimme sagt, dann ist da eine unausgesprochene normative Aufforderung drin, aber diese Zuschreibungen funktionieren nur aufgrund impliziter normativer Zwischentöne, die im Zwischenmenschlichen ihre Berechtigung haben, aber nicht in Philosophie und Wissenschaft.
Dort geht es eben darum, diese Regeln offen zu legen, explizit zu machen.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mi 14. Nov 2012, 22:32

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das würde genau genommen bedeuten, auf alle generalisierende Begriffe, (z.B. "Schmerz" und "Tisch"), verzichten zu müssen.

Nein. Du musst nicht auf sie verzichten. Aber wenn du links der Gleichung generalisierst, dann muss man auch rechts generalisieren dürfen. Wenn also alle möglichen Schmerzen ein M(Schmerz) bilden, dann gilt M(Schmerz) = G(Schmerz), wo aber G dann eben auch nicht ein Gehirnzustand ist, sondern die generalisierte Gruppe, einschließliche der Lurch-Gehirnzustände. Ob also mit oder ohne Generalisierung, die Identitätstheorie wird nicht mit dem schwachen Multiple-Realisierungs-Argument widerlegt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Daraus folgt aber nicht Dualismus, d.h. es wird dadurch nicht angezweifelt, dass jedes M-Token (d.h. ein einzelner mentaler Zustand) durch ein G-Token (ein einzelner Körper-/Gehirn-Zustand) realisiert wird

Das verstehe ich tatsächlich nicht. Ich kann doch nicht
a) anerkennen, dass ein bestimmtes M durch ein bestimmtes G erzeugt wird
und dann b) argumentieren, dass die Identitätstheorie nicht stimmt, weil M auch bei anderen G auftritt.
Das M ist doch durch (a) so definiert, das es durch G erzeugt wird.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mi 14. Nov 2012, 22:41

Vollbreit hat geschrieben:aber diese Zuschreibungen funktionieren nur aufgrund impliziter normativer Zwischentöne, die im Zwischenmenschlichen ihre Berechtigung haben, aber nicht in Philosophie und Wissenschaft. Dort geht es eben darum, diese Regeln offen zu legen, explizit zu machen.

Du bist ein Wiederholungstäter, scheint mir. Nun windest du dich wieder raus und stellst flugs eine weitere Forderung auf: die normativen Forderungen müssen sich nicht nur zwingend aus der Deskription ergeben, sondern plötzlich müssen die Regeln dafür auch offen gelegt werden. (Was ich aber in meinem Offene-Hose-Beispiel angedeutet habe, wo solche Dinge wie der soziale Status ins Spiel kömmen könnten etc.) Was wird dir als nächster Zusatz einfallen?

Wir kamen von dieser Stelle glaube ich, wo du sagtest: "aber das sagt noch immer nichts darüber aus, wie man in normative Einstellungen hineinkommt."

Jetzt hat Lumen beschrieben, wie man aus dem deskriptiven in das normative kommt. Mir scheint der Fall deshalb recht klar. Man kommt.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Do 15. Nov 2012, 01:48

ganimed hat geschrieben:Aber wenn du links der Gleichung generalisierst, dann muss man auch rechts generalisieren dürfen. Wenn also alle möglichen Schmerzen ein M(Schmerz) bilden, dann gilt M(Schmerz) = G(Schmerz), wo aber G dann eben auch nicht ein Gehirnzustand ist, sondern die generalisierte Gruppe, einschließliche der Lurch-Gehirnzustände.

Völlig korrekt. Die Identitätstheorie behauptet, dass M-Typen (Typen == Generalisierungen) mit G-Typen gleichzusetzen seien, beides identisch sei.

ganimed hat geschrieben:Ob also mit oder ohne Generalisierung, die Identitätstheorie wird nicht mit dem schwachen Multiple-Realisierungs-Argument widerlegt.

Nun, man müsste dann aber auch eine Gemeinsamkeit zwischen den unterschiedlichen G-Token (Token == jeweils eine konkrete Realisierung) herstellen können. Oder anders gesagt: es müsste möglich sein, rein aus der Betrachtung eines beliebigen Gehirn-/Körperzustandes ableiten zu können, ob das betrachtete Lebewesen Schmerz empfindet oder nicht - und zwar ohne das Lebewesen zu fragen und auch ohne seine Reaktionen zu beobachten. Wenn ich Dir also einen bis ins allerkleinste ausgeführten Bericht über die Vorgänge in einem Lebewesen vorlegen würde, dann müsstest Du (zumindest theoretisch) daraus ableiten können, ob das Lebewesen Scmerzen empfindet oder nicht.

Nehmen wir mal wieder ein Beispiel, vielleicht dient das zur Verdeutlichung. Nehmen wir mal an, ich hätte hier einen von mir entwickelten Computer, also keinen handelsüblichen Computer, (das ist nur, damit Du nicht sagst, Du schlägst mal schnell im Internet nach). Nun programmiere ich einen Algorithmus ein, egal was, sagen wir mal, der sei vorerst ziemlich trivial, ich addiere einfach 1 und 1 und gebe das Ergebnis aus.

Und nun erstelle ich einen Bericht über alle möglichen Zustände und Vorgänge in meinem kleinen Computer, ich nenne Dir alle Bauteile und deren genauen Aufbau, wie die verdrahtet sind, ich nenne Dir alle Spannungen und wo ich sie jeweils anlege.

Nun wird es für Dich möglich sein, herauszufinden, was mein kleiner Computer tut, Du wirst den von mir verwendeten Algorithmus ableiten können und Du wirst herausfinden können, was der Computer tut - und zwar auch ohne, dass Du ihn nachbauen müsstest. Dass mein Algorithmus hier trivial ist, spielt keine Rolle, auch wenn ich einen komplizierteren Algorithmus (z.B. eine komplette Tabellenkalkulation) implementiert hätte, wärest Du theoretisch dazu in der Lage, den zu erkennen; bzw. aber zumindest in der Lage dazu, sagen zu können, was herauskommen muss, wenn man das und das eingibt - wiederum ohne den Computer nachbauen zu müssen. (Ein versierter Hardware-Freak könnte das zwar viel schneller als jemand, der keine Ahnung von Elektronik hätte - aber das spielt hier auch keine Rolle).

Und nun müsste ein Anhänger der Identitätstheorie analog dazu einen solchen Algorithmus von G-Typen erkennen und beschreiben können, (oder aber zumindest eben entscheiden können, ob beim hypothetischen vorgelegten, bis in die allerletzte Kleinigkeit beschriebenen, Körper-/Gehirnzustand ein Schmerz empfunden wird oder nicht). Er müsste also irgendwie zeigen können, was die ganzen unterschiedlichen G-Token, aus denen sich der M-Typ Schmerz ergibt, im Innersten zusammenhält, was deren Gemeinsamkeit ist, wie man sie demnach von NICHT-G-Token (die keine M-Token "Schmerz" hervorrufen) unterscheiden könnte.

Es reicht nun nicht, einfach zu behaupten, das sei zwar theoretisch, aber nicht praktisch möglich. Man müsste das schon irgendwie besser begründen. Wer eine Behauptung aufstellt, muss sie begründen, (sofern sie strittig ist).

(Siehe dazu auch: the hard problem of consciousness (das schwierige Problem des Bewusstseins)).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Daraus folgt aber nicht Dualismus, d.h. es wird dadurch nicht angezweifelt, dass jedes M-Token (d.h. ein einzelner mentaler Zustand) durch ein G-Token (ein einzelner Körper-/Gehirn-Zustand) realisiert wird

Das verstehe ich tatsächlich nicht. Ich kann doch nicht
a) anerkennen, dass ein bestimmtes M durch ein bestimmtes G erzeugt wird
und dann b) argumentieren, dass die Identitätstheorie nicht stimmt, weil M auch bei anderen G auftritt.
Das M ist doch durch (a) so definiert, das es durch G erzeugt wird.

Das verstehe wiederum ich nicht. Wieso kann man nicht annehmen, dass alle M-Token über G-Token supervenieren, aber dennoch bezweifeln, dass die G-Token derart generaliserbar sind, dass man (zumindest hypothetisch) G-Typen von NICHT-G-Typen unterscheiden könnte? Darin steckt doch kein logischer Widerspruch - zumindest ich kann bisher keinen sehen.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Nov 2012, 08:18

ganimed hat geschrieben:Du bist ein Wiederholungstäter, scheint mir. Nun windest du dich wieder raus und stellst flugs eine weitere Forderung auf: die normativen Forderungen müssen sich nicht nur zwingend aus der Deskription ergeben, sondern plötzlich müssen die Regeln dafür auch offen gelegt werden.


Ja, natürlich müssen die Regeln offen gelegt werden. Was glaubst Du denn ist das Ziel einer objektivierenden, 3. Person Sprache?

ganimed hat geschrieben:(Was ich aber in meinem Offene-Hose-Beispiel angedeutet habe, wo solche Dinge wie der soziale Status ins Spiel kömmen könnten etc.) Was wird dir als nächster Zusatz einfallen?


