AgentProvocateur hat geschrieben:Falls nein, kann ich dann zurecht sagen kann, dass Deine ganze Argumentation mit 'Kausalität' nur ein red herring, ein Ablenkungsmanöver ist. Freiheit nach Deinem Begriff kann es dann schlicht nicht geben, egal, ob unsere Welt streng determiniert ist oder nicht.
Ich verstehe noch nicht so ganz, wieso es meinen Freiheitsbegriff in einer nicht determinierten Welt nicht geben kann.
AgentProvocateur hat geschrieben:'Selber bestimmen' bedeutet Freiheit von äußeren und inneren Zwängen. Die Freiheit, die ja in meiner Sicht immer nur graduell sein kann, ist mE größer, als wenn diverse innere (z.B. Phobie, Sucht) oder äußere (z.B. Gehirnwäsche) Zwänge hinzukommen.
Ich gebe zu, die Freiheit wird durch den Wegfall von bestimmten Zwängen größer. Wenn aber ein Zwang, nämlich die totale Abhängigkeit von Ursachen, verbleibt, dann ist das ein Nullsummenspiel, dann gibt es auch durch den Wegfall anderer Zwänge keine Freiheit.
Du freust dich, dass bei Selbstbestimmtheit deine Entscheidung nicht von einer Phobie oder einer Gehirnwäsche abhängt. Und es scheint dir egal zu sein, dass sie aber immer noch von Gedächtnisinhalten, Kindheitsprägungen und Hormonspiegeln abhängt, welche allesamt nicht von dir bewusst kontrolliert werden können. Das stört dich wirklich nicht? Ich sehe da keinen Unterschied, ob meine Entscheidung nun von Hü oder Hott abhängt. Abhängigkeit ist es in beiden Fällen, und damit das Fehlen von Freiheit.
AgentProvocateur hat geschrieben:Da X und Y exakt gleich, ununterscheidbar, sind, können wir daraus schließen, dass die Entscheidungen von Y exakt genauso abgelaufen sind wie bei X. Der einzige Unterschied zwischen X und Y ist der, dass wir bei X sicher sagen können, dass es physikalisch nie anders hätte ablaufen können, da es in X's Welt keinerlei Zufall gibt. Wohingegen es bei Y hätte sein können, dass irgendwas hätte anders passieren können. Ist es zwar nicht, hätte aber sein können.
Ist also Y ebenso unfrei wie X?
Wie oben erwähnt: wenn ein Zwang wegfällt, dann bleiben möglicherweise dennoch andere. Ein 'vollständiger' Zwang reicht, um der Freiheit den Garaus zu machen.
Entfällt also bei Y der kausale Zwang, dann ist das ein erster Schritt. Wenn dies der letzte bzw. einzige Zwang war, dann ja, dann ist Y freier als X. Wenn es nicht die einzige war, dann bleibt Y trotz Akausalität möglicherweise ebenso unfrei wie X.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was genau ist denn der Unterschied zwischen einem 'moralischen Vorwurf' und einem 'normalen Vorwurf'?
Bei einem "moralischen" Vorwurf unterstelle ich Schuld und behaupte: es ist die Schuld des Handelnden, denn er hätte ja auch anders handeln können. Ich werte das moralisch, nehme es dem Beschuldigten möglicherweise übel und kann daraus das Recht zur Verhängung einer Strafe ableiten.
Bei einem "normalen" Vorwurf unterstelle ich eine Verursachungsbeziehung. Ich bezichtige den Handelnden der Tat, ich nenne den Täter ursächlich verantwortlich. Vernünftiger- und konsequentialistischer Weise bleibt eine Tat je nach Schadensausmaß nicht ohne Folgen. Der Handelnde muss gegebenenfalls Verantwortung übernehmen, d.h. Maßnahmen ergreifen, um den Schaden oder die Wiederholungswahrscheinlichkeit gering zu halten.
AgentProvocateur hat geschrieben:Die notwendige und hinreichende Voraussetzung für einen moralischen Vorwurf ist mE folgende: jemand hat eine Normverletzung absichtlich und wissentlich oder aber fahrlässig begangen. Oder in kurz: jemand kann etwas für seine Handlung / Unterlassung.
Genau. "Jemand kann etwas für seine Handlung", das ist unser gemeinsamer Nenner. Das empfinde auch ich als notwendige Voraussetzung. Ich finde nur, im Unterschied zu dir, dass man angesichts des kausalen Zwanges eben nie etwas für seine Handlung kann.
AgentProvocateur hat geschrieben:Zum Beispiel demjenigen mit dem Tourette-Syndrom kann kein Vorwurf gemacht werden, er hat nicht bewusst / absichtlich gehandelt.
Du unterstellst hier, dass wenn man bewusst und absichtlich handelt, dass man dann etwas dafür kann. Aber wenn man in einer determinierten Welt nur auf eine einzige Art und Weise bewusst und absichtlich sein kann, dann kann man immer noch nichts dafür. Bewusstsein und Absicht stellen keine Wahlfreiheit dar. Oder, wenn man so will, das Bewusstsein hat sich unbewusst ergeben und die Absicht baute sich ohne Absicht auf.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was ist die Voraussetzung für einen 'normalen Vorwurf' in Deinem Sinne? Ist die irgendwie anders als diejenige, die ich für einen moralischen Vorwurf für hinreichend halte?
Die Voraussetzung für einen 'normalen Vorwurf' ist die Zuordbarkeit der 'schädlichen' Handlung. Wenn der Orkan A auf B schubst, dann war der Auslöser der Orkan und es liegt keine aktive Handlung von A vor. Wenn A B bei Windstille schubst, dann ist ein 'normaler Vorwurf' angebracht.
AgentProvocateur hat geschrieben:Okay, also ist notwendige Voraussetzung für 'Freiheit' für Dich, dass jemand machen kann, dass 'X != X' gilt. Dann verweise ich nochmal auf meinen Einwand von ganz oben: das hat nichts mit Kausalität zu tun.
Ich nehme an, du meinst hier "S!=S"? Ich finde, das hat sehr viel mit Kausalität zu tun.
Nur in einer kausalen Welt gilt: Wenn die Ausgangssituation S genau gleich ist, dann handelt X auch genau gleich. Da die Handlung von X vollständig und kausal von der Situation S abhängt.
In jeder anderen Welt gilt das aber per Definition eben nicht. Da kann X, obwohl die Situation exakt die gleiche ist, dennoch was anderes machen.