Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Di 16. Feb 2010, 20:37

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun ja. Langer Rede kurzer Sinn: wir sind trotz aller Bemühungen keinen Schritt weiter gekommen, wir wiederholen uns nur noch.

Stimmt wohl. Aber selten haben mir ständige Wiederholungen so viel Spaß gemacht. Es ist für mich nach wie vor spannend, den Versuch zu unternehmen, deine andere Denkweise zu verstehen. Aber ich gebe zu, die Fortschritte scheinen kleiner zu werden. Aber die bisherige Bilanz fällt für mich zumindest eindeutig positiv aus: ich habe gelernt, dass Akausalität gleich Zufall ist. Ich habe einiges über die Begriffe Schuld, Konsequentialismus und Verantwortung gelernt. Und ich glaube besser verstanden zu haben, was Kompatibilisten mit "freiem Willen" meinen.

Ich könnte also damit leben, wenn wir jetzt diese Diskussion in Frieden und guter Laune auslaufen ließen.
Ich könnte aber auch damit leben, wenn ich noch zwei meiner drängensten Fragen beantwortet bekäme :) Nur falls es dir der Mühe wert ist.
1) Wieso benutzen Kompatibilisten den Begriff "frei"?
2) Wieso gibt es für Kompatibilisten "Schuld"?

Ich stell die Fragen mal noch etwas konkreter und genauer:

zu (1):
AgentProvocateur hat geschrieben:'Wahlfreiheit' bedeutet meiner Ansicht nach dies: jemand hat die hinreichende Fähigkeit dazu, seine Präferenzen, Ansichten und Ziele bei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen und die Entscheidung auf diese hin auszurichten und die Folgen seiner Entscheidung hinreichend abschätzen zu können.?

Von was ist deine Wahl frei? Oder inwiefern ist deine Wahl frei?
Als Eigenschaften der Wahl führst du doch nur auf, welche Grundlagen bei der Wahl verwendet werden: Präferenzen, Ansichten, Ziele und Folgenabschätzung. Woher kommt also das Wort "Freiheit"?

zu (2):
AgentProvocateur hat geschrieben:Viele Inkompatibilisten verstehen unter 'Wahlfreiheit' Folgendes: "angenommen, wir könnten die Zeit zurückdrehen, dann würde sich ein Subjekt bei einer Entscheidung in exakt derselben Situation (d.h. sowohl äußere als auch innere Zustände sind exakt gleich) mal für P (Passat) und mal für T (Trabbi) entscheiden." (Auch PAP genannt: Principle of Alternate Possibilities)

PAP würde aber meiner Ansicht nach nicht auf 'Freiheit' hinweisen, sondern nur auf Willkür, Zufall, nicht in Übereinstimmung mit der Persönlichkeit zu bringen, keine Erhöhung der persönlichen Freiheit bedeuten können.

PAP und "persönliche Freiheit" scheinen wirklich vollkommen unterschiedliche Dinge zu sein.
(a) PAP => B hätte auch anders entscheiden können
(b) persönliche Freiheit => B hat selber, kontrolliert und bewusst entschieden

Nach meinem Empfinden braucht man beide Eigenschaften (a) und (b) für eine Schuld. Wenn ich recht verstehe, sprichst du B jedoch schuldig, obwohl (a) nicht gegeben ist. Und das verstehe ich nicht. Wenn B gar nicht anders konnte, da (a) nicht vorliegt, wie kann B dann dafür moralisch verantwortlich gemacht werden?
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Di 16. Feb 2010, 21:39

Vielen Dank Myron für die Zitate und Links zu Strawson! Den kannte ich nicht (ich kenne ja schändlich wenig Philosophen). Endlich mal einer, bei dem ich auch nach längerer Lesezeit praktisch nur Zustimmung feststellen kann. Sieht so aus, als befände ich mich so ziemlich auf seiner Linie.

Myron hat geschrieben:Da stellt sich freilich die Frage, welche konkreten Folgen die Strawson'sche Einsicht für unsere gesellschaftliche Sanktionspraxis, sowohl die negativen als auch die positiven Sanktionen betreffend, haben soll.

Das ist in der Tat eine schwierige Frage. Letztlich wohl nur von der Gesellschaft selbst zu beantworten, da es ja um feine Geschmacksnuancen in Sachen Moral, Emotionen und praktischem Zusammenleben geht.
Bevor ich diese aktuelle Marathon-Sitzung mit AgentProvocateur hatte, wähnte ich mich der grundsätzlichen Beantwortung der Frage übrigens noch viel näher. Aber ich muss eingestehen, dass mich diese Sicherheit mit längerem Nachdenken und den Anti-Konsequentialisten-Argumenten von AgentProvocateur doch ein wenig verlassen hat.

Im privaten Bereich scheint mir der Strawson-Ansatz recht sympathisch zu sein: seine eigenen Verdienste und die Fehler der anderen durch die Leugnung des freien Willens abschwächen, die eigenen Fehler und die Verdienste der anderen durch die Illusion vom freien Willen aufwerten. Gegenüber sich selber wird man auf diese Weise bescheidener und selbstkritischer, gegenüber anderen großzügiger und förderlicher. Das hört sich in meinen Ohren gar nicht mal so schlecht an.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 17. Feb 2010, 01:30

ganimed hat geschrieben:1) Wieso benutzen Kompatibilisten den Begriff "frei"?
2) Wieso gibt es für Kompatibilisten "Schuld"?

Nun, also ich maße es mir ja keineswegs an, hier für Kompatibilisten antworten zu können, das kann ich nicht.

Ich kann nur meine Meinung darstellen.

1) 'Freiheit' bedeutet meiner Ansicht nach etwas, dieser Begriff ist nicht leer, bedeutungslos, ein per se unmögliches Konzept. Und die Frage ist dann, wenn man dem zustimmt, was er denn bedeuten könnte, was man meint, wenn man das Wort verwendet.

2) 'Schuld' ist für mich, wie schon öfter gesagt, gleichbedeutend mit 'moralische Verantwortung für eine Normverletzung'.

ganimed hat geschrieben:zu (1):
AgentProvocateur hat geschrieben:'Wahlfreiheit' bedeutet meiner Ansicht nach dies: jemand hat die hinreichende Fähigkeit dazu, seine Präferenzen, Ansichten und Ziele bei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen und die Entscheidung auf diese hin auszurichten und die Folgen seiner Entscheidung hinreichend abschätzen zu können.?

Von was ist deine Wahl frei? Oder inwiefern ist deine Wahl frei?
Als Eigenschaften der Wahl führst du doch nur auf, welche Grundlagen bei der Wahl verwendet werden: Präferenzen, Ansichten, Ziele und Folgenabschätzung. Woher kommt also das Wort "Freiheit"?

'Freiheit' bedeutet für mich genau das: die Fähigkeit dazu, die gegebenen Umstände zu erkennen, sie zu berücksichtigen und damit umgehen zu können. Seine Handlungen auf seine Ziele anpassen zu können und diese Ziele selber auch hinterfragen und gegebenfalls anpassen zu können (theoretisch unendlich weit).

Mir hat noch niemals jemand auch nur im Ansatz einen besseren, mir plausibler erscheinenden Freiheitsbegriff darlegen können.

Alles, was dann kommt, ist immer nur: 'Freiheit und Kausalität sind nun mal Gegensätze'. Und wenn ich frage: "wieso eigentlich?", dann gibt es keine Antwort darauf. Nur: "isso, weil ich das sage". Und das überzeugt mich nun mal überhaupt nicht. Ich sage dann gelangweilt: "aha, soso, hast Du auch ein Argument dafür?". Und dann kommt gar nichts mehr. Außer Antworten in dem Sinne "is' doch evident, die anderen sehen das doch auch so. Isso. Is' einfach selbstverständlich."