Da fällt mir die Frage ein, wie der soziale Status denn wohl – Deiner Meinung nach – überhaupt ins Spiel kommt. Meinst Du, der unterliegt keinerlei Regeln, sondern sei angeboren? Seit der Primatenzeit?

Man muss erst mal soziale Spielregeln erlernen und verinnerlichen, damit man bestimmte Dinge als peinlich oder lächerlich empfindet. Meinst Du kleine Kinder finden offene Hosen einfach so lächerlich, sobald man sie in welche hineinsteckt? Steht das in den Hosen innen eingenäht auf einem Schild?

Was bedeutet lächerlich und andere Zuschreibungen?
Für mich heißt das – ganz allgemein – ungefähr so viel, dass es bestimmte (oft unausgesprochene) normative Gebote und Verbote gibt, von denen man mit der Zeit mitbekommt, welchen Regeln oder Gegebenheit sie folgen. (Nicht selten übrigens auf ganz natürliche Körperfunktionen, gerne im Bereich des Südpols, bezogen. Offene Hose, Pissfleck, Kackfleck, Körpergerüche, Schweißränder, Haare an den falschen Stellen, Popel hängt sichtbar in der Nase, Speichelreste trocknen im Mundwinkel ein, Mundgeruch, Pickel, Zittern, Furzen, Rülpsen… alles ziemlich uncool. Andere, gerne junge Männer, nehmen das gerade zum Anlass dadurch zu signalisieren, was sie von solchen Regeln halten und was eigentlich passiert, wenn man sie bricht. In der Horde, mit dem Bier offen in der Hand – „man“ trinkt übrigens dezenter – und dann laut grölend und rülpsend, je lauter desto besser desto cooler, durch die Straßen, möglichst sichtbar für alle.)
Aber heißt das nun ganz allgemein, dass man allen offenen und verdeckten normativen Geboten und Verboten vollkommen/weitgehend/von Fall zu Fall/nicht entsprechen sollte? Und warum sollte man diesen Geboten entsprechen? Gerade Moden und Benimmregeln sind doch nicht naturgegeben.
Doch wo kommen die her?

ganimed hat geschrieben:Wir kamen von dieser Stelle glaube ich, wo du sagtest: "aber das sagt noch immer nichts darüber aus, wie man in normative Einstellungen hineinkommt."

Jetzt hat Lumen beschrieben, wie man aus dem deskriptiven in das normative kommt. Mir scheint der Fall deshalb recht klar. Man kommt.


Jo, wie denn?
Die Menschen haben einen unterschiedlichen Kalorienbedarf. Was folgt daraus?
Menschen haben unterschiedliche Haarfarben. Was folgt daraus?
Menschen sind unterschiedlich groß. Was folgt daraus?
Frauen bekommen ihre Tage, Männern fallen manchmal die Haare aus, Fußnägel wachsen, es gibt Grippewellen… Was folgt daraus?

Man kann auch Zusammenhänge formulieren. Wenn man Muskeln nicht benutzt, verkümmern sie.
Also könnte daraus folgen, dass man sie trainieren sollte? Aber eben nur, wenn man nicht will, dass sie nicht verkümmern. Das muss man aber nicht wollen.

Wenn die Sonne auf die Haut scheint, dunkelt die Haut nach. Was folgt daraus? Heute rennt alle Welt, gerne die junge und weibliche, ins Solarium, allen Warnungen trotzend. Offensichtlich gibt es da einen recht starken sozialen Druck, mit gebräunter Haut, auch im Winter, herumzulaufen.
Weil braune Haut eben chic, sexy, vital, gesund wirkt oder eben einfach sein muss, es machen alle so.

Das war mal anders und in anderen Teilen der Welt ist es heute noch so. „Vornehme Blässe“. Dunkel, das waren die Feldarbeiter, die einfachen Leute, die *naserümpf* Proleten. Scheint ja irgendwie doch nicht naturgegeben zu sein, muss also irgendwo herkommen. Unter anderem dafür interessieren sich Philosophen, Soziologen, Psychologen. Nicht unbedingt für braune Haut oder offene Hosen, sondern für die – scheinbar – aller selbstverständlichsten Regeln, denen wir uns so gerne anpassen – warum das eigentlich?

Was bedeutet es Regeln zu haben, ihnen zu folgen oder es kategorisch nicht zu tun?
Da kommt man in sehr spannende Fragen rein, gerade auch die Religion betreffend.
Manchmal stellt man überrascht fest, dass das eigene Naturell eher ein „Kulturell“ ist. „Psst. Sitz still. Sei nicht immer so laut. Du störst. Geh jetzt in dein Zimmer und sei ruhig. Papa braucht Ruhe, der hat hart gearbeitet. Du sollst nicht immer so wild sein, die Oma hat’s mit dem Herzen, da muss man Rücksicht nehmen…“ 30 Jahre später sitzt da jemand, der es peinlich und lächerlich findet, wenn man im Restaurant laut spricht. Man muss doch wohl nicht so laut reden, dass es die ganze Umgebung mitbekommt, Rita, psst, beherrsch dich. Tja, was die Natur einem nicht alles so mitgibt.
Das waren meine nächsten Ausflüchte.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon stine » Do 15. Nov 2012, 09:00

Man kann auch sagen, die ganze Sozialisierung ist ein entscheidender Parameter in der menschlichen Evolution. Wer sich gesellschaftlich angemessen verhält hat die besseren Chancen, obwohl sich die angemessenen Verhaltensweisen nach einer sich wandelnden Mode richten.

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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Nov 2012, 09:23

Kann man sagen, aber eben auch bestreiten.
Führ’s mal ins Extrem. Der interessanteste Mensch, ist der am besten an soziale Normen angepasste.
Aber geht es langweiliger? Otto Normalverbraucher und Monika Musterfrau?
Die berechenbaren Wellenreiter, die jede Mode mitmacht, weil man immer vorne sein will oder einfach, weil’s doch alle tun.

Was war noch mal die Kritik an der Religion, die Gleichschaltung? Und Aufklärung der Ausweg des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit?

Ist denn nicht der unkonventionelle Typ mit Ecken und Kanten beliebter? Klare Kante.
Sind nicht biographische Brüche spannender als das jeweilige aalglatte Modell? Ob Karrieretyp oder Penner, ob blondes Hübschchen oder weltfremder Intellektueller. Ob Öko oder mit Anzug auf die Welt gekommen. Das ist doch je stereotyper es wird. Oder?

Wie gesagt, es gibt ja diese Gruppen, ich hatte die schon mal im anderen Kontext gepostet:
http://www.sinus-institut.de/loesungen/ ... lieus.html
Innerhalb all dieser Gruppen gibt es leicht abgewandelte Normen, denen man entsprechen muss.
Wenn man den Höhepunkt erreicht hat, hedonistisch, traditionell, links-liberal, hat man’s dann geschafft, oder ist man nur vollkommen in der Norm erstarrt? Finde ich spannend, als Frage.

Und gibt es etwas, was grundsätzlich über Konformität und Konventionalität – auch Modernisten, die immer das neueste Elektrospielzeug haben müssen, sind ja so gesehen entsetzlich konventionell – hinaus noch etwas, was grundsätzlich anders ist? Was könnte das sein?
Und wäre das eine höhere Stufe der Evolution?
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon stine » Do 15. Nov 2012, 11:35

Heute ist ein Artikel in der Zeit (hab ihn leider noch nicht gelesen), dass das Modell "weißer" Mann ausgedient hätte. Latinos, Chinesen und Inder sind auf der Überholspur.
Vielleicht steckt da ein Hinweis auf den Erfolgsschlüssel drin.

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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Nov 2012, 12:00

Das ist eigentlich schon seit 25 oder mehr Jahren Thema und eine eigenartige Ironie.
Das Feindbild der Linksliberalen, in Amerika vielleicht noch einen Tacken mehr als bei uns, ist der weiße, heterosexuelle Mann der Mittelschicht, der im Gunde alles was er macht, falsch macht.

Ein intoleranter, konservativer, sexistischer, rationalistischer Trottel, der Spaß am Unterdrücken von Minderheiten hat. Inzwischen ist dieses Feindbild selbst Minderheit geworden.

In den Staaten pflanzen sich die weißen Mittelschichtler so wenig fort, wie bei uns, d.h. die demographische Stabilität der US wird von den Latinos und anderen „Minderheiten“ gewährleistet.

Das heißt, die ethnisch-politische Situation Amerikas verschiebt sich von Wahl zu Wahl ein wenig mehr zugunsten der Demokraten, wenn es den Konservativen nicht gelingt die (überwiegend katholischen) Latinos ins Boot zu holen, somit gehen die Werte des weißen Mannes natürlich auch stärker den Bach runter.

