Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leisten?

Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon provinzler » Sa 8. Sep 2012, 14:35

@Nanna:
Es muss sich in manchen Fällen ja auch gar nicht um für unsere Begriffe große Summen gehen. Mir sind schon Fälle zu OHren gekommen (allerdings von Anfang der 90er) wo Leute aus afrikanischen Ländern hier die Staatsknete abgegriffen haben (nach hiesigem Maßstab sicherlich nicht viel), nach hiesigem Maßstab von der Hand in den Mund lebten, monatlich 200 oder 300 DM in die Heimat schickten, wo die Familie dann zu dortig niedrigen Preisen alle paar Monate ein Mietshaus kaufte, und man nach 8 oder 10 Jahren als reicher Mann zurückkehrte. ICh glaube aber ebenfalls nicht, dass sowas das Hauptproblem der deutschen Staatsfinanzen ist.
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon Nanna » Sa 8. Sep 2012, 15:53

Dass das Ausnutzen absolut verwerflich ist, da stimme ich dir zu - wobei ich sagen muss, dass ich in dem von dir geschilderten Fall das sogar als indirekte Entwicklungshilfe durchgehen lassen könnte, wenn da ein paar arme Familien von den Brotkrumen, die wir reiche westliche Gesellschaften fallen lassen, in Afrika zu ein bisschen Immobilienbesitz kommen. Der Hauptpunkt ist aber ja die Frage, inwiefern sich ein Wohlfahrtssystem finanzieren lässt und da scheint die Erschleichung von Transferleistungen kein wesentliches Problem zu sein.

Mal eine Frage an die beiden Libertären hier: Wenn jemand wirtschaftlich in Not kommt und mangels Ausbildung nirgendwo eingestellt wird (ein Unternehmen gründen fällt ja mangels Startkapital und Fähigkeit, das zu produktiv einzusetzen, wäre es vorhanden, auch weg), wie sichern dann die Libertären einen grundlegenden Lebensstandard für solche Personen und wie kommen diese Leute dort an die entsprechenden Fähigkeiten zur Reintegration in den Arbeitsmarkt? Gibt es da überhaupt Solidarkonzepte?
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon provinzler » Sa 8. Sep 2012, 16:54

Nanna hat geschrieben:Mal eine Frage an die beiden Libertären hier: Wenn jemand wirtschaftlich in Not kommt und mangels Ausbildung nirgendwo eingestellt wird (ein Unternehmen gründen fällt ja mangels Startkapital und Fähigkeit, das zu produktiv einzusetzen, wäre es vorhanden, auch weg), wie sichern dann die Libertären einen grundlegenden Lebensstandard für solche Personen und wie kommen diese Leute dort an die entsprechenden Fähigkeiten zur Reintegration in den Arbeitsmarkt? Gibt es da überhaupt Solidarkonzepte?


Im Grunde beschreibst du da grade einen Teil des Problems, dass Spanien grade hat. Dort haben in den Boomjahren junge Leute die Schule abgebrochen, weil man aufm Bau gut verdienen konnte.
Es gibt allerdings Modelle mit denen sich solche Dinge regeln lassen. Man denke etwa an das Konzept der dualen Studiengänge. Das Konzept lässt sich prinzipiell natürlich auch auf andre Formen der Aus- und/oder Weiterbildung übertragen. Schwierig wirds dann, wenn jemand körperlich oder geistig nicht dazu in der Lage ist.
Darüber hinausgehende Hilfen in unterschiedlicher Form wirds aber unabhängig davon wohl immer geben müssen. Die Frage ist letztlich wie man das organisieren will (ob auf freiwilliger oder auf Zwangsbasis) und welchen Umfang solche Dinge haben sollten (Gehört der monatliche Puffbesuch zum Existenzminimum wie vor JAhren einer einzuklagen versuchte oder nicht). Libertäre neigen eher dazu (eine einheitliche Linie gibts da auch nicht) freiwilligen Kanälen Vorrang vor offiziellen zu geben, und letztere auf ein absolutes Minimum zu beschränken.
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon stine » Sa 8. Sep 2012, 19:04

mat-in hat geschrieben:Es gibt schöne Studien, daß religiöse weniger spenden (angebotene erklärung: sie sehen das als läßtige Pflicht) als Atheisten...
Atheisten müssen ihr schlechtes Gewissen beruhigen :mg:

