Todesstrafe

Todesstrafe

Beitragvon Bionic » Do 10. Jun 2010, 17:42

Was haltet ihr von der Todesstrafe? Ich find sie ja nicht gut. Fehlurteile können nicht mehr ausgeglichen werden,
der Täter kann sich nicht mehr ändern.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon ganimed » Fr 11. Jun 2010, 15:28

Es stimmt, dass man eine Todesstrafe nicht wieder ausgleichen kann (zumindest nicht nach der Hinrichtung).
Aber wie gleichst du denn ein Lebenslang-Urteil aus, sagen wir nach 20 Jahren? Welche Wiedergutmachung macht 20 Jahre Gefängnis wieder gut?

Es stimmt, dass sich nach vollzogener Todesstrafe der Täter nicht mehr ändern kann. Insofern ist die Todesstrafe aus Sicht des Verurteilten irgendwie härter. Sie verwehrt ihm ein Chance, sich irgendwann zu ändern. Die Frage ist, ob eine solche Härte gerechtfertigt ist. Oder gibt es vielleicht tatsächlich keine Tat, die eine solche Härte als angemessen erscheinen lässt?

Ich erinnere mich dunkel an einen anderen Thread, wo schon ein wenig über Für und Wider der Todesstrafe diskutiert wurde. Mein damaliges Fazit war, dass es Geschmackssache ist. Der gesellschaftliche Mehrheitsgeschmack in Europa ist seit einiger Zeit klar dagegen. Teile der Restwelt sind dafür.

Ich bin diesen Dimensionen menschlicher Psyche (Morde, Gefängnis, Justizalltag) bisher noch nicht wirklich ausgesetzt gewesen (habe bisher wohlbehütet gelebt und so etwas immer nur in amerikanischen Fernsehserien gesehen). Ich habe mir da noch kein wirklich eindeutiges Geschmacksurteil gebildet. Ich finde beides (mit oder ohne Todesstrafe) gleichermaßen richtig oder falsch. Über Geschmack lässt sich streiten.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Dissidenkt » Fr 11. Jun 2010, 20:07

Ein Staat der mordet kann seinen Bürgern schlechterdings erklären, dass sie das selber nicht tun sollen.
(Wer jetzt meint, eine Hinrichtung sei kein Mord, der irrt.)
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Re: Todesstrafe

Beitragvon ganimed » Sa 12. Jun 2010, 01:14

Dann ist Gefängnisstrafe auch Freiheitsberaubung und eine Verhaftung auch Entführung? Und die Exekutive hat gar kein Recht, das zu tun was sie tut? Ein merkwürdiges Bild wäre das. Nennt man das Anarchismus?
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Nanna » Sa 12. Jun 2010, 02:50

ganimed hat geschrieben:Es stimmt, dass man eine Todesstrafe nicht wieder ausgleichen kann (zumindest nicht nach der Hinrichtung).
Aber wie gleichst du denn ein Lebenslang-Urteil aus, sagen wir nach 20 Jahren? Welche Wiedergutmachung macht 20 Jahre Gefängnis wieder gut?

Es besteht die Chance für den unschuldig Verurteilten, noch etwas vom Rest seines Lebens zu haben. Es besteht ferner die Möglichkeit, dass er Genugtuung und Erleichterung darüber empfindet, dass seine Unschuld bewiesen ist (für viele unschuldig Hingerichtete dürfte es ebenso belastend sein, dass sie sterben müssen, wie auch welches Bild in der Nachwelt von ihnen erhalten bleibt).
Den Relativismus, den du da betreibst, halte ich für ziemlich unangebracht. Sollen wir jetzt über die Rehabilitierung von Straftätern anhand des Kriteriums entscheiden, ob sie sich denn überhaupt lohnen wird?

ganimed hat geschrieben:Es stimmt, dass sich nach vollzogener Todesstrafe der Täter nicht mehr ändern kann. Insofern ist die Todesstrafe aus Sicht des Verurteilten irgendwie härter. Sie verwehrt ihm ein Chance, sich irgendwann zu ändern. Die Frage ist, ob eine solche Härte gerechtfertigt ist. Oder gibt es vielleicht tatsächlich keine Tat, die eine solche Härte als angemessen erscheinen lässt?

Es gibt hier gleich zwei Probleme:
Das eine Problem betrifft die Frage, ob Resozialisierung oder Rache im Vordergrund stehen sollen. Die Todesstrafe ist als Resozialisierungsmaßnahme naturgemäß ziemlich ungeeignet, sie kann nicht die Besserung und damit die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen. In Deutschland gilt, zum Glück, der Grundsatz, dass keine Strafe lebenslänglich sein soll, weil sonst der appellative Charakter der Strafe völlig verlorengeht.
Das andere Problem betrifft die wohlbekannte Debatte um Willensfreiheit und Strafrecht: Falls dewr Täter zu seiner Tat determiniert war, dann ist Rache nicht nur ungeeignet, sondern sogar ungerechtfertigt. Da schwerste Straftaten kaum ohne einen gehörigen Dachschaden oder außerhalb einer absoluten Ausnahmesituation mit verzerrter Realitätswahrnehmung zu begehen sind, ist die Frage, ob man jemanden derart hart dafür büßen lassen darf, dass er so gestört ist/war, um elementare Rechtsgrundsätze zu verletzen.

ganimed hat geschrieben:Ich erinnere mich dunkel an einen anderen Thread, wo schon ein wenig über Für und Wider der Todesstrafe diskutiert wurde. Mein damaliges Fazit war, dass es Geschmackssache ist. Der gesellschaftliche Mehrheitsgeschmack in Europa ist seit einiger Zeit klar dagegen. Teile der Restwelt sind dafür.