Ein Paradoxon liegt darin, dass die Intoleranz des weißen Mannes der Mittelschicht im Grunde gar nicht so groß ist, wie immer beschrieben wird und das viele schützenswerte Gruppen sich weitaus intoleranter und patriachaler verhalten, als das eigentliche Feindbild. Das gilt für die Amis und für Europa.

Brav, zahm und angepasst wie der weiße Mittelschichtler ist (hier spreche ich überwiegend von Europa) macht er seinen Ärger mit sich selbst und im Verborgenen aus und ballt die Faust in der Tasche. Auf der einen Seite reibt man sich verwundert die Augen, wo denn die Zivilcourage, die Werte, die stillschweigenden Übereinkünfte hin sind, auf der anderen Seite sieht man dass Rassismus, Antisemitismus und so weiter nicht totzukriegen sind. Ob es da wohl einen Zusammenhang gibt?
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon stine » Do 15. Nov 2012, 13:24

Durchaus herauslesbar, würd ich sagen. Das Resümee dürfte lauten: Je mehr sich jemand verbiegt, sich selbst untreu wird, umso weniger wirkt er kompetent und kann sich als Folge nicht mehr durchsetzen.
Wir (?) haben den "weißen" Mann erst zum Popanz der Frauen gemacht, zum Dulder seiner Gegenspieler und ihn vom Unternehmer zum Staatsdiener degradiert und nun wundern wir uns, dass er sich so gar nicht mehr behaupten kann und keine Respektsperson mehr ist.
Evolution künftig also ohne ihn?

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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mo 19. Nov 2012, 21:04

@Vollbreit: ich würde gerne einen Reset durchführen, um der Verzettelungsgefahr zu entgehen. Ich beschreibe mal grob den Ausgangspunkt der Argumentation aus meiner Sicht:
Nanna und du sagen: Naturwissenschaft ist immer streng deskriptiv und sie ist deshalb nicht autorisiert, Deutungen oder Wertungen vorzunehmen, kann insbesondere keine Regeln oder Empfehlungen ableiten.

Jetzt sage ich: Die für die Deutungen und Wertungen nötigen Zielkriterien können ebenfalls beschrieben, erforscht und ermittelt werden. Sie stehen der Naturwissenschaft also prinzipiell zur Verfügung. Und mit diesen Zielkriterien kann man andere Fakten bewerten, beurteilen und daraus dann Folgerungen ableiten. Oder etwa nicht?

Ein Forscher kann herausfinden, was genau beim Rauchen passiert und wie das Krebsrisiko ursächlich beeinflusst wird. Dann könnte er der Vollständigkeit halber noch eine Studie durchführen, um herauszufinden, ob die Menschen Krebs gut oder schlecht finden. Und schon kann er logisch einwandfrei schlußfolgern, dass Rauchen genau so doof ist wie der Krebs, den man dadurch bekommt.

Deine Argumente, dass die Bewertungsmaßstäbe (braune Haut ist gut) ja nicht ewig und überall gültig seien, sind völlig irrelevant. Dann muss der Forscher eben darauf achten, die Bewertungsmaßstäbe aus diesem Jahrzehnt zu verwenden und nicht jene aus dem vorletzten Jahrhundert. Denkbar ist jedenfalls, dass der Forscher sorgfältig genug ist, das zu tun. Die kategorische Behauptung, dass Naturwissenschaften niemals deuten und bewerten könnten, ist jedenfalls völlig falsch.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mo 19. Nov 2012, 21:45

AgentProvocateur hat geschrieben:Er müsste also irgendwie zeigen können, was die ganzen unterschiedlichen G-Token, aus denen sich der M-Typ Schmerz ergibt, im Innersten zusammenhält, was deren Gemeinsamkeit ist, wie man sie demnach von NICHT-G-Token (die keine M-Token "Schmerz" hervorrufen) unterscheiden könnte.

Moment mal. Was behauptet die Identitätstheorie? Sie behauptet doch lediglich, wenn ich richtig verstehe, dass jeder mentale Zustand durch genau einen Gehirnzustand erzeugt wird und deshalb mit ihm gleichzusetzen ist. Und dabei ist mit mentalem Zustand eben nicht "Schmerz" gemeint, das ist doch viel zu allgemein. "Drückender Schmerz im hinteren linken Zeh aufgrund einer Entzündung" wäre da schon präziser. Und da könnte man sicher einige Eigenschaften nennen, die die Klasse G-A von Gehirnvorgängen definieren, welche diese Art von Schmerz erzeugen.

Und wenn dann ein Identitätstheoriegegner findet, dass all diese Eigenschaften aber auch auf die Gehirnzustände zutreffen, die den gleichen Schmerz im rechten Zeh beim Lurch erzeugen, dann muss man die Beschreibung von G-A eben präzisieren, was sicherlich möglich ist (z.B. die Nervenimpulse müssen aus dem linken, menschlichen Zeh kommen).

Um die Identitätstheorie an sogenannten Einzelbeispielen wie dem Lurch-Schmerz vs. Mensch-Schmerz zu widerlegen, müsste man also den Befürwortern nachweisen, dass es eine solche Präzisierung gar nicht geben kann. Oder man müsste den Befürwortern Gelegenheit geben, eine solche Präzisierung anzugeben, und erst wenn sie es 50 Jahre lang nicht schaffen, hätte man gewonnen.


AgentProvocateur hat geschrieben:Es reicht nun nicht, einfach zu behaupten, das sei zwar theoretisch, aber nicht praktisch möglich. Man müsste das schon irgendwie besser begründen.

Ich finde die Theorie aber schon sehr naheliegend. Wenn ich weiß (und das stellen die Identitätstheorie-Gegner ja nicht in Frage, oder?), dass die M-Token durch irgendwelche G-Token erzeugt werden, dann ist doch anzunehmen, dass die Eigenschaften der Erzeugnisses (M-Token) etwas mit den Eigenschaften und Umständen des Erzeugers (G-Token) zu tun hat. Mit dem gleichen Erzeuger (Cola-Abfüllmaschine) bekomme ich tendenziell die gleichen Erzeugnisse (Cola). Ich finde es daher ebenfalls sehr begründenswert, wieso daran gezweifelt wird.

Oder mal anders formuliert: Das Multiple-Realisierungs-Argument stimmt nicht. Es gibt keinen mentalen Zustand, der von zwei verschiedenen Gehirnzuständen erzeugt wird. Wenn es doch einen mentalen Zustand M geben sollte, der durch zwei Gehirnzustände G1 und G2 erzeugt wird, dann handelt es sich lediglich um einen Wahrnehmungs- und Kategorisierungsfehler. Dann gibt es in Wirklichkeit die mentalen Zustände M1 und M2, M1 wird von G1 erzeugt und M2 von G2, und diese beiden unterschiedlichen mentalen Zustände wurden nur versehentlich zu einem Zustand M zusammengefasst.


"Das schwierige Problem des Bewusstseins"
AgentProvocateur hat geschrieben:David Chalmers hat 1995 den Ausdruck vom „schwierigen Problem des Bewusstseins“ (the hard problem of consciousness) geprägt. Darunter versteht er die Frage, warum es überhaupt Erlebnisgehalte – oder Qualia – gibt. Warum tut es etwa weh, wenn ich mir mit einer Nadel in den Finger steche?

Ich nehme an, das dieser Herr Chalmers ziemlich schlau und belesen ist. Und wenn ich seine Frage sofort und einfach beantworten kann, dann kann ja irgendwas nicht stimmen. Also meine Frage an dich: woran liegt das, dass ich das schwierige Problem des Bewusstseins für recht problemlos halte?
Meine Antwort auf die Frage, wieso es Qualia gibt: Qualia sind in der Evolution entstanden, d.h. in sehr kleinen Entwicklungsschritten und unter einem Selektionsdruck. Es scheint daher naheliegend, dass Qualia zu haben irgendwie vorteilhaft ist, genau wie es vorteilhaft zu sein scheint, ein Bewusstsein zu haben. Wäre es nachteilig, so hätte sich das menschliche Gehirn in den letzten 2 Millionen Jahren sicher anders entwickelt. Eine Nadel im Finger tut also deshalb weh, weil unter den Selektionskriterien der menschlichen Entwicklung der letzten zig Millionen Jahre es meistens besser ist.

Ich finde es ja eigentlich spannend, zu erfahren, was Philosophen so alles an Argumenten gegen Reduktionismus und Neurobiologie haben. Aber ich bin doch regelmäßig ziemlich enttäuscht über diese Argumente. Entweder ich verstehe da was nicht richtig (was ja zugegebenermaßen höchstwahrscheinlich der Fall ist) oder Philosophen neigen zum Idiotismus (eine Erklärung, die ich noch nicht vollkommen ausgeschlossen habe).
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mo 19. Nov 2012, 23:57

ganimed hat geschrieben:Nanna und du sagen: Naturwissenschaft ist immer streng deskriptiv und sie ist deshalb nicht autorisiert, Deutungen oder Wertungen vorzunehmen, kann insbesondere keine Regeln oder Empfehlungen ableiten.