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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon stine » Sa 8. Sep 2012, 20:24

Nanna hat geschrieben:Mal eine Frage an die beiden Libertären hier: Wenn jemand wirtschaftlich in Not kommt und mangels Ausbildung nirgendwo eingestellt wird (ein Unternehmen gründen fällt ja mangels Startkapital und Fähigkeit, das zu produktiv einzusetzen, wäre es vorhanden, auch weg), wie sichern dann die Libertären einen grundlegenden Lebensstandard für solche Personen und wie kommen diese Leute dort an die entsprechenden Fähigkeiten zur Reintegration in den Arbeitsmarkt? Gibt es da überhaupt Solidarkonzepte?
Es sind wenige, die mangels geistiger oder körperlicher Fähigkeiten vom Staat versorgt werden müssen. Mehr werden es schon, wenn man die Opfer eines ständig mehr fordernden, bis hin zu einem überfordernden, Markt dazu nimmt. Große Konzerne sind heute von sozialverträglichen Abbaumaßnahmen soweit entfernt wie noch nie zuvor. Gewerkschaften streiten dort sozusagen nur noch für die "Hinterbliebenen" und fordern für diese oft aberwitzige Lohnzuwächse. (Beispiel Siemens: Nachdem sie 6000 Leute erfolgreich entlassen haben, bekamen die noch Verbliebenen eine einmalige Sonderzahlung wegen guter Jahresbilanzen :kopfwand: )
Kleine und mittelständische Unternehmen werden von der Bürokratie erdrückt und mancher Unternehmer verlagert seine Produktion dann schon lieber mal ins Ausland.
Die Situation ist so komplex, dass keine (Einzel-) "Reform" sie schnell und nachhaltig zum Besseren verändern könnte.

Meine ganz persönliche Meinung ist, dass heute auf dem Arbeitsmarkt viel mehr nach bester (Aus)Bildung und Titel verlangt wird, als noch vor ca. 20 Jahren. Die Stammhauskarriere nach Lehrberuf ist so gut wie nicht mehr möglich und der Run auf die bessere Bildung erlaubt es den Unternehmen ganz spezifische Vorraussetzungen auf eine Stelle zu fordern. Oftmals so spezifisch, dass nur ein einziger dafür in Frage kommt und sich viele andere eine Bewerbung auf die Stelle gleich ganz sparen. Die Firmen bilden nicht mehr aus, weil sie das nicht mehr nötig haben. Der Ruf nach guten Facharbeitern geht ins Ausland oder an die Arbeitsvermittler. Die Leute sind billiger und williger und haben keine Gewerkschaft im Nacken.

Andererseits leben wir heute auch mit dem Begriff der Überqualifikation. Wer viel kann und viel weiß, darf sein Geld als Staplerfahrer nicht mehr verdienen. Das siebt den Geist auf der unteren Schiene der Tätigkeiten aus, was dann wiederrum andere davor abhält, ihr Glück überhaupt erst auf dem Gebiet zu versuchen.

Was wäre also eine Lösung? Ehrlichere Anforderungen auf die zu besetzenden Stellen, wieder mehr Lehrlinge in den Firmen direkt ausbilden, jeden das machen lassen, wozu er sich in der Lage sieht (auch wenn er früher mal Direktor war, darf er Stapler fahren und wer Grammatik und deutsche Rechtschreibung beherrscht, darf auch ohne Mathematikstudium bei der Versicherung Briefe an die Kunden tippen), die Lohnnebenkosten auf ein erträgliches Maß zurückschrauben und die unteren Lohngruppen steuerfrei halten. Der hartz4-Empfänger darf nicht mehr Einkommen haben, als der Arbeitnehmer (das betrifft insbesondere die Wohnverhältnisse). Migranten müssen zeitnah ihre Arbeitserlaubnis erhalten.
Und ganz wichtig: Junges Unternehmertum fördern, nicht ausbremsen! (Hier sind insbesondere die Banken gefragt)