Polygamie, Sex mit Kindern, Vergewaltigung in der Ehe, Folter durch die Polizei... sind das auch Geschmackssachen? In Europa ist man klar dagegen, in Teilen der "Restwelt" sieht man das nicht so eng. Wird deshalb daraus irgendeine Begründung?

ganimed hat geschrieben:Ich bin diesen Dimensionen menschlicher Psyche (Morde, Gefängnis, Justizalltag) bisher noch nicht wirklich ausgesetzt gewesen (habe bisher wohlbehütet gelebt und so etwas immer nur in amerikanischen Fernsehserien gesehen). Ich habe mir da noch kein wirklich eindeutiges Geschmacksurteil gebildet. Ich finde beides (mit oder ohne Todesstrafe) gleichermaßen richtig oder falsch. Über Geschmack lässt sich streiten.

Es geht nicht darum, ob dir weiße oder gelbe Wandfarbe besser gefällt, es geht darum, einen Menschen zu töten! Was auch immer dieser Mensch getan hat, das Recht auf Leben ist elementar. Es kann nicht von denen eingefordert werden, die es selbst nicht achten, da hat Dissidenkt absolut recht. Der Vergleich mit Gefängnisstrafe und Freiheitsberaubung zieht nicht, weil das eine Disziplinarmaßnahme und zum Teil auch eine Schutzmaßnahme ist. Die Todesstrafe ist höchstens letzteres, kann aber, wie oben schon gesagt, nicht disziplinierend wirken, dafür fehlen ja die Zukunftsmöglichkeiten. Der Rechtsstaat bezieht seine Legitimität aber gerade aus der Tatsache, dass er alle Beteiligten würdevoll behandelt und ihre Grundrechte achtet, selbst die derer, die schlimmes getan haben und von allen Seiten gehasst werden. Ich sehe das als großen Sieg der Zivilisation über archaische Denkweisen.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Klaus » Sa 12. Jun 2010, 08:44

Die Todesstrafe ist doch zumindestens in den USA biblisch determiniert. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Du hast einen Menschen getötet, also werden wir dich töten.Es ist Rache und Vergeltung, wer hier von Geschmack redet hat keinen, da fehlen dann aber noch ein paar andere Zutaten.

Weiterhin haben alle drakonischen Strafen doch zu keinem Ergebnis geführt, seit tausenden von Jahren werden Menschen von Gesetzes wegen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der erzieherische Faktor dem man ja dem Strafsystem unterstellt hätte längst dazu führen müssen, dass es keine Straftaten mehr gibt. Weit gefehlt.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Dissidenkt » Sa 12. Jun 2010, 09:35

ganimed hat geschrieben:Dann ist Gefängnisstrafe auch Freiheitsberaubung und eine Verhaftung auch Entführung? Und die Exekutive hat gar kein Recht, das zu tun was sie tut? Ein merkwürdiges Bild wäre das. Nennt man das Anarchismus?



Selbstverständlich sind Verhaftung und Gefängnisstrafe Freiheitsberaubung, nur dienen sich nicht dem niederen Motiv Rache, wie der staatliche Mord, sondern der Durchsetzung gesellschaftlicher Regeln. Die besondere Eigenart staatlicher Freiheitsberaubung zeigt sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass der Ausbruch aus einem Gefängnis nicht strafbar ist. Der Staat weiss also genau, was er den Insassen antut.
(Hättest du die Ausbildung und den Einsatz von Mördern als Gegenbeispiel staatlich unmoralischen Handelns gebracht, hätte ich dir recht gegeben.)
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Gernot Back » Sa 12. Jun 2010, 12:33

Hallo Nanna!
Nanna hat geschrieben:Es geht (...) darum, einen Menschen zu töten! Was auch immer dieser Mensch getan hat, das Recht auf Leben ist elementar.

Das sehe ich auch so. Aus naturalistischer Weltsicht steht für mich auch die abergläubische Entstehungsgeschichte dieser Barbarei im Vordergrund: Bei der Todesstrafe handelt es sich um nichts anderes als einen durch Staatsorgane verübten Ritualmord, ein Menschenopfer! In Staaten, in denen die Todesstrafe noch besteht, wird dies auch meist entsprechend zelebriert, mit Priestern, Augenbinden gegen den "bösen Blick" des Delinquenten, der Anrufung von Geistwesen und dem ganzen Schnickschnack.

Gruß Gernot
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Bionic » Sa 12. Jun 2010, 14:14

ganimed hat geschrieben:Aber wie gleichst du denn ein Lebenslang-Urteil aus, sagen wir nach 20 Jahren? Welche Wiedergutmachung macht 20 Jahre Gefängnis wieder gut?

Klar ist das schwierig, bis unmöglich. Aber dieser Mensch lebt zumindest noch! Gutmachen geht vermutlich nicht. Aber er könnte zumindest
noch eine materielle Entschädigung bekommen.
ganimed hat geschrieben:Es stimmt, dass sich nach vollzogener Todesstrafe der Täter nicht mehr ändern kann. Insofern ist die Todesstrafe aus Sicht des Verurteilten irgendwie härter.