Nein, wir reden noch immer aneinander vorbei.
Man kann sehr wohl Empfehlungen ableiten, aus wissenschaftliche Erkenntnissen und das wird ja auch andauernd gemacht.

Keine Grundstücke in Istanbul und an der Holländischen Küste kaufen, Erdbeben und Überschwemmungsgefahr. Nicht rauchen, Krebs. Nicht übermüdet oder besoffen fahren, Unfallgefahr. Und so weiter, geht alles.

Aber dann sind die normativen Fragen schon beantwortet.
Wenn es Studien gibt, die überprüfen, wie man Krankheiten vermeidet, dann steht schon fest, dass man sie vermeiden will. Das sind oft diese: „Hä? Ist doch wohl klar“ Fragen, mit denen sich die Philosophie abgibt.

Ist es immer so klar?
Natürlich will man sein Haus behalten, kein Krebs bekommen und nicht in einen Unfall verwickelt werden. Darum raucht auch niemand und keiner käme auf die Idee besoffen Auto zu fahren. Weil, man will ja nicht sterben.

Aber eine Zigarette bringt keinen um. Und mit dem Trinken… wer das Auto noch selbst aufschließen kann, kann es auch fahren, oder? Außerdem ist man erwachsen und kann selbst bestimmen, was man tut. Und meistens geht es ja auch gut. Wirklich lästig ist nur die Polizei und die Sache mit dem Führerschein. Man selbst passt schon auf sich auf, auch wenn’s mal’n Bier zu viel war. Und die anderen, naja gut, man passt auch da auf, muss ja nicht auch noch schnell fahren.

Und man will ja auch Spaß haben am Leben, schließlich arbeitet man die Woche über. Hat man ja wohl auch ein Recht drauf. Wer sagt denn, dass man nur zum Arbeiten geboren ist?

Und was will man nun? Beides vielleicht. Gesund sein und Spaß haben, von allem etwas? Aber was ist jetzt der richtige Ansatz? Gibt es so was überhaupt: ein richtiges Leben zu führen, ein gutes, ein erfülltes? Was ist das eigentlich, ein gutes Leben? Eines, wo man die Sau rausgelassen hat? Eines als ehrenamtlicher Helfer? Ein kurzes, intensives oder eine möglichst lange Ausdehnung der Lebensdauer? Das sind normative Fragen, die man nicht unbedingt durch Statistik beantworten kann.
Oder vielleicht auch doch, aber auch das kann man sich als Frage vorlegen.

ganimed hat geschrieben:Jetzt sage ich: Die für die Deutungen und Wertungen nötigen Zielkriterien können ebenfalls beschrieben, erforscht und ermittelt werden. Sie stehen der Naturwissenschaft also prinzipiell zur Verfügung. Und mit diesen Zielkriterien kann man andere Fakten bewerten, beurteilen und daraus dann Folgerungen ableiten. Oder etwa nicht?


Schon die Forschung, die Fragestellung impliziert ja ein Ziel. Manchmal ein unhinterfragtes. Wie kann ich mehr Freunde auf facebook gewinnen? Ja, muss ich das denn wollen? Ist nicht Deine Frage, klar, aber gesund willst Du schon sein. Und rauchst nicht, trinkst nie Alkohol, gehst immer zur Vorsorgeuntersuchung, machst Sport, aber auch nicht zu intensiv (freie Radikale), nimmst Vitamine zu Dir, aber möglichst nicht künstlich (Finnland Studie) und auch nicht zu viel, könnte die Nieren belasten. Lüftest Du ausreichend? Du weißt doch, die Radioaktivität in den Räumen. Aber nicht zu lange, der Lärm von draußen, das ist purer Stress, weißt Du doch. Und überhaupt, Ernährung. Fleisch ist ja wohl nicht drin bei Dir, Darmkrebs und so. Ist das noch ganz gesund oder schon mittelgradig paranoid? Also nicht zu viele Sorgen machen und auch mal Fünfe gerade sein lassen. Lebe froh und leben heiter, wie der Spatz am Blitzableiter. Schade wenn man’s nicht kann, aber bloß nicht ärgern, ungeheuer schlecht fürs Herz. Depressionen sind ungesund. Guter Tipp, nicht? Und schon gar keinen Beziehungsstreit. Der pure Wahnsinn, gesundheitlich betrachtet. Gefährliche Sportarten machst Du ja wohl auch nicht, oder? Also Skifahren is nich, bestimmt nicht Abfahrt, Langlauf wenn’s hoch kommt und immer schön vorher zum Arzt, wegen Fitnesscheck. Und dann die kalte Luft, Gift für die Lungen.

Oder nimmst Du doch für das Zauberwort Lebensqualit… mööööp, gibt’s ja nicht für Dich. Also brichst Du auch mal aus, aus dem Vernunftkorsett, just for the taste of it? Wird im Detail eigentlich immer komplizierter. Oder wie löst Du das für Dich?

Gibt es da so Kriterien, die wirklich für alle gleichermaßen gelten? Oder hat jeder seine eigenen? Kann man das sagen, wie man leben sollte? Darf man anderen das vorschreiben? Warum (nicht)?
Rauchen ist ja wohl für alle blöd, nicht? Auch für Helmut Schmidt? Klar, der hätte 140 werden können.

ganimed hat geschrieben:Ein Forscher kann herausfinden, was genau beim Rauchen passiert und wie das Krebsrisiko ursächlich beeinflusst wird. Dann könnte er der Vollständigkeit halber noch eine Studie durchführen, um herauszufinden, ob die Menschen Krebs gut oder schlecht finden. Und schon kann er logisch einwandfrei schlußfolgern, dass Rauchen genau so doof ist wie der Krebs, den man dadurch bekommt.


Sagt der Nichtraucher. Motorradfahren ist auch doof. Viel zu riskant. Am besten man bleibt zu Hause, unter perfekten klimatischen Bedingungen auf seinem ergonomischen, knieschonenden Fitnessgerät.
Bewegung muss, Fett am Bauch, ganz schlecht, gerade für uns Männer.
Man kann sich auch ohne Risiko das Leben zur Hölle machen.
Aber Du wirst schon Deine Ideen haben, was kalkuliert ist und was nicht, was noch geht, Du wirst Deine Ziele haben, sowohl ein „Man sollte“ als auch ein „Ich will“, wenn man mal die angeblichen Unmöglichkeiten das zu formulieren großzügig übersieht.

ganimed hat geschrieben:Deine Argumente, dass die Bewertungsmaßstäbe (braune Haut ist gut) ja nicht ewig und überall gültig seien, sind völlig irrelevant. Dann muss der Forscher eben darauf achten, die Bewertungsmaßstäbe aus diesem Jahrzehnt zu verwenden und nicht jene aus dem vorletzten Jahrhundert.


Wenn heute das Gegenteil von gestern gut und richtig sein kann, was heißt das dann für uns und unsere Werte? Kann sich alles ändern? Doch keine moralischen Universalien? Oder nur manches? Und warum das eine, das andere aber nicht. Ist Mord oder nicht eine andere Frage als Scheitel oder nicht? Warum?
Was heißt es denn, dass man sich Werte gibt? Sagt das irgendwas aus, oder machte man das nur, weil Poker noch nicht erfunden war?

Du hast Recht, vieles ergänzt sich da, ganz wunderbar, man sollte das auch nicht gegeneinander ausspielen, aber eben auch nicht verwechseln.

ganimed hat geschrieben:Denkbar ist jedenfalls, dass der Forscher sorgfältig genug ist, das zu tun. Die kategorische Behauptung, dass Naturwissenschaften niemals deuten und bewerten könnten, ist jedenfalls völlig falsch.


Sie deuten und bewerten ständig, sie haben ja auch Werte, aber Naturwissenschaft hat als Naturwissenschaft nicht das Instrumentarium (nach Ansicht der meisten) um diese Fragen zu beantworten. Man hat es sehr wohl als Mensch. Wenn ein Forscher, der mit gefährlichen Substanzen arbeitet, sich fragt, ob er es verantworten kann, seine Ergebnisse zu veröffentlichen, dann tut er das, weil er ein Gewissen hat, aber das ist keine naturwissenschaftliche Fragestellung, die würde lediglich schauen, wie und ob man dies und das herstellen oder erklären kann. Ob man es sollte, steht in diesem Kontext schon nicht mehr zur Debatte. Ich meine nicht, dass die Wissenschaft oder die Wissenschaftler sich diese Fragen nicht stellen, nur sind und bleiben das ethische Fragen.

Mehr meine ich erst mal nicht.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Di 20. Nov 2012, 00:51

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Er müsste also irgendwie zeigen können, was die ganzen unterschiedlichen G-Token, aus denen sich der M-Typ Schmerz ergibt, im Innersten zusammenhält, was deren Gemeinsamkeit ist, wie man sie demnach von NICHT-G-Token (die keine M-Token "Schmerz" hervorrufen) unterscheiden könnte.

