xander1 hat geschrieben:Angenommen, es gibt mit der Zeit immer weniger Nationalstaat und immer mehr EU,
dann stellt sich die Frage ob wir dann weniger oder mehr Demokratie haben.
Im Prinzip ist das zwar eine gute Frage, aber die EU kann nicht dauerhaft mehr Kompetenzen zugesprochen bekommen und in ihrer Organisationsstruktur gleich bleiben. Eine politische Union erforderte natürlich entsprechende demokratische Vollinstitutionen wie ein Parlament, das tatsächlich etwas zu sagen hat (was sich das EU-Parlament übrigens über die letzten Jahrzehnte in zunehmendem Maße erstritten hat, da steckt zumindest eine positive Tendenz drin). Interessant wäre eher die Frage, wie ein demokratischer EU-Staat aussehen könnte, denn da die richtige Mischung aus Föderalismus, Zentralismus, Gewaltenteilung etc. zu treffen, in der die jeweiligen politischen Kulturen auf dem Kontinent sich wiedererkennen können, dürfte schwierig werden. Man sehe sich nur die eklatanten Unterschiede zwischen den politischen Systemen Großbritanniens (reine Mehrheitswahl) und Italiens (Dominanz der Verhältniswahl) an oder zwischen Irland (
single transferable vote) und Deutschland (kombiniertes Mehrheits- und Verhältniswahlrecht) oder Deutschland (starke innerparteiliche Demokratie vorgeschrieben) und den Niederlanden (kaum Vorschriften über die parteiinterne Organisation). Die Einigung der politischen Kulturen dürfte da nicht gerade einfach werden.
xander1 hat geschrieben:Ich habe von verschiedensten Quellen immer wieder die Hinweise gehört, dass die EU weniger demokratisch ist, als seine Nationalstaaten.
Ist völlig korrekt und hat mit der historischen Genese der EU zu tun. Der Witz ist, dass viele EU-Beamten und viele EU-Parlamentarier, entgegen der Diffamierungen als EU-Oligarchie, eine klare demokratische Ausrichtung der EU befürworten würden. Es sind die nationalen Parlamente und Regierungen, die Angst vor dem Machtverlust haben, weil mehr demokratische Repräsentation auf EU-Ebene auch mehr Legitimität und damit einen längeren Hebel für Kompetenzverlagerung auf die EU-Ebene bedeuten würden.
xander1 hat geschrieben:Angenommen wir steuern dann auf eine parlamentarische Diktatur wie heute in China zu, dann stellt sich für mich die Frage, ob es dann wieder ein Großmachtstreben geben wird und einen neuen Weltkrieg, in dem die EU als Staat die Welt erobern möchte.
Was du mit "parlamentarischer Diktatur" entspricht wohl am ehesten dem "elektoralen Autoritarismus" in der Politikwissenschaft. Das ist aber nicht die Richtung, in die die EU strebt (die EU und China sind auch strukturell meilenweit auseinander, ich empfehle da gerne mal wieder Sebastian Heilmanns "Das politische System der VR China" aus dem Verlag für Sozialwissenschaften) und Großmachtstreben, Weltkriege etc. hängen auch nicht allein mit der Größe eines Staats zusammen. China selber oder auch Indien sind beides Beispiele für riesige Länder, die von regionalem Muskelspiel abgesehen keine offensiven Ambitionen vertreten.