Irgendwie härter???!! Sie ist extrem!
ganimed hat geschrieben: Die Frage ist, ob eine solche Härte gerechtfertigt ist. Oder gibt es vielleicht tatsächlich keine Tat, die eine solche Härte als angemessen erscheinen lässt?

Diese Frage ist richtig.
ganimed hat geschrieben: Mein damaliges Fazit war, dass es Geschmackssache ist.

Geschmacksache ist was ich mir zum Anziehen kaufe, nicht ob Menschen getötet werden!
ganimed hat geschrieben:Ich habe mir da noch kein wirklich eindeutiges Geschmacksurteil gebildet. Ich finde beides (mit oder ohne Todesstrafe) gleichermaßen richtig oder falsch. Über Geschmack lässt sich streiten.

Bei der Todesstrafe handelt es sich sicher nicht um eine Geschmackssache! Klar es gibt Punkte die dafür sprechen und Punkte die dagegen sprechen.
Ich bin klar dagegen!
Nanna hat geschrieben:Den Relativismus, den du da betreibst, halte ich für ziemlich unangebracht. Sollen wir jetzt über die Rehabilitierung von Straftätern anhand des Kriteriums entscheiden, ob sie sich denn überhaupt lohnen wird?

Sehe ich auch so.
Nanna hat geschrieben:Das andere Problem betrifft die wohlbekannte Debatte um Willensfreiheit und Strafrecht: Falls dewr Täter zu seiner Tat determiniert war, dann ist Rache nicht nur ungeeignet, sondern sogar ungerechtfertigt. Da schwerste Straftaten kaum ohne einen gehörigen Dachschaden oder außerhalb einer absoluten Ausnahmesituation mit verzerrter Realitätswahrnehmung zu begehen sind, ist die Frage, ob man jemanden derart hart dafür büßen lassen darf, dass er so gestört ist/war, um elementare Rechtsgrundsätze zu verletzen.

Es kommt halt darauf an, ob man von den Beweggründen (was man ja sollte), oder von der Tat ausgeht.
Nanna hat geschrieben:Polygamie, Sex mit Kindern, Vergewaltigung in der Ehe, Folter durch die Polizei... sind das auch Geschmackssachen? In Europa ist man klar dagegen, in Teilen der "Restwelt" sieht man das nicht so eng. Wird deshalb daraus irgendeine Begründung?

Sehr gut argumentiert! :up:
Nanna hat geschrieben:Es geht nicht darum, ob dir weiße oder gelbe Wandfarbe besser gefällt, es geht darum, einen Menschen zu töten! Was auch immer dieser Mensch getan hat, das Recht auf Leben ist elementar. Es kann nicht von denen eingefordert werden, die es selbst nicht achten

Ja das ist sicher keine Geschmackssache! Und der Mensch wird ohne jegliche Notwendigkeit getötet! Anders wie zb im Krieg.
Klaus hat geschrieben:Die Todesstrafe ist doch zumindestens in den USA biblisch determiniert. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Du hast einen Menschen getötet, also werden wir dich töten.Es ist Rache und Vergeltung, wer hier von Geschmack redet hat keinen, da fehlen dann aber noch ein paar andere Zutaten.

So ist es.
Klaus hat geschrieben:Weiterhin haben alle drakonischen Strafen doch zu keinem Ergebnis geführt, seit tausenden von Jahren werden Menschen von Gesetzes wegen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der erzieherische Faktor dem man ja dem Strafsystem unterstellt hätte längst dazu führen müssen, dass es keine Straftaten mehr gibt. Weit gefehlt.

Genau. Harte Strafen führen auch dazu, dass Verbrecher viel mehr verhindern wollen, dass sie erwischt werden.
Wer eine Straftat begangen hat, auf die die Todesstrafe steht, muss keine Rücksicht mehr auf eine mögliche Strafminderung nehmen.
Gernot Back hat geschrieben:Bei der Todesstrafe handelt es sich um nichts anderes als einen durch Staatsorgane verübten Ritualmord, ein Menschenopfe!

Für ein Verbrechen muss Jemand büßen.. Wichtiger als die Gerechtigkeit, ist bei der Todesstrafe der Ausgleich.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon ujmp » Sa 12. Jun 2010, 14:48

Moral lässt sich nicht begründen, Todesstrafe ist Geschmackssache. Tödliche Fehlurteile gibt es auch in der Medizin - ja sogar im Bau oder im Sport, eigentlich überall. Das ist überhaupt kein Argument gegen die Todesstrafe. Den Toten interessiert es auch nicht mehr ob er sich hätte bessern können. Man kann sich sogar Fragen, was menschlicher ist, einen Menschen lebenslang von der Gesellschaft auszuschließen -- noch schlimmer: ihn in ein Gefängnis einzuschließen (nach dem was man immer wieder aus Gefängnissen hört!) -- oder seine Exisitenz schmerzlos einfach abzuschalten. Wer mal bei Vollnarkose operiert worden ist, kann sich vorstellen, dass so ein Tod geradezu unbemerkt sein könnte.

-- Ich bin aber sehr froh, dass ich über so etwas nicht entscheiden muss.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Bionic » Sa 12. Jun 2010, 15:04

ujmp hat geschrieben:Moral lässt sich nicht begründen, Todesstrafe ist Geschmackssache.