Moment mal. Was behauptet die Identitätstheorie? Sie behauptet doch lediglich, wenn ich richtig verstehe, dass jeder mentale Zustand durch genau einen Gehirnzustand erzeugt wird und deshalb mit ihm gleichzusetzen ist. Und dabei ist mit mentalem Zustand eben nicht "Schmerz" gemeint, das ist doch viel zu allgemein.

Nein, wer so etwas behauptet, (dass M-Token über G-Token supervenieren), ist "lediglich" ein Naturalist. (Wobei allerdings sehr strittig ist, ob das schon ausreicht für Naturalismus, viele meinen, dem wäre nicht so, d.h. das reiche noch nicht mal für Naturalismus. Und aus "Y wird durch X erzeugt" folgt noch lange nicht: X ist mit Y identisch.)

Die Identitätstheorie behauptet nun mehr als das, sie behauptet, dass M-Typen G-Typen seien.

Was Folgendes bedeutet, (ich habe mir oben etwas Mühe gegeben, das noch ausführlicher darzustellen, darauf bist Du aber nicht eingegangen): man müsste - zumindest theoretisch - aus einem gegebenen G-Token (Token = einzelnes Ereignis) den zugehörigen G-Typen (Typ = Generalisierung/Kategorisierung/Zusammenfassung von mehreren zusammen gehörigen Einzelereignissen) ableiten können und daraus wiederum den M-Typen; man müsste also G-Typ A (sagen wir mal "schmerzfrei sein") vom G-Typen B (z.B. "Schmerzen haben") unterscheiden können, und zwar, wie gesagt, nur durch Betrachtung des aktuellen G-Tokens, durch Kenntnis einer vollständigen und kompletten Beschreibung aller neuronalen/körperlichen/sonstigen beschreibbaren Vorgänge dieses G-Tokens.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es reicht nun nicht, einfach zu behaupten, das sei zwar theoretisch, aber nicht praktisch möglich. Man müsste das schon irgendwie besser begründen.

Ich finde die Theorie aber schon sehr naheliegend. Wenn ich weiß (und das stellen die Identitätstheorie-Gegner ja nicht in Frage, oder?), dass die M-Token durch irgendwelche G-Token erzeugt werden, dann ist doch anzunehmen, dass die Eigenschaften der Erzeugnisses (M-Token) etwas mit den Eigenschaften und Umständen des Erzeugers (G-Token) zu tun hat. Mit dem gleichen Erzeuger (Cola-Abfüllmaschine) bekomme ich tendenziell die gleichen Erzeugnisse (Cola). Ich finde es daher ebenfalls sehr begründenswert, wieso daran gezweifelt wird.

Oder mal anders formuliert: Das Multiple-Realisierungs-Argument stimmt nicht. Es gibt keinen mentalen Zustand, der von zwei verschiedenen Gehirnzuständen erzeugt wird. Wenn es doch einen mentalen Zustand M geben sollte, der durch zwei Gehirnzustände G1 und G2 erzeugt wird, dann handelt es sich lediglich um einen Wahrnehmungs- und Kategorisierungsfehler. Dann gibt es in Wirklichkeit die mentalen Zustände M1 und M2, M1 wird von G1 erzeugt und M2 von G2, und diese beiden unterschiedlichen mentalen Zustände wurden nur versehentlich zu einem Zustand M zusammengefasst.

Wenn man Naturalist ist, also nicht an Übernatürliches glaubt, dann ist man folgerichtig darauf festgelegt, zu glauben, dass zwei identische Gehirnzustände auch zwei identische mentale Zustände erzeugen. Ebenso wie zwei identische Cola-Abfüllmaschinen mit demselben Input dasselbe Zeugs erzeugen. Nur ist es aber so, dass auch zwei völlig unterschiedlich aufgebaute Abfüllmaschinen dieselbe Zucker-Soße erzeugen können und zweitens ist es höchstwahrscheinlich so, dass es niemals zwei identische Gehirnzustände gab, gibt und geben wird, (nicht so identisch, wie es Cola-Abfüllmaschinen einer bestimmten Baureihe sind).

Dein Argument, dass, wenn Gehirnzustände unterschiedlich sind, auch die mentalen Zustände unterschiedlich seien, ist nun falsch, weil, wenn es richtig wäre, daraus auch folgen würde, dass nicht zwei völlig unterschiedlich aufgebaute, d.h. unterschiedliche Materialien, unterschiedliche Mechanik etc. Abfüllmaschinen dieselbe süße Soße erzeugen könnten. Aber es gibt zumindest keinen logischen oder sonstigen Grund, warum das nicht gehen sollte.

Oder ein Beispiel aus dem Computerbereich: ein- und derselbe Algorithmus kann auf sehr vielfältige und unterschiedliche Weisen realisiert werden. Und da gibt es keinen Kategorisierungsfehler, daran ist nichts versehentlich, es ist sehr wohl ein- und derselbe Algorithmus, wenn jeweils aus denselben Eingaben dieselben Ausgaben erfolgen. Übrigens ist dieses Beispiel ganz gut geeignet, einige unterschiedlichen Ebenen zu charakterisieren: abstrakt beschriebene Problemstellung; konkreter Algorithmus für diese Problemstellung, (z.B. durch ein Struktogramm); Umsetzung des Algorithmus in eine höhere Programmiersprache; Umsetzung der Anweisungen der höheren Programmiersprache durch Kompilieren in Maschinensprache; Realisierungen von Hardware, die diese Maschinensprache ausführen kann; Ausführung der Maschinensprache auf einer konkreten Maschine. Zu jeder "höheren" Ebene gibt es nun (im Prinzip unendlich viele) Möglichkeiten, das auf die jeweils untere Ebene zu übertragen, d.h. multiple Realisierungen. Woraus folgt, dass die jeweils untere Ebene nicht die höhere Ebene ist, diese nicht sein kann, nicht mit dieser identisch sein kann. Die konkrete Maschine ist nicht die konkrete Realisierung der Maschinensprache, die konkrete Realisierung der Maschinensprache ist nicht die konkrete Realisierung der höhere Programmiersprache, usw., (denn das sind alles unterschiedliche Abstraktionsebenen).

Das Gehirn ist nun auch keine Maschine, es unterscheidet sich von Maschinen/Computern dadurch, dass sich nicht nur die "Software", (Gedanken, Erinnerungen, Wissen, Ziele, Motive, Strategien etc.), sondern auch die "Hardware" (die neuronalen Verschaltungen) permanent ändert, das Gehirn ist vielfach redundant und somit fehlertolerant(er als heutige Maschinen/Computer). Gehirnbereich A kann Aufgaben von Gehirnbereich B übernehmen, wenn B ausfällt.

Ganz streng genommen sind zwar auch nicht zwei Maschinen identisch, jedoch sind Maschinen absichtlich so konstruiert, dass sie ebenfalls eine gewisse Redundanz aufweisen, die Fehlerquote möglichst gering ist, dass es z.B. egal ist, ob die angelegte Spannung nun 4,2 oder 4,9 Volt beträgt, es wird dennoch "1" ausgegeben. Man kann also berechtigt sagen, dass zwei Maschinen/Computer, die bei ähnlicher Eingabe (innerhalb des jeweiligen eingebauten Fehlertoleranzrahmens) dieselbe Ausgabe erfolgt, diese Maschinen/Computer identisch sind. Kennst Du eine, kennst Du alle derselben Baureihe. D.h., man kann von einer bestimmten Eingabe auf eine bestimmte Ausgabe folgern.

Und die Frage wäre nun, ob man das analog bei Menschen auch kann - zumindest hypothetisch, wenn man ihren neuronalen/körperlichen Zustand über einen gewissen Zeitraum kennte - oder nicht. Zu sagen: "ja, ich glaube, das geht theoretisch" ist jedoch AFAIK heute nicht durch Fakten belegbar, bleibt also nur ein Glaube.

ganimed hat geschrieben:"Das schwierige Problem des Bewusstseins"
AgentProvocateur hat geschrieben:David Chalmers hat 1995 den Ausdruck vom „schwierigen Problem des Bewusstseins“ (the hard problem of consciousness) geprägt. Darunter versteht er die Frage, warum es überhaupt Erlebnisgehalte – oder Qualia – gibt. Warum tut es etwa weh, wenn ich mir mit einer Nadel in den Finger steche?

Ich nehme an, das dieser Herr Chalmers ziemlich schlau und belesen ist. Und wenn ich seine Frage sofort und einfach beantworten kann, dann kann ja irgendwas nicht stimmen. Also meine Frage an dich: woran liegt das, dass ich das schwierige Problem des Bewusstseins für recht problemlos halte?
Meine Antwort auf die Frage, wieso es Qualia gibt: Qualia sind in der Evolution entstanden, d.h. in sehr kleinen Entwicklungsschritten und unter einem Selektionsdruck. Es scheint daher naheliegend, dass Qualia zu haben irgendwie vorteilhaft ist, genau wie es vorteilhaft zu sein scheint, ein Bewusstsein zu haben. Wäre es nachteilig, so hätte sich das menschliche Gehirn in den letzten 2 Millionen Jahren sicher anders entwickelt. Eine Nadel im Finger tut also deshalb weh, weil unter den Selektionskriterien der menschlichen Entwicklung der letzten zig Millionen Jahre es meistens besser ist.