Und das hatte ich schon tausend Mal. Ist immer dasselbe. *Schulterzuck* Es wird noch nicht einmal im Ansatz eingesehen, dass ein kleines Argument hier ganz hilfreich sein könnte. Aber das wäre es nun mal. Es wäre auch sehr hilfreich, ein Konzept von 'Freiheit' zu haben, das nicht von Vorneherein völlig unmöglich ist, in keiner denkbaren Welt, egal, ob determiniert oder indeterminiert.

ganimed hat geschrieben:zu (2):
AgentProvocateur hat geschrieben:Viele Inkompatibilisten verstehen unter 'Wahlfreiheit' Folgendes: "angenommen, wir könnten die Zeit zurückdrehen, dann würde sich ein Subjekt bei einer Entscheidung in exakt derselben Situation (d.h. sowohl äußere als auch innere Zustände sind exakt gleich) mal für P (Passat) und mal für T (Trabbi) entscheiden." (Auch PAP genannt: Principle of Alternate Possibilities)

PAP würde aber meiner Ansicht nach nicht auf 'Freiheit' hinweisen, sondern nur auf Willkür, Zufall, nicht in Übereinstimmung mit der Persönlichkeit zu bringen, keine Erhöhung der persönlichen Freiheit bedeuten können.

PAP und "persönliche Freiheit" scheinen wirklich vollkommen unterschiedliche Dinge zu sein.
(a) PAP => B hätte auch anders entscheiden können
(b) persönliche Freiheit => B hat selber, kontrolliert und bewusst entschieden

Nach meinem Empfinden braucht man beide Eigenschaften (a) und (b) für eine Schuld. Wenn ich recht verstehe, sprichst du B jedoch schuldig, obwohl (a) nicht gegeben ist. Und das verstehe ich nicht. Wenn B gar nicht anders konnte, da (a) nicht vorliegt, wie kann B dann dafür moralisch verantwortlich gemacht werden?

Weil PAP per se inkonsistent, selbstwidersprüchlich ist: es bedeutet nämlich, dass zwei Situationen S und S' gleichzeitig identisch und verschieden sein müssten. Habe ich doch schon gesagt. Wie kommt man bloß auf so einen offensichtlichen Quatsch? Wieso sollte 'Freiheit' bedeuten müssen, dass Identisches unterschiedlich sein sollte? Das ist doch nicht einfach so per se evident, das bedarf doch einer Begründung (und eine rationale Begründung ist nicht: "weil ich das so sage").

Ist deswegen nicht evident, weil es überhaupt nicht mit unserer jetzigen Lebenspraxis übereinstimmt. Man hält jemanden heute dann für moralisch verantwortlich, wenn er etwas aus eigenem Entschluss getan hat. Und wenn nicht, (-> 'Orkanbö'), dann nicht - das unterscheidet man.

Wenn man es zukünftig anders handhaben soll, dann muss das begründet werden. Und die Begründungslast liegt beim Inkompatibilisten.

Warum sollte also nur jemand schuld sein können, der machen kann, dass S == S' gilt und gleichzeitig S != S'? Das hört sich doch erst mal nur merkwürdig an und keineswegs plausibel.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon Myron » Mi 17. Feb 2010, 10:58

ganimed hat geschrieben:Wieso benutzen Kompatibilisten den Begriff "frei"?


Freiheit bedeutet für die Kompatibilisten Ungezwungenheit, d.i. die Freiheit von inneren und äußeren Zwängen, die einen daran hindern, so zu handeln, wie man will oder es für richtig hält.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Mi 17. Feb 2010, 21:14

AgentProvocateur hat geschrieben:Alles, was dann kommt, ist immer nur: 'Freiheit und Kausalität sind nun mal Gegensätze'. Und wenn ich frage: "wieso eigentlich?", dann gibt es keine Antwort darauf.

Wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre, dann würde ich dir vielleicht sogar glauben. Aber ich war ja einer von denen, die zu dir gesagt haben "Freiheit und Kausalität sind nun mal Gegensätze". Mir hast du die Frage "wieso eigentlich?" oft gestellt. Ich habe sie jedesmal beantwortet. Möglicherweise nicht fehlerfrei, erschöpfend oder völlig zwingend, aber immerhin. Das Problem ist hier, so scheint mir, also nicht, dass Inkompatibilisten niemals Begründung liefern würden. Das Problem ist, dass du sie zumindest meine allesamt nicht akzeptierst. Was ja durchaus legitim ist. Nur deine Beschreibung des Vorgangs führt etwas in die Irre.

AgentProvocateur hat geschrieben:Weil PAP per se inkonsistent, selbstwidersprüchlich ist: es bedeutet nämlich, dass zwei Situationen S und S' gleichzeitig identisch und verschieden sein müssten.

Ganz genau. In einer kausalen Welt kann es kein PAP geben. Und genau das sage ich ja auch.
Das berührt aber gar nicht meine Frage. Die war nämlich: wieso kannst du B schuldig sprechen, auch wenn der (ohne PAP) gar nicht anders handeln konnte? Jemand, der nicht anders handeln konnte, musste so handeln, handelte unter Zwang, kann also nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Oder?
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Mi 17. Feb 2010, 21:18

Myron hat geschrieben:Freiheit bedeutet für die Kompatibilisten Ungezwungenheit, d.i. die Freiheit von inneren und äußeren Zwängen, die einen daran hindern, so zu handeln, wie man will oder es für richtig hält.

Die erste Hälft unterschreibe ich sofort. Nur sehe ich den Zwang der Kausalität (innen und außen) und deshalb also keine Freiheit mehr. Wie gelingt es den Kompatibilisten, das mit der Kausalität zu ignorieren?

Der zweite Teil ("so zu handeln, wie man will oder es für richtig hält") scheint mir lediglich "Handlungsfreiheit" zu sein und nicht "Willensfreiheit".
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon AgentProvocateur » Do 18. Feb 2010, 00:49

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Weil PAP per se inkonsistent, selbstwidersprüchlich ist: es bedeutet nämlich, dass zwei Situationen S und S' gleichzeitig identisch und verschieden sein müssten.

Ganz genau. In einer kausalen Welt kann es kein PAP geben. Und genau das sage ich ja auch.

Stimmt aber so nicht: es kann in keiner logisch möglichen Welt PAP wahr sein, denn es kann nun mal nicht gleichzeitig gelten: S == S' und S != S'.

ganimed hat geschrieben:Das berührt aber gar nicht meine Frage. Die war nämlich: wieso kannst du B schuldig sprechen, auch wenn der (ohne PAP) gar nicht anders handeln konnte? Jemand, der nicht anders handeln konnte, musste so handeln, handelte unter Zwang, kann also nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Oder?

'Anders handeln können' im Sinne von PAP ergibt nun mal keinen Sinn, denn alles ist so, wie es ist und kommt so, wie es kommen wird und nie anders. Tautologie. Wenn Du das mit 'müssen' gleich setzt, dann ist alles 'müssen', völlig egal, ob kausal oder nicht. Dann gibt es prinzipiell keinen Unterschied mehr zwischen den Aussagen: "X hat Y getan" und "X musste Y tun" - und wie gesagt: das hat dann gar nichts mit Kausalität zu tun, das gilt in jeder logisch möglichen Welt. Du müsstest Dich dann von Deiner Argumentation mit Kausalität mal verabschieden, denn diese ist dafür völlig unerheblich, spielt keinerlei Rolle, ist nur ein Red Herring, nichts weiter.

Für die Zuweisung einer moralischen Verantwortung sieht man das aber normalerweise nicht so. Man unterscheidet zwischen 'müssen' ("Zwang") und 'können' (hätte gekonnt, wenn er gewollt hätte und dass er nicht wollte, lag an ihm, war seine eigene Entscheidung, es gab keine äußeren und inneren Zwänge, die ihn daran hätten hindern können). Und wie schon weiter oben gehabt, versteht man normalerweise unter 'Zwang' etwas anderes als das, was Du darunter verstehst.

Der Fehler, den Inkompatibilisten machen, ist mE übrigens folgender: sie betrachten das Universum als Ganzes, den Menschen als ein Teil davon und fragen dann, ob der Mensch das Universum so ändern kann, dass es anders ist, als es ist (oder anders sein wird, als es sein wird). Und das geht selbstverständlich nicht, ein System als Ganzes ist immer so, wie es nun mal ist.