Was???!! Das stimmt doch nicht!
ujmp hat geschrieben:Tödliche Fehlurteile gibt es auch in der Medizin - ja sogar im Bau oder im Sport, eigentlich überall. Das ist überhaupt kein Argument gegen die Todesstrafe.

Warum ist dies kein Argument gegen die Todesstrafe?! Medizin und Bau sind ja auch notwendig, die Todesstrafe ist das nicht!
ujmp hat geschrieben:Man kann sich sogar Fragen, was menschlicher ist, einen Menschen lebenslang von der Gesellschaft auszuschließen -- noch schlimmer: ihn in ein Gefängnis einzuschließen (nach dem was man immer wieder aus Gefängnissen hört!) -- oder seine Exisitenz schmerzlos einfach abzuschalten.

Nein kann man eigentlich nicht!
ujmp hat geschrieben:-- Ich bin aber sehr froh, dass ich über so etwas nicht entscheiden muss.

Das glaub ich dir. Nur wäre ich trotzdem absolut dagegen.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon ujmp » Sa 12. Jun 2010, 16:20

Häftling tötet Freundin in der "Liebeszelle"

In der Haut der Entscheider in den Strafvollzugsbehörden möchte ich nicht jedenfalls stecken. Keiner weiß so richtig, warum Menschen so etwas tun. Was ist, wenn sie sich wirklich nicht ändern können?
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Gernot Back » So 13. Jun 2010, 01:00

Hallo Ujmp!

ujmp hat geschrieben:Keiner weiß so richtig, warum Menschen so etwas tun. Was ist, wenn sie sich wirklich nicht ändern können?

Ist das jetzt als Plädoyer deinerseits zu verstehen, dass der Staat vorsichtshalber allen LiebhaberInnen (m/w) den freiwilligen Umgang mit möglichen Psychopathen verwehren oder dass er solcherlei Gemetzel zu Präventionszwecken gar auch noch selbst begehen sollte?

Gruß Gernot
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Bionic » So 13. Jun 2010, 08:53

ujmp hat geschrieben:Keiner weiß so richtig, warum Menschen so etwas tun. Was ist, wenn sie sich wirklich nicht ändern können?

Ja vermutlich war es Verzweiflung. Ich denke da müsste mehr psychologisch untersucht werden. Da gibt es dann so oberschlaue Kommentarschreiber,
die deshalb sagen, dass diese Menschen nicht resozialisierbar sind. Wenn aber alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind und die Frau über eine
mögliche Gefahr und die Vorgeschicht informiert wurde, liegt die Verantwortung schlussendlich bei ihr selbst..
Da muss man dann auch nicht hetzten, warum solche Unmenschen wieder auf die Gesellschaft losgelassen werden.
Und was willst du mit dem aussagen, wenn sie sich nicht ändern können?
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Re: Todesstrafe

Beitragvon ganimed » Mo 14. Jun 2010, 17:09

Nanna hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Welche Wiedergutmachung macht 20 Jahre Gefängnis wieder gut?

Es besteht die Chance für den unschuldig Verurteilten, noch etwas vom Rest seines Lebens zu haben. Es besteht ferner die Möglichkeit, dass er Genugtuung und Erleichterung darüber empfindet, dass seine Unschuld bewiesen ist

Du siehst das recht einseitig. Es könnte ja sein, dass der Beweis der Unschuld bzw. die Freilassung auch wieder ein Fehlurteil ist. Oder es könnte sein, dass nach Verbüßung der Gefängnisstrafe der Bestrafte erneut schwere Straftaten begeht (wenn ich mich nicht irre ist hierfür die statistische Wahrscheinlichkeit sogar recht hoch). Es ist ebenso denkbar, dass zur Todesstrafe Verurteilte während ihrer langen Wartezeit (zumindest in den USA sind die Wartezeiten ja recht lang) noch rehabilitiert werden und frei kommen.
Ich halte daher das Argument "bei der Todesstrafe gibt es keine Revisionsmöglichkeit" zusammen mit der ungeprüften Annahme, dass Revision immer gut sei, für zumindest zweifelhaft.

Nanna hat geschrieben:Den Relativismus, den du da betreibst, halte ich für ziemlich unangebracht.

Was wäre die Alternative zum Relativismus? Würde man die kulturellen Standards Westeuropas zur absoluten Richtschnur ernennen, müsste man ja zumindest mal erklären, wieso andere Gegenden das anders sehen. Wie könnte man begründen, dass diese anderen Gegenden das nicht anders sehen dürfen? Kann man es sich wirklich so einfach machen, die USA als barbarisch, spinnert und bibeltreu abzutun?

Nanna hat geschrieben:Das eine Problem betrifft die Frage, ob Resozialisierung oder Rache im Vordergrund stehen sollen.

Mit was anderem als deinem Geschmack (deiner kulturellen Prägung, deinem emotionalen Empfinden) kannst du diese Frage beantworten? Hast du objektive, absolute Argumente für das eine oder das andere?

Nanna hat geschrieben:Willensfreiheit und Strafrecht: Falls der Täter zu seiner Tat determiniert war, dann ist Rache nicht nur ungeeignet, sondern sogar ungerechtfertigt.