Ich finde es ja eigentlich spannend, zu erfahren, was Philosophen so alles an Argumenten gegen Reduktionismus und Neurobiologie haben. Aber ich bin doch regelmäßig ziemlich enttäuscht über diese Argumente. Entweder ich verstehe da was nicht richtig (was ja zugegebenermaßen höchstwahrscheinlich der Fall ist) oder Philosophen neigen zum Idiotismus (eine Erklärung, die ich noch nicht vollkommen ausgeschlossen habe).

Die Frage ist aber nicht, wieso es Qualia gibt. Die Frage ist, ob und was es für einen Unterschied macht, ob jemand Qualia empfindet oder nicht und ob und wie man das von außerhalb erkennen/messen kann. Chalmers hat dazu das Gedankenexperiment des "philosophischen Zombies" entwickelt. Ein solcher Zombie ist jemand, (nehmen wir beispielhaft den "Ganimed-Zombie"), der genauso handelt wie Du, innerlich und äußerlich absolut in Nichts unterscheidbar ist von Dir. Jedoch empfindet er nichts, er hat keine Gefühle, kein Bewusstsein. Und die spannende Frage ist, ob das hypothetisch möglich ist und wenn nicht, warum nicht.

Und da Du von Philosophie nicht so viel hältst, mal dieses (alte, von 2000, wenn ich mich nicht irre), Zitat von Hirnforschern:

Das Manifest der Gehirnforscher hat geschrieben:Zweifellos wissen wir also heute sehr viel mehr über das Gehirn als noch vor zehn Jahren. Zwischen dem Wissen über die obere und untere Organisationsebene des Gehirns klafft aber nach wie vor eine große Erkenntnislücke. Über die mittlere Ebene – also das Geschehen innerhalb kleinerer und größerer Zellverbände, das letztlich den Prozessen auf der obersten Ebene zu Grunde liegt – wissen wir noch erschreckend wenig. Auch darüber, mit welchen Codes einzelne oder wenige Nervenzellen untereinander kommunizieren (wahrscheinlich benutzen sie gleichzeitig mehrere solcher Codes), existieren allenfalls plausible Vermutungen. Völlig unbekannt ist zudem, was abläuft, wenn hundert Millionen oder gar einige Milliarden Nervenzellen miteinander "reden".

Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet; wie es die Welt so abbildet, dass unmittelbare Wahrnehmung und frühere Erfahrung miteinander verschmelzen; wie das innere Tun als "seine" Tätigkeit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in Ansätzen. Mehr noch: Es ist überhaupt nicht klar, wie man dies mit den heutigen Mitteln erforschen könnte. In dieser Hinsicht befinden wir uns gewissermaßen noch auf dem Stand von Jägern und Sammlern.

Da das wie gesagt, schon älter ist, wäre die Frage erst mal, ob sich da bis heute schon was getan hat, ob man da schon weitergekommen ist. Nach diesem alten Stand jedoch erscheint die Hoffnung, man könne diese Erkenntnislücke - die man "noch nicht mal in Ansätzen versteht" und bei der es "überhaupt nicht klar ist, wie man die heutigen Mitteln erforschen kann" - zukünftig sicher schließen, ziemlich unbegründet. Intellektuell redlich wäre mE in dem Falle, zu sagen: "kann sein oder auch nicht".
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Di 20. Nov 2012, 23:43

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Identitätstheorie behauptet nun mehr als das, sie behauptet, dass M-Typen G-Typen seien.

Ich habe Probleme mit der Identitätstheorie, mit der Definition der Begriffe. Inhaltlich ist mir klar, was mit der Aussage gemeint ist. Aber die Defintionen scheinen mir trotzdem unklar.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was Folgendes bedeutet, (ich habe mir oben etwas Mühe gegeben, das noch ausführlicher darzustellen, darauf bist Du aber nicht eingegangen): man müsste - zumindest theoretisch - aus einem gegebenen G-Token (Token = einzelnes Ereignis) den zugehörigen G-Typen (Typ = Generalisierung/Kategorisierung/Zusammenfassung von mehreren zusammen gehörigen Einzelereignissen) ableiten können und daraus wiederum den M-Typen; man müsste also G-Typ A (sagen wir mal "schmerzfrei sein") vom G-Typen B (z.B. "Schmerzen haben") unterscheiden können, und zwar, wie gesagt, nur durch Betrachtung des aktuellen G-Tokens, durch Kenntnis einer vollständigen und kompletten Beschreibung aller neuronalen/körperlichen/sonstigen beschreibbaren Vorgänge dieses G-Tokens.

Ein G-Token ist ein Gehirnzustand, also der Zustand aller Neuronen, die komplette Verschaltung, einfach alles. Ok. Aber meine brennende Frage ist: was ist ein G-Typ?

Ich biete mal eine Definition an: ein G-Typ ist die Menge aller G-Token, die ein M-Token erzeugen, welches zu einem M-Typ gehört, der dem G-Typ zugeordnet ist. Und ein M-Typ ist dann die Menge aller M-Token, die sich in etwa gleich anfühlen.

Du gibst mir jetzt also ein G-Token. Ok. Ich schaue in meiner Datenbank an bekannten G-Token nach und suche nach Ähnlichkeiten und finde dann einen wahrscheinlich passenden G-Typen. Die Datenbank sagt mir dann auch, welcher M-Typ dieser G-Typ ist und dann habe ich das Ergebnis. Das aber nichts wert ist, denn in beiden Fällen, ob richtig oder falsch, scheint mir die Identitätstheorie nicht gefährdet.
Fall 1) ich lag richtig. Dann scheint die Identitätstheorie also bestätigt.
Fall 2) ich lag falsch. Dann war meine Datenbank eben noch unvollständig. Ich sortiere das neue G-Token also in meine Datenbank unter dem richtigen G-Typ ein und werde diesen Fehler in Zukunft nicht mehr machen. Aber nur weil meine Datenbank unvollständig war (was angesicht schier unendlich vieler G-Token keine Überraschung ist) heißt das doch nicht, dass das Konzept falsch ist, oder?

Oder definierst du den G-Typen anders? Etwa als eine fehlerfreie Checkliste, die so gebaut ist, dass jedes G-Token, dass diese Checkliste komplett erfüllt, in diesen G-Typ gehört, und jedes andere nicht? Wieso sollte es möglich sein, so eine Checkliste für jeden G-Typen zu erstellen?

Kurzum: dein Gedankenexperiment mit der Zuordnungsaufgabe scheint mir kein Argument für oder gegen die Identitätstheorie zu sein.

Und das multiple-Realisierungs-Argument ist unabhängig davon immer noch Blödsinn in meinen Augen, aus den oben genannten Gründen.

Wenn also nichts gegen die Identitätstheorie spricht, na dann stimmt sie wohlmöglich (ich habe mir seit diesem Thread neulich mit den Diskussions-Resultaten angewöhnt, hin und wieder so zu tun, als könnte ich bereits ein Fazit ziehen. Um wenigstens ein vorläufiges Resultat zu erzielen. Das klappt ganz gut).

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn man Naturalist ist, also nicht an Übernatürliches glaubt, dann ist man folgerichtig darauf festgelegt, zu glauben, dass zwei identische Gehirnzustände auch zwei identische mentale Zustände erzeugen. Ebenso wie zwei identische Cola-Abfüllmaschinen mit demselben Input dasselbe Zeugs erzeugen. Nur ist es aber so, dass auch zwei völlig unterschiedlich aufgebaute Abfüllmaschinen dieselbe Zucker-Soße erzeugen können

Die beiden unterschiedlich aufgebauten Abfüllmaschinen sind dann zwei Abfüll-Token desselben Abfüll-Typs. Oder?

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Argument, dass, wenn Gehirnzustände unterschiedlich sind, auch die mentalen Zustände unterschiedlich seien, ist nun falsch, weil, wenn es richtig wäre, daraus auch folgen würde, dass nicht zwei völlig unterschiedlich aufgebaute, d.h. unterschiedliche Materialien, unterschiedliche Mechanik etc. Abfüllmaschinen dieselbe süße Soße erzeugen könnten. Aber es gibt zumindest keinen logischen oder sonstigen Grund, warum das nicht gehen sollte.

Das G-Token ist eine bestimmte Abfüllmaschine.
Das M-Token ist die damit abgefüllte konkrete Cola.
Der M-Typ ist das Getränk Cola (muss so aussehen, so schmecken und nach jeder üblichen chemischen Testmethode auch so sein).
Was ist nun der G-Typ? Das sind alle Maschinen, die Cola produzieren.
Dein Gegenargument wäre demnach falsch. Es ist zwar so, dass "auch zwei völlig unterschiedlich aufgebaute Abfüllmaschinen dieselbe Zucker-Soße erzeugen können", aber deshalb gehören sie zum gleichen G-Typ. Und dann stimmt wieder alles.