Vom Aufstocken der Löhne mit Steuergeldern halte ich übrigens gar nichts, weil es die Firmen dazu bringt, billige Arbeitskräfte auf Staatskosten zu beschäftigen. Die Politik hat im übrigen dafür zu sorgen, dass die Abwanderung deutscher Firmen ins Ausland nicht leichter gemacht wird, als sie sowieso schon ist. (Die Innungen beraten immer noch in die falsche Richtung) Auch hier im Lande gibt es Menschen, die "einfache" Arbeit brauchen oder auf ein familiäres Zusatzeinkommen angewiesen sind. Steuervorteile auf Energieprodukte (hier insbesondere Solarenergie) dürfen nur dann an den Endverbraucher gezahlt werden, wenn heimische Produkte gewählt wurden.
Klar, ich weiß, wir sind Exportweltmeister, aber das hilft uns gar nichts, wenn wir unser Know How in Ausland verscherbeln und unsere Menschlichkeit dabei auf der Strecke bleibt.

Wer hats gesagt?
Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt!

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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon mat-in » Sa 8. Sep 2012, 21:30

stine hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Es gibt schöne Studien, daß religiöse weniger spenden (angebotene erklärung: sie sehen das als läßtige Pflicht) als Atheisten...
Atheisten müssen ihr schlechtes Gewissen beruhigen

Ja und sind sich ihrer Sünde bewußt und wollen den Zorn gottes von sich ablenken... haha.
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon webe » So 9. Sep 2012, 20:27

Es gibt durchaus eine nicht kleine Zahl von akademisch geschulten Leuten, die im leitungsbereich tätig waren und jetzt Hartz-Geld empfangen. Das Jobcenter hat so gar für jene Klientel eigene Berater im Katalog.
Wenn ein Unternehmen baden geht, erwischt es auch die leitende Angestellten neben dem Fussvolk.
Es wird einem vorgegaugelt, dass wenn Firmen dicht machen, gleich neue Arbeitsplätze sich aufbauen. Wenn das so stimmt, dann haben wir keine Wirtschaftskrise, sondern nur ein Umbau.

stine und Gandolf:
Könntes Ihr persönlich mit jenem Hartzgeld auskommen und ein für Euch befriedigdes Leben führen? Hier wird suggeriert, als ob man durch Hartz-Geld reicher und besser lebt, als mancher Unternehmer. Wenn das so zutrifft, dann streicht man die Renten- und Beamtenversorgungsbezüge.

Jeder verantwortungsbewusste Mensch weiss, dass Kinder Geld kosten. Sicherlich habt auch Ihr gewisse Unkosten als Solches verursacht, was wohl ein Hartzempfänger so nicht tragen könnte.

Sicherlich gibt es momentan zu unserer Politikausrichtung, ausser einigen Nachverbesserungen, keine bestehende Alternativform.
Aber in einer Gesellschaftsform, wo man Minderjährigen die Vorhaut klauen darf, muss einiges in Zweifel gestellt werden; ebenso wenn der Wohlfahrtsstaat in Richtung Oberklasse nicht aber dafür in Unterklasse hinterfragt werden will!

stine, Gandolf, hier will niemand Eure Villen oder Yachten klauen, sondern fes muss einfach nicht sein, das Besitzer von Dagoberts-Duck-Geldspeicher kaum Abgaben entrichten müssen.
Hier geht es nicht um links oder halblinks, sondern um Gerechtigkeit!
Und braucht die Gesellschaft die Dagobert-Duck-Elite? Ich sage Nein!
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon mat-in » Mo 10. Sep 2012, 07:07