Das Argument hat erstmal gesessen. Ich gebe zu ich selber glaube ja auch, dass Täter tatsächlich determiniert sind und somit eine Rache keine Grundlage hat. Der Täter hat es moralisch nicht "verdient", mit dem Tode bestraft zu werden. Aber man kann einräumen, dass es auch andere Rechtfertigungen geben könnte (bzw. wäre Rache in deinen Augen überhaupt wirklich eine Rechtfertigung?)

Nanna hat geschrieben:Polygamie, Sex mit Kindern, Vergewaltigung in der Ehe, Folter durch die Polizei... sind das auch Geschmackssachen?

Geschmackssache ist zugegebenermaßen ein unglücklicher Ausdruck in diesem Zusammenhang. Wie wäre es mit "kulturellen Vorlieben"? Oder eben "Kultur"? Und die Vorstellung, dass ausgerechnet wir in Westeuropa kulturell alles richtig machen, erscheint mir fragwürdig. Ich argwöhne, dass alle Todesurteilgegner hier im Forum als einzig wahren Grund für ihre Überzeugung letztendlich nur angeben sollten, dass sie kulturell nun einmal so geprägt sind. Genau wie uns das scharfe Essen aus Fernost nicht schmeckt, schmeckt uns Polygamie auch nicht. Einfach nur, weil wir so geprägt wurden und die Sachen nicht gewöhnt sind.

Nanna hat geschrieben:In Europa ist man klar dagegen, in Teilen der "Restwelt" sieht man das nicht so eng. Wird deshalb daraus irgendeine Begründung?

Ich denke ja. Meine Begründung dafür, dass es hier so ist und anderswo anders, erscheint mir plausibel. Verschiedene Kulturen, verschiedene Gewöhnung, verschiedene Prägung. Was wäre deine Begründung für die unterschiedliche Einstellung zur Todesstrafe? Einfach nur "alle die dafür sind haben einen Knall"?

Nanna hat geschrieben:Was auch immer dieser Mensch getan hat, das Recht auf Leben ist elementar.

Wenn ich einen Menschen hinrichte, dann verletze ich damit sein Recht auf Leben. Weil ich andere Rechte abwägend als höher eingeschätzt habe. (Ich bin kein Rechtsexperte: welches Recht wird bei der Todesstrafe als wichtiger gesehen? Vielleicht das Recht des Staates auf das Bestrafen? Keine Ahnung). Bei der Gefängnisstrafe wird ja ebenfalls ein Recht ignoriert, nämlich das Recht auf Freiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit und viele mehr. Aber eben nicht einfach so, sondern in Abwägung mit anderen Rechten und Werten.
Diese Abwägungen willst du einseitig durch die Zuweisung des Begriffs "elementar" entscheiden? (Ich vermute, "elementar" meint bei dir genau, dass man das Recht nicht in Abwägung übergehen darf). Mir scheint, du erhebst das Recht damit zu einem absoluten Prinzip, das keiner Relativierung und Überlegung unterliegen soll. Das klingt für mich nicht sehr rational und damit schonmal nicht sehr überzeugend. Da fehlt zumindest noch eine knackige Begründung.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Nanna » Mo 14. Jun 2010, 22:19

ganimed hat geschrieben:Du siehst das recht einseitig. Es könnte ja sein, dass der Beweis der Unschuld bzw. die Freilassung auch wieder ein Fehlurteil ist.

Also bist du dafür, einen möglicherweise Unschuldigen vorsichtshalber mal umzubringen, damit er später nicht versehentlich fälschlicherweise freigelassen wird? Sorry, aber da steig ich wirklich aus.

ganimed hat geschrieben:Oder es könnte sein, dass nach Verbüßung der Gefängnisstrafe der Bestrafte erneut schwere Straftaten begeht (wenn ich mich nicht irre ist hierfür die statistische Wahrscheinlichkeit sogar recht hoch).

Präventivtötung? Im Ernst!?

ganimed hat geschrieben:Es ist ebenso denkbar, dass zur Todesstrafe Verurteilte während ihrer langen Wartezeit (zumindest in den USA sind die Wartezeiten ja recht lang) noch rehabilitiert werden und frei kommen.
Ich halte daher das Argument "bei der Todesstrafe gibt es keine Revisionsmöglichkeit" zusammen mit der ungeprüften Annahme, dass Revision immer gut sei, für zumindest zweifelhaft.

Naja, wer tot ist, ist tot, oder? Daran gibt es nichts zu rütteln. Wiedergutmachung, Entschuldigung gegenüber einem unschuldig Verurteilten, alles unmöglich.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Den Relativismus, den du da betreibst, halte ich für ziemlich unangebracht.

Was wäre die Alternative zum Relativismus?

Der Kulturrelativismus ist als Normengeber eine höchst inkonsistente Position, weil er ja selbst eine Norm mit Allgültigkeitsanspruch darstellt und sich somit ad absurdum führt, wenn man ihn auf sich selbst anwendet. Faktisch gibst du mir mit deinem Relativismus die Freiheit, mordend durch die Straßen zu ziehen und hast keinerlei Berechtigung mehr, das zu verurteilen. Du kannst versuchen, stärker zu sein als ich, wenn dir das nicht passt, das ist das einzige, was dir bleibt, denn mich zu überzeugen hast du aufgrund deiner eigenen Position für unmöglich erklärt. Ironischerweise verlangst du von allen Kulturen, dass sie den Kulturrelativismus akzeptieren und gibst ihnen gleichzeitig ganz zentral das Recht, exakt diese Forderung fröhlich zu ignorieren. Der Kulturrelativismus sagt, nochmal in anderen Worten: "Ihr müsst alle Kulturrelativisten sein, weil ihr keine letztgültige Begründung dafür habt, euch über andere Kulturen zu beklagen, ABER wenn ihr darauf keine Lust habt, dann ist es euer grundsätzliches Recht, eure Kultur so zu leben, wie ihr wollt, selbst wenn sie dezidiert anti-kulturrelativistisch ist."
Ergo entzieht sich der Kulturrelativismus genau die Grundlage, der er sich schaffen will. Das ganze ist eine zirkuläre und völlig inkonsistente Position.