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage ist aber nicht, wieso es Qualia gibt. Die Frage ist, ob und was es für einen Unterschied macht, ob jemand Qualia empfindet oder nicht und ob und wie man das von außerhalb erkennen/messen kann.

Die Frage aus dem Artikel war gar nicht die Frage? :) Ok, aber die von dir formulierte Frage verstehe ich nicht ganz. Was meinst du mit Unterschied? In welcher Hinsicht soll es einen Unterschied machen? Bezogen auf die Empfindung hast du einen Unterschied ja bereits angegeben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Chalmers hat dazu das Gedankenexperiment des "philosophischen Zombies" entwickelt. Ein solcher Zombie ist jemand, (nehmen wir beispielhaft den "Ganimed-Zombie"), der genauso handelt wie Du, innerlich und äußerlich absolut in Nichts unterscheidbar ist von Dir. Jedoch empfindet er nichts, er hat keine Gefühle, kein Bewusstsein. Und die spannende Frage ist, ob das hypothetisch möglich ist und wenn nicht, warum nicht.

Schade, dass für eine so "spannende" Frage ein solch dämliches Gedankenexperiment erdacht wurde. Zumindest stört mich daran sehr, dass der Zombie angeblich in Nichts unterscheidbar ist von mir, aber per Definition doch sehr unterschiedlich ist. Das ist einfach ein dicker Widerspruch. Mit anderen Worten, das ist hypothetisch natürlich unmöglich.

Das Manifest der Gehirnforscher
AgentProvocateur hat geschrieben:Da das wie gesagt, schon älter ist, wäre die Frage erst mal, ob sich da bis heute schon was getan hat, ob man da schon weitergekommen ist.

Mal ehrlich. Glaubst du, dass man Rückschritte gemacht hat oder überhaupt nicht weitergekommen sei? Ohne einen guten Überblick zu haben, rate ich jedenfalls mal, dass man weitergekommen ist. Aber wie viel weiter und wie würden sich die Formulierungen des Manifests demnach heute darstellen? Keine Ahnung.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nach diesem alten Stand jedoch erscheint die Hoffnung, man könne diese Erkenntnislücke - die man "noch nicht mal in Ansätzen versteht" und bei der es "überhaupt nicht klar ist, wie man die heutigen Mitteln erforschen kann" - zukünftig sicher schließen, ziemlich unbegründet.

Hm. Das ist wohl einfach nur Geschmackssache, vermute ich. Wenn ich konstatiere, dass bisher (in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten) das Wissen streng monoton wächst, und wenn ich dann noch annehme, dass die Wissensmenge wenn man alle Erkenntnislücken geschlossen hätte, nicht unendlich ist, also dann sehe ich schon rein mathematisch keinen Grund, wieso sich die Lücken nicht schließen ließen. Siehst du einen?

Es mag ja sein, dass irgendwann Schluss ist und wir einfach prinzipiell nicht weiterkommen. Aber weder die Langsamkeit des jetzigen Weiterkommens noch die Länge des Weges sind Indikatoren dafür. Für die sehr gewagte Behauptung, die Wissenslücken ließen sich niemals schließen, braucht es viel bessere Gründe, Hinweise auf prinzipielle Schranken oder so etwas. Diese Hinweise sehe ich im Manifest nicht.

Was man heute nicht versteht (ob in Ansätzen oder woanders ist doch egal) wird man, bei streng monotoner Wissenszunahme, irgendwann verstehen. Und wenn heute nicht klar ist, wie man mit heutigen Mitteln was erforschen kann, wieso soll dann morgen nicht klar werden, welche morgigen Mitteln man am besten dazu nimmt?

Ich kann aus dem Manifest nur herauslesen: oj, oj, oj, das ist alles schwierig und wir stehen noch am Anfang.
Du scheinst herauszulesen: ui, ui, ui, das ist letztlich unmöglich und wir werden niemals ans Ziel kommen.
Ich finde, du liest das falsch.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mi 21. Nov 2012, 00:03

@Vollbreit: du hast viel geschrieben über die Probleme beim Umgang mit Zielkriterien und Bewertungsmaßstäben. Dass es sehr leicht wäre, hat niemand behauptet. Das nur Philosophen es können und Naturwissenschaftler prinzipiell nicht, das hat jemand behauptet. Aber ok, wenn du es nicht warst, habe ich dich eben falsch verstanden gehabt.

Vollbreit hat geschrieben:Sie deuten und bewerten ständig, sie haben ja auch Werte, aber Naturwissenschaft hat als Naturwissenschaft nicht das Instrumentarium (nach Ansicht der meisten) um diese Fragen zu beantworten.

Aha, da scheint mir wieder der Kern zu sein. Diese Behauptung - der Naturwissenschaftler bewerte zwar, aber nur als Privatmensch, weil die Naturwissenschaft kein Instrumentarium böte - da widerspreche ich.

Ein Wissenschaftler kann beispielsweise eine Liste von 20 Werten aufschreiben und dann 1000 Leute befragen, welche dieser Werte ihnen am wichtigsten sind. Danach kann er auswerten und kommt evtl. zu Aussagen, welche Werte den Menschen am wichtigsten sind. Er veröffentlicht das und andere Forscher können das in eigenen Studien bestätigen oder widerlegen oder verfeinern. Ich frage dich also, wie du nur darauf kommst, dass Naturwissenschaft kein Instrumentarium hätte, Fragen nach oder zu Werten zu beantworten?
Und übrigens: welches Instrumentarium haben denn eigentlich die Philosophen, wenn ich mal fragen darf?
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 21. Nov 2012, 00:20

ganimed hat geschrieben:Ein G-Token ist ein Gehirnzustand, also der Zustand aller Neuronen, die komplette Verschaltung, einfach alles. Ok. Aber meine brennende Frage ist: was ist ein G-Typ?

Ich biete mal eine Definition an: ein G-Typ ist die Menge aller G-Token, die ein M-Token erzeugen, welches zu einem M-Typ gehört, der dem G-Typ zugeordnet ist. Und ein M-Typ ist dann die Menge aller M-Token, die sich in etwa gleich anfühlen.

Nein, nicht ganz. Man muss zusätzlich eine wie auch immer geartete Beziehung zwischen den Token herstellen können, bzw. eine Verfahrenvorschrift kennen, wie man einen X-Typen von einem [NICHT]-X-Typen unterscheiden kann. Ein Typ ist nicht lediglich die Auflistung aller Token, zwischen denen man aber keine Beziehung herstellen kann. Denn das würde nichts bringen: dann könnte es nämlich unendlich viele andere (zusammenhanglose) Token geben, die man noch nicht kennt. Das Interessante wäre aber, die Gemeinsamkeiten aller Token zu finden, damit man eben bei einem zukünftigen, bisher unbekannten Token sagen könnte: dieses Token gehört zu dem und dem Typen. So, wie wenn man wie in meinem Beipiel oben auch aus einer bisher unbekannten Maschine ableiten könnte, welche Ausgabe X bei der Eingabe Y erfolgen würde. Mit anderen Worten: man müsste den zugrundeliegenden Mechanismus finden.

ganimed hat geschrieben:Die beiden unterschiedlich aufgebauten Abfüllmaschinen sind dann zwei Abfüll-Token desselben Abfüll-Typs. Oder?

Ja, na klar.

ganimed hat geschrieben:Das G-Token ist eine bestimmte Abfüllmaschine.
Das M-Token ist die damit abgefüllte konkrete Cola.
Der M-Typ ist das Getränk Cola (muss so aussehen, so schmecken und nach jeder üblichen chemischen Testmethode auch so sein).
Was ist nun der G-Typ? Das sind alle Maschinen, die Cola produzieren.
Dein Gegenargument wäre demnach falsch. Es ist zwar so, dass "auch zwei völlig unterschiedlich aufgebaute Abfüllmaschinen dieselbe Zucker-Soße erzeugen können", aber deshalb gehören sie zum gleichen G-Typ. Und dann stimmt wieder alles.

Ja, klar, die Abfüllmschinen gehören zum selben G-Typen, aber die Übertragung auf mentale Zustände funktioniert nun nicht. Bei den Abfüllmaschinen kannst Du ja problemlos chemisch messen, ob die erzeugte Zusammensetzung der Cola gleich ist, bei mentalen Zuständen kannst Du das (zumindest bisher - und man hat, wie gesagt, AFAIK noch nicht mal den Hauch einer Ahnung, wie man das messen könnte) nicht. Das ist doch der Punkt hier.

ganimed hat geschrieben:Schade, dass für eine so "spannende" Frage ein solch dämliches Gedankenexperiment erdacht wurde. Zumindest stört mich daran sehr, dass der Zombie angeblich in Nichts unterscheidbar ist von mir, aber per Definition doch sehr unterschiedlich ist. Das ist einfach ein dicker Widerspruch. Mit anderen Worten, das ist hypothetisch natürlich unmöglich.