Und aus einem mir nicht nachvollziehbaren Grunde gehen sie nun noch ein Stück weiter und behaupten irgendwie, die kausalen Abläufe im Universum seien ein System und eventuelle akausale Abläufe gehörten nicht dazu. Aber wieso? Dafür gibt es doch überhaupt keinen Grund. Wenn man mal hypothetisch annimmt, unser Universum beinhalte sowohl kausale als auch akausale bzw. indeterminierte Abläufe und betrachtet es dennoch als ein einziges System, dann ist die Frage danach, ob das System (oder ein Teil des Systemes das ganze System) sich so ändern kann, dass es anders ist, als es ist, immer noch per se sinnlos.

Und wieso sollte die Zuweisung von moralischer Verantwortung von einer per se sinnlosen Bedingung abhängen?

Einzig sinnvoll ist es mE, zu fragen, ob und wie das System Mensch Einfluss auf das Restsystem Universum haben kann. Und dann ist es auf einmal keine Beeinträchtigung mehr, dass innerhalb des Systemes Mensch ebenfalls kausale Abläufe vonstatten gehen. Bestimmte kausale Abläufe sind nun mal der Mensch, ohne sie wäre er gar nicht, das ist dann aber kein Zwang, keine Beeinträchtigung, keine Einschränkung; lediglich grundnotwendige und unerlässliche Voraussetzung dafür, dass es überhaupt ein System Mensch in einer materiellen Welt geben kann. Bei Inkompatibilisten schwingt immer noch dieses 'Homunculus'-Ding mit, so als ob 'ich' etwas außerhalb der materiellen Welt Stehendes wäre, 'ich' von kausalen Abläufen unabhängig sein müsste, etwas Geheimnisvolles, Magisches, Transzendentes und gewisse kausalen Abläufe nicht wesentlicher und unabdingbarer Teil von mir. Aber so ist das nicht, ich bin bestimmte materielle kausale Abläufe / Prozesse, nicht mehr und nicht weniger.

Und das hindert mich nun keineswegs daran, mich als moralisch verantwortlich anzusehen für meine Entscheidungen und Handlungen. So diese mir zuzurechnen sind, es meine sind. Und eine kausale Welt kann nicht prinzipiell verhindern, dass gewisse Entscheidungen und Handlungen von mir getroffen / ausgeführt werden. Es sei denn, man verlangte als notwendige Voraussetzung für die Zuweisung von moralischer Verantwortung, ich als Teilsystem sollte das Gesamtsystem inkl. mir so ändern können, dass es anders ist, als es ist (anders sein wird, als es sein wird). Aber wieso sollte man? Das ist doch einfach nur sinnlos.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Do 18. Feb 2010, 22:22

AgentProvocateur hat geschrieben:'Anders handeln können' im Sinne von PAP ergibt nun mal keinen Sinn

Richtig. "Anders handeln können" gibt es nicht. Wir sind uns einig.
Nur, und das lässt du unerwähnt, ist das aber nun einmal genau die Illusion, die unser Bewusstsein die ganze Zeit aufbaut. Es fühlt sich als Mensch so an, als hätten wir gerade etwas entschieden, als hätten wir gerade auch anders handeln können.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und wieso sollte die Zuweisung von moralischer Verantwortung von einer per se sinnlosen Bedingung abhängen?

Die Schuldzuweisung erfolgt durch unser Gehirn. Genau dem Ding, dass im bewussten Teil so tut, als würde es einen freien Willen geben, als könnten wir frei entscheiden, als gäbe es echte Handlungsalternativen.
Unser gemeinsamer Standpunkt ist: Willensfreiheit und PAP und "anders handeln können" gibt es nicht wirklich.
Meine Folgerung: dann sollte man auch mit der anderen Illusion des Geistes aufräumen: "Schuld" gibt es dann auch nicht wirklich.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber so ist das nicht, ich bin bestimmte materielle kausale Abläufe / Prozesse, nicht mehr und nicht weniger.

Genau. Du bist nur ein biochemischer Automat. Ich finde es nur höchst unverständlich, wie du dies einerseits einsehen kannst, andererseits solchen Automaten eine moralische Verantwortung aufbürden willst. Das erscheint mir irgendwie höchst inkonsequent. Den ersten Schritt getan (Willensfreiheit als Illusion erkannt) aber den zweiten noch nicht (stur am Schuld-Begriff festgehalten).
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 19. Feb 2010, 17:40

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:'Anders handeln können' im Sinne von PAP ergibt nun mal keinen Sinn

Richtig. "Anders handeln können" gibt es nicht. Wir sind uns einig.
Nur, und das lässt du unerwähnt, ist das aber nun einmal genau die Illusion, die unser Bewusstsein die ganze Zeit aufbaut. Es fühlt sich als Mensch so an, als hätten wir gerade etwas entschieden, als hätten wir gerade auch anders handeln können.

Aber das ist keine Illusion. Man entscheidet ja und selbstverständlich hätte man anders handeln können, als man gehandelt hat, im landläufigen Sinne von 'können' (ich hätte X tun können, wenn ich gewollt hätte). Aber selbstverständlich nicht in dem Sinne von PAP: (-> S != S), das ist ja einfach nur unsinnig.

Es fühlt sich für mich so an, als ob ich X statt Y hätte tun können, wenn ich das gewollt hätte. Es fühlt sich aber nie so an, als ob ich unter exakt denselben inneren und äußeren Umständen anders hätte wollen oder handeln können.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und wieso sollte die Zuweisung von moralischer Verantwortung von einer per se sinnlosen Bedingung abhängen?

Die Schuldzuweisung erfolgt durch unser Gehirn. Genau dem Ding, dass im bewussten Teil so tut, als würde es einen freien Willen geben, als könnten wir frei entscheiden, als gäbe es echte Handlungsalternativen.

Nö, wenn Du 'frei' in Deinem merkwürdigen Sinne meinst (die Entscheidung darf weder kausal noch akausal sein, muss unabhängig und unbeeinflusst von allem sein, auch von mir selber -> darf gar nicht existieren) und 'echte' Handlungsalternativen in dem Sinne von PAP, dann hatte ich diesen Eindruck noch nie. Ich habe lediglich den Eindruck, ich hätte Kontrolle über meine Entscheidungen und Handlungen, d.h. die passieren mir nicht einfach, sondern sie sind ein wesentlicher Teil von mir. Weswegen ich mich für frei halte und nicht lediglich als merkwürdigen immateriellen Beobachter meiner selbst in einem Cartesischen Theater.

ganimed hat geschrieben:Unser gemeinsamer Standpunkt ist: Willensfreiheit und PAP und "anders handeln können" gibt es nicht wirklich.
Meine Folgerung: dann sollte man auch mit der anderen Illusion des Geistes aufräumen: "Schuld" gibt es dann auch nicht wirklich.

'Schuld' ist askriptiv und natürlich gibt es sie 'wirklich', sobald sie nämlich zugewiesen wird. Du kannst hier nicht mit Existenz argumentieren. Du kannst nur entweder mit einer plausiblen, nachvollziehbaren Definition (die 'Schuld' unmöglich macht) oder mit moralischen Bedenken (Schuldzuweisung ist böse / schlecht für Ziel XY) argumentieren.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber so ist das nicht, ich bin bestimmte materielle kausale Abläufe / Prozesse, nicht mehr und nicht weniger.

Genau. Du bist nur ein biochemischer Automat. Ich finde es nur höchst unverständlich, wie du dies einerseits einsehen kannst, andererseits solchen Automaten eine moralische Verantwortung aufbürden willst. Das erscheint mir irgendwie höchst inkonsequent. Den ersten Schritt getan (Willensfreiheit als Illusion erkannt) aber den zweiten noch nicht (stur am Schuld-Begriff festgehalten).

Wieso inkonsequent? Ich bin ein kausaler biochemischer Apparat, der frei ist, Handlungsalternativen hat, moralisch handeln kann und folglich auch schuld ist für seine Normverletzungen. Halte ich weder für einen Gegensatz noch für inkonsequent.