Was wäre nun die Alternative?
Da gibt es zweierlei:
Fall 1: Entweder man folgert aus dem immanenten Widerspruch des Kulturrelativismus, dass es doch objektiv begründbare ethische Normen (zumindest im Sinne von "A ist besser begründet als B, wobei auch A nur das vorläufig beste Ergebnis ist") geben muss. Folglich sucht man diese.
Fall 2: Oder man gibt dem Kulturrelativismus recht und behauptet, dass Normen grundsätzlich absolut subjektiv und damit willkürlich sind. Dann bleibt einem nur das Oktroyieren dieser Normen auf Andere mit Gewalt oder das völlige Ignorieren der anderen, was aufgrund begrenzter Lebensräume und Ressourcen nicht hinhauen wird.

Ein halbgarer dritter Weg wäre funktionalistisch, d.h. man definiert die Normensuche als Optimierungsproblem und sucht nach den Normen, die am besten funktionieren, wobei man hier das Problem eigentlich nur verlagert, weil man zur Optimierung erstmal ein Ziel definieren muss und dabei landet man wieder beim Anfangsproblem.

ganimed hat geschrieben:Würde man die kulturellen Standards Westeuropas zur absoluten Richtschnur ernennen, müsste man ja zumindest mal erklären, wieso andere Gegenden das anders sehen. Wie könnte man begründen, dass diese anderen Gegenden das nicht anders sehen dürfen?

Andere Gegenden sehen das anders, weil sie andere Entwicklungen genommen haben und aus den dort bekannten und als relevant empfundenen Prämissen andere Wertesysteme folgen als hierzulande. Die Todesstrafe in China dürfte z.B.mit der Verpöntheit der Gemeinschaftsschädigung zu tun haben, die Todesstrafe in den USA dürfte eher aus dem determinismusfeindlichen Selbstbild der hohen Eigenverantwortung entspringen, die einem Täter - trotz starker empirischer Gegenbelege - eine Schuldfähigkeit zuspricht, für die er im Grunde ein unbeweglicher Beweger sein müsste.
Eine sicherlich anfechtbare, aber nicht komplett dumme Begründung wäre, dass Europa aufgrund der Tatsache, dass es die längste historische Erfahrung mit Aufklärung und totalitären Systemen und Kriegen hat, historisch anderen Kulturkreisen dieser Erde einen Schritt voraus ist. Es steht auch auf schon am längsten einer höheren ökonomischen Stufe und hatte daher entsprechend Zeit und Ressourcen, eine entsprechende Erfahrenheit und Empfindsamkeit bezüglich höherentwickelter ethischer Interessensabwägung in komplexen Systemen zu entwickeln. In Ländern, die nach wie vor oder bis vor kurzem unter Armut, einseitiger Meinung bis hin zu Fanatismus und schlechter Bildung leiden (mussten), gestalten sich naturgemäß auch die ethischen Urteile einfacher gestrickt frei nach dem Satz von Anselm Feuerbach: "Der Ungebildete urteilt am schärfsten, er kennt weder Gründe noch Gegengründe." In Europa ist man gerade aufgrund der Erfahrung mit vielen unterschiedlichen Meinungen und der intensiven Beschäftigung mit ihnen, sowie aufgrund der Erfahrung mit puritanischem Terror (Religion, politische Religionen) in endgültigen Urteilen vorsichtiger geworden - und was wäre ein endgültigeres Urteil als die Hinrichtung?
Diese Begründung enthält viel aus der funktionalistischen Ecke, aber auch Bestandteile aus meinem Fall 1, wo ich ja unterstellt habe, dass es Begründungen A gibt, die nicht perfekt aber zumindest besser als Begründungen B sind.

Im übrigen möchte ich sagen, dass längere und qualitativ intensivere Erfahrung durchaus eine gewisse Rechtfertigung darstellen - wenn auch keine Letztbegründung -, da hier evolutionäre Mechanismen greifen, schlechte Alternativen also höchstwahrscheinlich schon ausgesiebt wurden. Beispielsweise ließe sich argumentieren, dass das soziale Sicherheitsgefühl in einer Gesellschaft ohne Todesstrafe höher ist, weshalb jede Gesellschaft diese Praxis im Laufe kultureller Entwicklung irgendwann aussortiert. Auch in den USA sitzen die Befüworter der Todesstrafe eher im konservativen Bible Belt, als an der pluralistischeren, gebildeteren, liberaleren Ostküste. Es ist zumindest eine Auffälligkeit, dass höherer Lebensstandard und höhere Bildung negativ mit der Befürwortung der Todesstrafe korrelieren und dass Forderungen nach der Todesstrafe bevorzugt aus dem rechtskonservativen oder fundamentalreligiösen Spektrum kommen.

ganimed hat geschrieben:Kann man es sich wirklich so einfach machen, die USA als barbarisch, spinnert und bibeltreu abzutun?