Das Geld ist - kann ich aus eigener Erfahrung sagen - verdammt wenig. Und dann geht man endlich (nachdem man andere Jobs vom Jobcenter unter Strafandrohung verboten bekam!) arbeiten auf 400 Euro Basis und bekommt 320 von diesem Geld abgezogen. Geht also Effektiv für 80 Euro/Monat Halbtags arbeiten... ich denke letzteres ist eher der Punkt warum ein par Leute sagen: Leck mich am Arsch, ich geh nicht arbeiten.
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon provinzler » Mo 10. Sep 2012, 14:06

mat-in hat geschrieben:Das Geld ist - kann ich aus eigener Erfahrung sagen - verdammt wenig. Und dann geht man endlich (nachdem man andere Jobs vom Jobcenter unter Strafandrohung verboten bekam!) arbeiten auf 400 Euro Basis und bekommt 320 von diesem Geld abgezogen. Geht also Effektiv für 80 Euro/Monat Halbtags arbeiten... ich denke letzteres ist eher der Punkt warum ein par Leute sagen: Leck mich am Arsch, ich geh nicht arbeiten.

Nur so aus Neugierde: Warum wurden die andren Jobs verboten?
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon stine » Mo 10. Sep 2012, 14:39

webe hat geschrieben:Könntes Ihr persönlich mit jenem Hartzgeld auskommen und ein für Euch befriedigdes Leben führen? Hier wird suggeriert, als ob man durch Hartz-Geld reicher und besser lebt, als mancher Unternehmer.
Ja, könnte ich. Besser gesagt, ich habe auch nicht mehr in der Hand, weil ich meine Miete und die NK selber zahlen muss.
Außerdem war nicht die Rede von ...geht besser, als einem Unternehmer..., sondern es war immer die Rede davon, dass jemand schon "gut" verdienen muss, um genauso leben zu können, bei gleich großem Wohungsanspruch.
Wer mit Hartz4 nicht auskommt, wird sich weiter bemühen, einen Job zu finden, aber einigen reicht es eben, wie es ist. Ich kenne auch Beispiele, wo man vorgibt "Alleinerziehend" zu sein, weil die Unterkunft und Hartz4 mit einem nicht gemeldeten Zuverdiener locker ausreicht.

webe hat geschrieben:...ebenso wenn der Wohlfahrtsstaat in Richtung Oberklasse nicht aber dafür in Unterklasse hinterfragt werden will!
:o0: wie meinen?

webe hat geschrieben:stine, Gandolf, hier will niemand Eure Villen oder Yachten klauen, sondern fes muss einfach nicht sein, das Besitzer von Dagoberts-Duck-Geldspeicher kaum Abgaben entrichten müssen.
Hier geht es nicht um links oder halblinks, sondern um Gerechtigkeit!
Und braucht die Gesellschaft die Dagobert-Duck-Elite? Ich sage Nein!
Also ob Gandalf eine Yacht hat, weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls keine. Ein Schlauchboot vielleicht, aber das wars dann auch schon.
Dagobert-Ducks-Geldspeicher braucht vielleicht niemand, aber es braucht Unternehmer, weil es nur Arbeit gibt, wenn es Unternehmer gibt. Die Verantwortung, die man als Unternehmer zu tragen hat und die Zeit, die man wirklich für sein Unternehmen selber arbeitet ist enorm. Ich denke auch, dass die Zeiten vorbei sind, wo Arbeitnehmer sich stundenweise in ein Unternehmen eingebracht und dann nach Feierabend die Sintflut heraufbeschworen haben. Engagement und Eigenverantwortung sind gefragter denn je. Ich kenne Leute, die sind mit ihrem Unternehmen verheiratet und andere suchen ihren Arbeitgeber auszunehmen und zu übervorteilen wo es geht. Das alles muss ein Unternehmer, ein Unternehmen, aushalten.

Die sogenannte "Gerechtigkeit" ist, wenn jeder bekommt, was er verdient. Wenn alle das Gleiche bekommen, egal auf welchem Weg, dann ist das sozial ungerecht und dient nicht dem sozialen Frieden untereinander.

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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon Nanna » Mo 10. Sep 2012, 22:00

stine hat geschrieben:Die sogenannte "Gerechtigkeit" ist, wenn jeder bekommt, was er verdient.