Und da gibt es andere kausale biochemische Automaten, mit denen ich in einer Gesellschaft lebe, die ich als ebenso frei ansehe. Was mE auch unverzichtbare Grundlage einer freien Gesellschaft ist (-> Rechte und Pflichten, Rechenschaftspflicht bei Normverletzungen, Verantwortung für die eigenen Handlungen).
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » So 21. Feb 2010, 10:06

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das ist keine Illusion. Man entscheidet ja und selbstverständlich hätte man anders handeln können, als man gehandelt hat, im landläufigen Sinne von 'können' (ich hätte X tun können, wenn ich gewollt hätte). Aber selbstverständlich nicht in dem Sinne von PAP: (-> S != S), das ist ja einfach nur unsinnig.

Mir ist da ein Bild eingefallen, ich weiß nicht ob es wirklich nützt, aber ich versuchs mal:
Beim Entscheiden und Wollen macht unser Gehirn nach gewissen Algorithmen immer das gleiche: bewerten und dann die 'beste' Möglichkeit wählen. Du nennst das sozusagen genug Freiheit. Du willst gar nicht frei in meinem Sinne sein und etwas anderes als immer nur die beste Alternative wählen, also manchmal den Trabbi. Du willst immer nur den Passat und nennst das Freiheit.

Mein Bild nun: der Mensch ist ein Wiegeassistent, der von seinem Auftraggeber immer wieder einen Sack mit mehreren Steinen erhält. Der Auftrag lautet: "wiege die Steine und gib mir bitte den schwersten zurück!" Also öffnet der Mensch den Sack, wiegt jeden der enthaltenen Steine, wählt den schwersten Stein und gibt ihn zurück. Der Wiegeassistent ist unfähig etwas anderes zu tun. Er kann nur genau diesen einen Auftrag ausführen. Mogeln oder Pause machen oder Auftrag ablehnen gibt's nicht.

Ich bezeichne die Entscheidung dieses Wiegeassistenten als unfrei. Er wählt zwar einen Stein (er entscheidet) aber er kann den Stein nicht frei wählen (nicht frei entscheiden).

Du nennst ihn frei, weil er ja bei jedem Auftrag (bei jeder Entscheidung) einen Stein aussuchen kann (sich zwischen Alternativen entscheiden kann). Der Wiegeassistent unterliegt aber der Illusion, dass er auch einen anderen als den schwersten Stein hätte wählen können, wenn er gewollt hätte. Wollte er aber nicht. Denn es erschiene ihm völlig unsinnig, nicht den schwersten Stein (den Passat) zu wählen.

Ich finde, du bist bei deiner Freiheit bei "Handlungsfreiheit", nach wie vor. Willensfreiheit geht anders.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon AgentProvocateur » So 21. Feb 2010, 15:47

ganimed hat geschrieben:Mein Bild nun: der Mensch ist ein Wiegeassistent, der von seinem Auftraggeber immer wieder einen Sack mit mehreren Steinen erhält. Der Auftrag lautet: "wiege die Steine und gib mir bitte den schwersten zurück!" Also öffnet der Mensch den Sack, wiegt jeden der enthaltenen Steine, wählt den schwersten Stein und gibt ihn zurück. Der Wiegeassistent ist unfähig etwas anderes zu tun. Er kann nur genau diesen einen Auftrag ausführen. Mogeln oder Pause machen oder Auftrag ablehnen gibt's nicht.

Ich bezeichne die Entscheidung dieses Wiegeassistenten als unfrei. Er wählt zwar einen Stein (er entscheidet) aber er kann den Stein nicht frei wählen (nicht frei entscheiden).

Ja, dieser Wiegeassistent wäre unfrei in seiner Entscheidung.

Aber das Bild ist ziemlich schief, das hat nicht viel mit menschlichen Entscheidungen zu tun: erstens git es da keinen externen Auftraggeber, der Mensch selber ist sein eigener Auftraggeber. Und zweitens gibt es keine vorgegebene Wiegeskala, diese wird vom Menschen (in einem gewissen Rahmen) selber festgelegt. Das ist der 'Witz' dabei und daraus resultiert mE die Freiheit.

Es gibt nicht nur so banale Entscheidungen wie die zwischen Passat und Trabbi oder dem getrockneten Stück Scheiße von Dieter Bohlen und 100.000 €, die von Vorneherein klar sind, für die Dein linear ablaufendes, statisches Wiegebeispiel passt, das mit einem völlig simplen Algorithmus zu realisieren wäre.

Es gibt auch Entscheidungen zwischen mehreren Optionen, die alle Vor- und Nachteile haben, die gegeneinander abgewogen werden und zwar nach einem individuellen, selber festgelegten, dynamischen Maßstab, der mit den eigenen Zielen abgeglichen wird, die wiederum nichts Statisches, Vorgegebenes sind, sondern ebenfalls dynamisch, die hinterfragt und angepasst werden können.

ganimed hat geschrieben:Ich finde, du bist bei deiner Freiheit bei "Handlungsfreiheit", nach wie vor. Willensfreiheit geht anders.

'Handlungsfreiheit' hätte in Deinem Bild der Wiegeassistent mit äußerem Auftraggeber und vorgegebenen Maßstäben (kann tun, was er will, was er will ist jedoch vorgegeben). 'Willensfreiheit' ergibt sich daraus, selber der Auftraggeber zu sein und die Ziele und Maßstäbe selber zu bestimmen. Das kann man mE berechtigterweise 'Willensfreiheit' nennen. Freier geht nicht, alle akausalen Zufallskomponenten, die man sich hinzudenkt, könnten diese Freiheit nicht erhöhen.

Wie geht denn aber Willensfreiheit nach Deiner Ansicht? Wie läuft dabei eine Entscheidung ab?
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Mo 22. Feb 2010, 22:58

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das Bild ist ziemlich schief, das hat nicht viel mit menschlichen Entscheidungen zu tun: erstens git es da keinen externen Auftraggeber, der Mensch selber ist sein eigener Auftraggeber. Und zweitens gibt es keine vorgegebene Wiegeskala, diese wird vom Menschen (in einem gewissen Rahmen) selber festgelegt.

Du bist dein eigener Auftraggeber? Du selbst hast deine Neuronen angewiesen, nach bestimmten biochemischen Mechanismen zu feuern? Du hast dir die Wirkungsprinzipien von Synapsen überlegt und in deinem Gehirn verankert? Nein, man müsste vermutlich, um im Bild des Wiegeassistenten zu bleiben, die Natur oder die Gene als Auftraggeber sehen. Und die Steinsäcke, die herein gereicht werden, sind unsere Sinneseindrücke und/oder das Feedback von jeweils anderen internen Hirnregionen.


AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt auch Entscheidungen zwischen mehreren Optionen, die alle Vor- und Nachteile haben, die gegeneinander abgewogen werden und zwar nach einem individuellen, selber festgelegten, dynamischen Maßstab, der mit den eigenen Zielen abgeglichen wird, die wiederum nichts Statisches, Vorgegebenes sind, sondern ebenfalls dynamisch, die hinterfragt und angepasst werden können.

Das Wiegen eines Steines ist, zugegeben, eine sehr eindimensionale Angelegenheit mit nur einer physikalischen Größe. Die ist natürlich leicht quantifizierbar.
Aber im Gehirn wird ja auch gar nicht quantifiziert sondern assoziiert, es wird neuronal gefeuert, Signale verstärken sich, verlieren sich, Muster bauen sich auf und ab. Es wabert hoffnungslos komplex durcheinander. Aber wenn sich an bestimmten Orten bestimmte Muster bilden, dann ist das die Entscheidung.
Du nennst die Entscheidung frei, weil die Bewertung nach selber festgelegtem Maßstab erfolgt? Aber die Festlegung des eigenen Maßstabes ist ja wiederum zurückführbar auf eine andere Entscheidung. Und diese andere Entscheidung ist doch wieder unfrei erfolgt. Ich finde, deine Einwände stellen nur dar, dass die Entscheidungen im Gehirn komplexer sind als die des Wiegeassistenten. Aber sie folgen dem gleichen Prinzip: fester Algorithmus (auf neuronaler Ebene) bei sich ständig ändernden Eingabedaten. Nix Freiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie geht denn aber Willensfreiheit nach Deiner Ansicht? Wie läuft dabei eine Entscheidung ab?