Ich denke, dass viele der moralisch äußerst rigoristisch und gleichzeitig naiv und simpel gefällten Werturteile in den USA, gerade was die religiöse Rechte betrifft, diese Kriterien durchaus erfüllen.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Das eine Problem betrifft die Frage, ob Resozialisierung oder Rache im Vordergrund stehen sollen.

Mit was anderem als deinem Geschmack (deiner kulturellen Prägung, deinem emotionalen Empfinden) kannst du diese Frage beantworten? Hast du objektive, absolute Argumente für das eine oder das andere?

Eine im mathematischen Sinne letztgültige Antwort habe ich nicht. Allerdings hast du damit aber auch noch nichts bewiesen oder widerlegt, denn deine kulturrelativistische Position ist ebenfalls objektiv inkonsistent, zumindest sobald man von der deskriptiven auf die normative Ebene wechselt. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder du bleibst auf der deskriptiven Ebene, dann hast du zwar Recht damit, dass meine kulturelle Prägung und meine Emotionen eine Rolle spielen (wenn auch nicht zwangsläufig zu 100%), dann hast du aber keine Möglichkeit, meine Normen zu kritisieren. Oder du gehst, um genau das zu tun, auf die normative Ebene, da schlage ich dich aber mit deinen eigenen kulturrelativistischen Waffen (ein Kulturrelativist kann an NIEMANDEN normative Forderungen stellen oder Normen kritisieren, weil es zentral für seine Ideologie ist, dass er genau das ablehnt. Bequemer Gegner, würde ich sagen. ;-) )

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Willensfreiheit und Strafrecht: Falls der Täter zu seiner Tat determiniert war, dann ist Rache nicht nur ungeeignet, sondern sogar ungerechtfertigt.

Das Argument hat erstmal gesessen. Ich gebe zu ich selber glaube ja auch, dass Täter tatsächlich determiniert sind und somit eine Rache keine Grundlage hat. Der Täter hat es moralisch nicht "verdient", mit dem Tode bestraft zu werden. Aber man kann einräumen, dass es auch andere Rechtfertigungen geben könnte (bzw. wäre Rache in deinen Augen überhaupt wirklich eine Rechtfertigung?)

Auf der rein deterministischen Ebene gibt es ja sowieso nur Mechanismen, keine Rechtfertigungen. Somit wäre Rache auch nur ein Mechanismus, zu dem der Rächer determiniert ist.
Begeben wir uns trotzdem auf die Metaebene der Begründungen, die ja für das gegenseitige Verständnis und eine funktionierende Kommunikation durchaus relevant ist, dann wäre Rache in meinen Augen keine Rechtfertigung, sofern sie nicht einzig und allein das Ziel der Disziplinierung des Täters oder eine abschreckende Wirkung hat. Im Idealfall sollte das Maximale, nämlich beides, erfüllt sein - würde ich sagen. Damit fällt die Todesstrafe aber weg, weil der Täter ja nicht mehr diszipliniert werden kann. Und gerade im Determinismus erscheint mir Tätertherapie, also das Verändern der determinierenden Umstände hin zu einem schadlosen Verhalten, als einzig gebotene Strategie.

ganimed hat geschrieben:Und die Vorstellung, dass ausgerechnet wir in Westeuropa kulturell alles richtig machen, erscheint mir fragwürdig.

Mir auch. Ich vertrete ja selbst "nur" eine komparativistische Position: Es gibt eine Ordinalskala der ethischen Qualität, also die Möglichkeit des Vergleichs, aber nicht der Einordnung in ein absolutes Schema. Man kann sagen, dass A besser als B ist, aber nicht, dass A zu 78% gut ist und B nur zu 53%. Die westeuropäische Haltung zur Todesstrafe und zu vielen anderen ethischen Themen ist nicht die allgültige Lösung, sie ist nur besser als andere.

ganimed hat geschrieben:Meine Begründung dafür, dass es hier so ist und anderswo anders, erscheint mir plausibel. Verschiedene Kulturen, verschiedene Gewöhnung, verschiedene Prägung. Was wäre deine Begründung für die unterschiedliche Einstellung zur Todesstrafe? Einfach nur "alle die dafür sind haben einen Knall"?

Die Begründung ist in weiten Teilen auch plausibel, aber nur, solange du auf besagter deskriptiver Ebene bleibst. Sobald du aus deinen empirischen Beobachtungen Normen ableitest (und z.B. die Forderung, wir sollen alle zugeben, dass wir nur wegen des Geschmacks gegen die Todesstrafe sind, IST bereits eine normative Forderng), wertest auch du nach Geschmack und anhand von Vorurteilen. Jetzt bist du plötzlich nicht mehr qualitativ objektiver als wir. Deine Position KÖNNTE höchstens auf der ethisch abgewägten Ordinalskala besser sein als meine/unsere, das ist meinem Geschmack ( :mg: ) nach aber noch nicht hinreichend begründet.

ganimed hat geschrieben:Diese Abwägungen willst du einseitig durch die Zuweisung des Begriffs "elementar" entscheiden? (Ich vermute, "elementar" meint bei dir genau, dass man das Recht nicht in Abwägung übergehen darf). Mir scheint, du erhebst das Recht damit zu einem absoluten Prinzip, das keiner Relativierung und Überlegung unterliegen soll. Das klingt für mich nicht sehr rational und damit schonmal nicht sehr überzeugend. Da fehlt zumindest noch eine knackige Begründung.