Ja, aber das ist doch eine Tautologie, wenn du es so formulierst. Mit welchen Kriterien wird denn bestimmt, was jemand "verdient", also was angemessen für seine Tätigkeiten ist? Wer bestimmt das? Der Markt? Der treibt seltsame Blüten, da können Leute für relativ unproduktive Tätigkeiten (seltene Briefmarken versteigern) viel Geld verdienen, wohingegen eine Pflegekraft sich psychisch, physisch und finanziell zu Grunde richten kann, ohne groß etwas "falsch" gemacht zu haben. Der Staat? Versteigt sich auch zu einem manchmal seltsamen Verteilungsverhalten. Eine Mischung? Vielleicht schon eher, aber das löst das Problem der Kriterien nicht, an denen wir ermessen können, ob ein Verdienst nun angemessen ist oder nicht.

Ich denke, das bedarf weiterer Klärung, in der jetzigen Formulierung schiebst du das Problem einfach nur eine Vokabel weiter.
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon provinzler » Mo 10. Sep 2012, 22:44

Nanna hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Die sogenannte "Gerechtigkeit" ist, wenn jeder bekommt, was er verdient.

Ja, aber das ist doch eine Tautologie, wenn du es so formulierst. Mit welchen Kriterien wird denn bestimmt, was jemand "verdient", also was angemessen für seine Tätigkeiten ist? Wer bestimmt das? Der Markt? Der treibt seltsame Blüten, da können Leute für relativ unproduktive Tätigkeiten (seltene Briefmarken versteigern) viel Geld verdienen, wohingegen eine Pflegekraft sich psychisch, physisch und finanziell zu Grunde richten kann, ohne groß etwas "falsch" gemacht zu haben. Der Staat? Versteigt sich auch zu einem manchmal seltsamen Verteilungsverhalten. Eine Mischung? Vielleicht schon eher, aber das löst das Problem der Kriterien nicht, an denen wir ermessen können, ob ein Verdienst nun angemessen ist oder nicht.

Ich denke, das bedarf weiterer Klärung, in der jetzigen Formulierung schiebst du das Problem einfach nur eine Vokabel weiter.


Pflegekräfte sind aber ein denkbar schlechtes Beispiel, weil dieser "Markt" von der gesetzlichen Pflegeversicherung als Nachfrager de facto kontrolliert wird...
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon Nanna » Mo 10. Sep 2012, 23:25

Im Grunde ist das Beispiel fast egal, weil auch zwischen einem Operations Manager und einem Controller u.U. eine Lohnlücke klafft, die schwerlich in ein objektives Raster eingepasst werden kann. Der Markt regelt effizient den Bedarf, aber in sozialen Beziehungen zählt nunmal nicht nur die Erfüllung halbwegs objektiv bestimmbarer Bedürfnisse (wenn ein Bedarf an Autos besteht und keiner an Holzschuhen, verdient der Autohändler mehr als der Forstwirt) und Gerechtigkeit geht als Begriff nunmal weit über die durch die Marktwirtschaft erfüllbaren materiellen Bedürfnisse hinaus. Im Umkehrschluss heißt das natürlich auch, dass Gerechtigkeit sich allein über materielle Andersverteilung nicht schaffen lässt, weshalb wir auch klären sollten, ob wir über Gerechtigkeit im Allgemeinen oder "nur" Verteilungsgerechtigkeit von Ressourcen und Gütern sprechen. Das ist für sich genommen auch immer noch kompliziert und vieldeutig genug.
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon provinzler » Mo 10. Sep 2012, 23:37

Nanna hat geschrieben:Im Grunde ist das Beispiel fast egal, weil auch zwischen einem Operations Manager und einem Controller u.U. eine Lohnlücke klafft, die schwerlich in ein objektives Raster eingepasst werden kann. Der Markt regelt effizient den Bedarf, aber in sozialen Beziehungen zählt nunmal nicht nur die Erfüllung halbwegs objektiv bestimmbarer Bedürfnisse (wenn ein Bedarf an Autos besteht und keiner an Holzschuhen, verdient der Autohändler mehr als der Forstwirt) und Gerechtigkeit geht als Begriff nunmal weit über die durch die Marktwirtschaft erfüllbaren materiellen Bedürfnisse hinaus. Im Umkehrschluss heißt das natürlich auch, dass Gerechtigkeit sich allein über materielle Andersverteilung nicht schaffen lässt, weshalb wir auch klären sollten, ob wir über Gerechtigkeit im Allgemeinen oder "nur" Verteilungsgerechtigkeit von Ressourcen und Gütern sprechen. Das ist für sich genommen auch immer noch kompliziert und vieldeutig genug.