Wenigstens das habe ich in unserer Diskussion gelernt: auf solche Fangfragen nicht mehr hereinzufallen :) Nach meiner Ansicht gibt es keine Willensfreiheit.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon AgentProvocateur » Di 23. Feb 2010, 02:07

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wie geht denn aber Willensfreiheit nach Deiner Ansicht? Wie läuft dabei eine Entscheidung ab?

Wenigstens das habe ich in unserer Diskussion gelernt: auf solche Fangfragen nicht mehr hereinzufallen :) Nach meiner Ansicht gibt es keine Willensfreiheit.

Aber dieser Satz ist einfach nur sinnlos, wenn Du nicht sagen kannst, was Du eigentlich genau unter 'Willensfreiheit' verstehst.

Ist so, als ob jemand sagen würde: "nach meiner Ansicht gibt es kein Schrulliwubb." Und wenn man fragt: "was bedeutet denn 'Schrulliwubb' genau? Was kann man sich darunter vorstellen? Was sind die notwendigen und was die hinreichenden Bedingungen dafür, etwas berechtigt ein Schrulliwubb nennen zu können? Oder gib doch wenigstens mal ein Beispiel, so dass man sich das vorstellen kann.", derjenige antworten würde: "das sage ich nicht, will ich nicht genau festlegen, meine Ansicht ist aber nun, dass es keines gibt. Nur die notwendigen Voraussetzungen für Schrulliwub will ich nennen: es darf nicht kausal sein. Und akausal (zufällig) darf es auch nicht sein. Und Fakt ist auch, dass Schrulliwub für moralische Verantwortung notwendige Voraussetzung ist. Weil ich das so sage, deswegen."
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon Myron » Di 23. Feb 2010, 04:15

ganimed hat geschrieben:Nach meiner Ansicht gibt es keine Willensfreiheit.


Es geht ja eigentlich auch nicht darum, sondern um die Frage der Verhaltens- oder Handlungsfreiheit.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon Myron » Di 23. Feb 2010, 04:16

Zur Handlungsfreiheit gehört übrigens auch die Freiheit, etwas tun zu können, was man nicht tun will.
Ich verabscheue Honig und will niemals Honig essen, aber ich weiß, dass ich es tun könnte.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Di 23. Feb 2010, 21:02

Myron hat geschrieben:Es geht ja eigentlich auch nicht darum, sondern um die Frage der Verhaltens- oder Handlungsfreiheit.

Nein, mir ging es, zumindest die meiste Zeit, tatsächlich um Willensfreiheit.
Genau wie im Schopenhauersatz gemeint: "Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will."
Handlungsfreiheit haben wir relativ oft. Willensfreiheit nie. Man kann sich nicht aussuchen, was man will. Das was man will ergibt sich aus kausalen Abläufen auf neuronaler Ebene im Gehirn.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nur die notwendigen Voraussetzungen für Schrulliwub will ich nennen: es darf nicht kausal sein. Und akausal (zufällig) darf es auch nicht sein. Und Fakt ist auch, dass Schrulliwub für moralische Verantwortung notwendige Voraussetzung ist. Weil ich das so sage, deswegen.

Ich kann halt nur angeben, wieso unser Wille nicht frei ist und nicht frei sein kann und wieso es deshalb auch keine Schuld geben kann:
1) Kausalität bedeutet Unfreiheit, weil alle Entscheidungen zu 100% festgelegt sind
2) Akausalität bedeutet keine Freiheit, weil bei zufälligen Entscheidungen nicht mehr von einem Willen gesprochen werden kann
3) Moralische Verantwortung kann ich nur jemandem geben, der auch anders hätte handeln können, weil ansonsten ja Zwang vorlag.
Deine Auslassung hat es insofern bereits genau richtig getroffen. Nur deine letzte Bemerkung "Weil ich das so sage, deswegen" deutet erneut an, dass du den Eindruck hast, ich würde keine Begründungen liefern. Dir scheint nicht klar zu sein, dass ich die vorliegenden Begründungen immer wieder anführe und du sie wohl nur nicht akzeptieren magst.

Deine Position, so wie sie auf mich wirkt, fasse ich grob mal als Antworten auf die oben genannten Punkte zusammen, mit meinen Worten und sicher hier und da etwas überspitzt. Möglicherweise wird so im Gegenzug nochmal mein Problem mit deinen Argumenten deutlicher:
Zu (1) : ist egal, wenn Entscheidungen festgelegt sind. Sie müssen sogar festgelegt sein. In einer Art Wortverdrehung nenne ich jedoch dieses "Festgelegte" ganz einfach mal "Freiheit". Wieso? Weil es ja sonst keine gäbe.
Zu (2) : Akausalität hat, da sie nicht existiert und auch keinen freien Willen erzeugen würde, fast nichts mit dem Thema zu tun. Dennoch konzentriere ich mich häufig auf mögliche Widersprüche im Konzept und die Sinnlosigkeit des blinden Zufalls, weil ich darin gute Argumente gegen Inkompatibilisten vermute.
Zu (3) : Ich kann jemanden schuldig sprechen, wenn er "theoretisch" anders hätte handeln können, d.h. wenn ich mir relativ plausibel vorstellen kann, dass er auch anders gehandelt hätte. Freiheit ist insofern also schon dann gegeben, wenn ich sie jemandem unterstelle. Nur der Anschein von Möglichkeitsvielfalt muss reichen. Alleine schon deswegen, weil wir ja sonst vor konsequentialistischen Gerichten in Teufels Küche kämen.

Mein Fazit: tolle Diskussion, wohl auch deshalb weil ich die Gegenseite so faszinierend schwer verstehe.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 24. Feb 2010, 02:01

ganimed hat geschrieben:3) Moralische Verantwortung kann ich nur jemandem geben, der auch anders hätte handeln können, weil ansonsten ja Zwang vorlag.

Dein Punkt 3 ist einfach falsch und keine Begründung. Kausalität ist kein Zwang, in keiner von anderen akzeptierten Bedeutung von 'Zwang'; es gibt nun mal Bedingungen, die vorliegen müssen, damit wir existieren und über Freiheit reden können. Bedingungen = Umwelt = immer in irgend einer Hinsicht begrenzende Faktoren = aber ebenso Faktoren, die überhaupt eine Existenz von egal was überhaupt erst gewährleisten können. Ohne Umwelt gibt es gar nichts. Es ist schlicht absurd, zu verlangen, es sollte eine Umwelt ohne Kausalität und gleichzeitig ohne Akausalität geben.

ganimed hat geschrieben:Zu (1) : ist egal, wenn Entscheidungen festgelegt sind. Sie müssen sogar festgelegt sein. In einer Art Wortverdrehung nenne ich jedoch dieses "Festgelegte" ganz einfach mal "Freiheit". Wieso? Weil es ja sonst keine gäbe.

Ja, genau, die Entscheidungen müssen festgelegt werden, (nicht sein, denn sie sind es im Vorneherein nicht, sonst wäre die Entscheidung offensichtlich überflüssig) und zwar durch mich. Wenn eine Entscheidung durch mich festgelegt wird, dann ist es meine Entscheidung und die nenne ich dann frei, wenn sie ohne äußeren und inneren Zwang ('Zwang' -> alles das, was mir gegen meinen Willen aufgedrückt wird) nach meiner Persönlichkeit erfolgt.