Warum? Inwiefern ein "dicker" Widerspruch, (zu was)? Wieso "natürlich"?

Das ist die spannende Frage hier.

ganimed hat geschrieben:Ich kann aus dem Manifest nur herauslesen: oj, oj, oj, das ist alles schwierig und wir stehen noch am Anfang.
Du scheinst herauszulesen: ui, ui, ui, das ist letztlich unmöglich und wir werden niemals ans Ziel kommen.
Ich finde, du liest das falsch.

Nein, so lese ich das mitnichten und das habe ich, meine ich zumindest, auch sehr deutlich gesagt: ich meine vielmehr, dass, wenn man erkanntermaßen heute keine Aussage über die Zukunft bezüglich X machen kann, man dann auch keine treffen sollte. Weder: "X ist prinzipiell unmöglich", noch: "X ist prinzipiell möglich".

Sowieso kann man Aussagen nur auf heutigem Stand treffen. Mag schon sein, dass es uns morgen wie Schuppen aus den Haaren fällt und wir morgen die Lösungen für alle auch nur denkbaren heute noch als völlig unlösbar erscheinenden Fragen finden. Aber das wäre nur fruchtlose Spekulation und somit wenig wissenschaftlich, (zu behaupten, das würde eintreten oder zu behaupten, das könne nicht geschehen).

Der Punkt ist jedoch: nach heutigem Stand der Erkenntnis gibt es sehr wohl die Erkenntnislücke zwischen dem physikalischen Weltgeschehen und Bewusstsein/Qualia.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mi 21. Nov 2012, 00:58

AgentProvocateur hat geschrieben:Man muss zusätzlich eine wie auch immer geartete Beziehung zwischen den Token herstellen können, bzw. eine Verfahrenvorschrift kennen, wie man einen X-Typen von einem [NICHT]-X-Typen unterscheiden kann. ... Mit anderen Worten: man müsste den zugrundeliegenden Mechanismus finden.

Also doch das mit der Checkliste. Aber wieso um Himmels Willen? Wo steht das in dem Wikipedia-Artikel zu Identitätstheorie oder multiple-Realisierungs-Argument? Ich sehe es nicht. Hast du dir diese Forderung am Ende nur ausgedacht?

AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, klar, die Abfüllmschinen gehören zum selben G-Typen, aber die Übertragung auf mentale Zustände funktioniert nun nicht. Bei den Abfüllmaschinen kannst Du ja problemlos chemisch messen, ob die erzeugte Zusammensetzung der Cola gleich ist, bei mentalen Zuständen kannst Du das (zumindest bisher - und man hat, wie gesagt, AFAIK noch nicht mal den Hauch einer Ahnung, wie man das messen könnte) nicht. Das ist doch der Punkt hier.

Das ist der Punkt und der geht an mich. Die multiple-Realisierung behauptet doch gerade, dass zwei G-Typen zu einem M-Typ führt. Jetzt räumst du ein, dass man den M-Typ gar nicht genau bestimmen kann. Ja was denn nun? Dann ist doch die Behauptung aus dem Argument flöten? Denn zwei verschiedene G-Typen führen nach der Theorie zu zwei verschiedenen M-Typen. Wenn du das widerlegen willst, musst du schon messen, ob die zwei verschiedenen M-Typen doch einer sind.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:... in Nichts unterscheidbar ist von mir, aber per Definition doch sehr unterschiedlich ist ...
Warum? Inwiefern ein "dicker" Widerspruch, (zu was)? Wieso "natürlich"?

Wenn etwas gleichzeitig nicht unterscheidbar und doch sehr unterschiedlich ist, den Widerspruch siehst du nicht? Verblüffend.

AgentProvocateur hat geschrieben:ich meine vielmehr, dass, wenn man erkanntermaßen heute keine Aussage über die Zukunft bezüglich X machen kann, man dann auch keine treffen sollte. Weder: "X ist prinzipiell unmöglich", noch: "X ist prinzipiell möglich"

So nach dem Motto: was man nicht genau weiß, soll man auch nicht sagen? Alle Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten sollen verboten werden? Nein, nein, das erscheint mir doch Unsinn. Natürlich kann man nicht wissen, bis wohin wir eines Tages kommen werden. Aber ich kann raten. Und die bisherige Entwicklung legt meines Erachtens nahe, dass wir es eines Tages schaffen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nach diesem alten Stand jedoch erscheint die Hoffnung ... ziemlich unbegründet.

Ich habe die Hoffnung begründet. Der Wagen ist bisher immer weiter gefahren (wenn auch vielleicht nicht besonders schnell) und der Weg ist endlich (wenn auch vielleicht sehr weit). Es ist natürlich nur eine Hoffnung, keine Gewissheit, aber begründet ist sie. Und ich lese vor allem, und darum ging es dir doch wohl, eben keine Gründe aus dem Manifest, diese Hoffnung nicht zu haben.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mi 21. Nov 2012, 01:06

ganimed hat geschrieben:@Vollbreit: du hast viel geschrieben über die Probleme beim Umgang mit Zielkriterien und Bewertungsmaßstäben. Dass es sehr leicht wäre, hat niemand behauptet. Das nur Philosophen es können und Naturwissenschaftler prinzipiell nicht, das hat jemand behauptet. Aber ok, wenn du es nicht warst, habe ich dich eben falsch verstanden gehabt.


Ich meine es eigentlich ganz technisch.
So wie man sagen kann, dass es nicht Aufgabe der Physik ist zu bestimmen, ob jemand Windpocken hat, so ist es nicht Aufgabe der Naturwissenschaft über Werte zu debattieren. Nicht weil sie nicht darf oder sollte, sondern weil sie es nicht auf dem Schirm hat, ihr fehlt das Vokabular und das Instrumentarium. Genauso würde niemand zum Philosophen gehen, der etwas über Trittschalldämmung wissen möchte, auch wenn es natürlich sein kann, das ein Philosoph, weil er gerade gebaut und sich damit beschäftigt hat, vorzüglich Auskunft geben kann. Aber dann eben nicht in seiner Eigenschaft als Philosoph, sowie eine Naturwissenschaftler einen differenzeirten ethishen Standpunkt entwicklen kann, aber eben nicht abgeleitet auch Physik oder Hirnforschung

ganimed hat geschrieben:Aha, da scheint mir wieder der Kern zu sein. Diese Behauptung - der Naturwissenschaftler bewerte zwar, aber nur als Privatmensch, weil die Naturwissenschaft kein Instrumentarium böte - da widerspreche ich.

Ein Wissenschaftler kann beispielsweise eine Liste von 20 Werten aufschreiben und dann 1000 Leute befragen, welche dieser Werte ihnen am wichtigsten sind.


Ja, das ist ein deskriptiver Ansatz.
37% der Leute finden Selbstmord blöd und 37% der Leute finden Schimmelkäse blöd. Kann sein.

ganimed hat geschrieben:Danach kann er auswerten und kommt evtl. zu Aussagen, welche Werte den Menschen am wichtigsten sind.


Sicher, das tut z.B. die Moralpsychologie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Moralpsychologie (kurz und knapp)

ganimed hat geschrieben:Er veröffentlicht das und andere Forscher können das in eigenen Studien bestätigen oder widerlegen oder verfeinern.


Kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen.
Viele Amerikaner finden die Todesstrafe gut.
Auf dem Campingplatz in Bozen liegen die Toiletten separat.
Wenn Menschen denken, dass es keinen freien Willen gibt, betrügen sie öfter, als wenn sie meinen, der Wille sei frei.
Und?

ganimed hat geschrieben:Ich frage dich also, wie du nur darauf kommst, dass Naturwissenschaft kein Instrumentarium hätte, Fragen nach oder zu Werten zu beantworten?


Das normative Sollen spielen in ihrer Herangehensweise keine Rolle.

ganimed hat geschrieben:Und übrigens: welches Instrumentarium haben denn eigentlich die Philosophen, wenn ich mal fragen darf?


Die Frage danach, ob man alles was man tun kann auch tun sollte, zum Beispiel.
Es ist ein Unterschied, ob man nachher sagen kann, dass 37% der Bundesbürger meinen, dass man alles was man tun kann, auch tun sollte, oder ob man versucht Argumente oder Begründungen für seine Position zu entwickeln.

Wenn ich sage, dass ich (nicht) meine, dass man alles, was man tun kann auch tun sollte, weil… kann man versuche Gegenargumente zu dieser Position zu entwickeln.
Wenn ich höre dass 37% dafür sind, ist das keine Wertediskussion, sondern eine Information wie die, über die Höhe des Matterhorns.

80% meines Gehirns, das mir suggeriert ein Ich zu sein, sind jetzt müde und wüschen den mitlesenden Neuronen eine gute Nacht.
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