Nur ist Gerechtigkeit ein hochgradig subjektives Konzept. Deine Vorstellung ist anders als meine und anders als die von webe. DAs nur über die Mehrheit lösen zu wollen, bringt aus meiner Sicht auch moralische Probleme allerlei Art hervor. Von den meist vergessenen Zweit- und Drittrundeneffekten ganz zu schweigen. Nachzulesen beispielsweise bei Ludwig Erhard.

http://www.ludwig-erhard-stiftung.de/fi ... r_alle.pdf

Insbesondere Kapitel 12 sei dir (und webe) ans Herz gelegt...
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon stine » Di 11. Sep 2012, 09:44

Nanna hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Die sogenannte "Gerechtigkeit" ist, wenn jeder bekommt, was er verdient.

Ja, aber das ist doch eine Tautologie, wenn du es so formulierst. Mit welchen Kriterien wird denn bestimmt, was jemand "verdient", also was angemessen für seine Tätigkeiten ist?
Ich dachte zwar eher an die Anzahl der Arbeitsstunden, die jemand aufbringt, bei gleicher Tätigkeit, aber das war wohl zu kurz gefasst.
Welcher Lohn für welche Arbeit ist ein komplexes, von der Wirtschaft und von organisatorischen Hintergründen abhängiges Thema, das in meiner Antwort in dieser Kürze selbstverständlich nicht geklärt werden konnte.
Nur grob: Alles über Steuern regeln zu wollen ist ein Hirngespinst, wo soll das Geld denn herkommen? Es wird immer einwirkende Märkte geben, und die Nachfrage regelt die Aufteilung. Dass Pflegekräfte schlechter bezahlt sind, als Ärzte, hat was mit der Ausbildung und der zu übernehmenden Verantwortung zu tun.
Lohnunterschiede innerhalb eines Bereiches, hier Medizin, könnten zwar weniger groß sein, sind aber so entstanden. Es ist Sache der Verbände das zu regeln. Die zur Verfügung stehenden Mittel und die Möglichkeiten sie zu verteilen sind innerhalb eines Systems, hier unser Gesundheitssystem, leider begrenzt. Das meiste Geld bekommen die Apotheken und die Pharmaziekonzerne. Weniger Pillen, mehr Pflege, wäre vielleicht eine Antwort.

Pfleger und Oberarzt nivelliert entlohnen zu wollen, dabei den Lohn der Pflegekraft über die Steuern des Oberarztes ausgleichen zu wollen (verkürzte Form!), ist ein nachvollziehbares Konzept, ist aber wohl deswegen nicht möglich, weil die bessere Ausbildung, das Mehr an Verantwortung ein Lohnfaktor sind.
Ein anderes Beispiel wäre, wenn der Pfleger sich privatisierte, ein eigenes Pflegeheim eröffnete und die Kosten für seine Pflege selber festlegt. Wenn er gut ist bekommt er auch mit höherem Einkommen viele (Privat) Patienten. Hier wäre also Unternehmertum gefragt.
Gerade das Gesundheitssystems ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein staatlich geregelter Markt nicht immer das Beste für alle sein muss.

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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon webe » Di 11. Sep 2012, 14:48

Pflegeheime sind im Vergleich zu anderen selbständigen Unternehmungen ein Betrieb, der von alleine in die Gewinnzone läuft.Geschönte Aushängeschilder, die Pflegeheiminsassen und Jene, die für einen Pflegeplatz dort aussuchen sich genötigt sehen eine Irreführung. Viele der in Pflegeheimen Beschäftigten wundern sich über die von den Krankenkassen oft durch ihren MDK-medizinischen dienst der krankenkassen- ausgegebenen Bewertungen.