Was aber selbstverständlich voraussetzt / bedeutet, dass 'ich' überhaupt existiere, existieren kann in einer deterministischen Welt. Wobei in meiner Sicht 'ich' eine Person bin, mit meinen Erfahrungen, meiner Geschichte, meinen Entscheidungen, meinen Handlungen und den daraus erfolgenden Persönlichkeitsmerkmalen, die mich ausmachen, mich zu dem machen, was ich bin. Ich bin eine ganze Person und nicht etwa lediglich meine momentanen bewussten Gedanken.

ganimed hat geschrieben:Zu (2) : Akausalität hat, da sie nicht existiert und auch keinen freien Willen erzeugen würde, fast nichts mit dem Thema zu tun. Dennoch konzentriere ich mich häufig auf mögliche Widersprüche im Konzept und die Sinnlosigkeit des blinden Zufalls, weil ich darin gute Argumente gegen Inkompatibilisten vermute.

Ja, allerdings ist das ein gutes Argument gegen Inkompatibilisten, denn die müssen darstellen, begründen, plausibel machen, wieso Kausalität Unfreiheit bedeutet. Und das können sie mE dann nicht, wenn Akausalität ebenfalls Unfreiheit bedeutet. Anders gesagt: daraus folgt, dass das Konzept 'Freiheit' der Inkompatibilisten ein von Vorneherein leeres Konzept ist. Was ja nicht per se indiskutabel ist, aber zumindest müssten sie dann darlegen können, dass dieses Konzept dem allgemeinen Konzept, dem, was man meint, wenn man von 'Freiheit' redet, entspricht. Und dazu wäre es ziemlich hilfreich, wenn dieses vertretene Konzept mal explizit dargestellt würde.

Oder anders gesagt: die Gleichung 'Freiheit != Kausalität' (bzw. 'Kausalität = Unfreiheit') ist keineswegs so evident, wie von Inkompatibilisten immer einfach so behauptet. Und die Gleichung 'Freiheit = nichts logisch Darstellbares' ist es auch nicht.

ganimed hat geschrieben:Zu (3) : Ich kann jemanden schuldig sprechen, wenn er "theoretisch" anders hätte handeln können, d.h. wenn ich mir relativ plausibel vorstellen kann, dass er auch anders gehandelt hätte. Freiheit ist insofern also schon dann gegeben, wenn ich sie jemandem unterstelle. Nur der Anschein von Möglichkeitsvielfalt muss reichen. Alleine schon deswegen, weil wir ja sonst vor konsequentialistischen Gerichten in Teufels Küche kämen.

Es ist ja keineswegs evident, dass jemand in dem Sinne anders handeln können muss, dass er den Ablauf der Welt anders gestalten kann, als dieser sein wird (-> S != S), um ihn für moralisch verantwortlich für seine Handlungen zu halten. Und eben das bedeutet PAP nun mal, wenn man es genauer betrachtet.

Alles ist so gekommen, wie es gekommen ist und alles wird so kommen, wie es kommen wird. Egal, ob kausal determiniert oder nicht. Es wird für uns trivialerweise nur genau einen einzigen Ablauf geben. Die Frage für mich ist daher nur, ob ich als Person überhaupt existiere und ob meine Entscheidungen und Handlungen einen Unterschied machen dafür, wie die Zukunft aussehen wird. Und das tun sie; nähme man mich aus der Welt hinaus, würde das einen Unterschied machen, dann wäre der Ablauf der Welt ein anderer. Und da ich meine, dass ich existiere, (ich bin der Organismus, der hier gerade tippt, eine Person mit subjektiven Wahrnehmungen), nehme ich auch an, dass ich entscheide und handele. Und daher, sofern ich die Auswirkungen dessen abschätzen kann, bin ich auch dafür moralisch verantwortlich.

Wenn Du mir ein anderes Konzept von 'Freiheit' und 'moralischer Verantwortung' präsentieren könntest, das mir besser (oder gar erst als einzig richtig) erschiene und meines dagegen als unplausibel erscheinen ließe, dann würde ich das gerne zugeben. Aber das müsstest Du nun mal tun; so erscheint mir Deine Argumentation lediglich auf einer merkwürdigen ad hoc-Definition von 'Zwang' zu beruhen, bei der Dir sicher niemand zustimmen wollen wird.

Ich glaube ernsthaft, dass das allgemeine Konzept von Freiheit letztlich auf meiner Definition beruht: entscheidet und handelt nach seiner Persönlichkeit, ohne äußeren und inneren Zwang. Diese Freiheit kann kein Zufall (Akausalität) erhöhen; wenn wir zwei hypothetische Welten vergleichen, A und B, wobei A determiniert ist und B (teilweise) indeterminiert und in beiden Welten die immer identisch handelnden Wesen X (in A) und Y (in B), dann sehe ich keinen Grund, warum Y freier als X sein sollte. Oder gar X unfrei und Y frei.

Und nochmal kurz zum Konsequentialismus: es ist nun mal ein logischer Widerspruch in sich, auf der einen Seite das Weltgeschehen als von uns unbeeinflussbar ablaufend zu deklarieren, dann aber auf der anderen Seite die Forderung nach einem angeblich notwendigen Konsequentialismus zu stellen. So, als ob man doch was beeinflussen könnte, entscheiden könnte zwischen Konsequentialismus ja / nein, diesen also als Möglichkeit ansieht. Könnte man jedoch zwischen Möglichkeiten entscheiden, dann steht aber nun mal auch wieder die moralische Verantwortung auf dem Tapet, denn diese Entscheidungsfähigkeit ist die notwendige und auch hinreichende Bedingung für diese Zuweisung.

Dazu bedarf es nicht mehr. Wenn doch: was bitte? Hoffentlich nicht die Fähigkeit, machen zu können, dass das weitere Weltgeschehen anders ablaufen wird, als es ablaufen wird. Denn das erscheint mir wenig plausibel.
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon ganimed » Mi 24. Feb 2010, 20:54

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Punkt 3 ist einfach falsch und keine Begründung. Kausalität ist kein Zwang, in keiner von anderen akzeptierten Bedeutung von 'Zwang';

Zwang ist dann, wenn man nicht anders kann. 100% Kausalität bedeutet aber genau das, nämlich dass man nicht anders kann. Man hat bei der Entscheidung keinen Spielraum, keinen Freiheitsgrad. Solange sich die Ursachen nicht ändern, ändert sich auch die Entscheidung nicht, da sie vollständig von den Ursachen abhängig ist. Was ist also falsch daran, dies Zwang zu nennen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Es ist schlicht absurd, zu verlangen, es sollte eine Umwelt ohne Kausalität und gleichzeitig ohne Akausalität geben.

Genau. Aber du bist von uns beiden der einzige, der Freiheit verlangt. Du scheinst nicht bereit zu sein, das Fehlen von Freiheit bei menschlichen Entscheidungen zu akzeptieren. Und erst wenn man die Freiheit auf gar keinen Fall missen möchte, würde man fordern müssen, dass weder Kausalität noch Akausalität herrscht. Aber ich kann mit dem Fehlen der Freiheit leben und fordere dies deshalb keineswegs. Ich stelle nur fest, dass angesichts der Kausalität Freiheit unmöglich ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn eine Entscheidung durch mich festgelegt wird, dann ist es meine Entscheidung und die nenne ich dann frei, wenn sie ohne äußeren und inneren Zwang ('Zwang' -> alles das, was mir gegen meinen Willen aufgedrückt wird) nach meiner Persönlichkeit erfolgt.

Wieso nennst du das frei? Die Begründung hierfür fehlt mir noch. Wo steht geschrieben, dass etwas frei ist, wenn es der eigenen Persönlichkeit folgt? Wieso schränkst du den Zwang-Begriff so künstlich ein? Wenn deine Entscheidungen immer aufgrund deiner Persönlichkeit erfolgt, dann hängen deine Entscheidungen also vollständig von deiner Persönlichkeit ab. Vollständige Abhängigkeit ist aber nunmal keine Freiheit sondern Zwang. Deine Persönlichkeit würde dir also, nach dem was du sagst, deine Entscheidungen aufzwingen. (Wobei vermutlich auch du nicht der Ansicht bist, dass Entscheidungen wirklich nur von der Persönlichkeit sondern auch von vielen anderen Dingen abhängen, der augenblicklichen Laune, der Sachlage, dem aktuellen Befinden und Hormonspiegeln, etc.)

