von Peter » Sa 10. Dez 2011, 20:24
Hallo zusammen,
wer sich mit der Kirche anlegt, braucht offenbar einen langen Atem!
erinnert ihr euch noch an die Diskussion von vor etwa vier Monaten, an den Antrag an die Gemeinde, die Genehmigung zur Aufstellung von drei Kreuzen im öffentlichen Raum zurückzunehmen? Nanna, Stine...?
Mit Hilfe eines bekannten SPD-Gemeinderates wurde das Thema zumindest mehrere Male in kommunalen Gremien thematisiert. Der Erfolg war mässig, nach etwa drei Monaten bekam ich ein schlabbriges, nichtsagendes Hinhalteschreiben zurück. Aber statt der Befragung der mündigen Bürger, wie sie denn die klerikale Landnahme im öffentlichen Raum bewerteten, hat der Gemeindevorstand den Pfarrer um Stellungnahme (mit Termin!) gebeten. Den Termin hat der Gotteskrieger (Urlaub!) versäumt, aber im Kirchenblättchen hat er den unten - schön in Sternchen eingefassten - Artikel verfasst. Dazu fällt mir eine Menge ein, aber ich halte mich erstmal zurück in der Hoffnung, dass hier eine gute Diskussion zustande kommt. Nur so viel: Sie fühlen sich betroffen und müssen sich rechtfertigen, das ist doch schon mal was. Auf jeden Fall muss mehr Öffentlichkeit her... Aber führt euch bitte mal dieses "Kunstwerk" zu Gemüte:
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Denk mal!
Kreuze im öffentlichen Raum
Vom Gemeindevorstand wissen wir, dass es Briefe (also mindestens zwei) gibt, in denen Bürger den Gemeindevorstand auffordern, die Genehmigung zur Aufstellung von Kreuzen im Öffentlichen Raum zurückzuziehen. - Der Gemeindevorstand hat daraufhin den Kontakt zu uns gesucht. Er will wissen, wie der Kirchenvorstand dazu steht. Wir haben das im Kirchenvorstand ausführlich diskutiert.
Um es vorweg zu nehmen: Wir sind nicht der Meinung, dass es gut wäre, die Kreuze am …see, am Fernwanderweg und auf dem Rodelberg … einfach abzubauen. Andererseits wollen wir keinen ››Krieg ums Kreuz«. Denn immer dann, wenn das Kreuz in der Geschichte zum Machtsymbol wurde, geschah Furchtbares.
Das Kreuz ist eben zuallererst ein Zeichen der Niederlage und des Scheiterns, also ein Zeichen der Ohnmacht. Die Geschichte, die an Weihnachten anfängt, endet erst mal am Kreuz. Und in der Weihnachtsgeschichte ist alles ja schon angelegt. Not und Bedrohung von Anfang an (Dazu der Artikel: »Gott kommt anders« auf Seite 6 in dieser Ausgabe des Gemeindebriefs).
Aber damit ist das Kreuz eben auch ein Zeichen gegen den zur Religion erhobenen Erfolg, der unsere Welt heute wie vor 2000 Jahren (und vielleicht heute mehr denn je) im Griff hält. Das Kreuz als Symbol des Scheiterns steht quer. Es gibt keinen Weg, aus dem ››Wort vom Kreuz« eine Erfolgsstory zu machen. Das Kreuz bedeutet, dass Christus die Niederlage des Todes ganz auskostet und den bitteren Kelch bis zur Neige trinkt. Der Kelch geht an Christus nicht vorüber. Er muss den Tod
schmecken. Das kann eine Erfolgsgesellschaft nicht nachvollziehen.
Wir versuchen so zu tun, als könne es ein Leben ohne Niederlagen geben. Wir sind vielleicht die erste Generation, die sich mithilfe des Wohlstandes einen Ausweg aus der Erfahrung des Scheiterns erkauft hat und alles getan hat, um den eigenen Besitzstand zu wahren. Erst die Weltfinanzkrise seit 2008 - deren Folgen ja noch lange nicht über-wunden sind - öffnet uns allmählich die Augen für die Lügen und Luftblasen, auf denen die neoliberale Spekulationswirtschaft basiert.
Das Kreuz lenkt den Blick nach unten. Zu denen, die scheitern. Die unter die Räder kommen. Das Kreuz legt Widerspruch ein gegen die Legende der Erfolgsgesellschaft, die behauptet: Wer scheitert ist selbst schuld. Und es weist hin auf die Zerstörungskraft unseres erfolgsorientierten Lebensstils. Deswegen stehen unsere Kreuze in der bedrohten Natur.
Das Kreuz kann Anstoß erregen. Stimmt. Aber vielleicht ist das ja gut so. Kann es sein, dass wir auch in … - neben den Symbolen des Erfolgs - auch das Kreuz im öffentlichen Raum brauchen? Oder wollen wir den alleine dem großen, leuchtenden McDonald ››M«, dem Denkmal auf dem Platz des Windes und den Verheißungen der Werbeindustrie überlassen?
Wie dem auch sei: Die Kreuze sind kein Selbstzweck. Sie sind Ausdruck der Botschaft, der wir Christen uns verpflichtet fühlen. Sie sollen sagen: Unser Gott ist in Scheitern und Not bei Euch. Er kennt Leid und Tod. Er weiß, wie das ist, wenn Freunde Dich verlassen und verraten. Aber keine Angst - oder wie die Bibel es ausdrückt: »Fürchte Dich nicht!« ,nach Karfreitag kommt Ostern. Nach dem Scheitern das neue Leben. in moderner Sprache: In der Krise liegt immer auch die Chance
zum neuen Anfang.
Ich gebe zu, unsere Botschaft klingt widersprüchlich: Der Gott, der am Kreuz gestorben ist -- und damit gescheitert - der hält Dein Leben und die ganze Welt in seinen Händen. Er sieht Dein eigenes Scheitern voller Mitgefühl und Barmherzigkeit. Weil er das kennt. Und er schenkt Dir grade, wenn Du ganz unten bist, die Chance zu einem neuen Anfang. So ist das.
Wir wollen über das »Für und Wider« unserer drei Kreuze im öffentlichen Raum mit Euch ins Gespräch kommen. Wollen erklären, wie wir darüber denken und hören, was Ihr denkt. Im März - also in der Passionszeit, in der wir über das Leiden und Scheitern Jesu nachdenken - werden wir Euch zu einer Podiumsdiskussion einladen. Merkt Euch schon mal den 19. März 2012, 20.00 Uhr im Gemeindehaus vor.
M… D…
Pfarrer
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