von auaox » Mi 10. Jun 2009, 14:09
Natürlich ist Kultur und Kunst jahrhundertelang religiös geprägt.
In der klassischen Musik finden sich mehr Requieme als naturalistisch bewegte Kompositionen (wie z. B. die "Alpensinfonie").
Die grossartigsten, schönsten Bauwerke sind lange Zeit immer religiöse gewesen.
Ja, es gibt nebenher auch noch jede Menge säkulare Kunst. Aber diese ist nicht aus einer Leitkultur entsprungen, die durch diese Bauwerke, Bilder, Feste etc... manifestiert wird.
Viele von uns sind Indivudualisten, und brauchen damit keine homogene Leitkultur. Nur viele Menschen sind und bleiben nun mal Herdentiere, und da werden auch noch weitere 25.000 Jahre Aufklärung nichts dran ändern.
Wenn es dem Humanismus gelingen soll, eine Leitkultur zu werden, müssen einfach alternative Angebote auf dem Lebenshilfe-Gruppen-Kultur-Gemeinschaftswesenmarkt erscheinen.
Es gibt religiöse Feste, die mit allem Pomp begangen werden. Es fehlen die humanistischen. Menschen brauchen verbindende Anlässe.
Es gibt religiöse Seelsorger, die die Lücke zwischen Freunden und Pychologen füllen und Menschen in den Lebensabschnitten konsistent begleiten, und einen "Sinn im Leben" propagieren. Das Leben ohne Gott ist nicht sinnlos, aber es bietet auch nicht von allein mehr Halt in der Gemeinde und in der eigenen Psyche. Hier fehlt eine flächendeckende humanistische Alternative.
Was die Riten betrifft, Stine, würde ich sagen, es kommt sehr darauf an. Wenn diese zu Massenveranstaltungen werden, können sich natürlich schnell esoterische Einflüsse einschleichen, die dann eher kontraproduktiv sind. Zumal auch Esoteriker die Natur verherrlichen. Es kommt sicher auch darauf an, wie man "Religion" definiert.
Einen geschlossenen Kreis aus Kulten und Ansichten wünscht sich kein Humanist, das wäre das Gegenteil von Humanismus. Humansismus ist eine Kultur ständigen Diskurses.
Wenn sich eine Führungskaste bildet, die sich an die Spitze der Riten stellt, ist das sicher genauso kontraproduktiv - egal ob mit oder ohne Gott.
Wenn es innerhalb der humanistischen Gemeinde nur eine als korrekt geltende Art, die Welt zu erklären (abgesehen von den Leitlinien), oder Riten durchzuführen, gäbe, wäre das auch rückschrittlich.
Humanismus lebt durch seine Vielfalt: Da sind diejenigen, die als Individualisten sich auch ohne den Halt einer vertrauten Gemeinde durchs Leben schlagen können, und das sind diejenigen, die sich eben einen solchen Halt, definiert durch ein Gemeindewesen und einen festen, gemeinschaftlich begangenen Jahresablauf, durch bekannte Manifestationen in Kunst und Kultur usw... wünschen. Letzterem wäre es vielleicht möglich, eine Leitkultur zu entwickeln. Individualisten alleine können nicht die Herde beflügeln, sie sind halt Individualisten. Und die Hoffnung, dass irgendwann aus reiner Vernunft alle zu Individualisten werden, halte ich für genauso gering wie die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes.
Humanismus bedeutet nicht, unerreichbare Ideale zu proklamieren, sondern das Wesen des Menschen, und dazu gehören auch die gruppendynamischen Prozesse, als Ausgangsbasis jeglicher Kulturarbeit und Ethik anzunehmen.
LG
Stephan