AgentProvocateur hat geschrieben:Es ist ja keineswegs evident, dass jemand in dem Sinne anders handeln können muss, dass er den Ablauf der Welt anders gestalten kann, als dieser sein wird (-> S != S), um ihn für moralisch verantwortlich für seine Handlungen zu halten.

Wenn jemand also so handeln musste wie er handelte, dann sprichst du ihn trotzdem für schuldig? Das leuchtet mir nicht ein. Für mich ist es durchaus evident, dass jemand nur dann schuldig sein kann, wenn er auch anders handeln konnte. Und ich glaube, dass ist es auch für dich, weil du ja selber immer hinzufügst, dass die Handlung ohne inneren und äußeren Zwang erfolgt sein muss. Das Fehlen von Zwang scheint also auch für dich als notwendige Voraussetzung von Schuld zu gelten. Wieso behauptest du also, dass es nicht evident sei, dass jemand anders handeln können muss?

AgentProvocateur hat geschrieben:es ist nun mal ein logischer Widerspruch in sich, auf der einen Seite das Weltgeschehen als von uns unbeeinflussbar ablaufend zu deklarieren, dann aber auf der anderen Seite die Forderung nach einem angeblich notwendigen Konsequentialismus zu stellen.

Du wirfst hier wieder einmal "keine freie Entscheidung" und "keine Entscheidung" in einen Topf. Ich treffe als Mensch ständig Entscheidungen (gemäß meiner Persönlichkeit und anderer Faktoren) und beeinflusse damit die Welt. Es gibt also Entscheidungen und Beeinflussungen. Es gibt nur keine "freien" Entscheidungen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Könnte man jedoch zwischen Möglichkeiten entscheiden, dann steht aber nun mal auch wieder die moralische Verantwortung auf dem Tapet, denn diese Entscheidungsfähigkeit ist die notwendige und auch hinreichende Bedingung für diese Zuweisung.

Ich kann zwischen Möglichkeiten entscheiden. Aber welche Möglichkeit ich nehme, hängt einzig und allein von den Ursachen ab und ist daher zwanghaft. Eine moralische Verantwortung kann man mir daher nicht geben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dazu bedarf es nicht mehr. Wenn doch: was bitte? Hoffentlich nicht die Fähigkeit, machen zu können, dass das weitere Weltgeschehen anders ablaufen wird, als es ablaufen wird. Denn das erscheint mir wenig plausibel.

Hier meine ich wieder deinen grundsätzlichen Fehler in der Argumentation zu erkennen. Bei meiner Position wäre Freiheit völlig unplausibel. Daraus schließe ich, dass es keine Freiheit gibt. Du hingegen scheinst die Existenz von Freiheit als so unverrückbare Annahme verinnerlicht zu haben, dass dir die Unplausibilität der Freiheit in meiner Darstellung bereits als Argument für die Haltlosigkeit meiner Darstellung erscheint. Du kannst dir also wirklich keine Welt vorstellen, in der es keine freien Entscheidungen gibt?
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon spacetime » Do 25. Feb 2010, 00:17

ganimed hat geschrieben:Ich kann zwischen Möglichkeiten entscheiden. Aber welche Möglichkeit ich nehme, hängt einzig und allein von den Ursachen ab und ist daher zwanghaft. Eine moralische Verantwortung kann man mir daher nicht geben.


Eine moralische Verantwortung gibt es unabhängig der Existenz von Freiheit. Begibst du eine Straftat, dann trägst du die Verantwortung. Die Schuld kannst du nicht auf dein Aggressions-Gen schieben, da du sozusagen dieses Gen repräsentierst.
Es wäre ein irrsinniger Trugschluss, zu sagen:
"Was habe ich denn mit mir zu tun? Mein Körper macht doch eh was er will!"
Das, was hier stört, ist einzig und allein das Wort "ICH". Dieses subjektive "Ich" löst sich vom objektiven Körper. Als ob es da einen Körper und einen Geist gibt, die getrennt voneinander existieren. Diese Illusion scheint so tief in unseren Köpfen zu sein, dass selbst die härtesten Naturalisten ihren simplen Trugschlüssen folgen.
Dieses Scheinproblem tritt auf, sobald versucht wird subjektive Wahrnehmung objektiv (biologisch/physiologisch) zu erklären.

Also ganimed, bitte wende dich wieder vom Dualismus ab! ;-)
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Re: Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Beitragvon AgentProvocateur » Do 25. Feb 2010, 00:58

ganimed hat geschrieben:Zwang ist dann, wenn man nicht anders kann. 100% Kausalität bedeutet aber genau das, nämlich dass man nicht anders kann. Man hat bei der Entscheidung keinen Spielraum, keinen Freiheitsgrad. Solange sich die Ursachen nicht ändern, ändert sich auch die Entscheidung nicht, da sie vollständig von den Ursachen abhängig ist. Was ist also falsch daran, dies Zwang zu nennen?

Falsch ist daran mE Folgendes:

1. die notwendigen Grundlagen / Bedingungen / Umstände jeglicher Existenz als 'Zwang' zu bezeichnen, d.h. letztlich Existenz und Freiheit als Gegensätze zu sehen. Im Gegenteil ist es ja wohl offensichtlich so, dass Existenz eine notwendige Bedingung für Freiheit ist. Etwas, das nicht existiert, kann gar nichts sein, keine Eigenschaften haben und demnach auch nicht frei sein.
2. einen Begriff von 'anders-können' zu vertreten, der genau genommen bedeutet: "anders-sein-als-es-ist" (s.u. Frage 5)
3. Wenn sich die Bedingungen nicht ändern, muss automatisch gelten: S == S. Das ist eine Tautologie, anders kann es logischerweise nicht sein. Nur wenn irgend etwas anders ist, kann gelten: S1 != S2.
4. Wenn Du das 'müssen' aus 3. als Gegensatz zu Freiheit siehst, dann ist das einfach nur absurd, nicht nachvollziehbar (siehe 1.).

Deine Argumentation könnte man dann wie folgt zusammenfassen:

1. Alles wird so kommen, wie es kommen wird.
2. Also muss es so kommen, wie es kommen wird.
3. 'Müssen' ist ein Gegensatz zu 'Freiheit'.
4. Ergo gibt es keine Freiheit.
5. Ergo ist 'frei' etwas nur dann, wenn es anders kommt, als es kommt.

Das hat dann aber nichts mehr mit Kausalität / Determination zu tun, nur noch mit der trivialen tautologischen Feststellung, dass nichts anders kommen wird als es kommen wird.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn eine Entscheidung durch mich festgelegt wird, dann ist es meine Entscheidung und die nenne ich dann frei, wenn sie ohne äußeren und inneren Zwang ('Zwang' -> alles das, was mir gegen meinen Willen aufgedrückt wird) nach meiner Persönlichkeit erfolgt.

Wieso nennst du das frei? Die Begründung hierfür fehlt mir noch. Wo steht geschrieben, dass etwas frei ist, wenn es der eigenen Persönlichkeit folgt? Wieso schränkst du den Zwang-Begriff so künstlich ein? Wenn deine Entscheidungen immer aufgrund deiner Persönlichkeit erfolgt, dann hängen deine Entscheidungen also vollständig von deiner Persönlichkeit ab. Vollständige Abhängigkeit ist aber nunmal keine Freiheit sondern Zwang. Deine Persönlichkeit würde dir also, nach dem was du sagst, deine Entscheidungen aufzwingen.

Nein, meine Persönlichkeit kann mir nichts aufzwingen, weil es nicht zwei voneinander getrennte Entitäten gibt, hier 'ich' und da 'meine Persönlichkeit'. Und nur wenn dem so wäre, könnte das eine dem anderen etwas aufzwingen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es ist ja keineswegs evident, dass jemand in dem Sinne anders handeln können muss, dass er den Ablauf der Welt anders gestalten kann, als dieser sein wird (-> S != S), um ihn für moralisch verantwortlich für seine Handlungen zu halten.

Wenn jemand also so handeln musste wie er handelte, dann sprichst du ihn trotzdem für schuldig?