In einem Pflegeheim findet kaum eine unangemeldete Kontrolle, ähnlich einem WKD. statt und wenn sich Pflegekräfte über gewisse MissStände zu Recht am Arbeitsplatz bei der Heimaufsicht und dem MDK äussern, müssen sie mit ihrer Aufdeckung, dem Verrat an die betroffene Heimleitung rechnen.
Vor noch nicht langer Zeit wurden vor dem Kontrollgang durch MDK oder Heimleitung bei vielen Pflegeheimen zum Sektdinner eingeladen, damit eine Beschwichtigung und keine krasse Mängelaufdeckung im Raum stand.

Die Heimaufsicht unterliegt der Stadt, Kreisverwaltung und der MDK den Krankenkassen, die oftmals froh sind, wenn die Pflegeheime ihren Aufnahmewünschen und Heimplatzbereitstellung entgegen kommen.

Gandalf, wenn Du Dir die Mühe machen würdest, das deutsche Unternehmertum zudurchforsten, würde dir abundzu auffallen, dass wir auch hier ein bisschen DDR finden, siehe Pflegeheime. Der Unternehmer zahlt hier keine Umsatzsteuer, wird in sanfter Weise kontrolliert, kann hohe Energie- und andere Betriebskosten verursachen, die einem in der freien Wirtschaft den Hals brechen würde und muss sich kaum vor Konkurrenz und Konkurs fürchten. Ein risikoloses-im weitem Sinne-Unternehmungsart.

Normalerweise müssten Heimaufsicht und MDK neutral sein und Pflegeheime nicht künstlich aufwerten.

stine, jeder 5.Beschäftigte liegt im traurigen Mindestlohnbereich, darunter zählt auch die Pflege, was bisher verschwiegen wird. Die Pflegeheime sind durchaus in der Lage, gute Löhne zubezahlen, wie auch andere Unternehmungen. Wer seine Mitarbeiter nicht gerecht und ordentlich entlohnt, dem gehört der Laden dicht gemacht.

Viele unserer Gewinnmacher sind die Pest von Heute, und weil sie noch mehr hungrig nach Kapital sind, stellen sie unseren Wohlfahrtsstaat in Frage. Dem Geldgewinn gehört eine ordentliche Höchstgrenze gesetzt!

-Siehe Schlecker, hier kosten jene Arbeitskräfte zum Schleckerwohl das Geld des Steuerzahlers, was eine Unverschämtheit dastellt. Die Unternehmer sollten gezwungen werden, eine eigene Versorgung für entlassene Arbeitskräfte aufzubauen, darin wäre dann die Weiterbildungund die Arbeitslosenzeitfinanzierung. So wie die Banken einen Fond haben, der die betroffenen Einleger entschädigt, wenn ein Geldinstitut Pleite macht!

Solange wir unsere Geldhaie satt bekommen, solange ist auch der Wohlfahrtsstaat machbar!

Unsere Geheimdienste wie MAD, Verfassungsschutz und BND haben oft versagt, sind oft auf dem rechten Auge blind, machen skurriule, nicht zur Demokratie passende Unternehmungen, und kosten uns eine Menge Kapital, die für die Wohlfahrt besser angelegt wären und dabei würden keine Akten verschwinden! Der Naziverbrecher Hitler und seine Schergen würden sich vor Lachen im Grabe umdrehen, wenn sie mitbekämen, was in unseren Geheimdienste so abgeht! :kopfwand: :explodieren: :down:

-dies sollte man so sagen dürfen-
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon stine » Di 11. Sep 2012, 15:50

Unternehmer = Großverdiener und Halsabschneider
Arbeiter = fleißig, ehrlich und immer arm dran
Diese Faustregel scheint dir intravenös eingegeben worden zu sein, webe!

Manchmal ist es aber genau andersrum :mg:

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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon provinzler » Di 11. Sep 2012, 16:15

stine hat geschrieben:Pfleger und Oberarzt nivelliert entlohnen zu wollen, dabei den Lohn der Pflegekraft über die Steuern des Oberarztes ausgleichen zu wollen (verkürzte Form!), ist ein nachvollziehbares Konzept, ist aber wohl deswegen nicht möglich, weil die bessere Ausbildung, das Mehr an Verantwortung ein Lohnfaktor sind.