Eine knackige Begründung kann ich kaum liefern, weil wir über ein normatives Thema reden. Da gibt es allenfalls schwach bessere Begründungen.
Das "Recht" ist Ergebnis eines langen kulturellen Lernprozesses von ethischem Interessenausgleich, von dem ich behaupte, dass Europa eine der längsten und produktivesn Erfahrungen damit hat (in anderen Erdteilen gibt es traditionell weder kodifiziertes noch demokratisch-transparent überwachtes Recht). Man könnte sagen, dass das heutige Recht ein ziemlich erfolgreiches Mem ist. Das gibt ihm eine gewisse funktionalistische Legitimität.
Der Lernprozess gleich in vereinfachter Form zudem dem Gesellschaftsvertrag von John Rawls, dem berühmten Gerechtigkeitstheoretiker. Da es für alle gleichermaßen gilt, hat jedes Individuum ein Interesse an einem fairen Recht. EIn faires und ethisch (=Interessenausgleich) fein abgestimmtes Recht wiederum kann eine universalere Legitimität für sich in Anspruch nehmen, als ein willkürliches und einseitiges Recht (beispielsweise in Gegenden mit rigoroser Einheitskultur). Daher befürworte ich die Herrschaft des Rechts.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Bionic » Mo 14. Jun 2010, 22:42

ganimed hat geschrieben:Kann man es sich wirklich so einfach machen, die USA als barbarisch, spinnert und bibeltreu abzutun?

Sch dir mal deren Gesetze an. Dann könntest du schon zu so einem ähnlichen Schluss kommen.
ganimed hat geschrieben:dass sie kulturell nun einmal so geprägt sind. Genau wie uns das scharfe Essen aus Fernost nicht schmeckt, schmeckt uns Polygamie auch nicht. Einfach nur, weil wir so geprägt wurden und die Sachen nicht gewöhnt sind.

Was sind denn das für Vergleiche?? Ich finde leicht scharfes Essen toll und Polygamie halte ich auch für überlegenswert.
Es gibt außer der Prägung auch noch das Nachdenken, über eine Sache.
ganimed hat geschrieben: Was wäre deine Begründung für die unterschiedliche Einstellung zur Todesstrafe? Einfach nur "alle die dafür sind haben einen Knall"?

Große Staaten machen es sich dadurch einfacher. (Glauben sie zumindest..) Auffallend ist auch, dass es die Todesstrafe oftmals in stark religiös
Staaten noch gibt. (Ob diese dann so klever sind..?)
ganimed hat geschrieben:Wenn ich einen Menschen hinrichte, dann verletze ich damit sein Recht auf Leben.

Ja wenns weiter nichts ist..
ganimed hat geschrieben:Mir scheint, du erhebst das Recht damit zu einem absoluten Prinzip, das keiner Relativierung und Überlegung unterliegen soll. Das klingt für mich nicht sehr rational und damit schonmal nicht sehr überzeugend. Da fehlt zumindest noch eine knackige Begründung.

Was sollte man da überlegen sollen?? Wofür genau willst du eine Begründung?
(PS: Hier geht es um die Todesstrafe! Das ist die elementarste Verletzung die ein Staat ausüben kann! Darüber solltest du dir schon im Klaren sein..)
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Mark » Mo 14. Jun 2010, 22:54

Warum nicht einfach ?
Es geht um die Konsequenz bei der Vertretung der Menschenrechte und ihre Signalwirkung. Es geht um das Vertrauen der Bürger an die Unantastbarkeit ihrer Grundrechte. Wenn der Staat das Recht auf Leben absprechen kann zeigt er, daß er sich nach eigenem Dünken nicht der bedingungslosen Verteidigung der Grundrechte verschreibt. Dadurch werden diese Rechte beliebig, und eben DAS Signal DARF nicht sein. Das ist ein völlig praktischer Grund.
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Re: Todesstrafe

Beitragvon ujmp » Mo 14. Jun 2010, 23:15

Gernot Back hat geschrieben:Hallo Ujmp!

ujmp hat geschrieben:Keiner weiß so richtig, warum Menschen so etwas tun. Was ist, wenn sie sich wirklich nicht ändern können?

Ist das jetzt als Plädoyer deinerseits zu verstehen, dass der Staat vorsichtshalber allen LiebhaberInnen (m/w) den freiwilligen Umgang mit möglichen Psychopathen verwehren oder dass er solcherlei Gemetzel zu Präventionszwecken gar auch noch selbst begehen sollte?


Mit der Einführung der Todesstrafe hätte der Rest sich ja erledigt. Ich würde außerdem das Wort "einschläfern" bevorzugen. Mit Hunden, die Kinder totbeisen, macht man das doch auch. :mg:
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Re: Todesstrafe

Beitragvon Bionic » Mo 14. Jun 2010, 23:21

ujmp hat geschrieben:Mit der Einführung der Todesstrafe hätte der Rest sich ja erledigt. Ich würde außerdem das Wort "einschläfern" bevorzugen. Mit Hunden, die Kinder totbeisen, macht man das doch auch. :mg:

Mit dir muss man über dieses Thema wohl nicht diskutieren..
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