Ja, genau, weil eben 'Willensfreiheit' wie gesagt für mich bedeutet: jemand hat hinreichende Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit und kann deswegen seine Ziele und Entscheidungen abwägen und daraufhin selber bestimmen.

Die Begründung dafür ist die, dass mir das als einzig sinnvoller Freiheitsbegriff überhaupt erscheint. Ich habe noch nie einen mir plausibler erscheinenden (oder überhaupt plausibel erscheinenden, für mich nachvollziehbaren) präsentiert bekommen.

Aber das ist eigentlich egal, wir können erst mal festhalten, dass wir einen unterschiedlichen Freiheitsbegriff haben, der sich wohl auch nicht annähern wird. Ich finde Deinen unlogisch, wie schon mehrfach gesagt und Du offensichtlich den Meinigen.

So weit, so gut, und auch nicht weiter diskutierbar.

Jedoch leuchtet mir einfach nicht ein, wieso ein Freiheitsbegriff im Sinne von
'gleichzeitig-auch-anders-handeln-als-man-tatsächlich-handelt" notwendig für die Zuweisung von moralischer Verantwortung wäre.

Jetzt mal 5 Fragen dazu an Dich:

1. Die Frage von oben nochmal. Nehmen wir mal an, es gäbe zwei verschiedene Welten, die determinierte Welt A und die (teilweise) indeterminierte Welt B. Nun gibt es in A das Subjekt X und in Welt B das Subjekt Y. Beide Subjekte entscheiden und handeln immer absolut identisch, es ist kein Unterschied feststellbar. Das Subjekt X wäre nun in Deiner Sicht unzweifelhaft unfrei, (da in Welt A alles streng determiniert abläuft), wie sieht es aber mit Subjekt Y aus?

Ist dieses:

a) unfrei? (Wenn ja: warum?)
b) frei (weil es in B 'echte' Möglichkeiten gibt, die Zukunft 'ontologisch offen' ist)? (Aber warum ist dann X unfrei, da doch X und Y exakt gleich sind?)
c) nicht entscheidbar? (Wenn ja: was genau müsstest Du dann noch wissen, um das entscheiden zu können?)

2. wie unterscheidet man eigentlich, ob eine Handlung determiniert war oder nicht, ob es also 'echte' Möglichkeiten gab oder nicht? Nehmen wir mal wieder an, es gäbe zwei Welten A und B. Beide streng determiniert, in beiden Welten die völlig gleich entscheidenden und handelnden Subjekte X und Y, der Ablauf in beiden Welten war bis zum Zeitpunkt T0 identisch, bis dahin galt X == Y. In Welt A schreibt nun X zum späteren Zeitpunkt T1 einen Beitrag im Forum XYZ, in Welt B tut Y das nicht. Welche Welt wäre die falsche (nicht mehr determiniert), welche die richtige (immer noch determiniert)? Wie kann man das feststellen?

3. Wenn wir die Möglichkeit haben, uns aufgrund unserer Überlegungen z.B. für einen reinen Konsequentialismus zu entscheiden, wieso sollten wir uns dann diese Entscheidung nicht zurechnen, als eine Entscheidung, die wir aus der Abwägung der Gründe und Gegengründe (und unseres Bauchgefühles, unserer Intuition) aufgrund unserer Bewertungsmaßstäbe getroffen haben und zu der wir stehen, die wir befürworten, als richtig ansehen?

Jetzt mal abgesehen von der Frage, ob man diese Entscheidung 'wirklich frei' nennen kann oder nicht, denn dabei werden wir uns offensichtlich nicht einigen können. Die Frage hier wäre nur die, wieso man für eine eigene, nach besten Wissen und Gewissen getroffene Entscheidung nicht moralisch verantwortlich sein kann. Nur das scheint mir aber letztlich bei der Frage nach der moralischen Verantwortung der einzig entscheidende Faktor zu sein. Ich verstehe nicht, was eine per se in sich logisch unmögliche 'Freiheit' in Deinem Sinne mit moralischer Verantwortung zu tun haben könnte, dafür notwendige Voraussetzung sein sollte.

Hier müsste noch irgend was anderes hinzukommen, z.B. die Behauptung, es könne Personen nicht geben in einer determinierten Welt, 'in Wirklichkeit' sei die Auffassung, Personen könnten eigene Entscheidungen treffen, eine Illusion, also falsch. 'In Wirklichkeit' hätte der Urknall schon alle Entscheidungen getroffen. Oder so. Was aber letztlich bedeutet, wir wissen nicht und können auch nicht wissen, wieso etwas so ist, wie es ist. Weil wir den Urknall nicht kennen und auch nicht kennen können. Alles wäre dann für uns unerklärbar. Und Wissenschaft wäre Schwachsinn, denn auch dafür ist Erkenntnis-, Bewertungs- und Verständnismöglichkeit (eine vorhandene 1. Person-Perspektive) unabdingbare Voraussetzung. Und genau genommen existierten 'wir' ja auch nicht, wir würden einer Illusion unterliegen, nämlich der, dass wir existierten. Wir würden also nur denken, dass wir denken. Fälschlicherweise. In Wirklichkeit gibt es nur Fermionen und Bosonen, alles andere ist lediglich Illusion, nicht existent. Wir machen uns nur vor, dass wir uns was vormachen. Oder so.

Mir erscheint es da ja alleine vom pragmatischen Standpunkt aus sehr viel sinnvoller und zielführender zu sein, erkennende, entscheidende und handelnde Personen anzunehmen, solche, die Ansprechpartner für eine Kommunikation, für soziale Kontakte sind. Ich kann ja schlecht den Urknall ansprechen, von dem ich gar nichts weiß.

Und selbst wenn das nur ein Postulat wäre, wäre es um den Faktor 10 hoch zigtrilliarden-mal sinnvoller, als anzunehmen, wir seien nur ohnmächtige Zuschauer bei dem, was der Urknall da so tut.

Jetzt mal abgesehen davon, dass der Urknall mich dazu nicht determiniert hat, meine Sklaverei und Abhängigkeit von ihm einzusehen, er hat mich vielmehr dazu determiniert, mich als erkennende, reflexionsfähige, selbstorganisierende, entscheidende und handelnde Person ansehen zu müssen. Wie könnte ich mich auch dagegen wehren, das zu tun, was ich tun muss? Der Urknall zwingt mich nun mal dazu.

4. Wenn alles so kommt, wie es kommen muss, ohne Einflussmöglichkeit für uns, (welche, so es sie gäbe, für moralische Verantwortung mE völlig hinreichend wäre - eine 'Freiheit' in Deinem Sinne wäre dazu kontraproduktiv, weil die eine 'Freiheit' in meinem Sinne nur einschränken könnte, aber keineswegs erhöhen), wieso ist es dann eigentlich falsch, wenn jemand moralische Verantwortung zuweist? Dem ist ja kein moralischer Vorwurf zu machen, er kann ja nicht anders.

Und Deine Forderung nach Einführung des reinen Konsequentialismus ist auch ohne Alternative, der muss einfach so sein, weil der Urknall das so bestimmt hat. Spielt ja auch alles keine Rolle, ist piepegal, es gibt keine andere Möglichkeit. Sollte niemanden jucken, es sei denn, der Urknall hätte das so vorgesehen. Dann würde uns das jucken, wegen dem Urknall eben, weil der so war, wie der war.

5. Ich würde immer noch gerne verstehen können, was es Deiner Ansicht nach exakt bedeutet 'X kann anders entscheiden'.

Bedeutet das:

1. Anders entscheiden, als er entscheidet?
2. Anders entscheiden, als er eigentlich entscheiden will?
3. In exakt derselben, identischen, zurückgespulten Situation S (äußere und innere Zustände absolut identisch) mal so und mal anders entscheiden (also machen können, dass S != S gilt)?
4. ?

Wie läuft so was beispielhaft ab? Wie kann man sich das vorstellen?

Na gut, die letzte Frage war eine rein rhetorische. Darauf werde ich niemals eine Antwort bekommen können. Weil es keine geben kann. Die anderen Fragen sind jedoch nicht rhetorisch.
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