ISt ja nicht so als hätte mans noch nicht ausprobiert.

Während des Spanischen Bürgerkriegs hatten die Anarchisten in den von ihnen beherrschten Betrieben den Einheitslohn eingeführt, so auch im "Tivoli"-Opernhaus. Auf dem Spielplan stand ein von der anarchistischen Gewerkschaft organisierter Opernzyklus zu volkstümlichen Preisen. Die Hauptrolle in einer dieser Opern sollte der berühmte Tenor Hipolito Lazaro singen, der jedoch mit dem Einheitslohn nicht einverstanden war und deshalb in Verhandlungen mit der anarchistischen Opernleitung versuchte, für sich eine höhere Entlohnung zu erreichen. Als seine Forderungen abgelehnt wurden, trat er kurz vor Vorstellungsbeginn auf die Bühne und sagte zu den Werktätigen des Opernhauses: "Wir sind jetzt alle gleich und um dies zu beweisen, bekommen wir alle den gleichen Lohn. Ich finde das großartig. Da wir alle gleich sind, werde ich heute die Eintrittskarten am Eingang kontrollieren und einer von Euch kann heraufkommen und die Hauptrolle singen."

Noch an diesem Abend beschlossen die anarchosozialistischen Leiter des Opernhauses eine Änderung der Entlohnung. Hipolito Lazaro und andere Top-Sänger erhielten 750 Pesetas je Auftritt, eine 50-fache Erhöhung gegenüber ihrem bisherigen Lohn von 15 Pesetas je Tag. Auch die Künstler der 2. und 3. Kategorie bekamen große Lohnerhöhungen, gestaffelt nach der Schwierigkeit ihrer Darbietung.
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon Zappa » Di 11. Sep 2012, 17:09

provinzler hat geschrieben:
ISt ja nicht so als hätte mans noch nicht ausprobiert.


Nette Anekdote, hast Du eine Quelle dafür (kein Misstrauen, würde die nur gerne selber mal bringen).

Noch ein Aspekt, fiel mir in Bezug zu den Pflegekräften ein und passt auch hier dazu: Jobs mit knappen Angebot und großer Nachfrage erzielen höhere Löhne, dass kann man ganz gut an dem "Pflegenotstand" der 80er Jahre nachvollziehen. Im Rahmen der Knappheit der Pflegenden stiegen Löhne und Privilegien (Stichwort: Pflegedirektion). Ein anderer Aspekt sind Arbeiten an "Schlüsselstellen" wie z.B. Piloten und halt Oberärzte in der Chirurgie. Wenn die nichts mehr machen, bricht die ganze Wertschöpfungskette zusammen.

Mit der Kleptokratie im "Management" hat das natürlich nichts zu tun, die raffen lediglich zusammen, was Ihnen in erheblichem Maße nicht zusteht. Da wirkt der selbst regulierende Markt mal so richtig :mg:
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Re: Wie lange können wir uns noch den Wohlfahrtsstaat leiste

Beitragvon provinzler » Di 11. Sep 2012, 17:54

Zappa hat geschrieben:Nette Anekdote, hast Du eine Quelle dafür (kein Misstrauen, würde die nur gerne selber mal bringen).

Der Blog von dem ich die Geschichte habe nennt folgende Quelle:

Ronald Fraser, Blood of Spain: An Oral History of the Spanish Civil War (New York, Pantheon Books, 1986), Seite 224.

Zappa hat geschrieben:Mit der Kleptokratie im "Management" hat das natürlich nichts zu tun, die raffen lediglich zusammen, was Ihnen in erheblichem Maße nicht zusteht. Da wirkt der selbst regulierende Markt mal so richtig :mg:

Wer darf den bitte verbindlich festlegen was "zusteht". Du? Ich? Der Papst? Ein Politbüro? Oder sollten wir das nicht doch besser den Eigentümern (=Aktionäre) überlassen, um deren es Geld es ja schließlich geht?
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