Glaube an Gott ist angeboren

Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Athe » Di 25. Nov 2008, 19:36

http://www.telegraph.co.uk/news/newstop ... laims.html

macht Sinn, irgendwo muss der Mysthizismus ja herkommen.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Myron » Mi 26. Nov 2008, 01:03

Faszinierende Forschungsergebnisse, die die Annahme erhärten, dass der naive Mensch von Natur aus zu allerlei anthropomorphischen Projektionen neigt. Er erlebt sich selbst als bewusst und absichtsvoll handelndes Lebewesen und erhebt seine teleologischen Erfahrungen unreflektiert zu einem allgemeingültigen kosmischen Prinzip: Nicht nur hinter seinen kulturellen Produkten stehen persönliche Designer, die diese im Voraus geistig geplant und gezielt verwirklicht haben, sondern auch hinter allen Naturerscheinungen und sogar der Natur insgesamt.
Der infantil-naive Mensch ist Animist, und entsprechend ist das panteleologische Denken Teil der intellektuellen Kindheit der Menschheit, in welcher der Begriff des unbewusst, ziellos und selbsttätig ablaufenden (d.h. nicht von irgendwelchen geistigen Wesen absichtlich in Gang gesetzten) Naturvorganges noch nicht entwickelt war. (Es waren erst die griechischen Naturphilosophen, die uns diesen unschätzbar wertvollen Begriff geschenkt haben.)
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon ganimed » Mi 26. Nov 2008, 20:18

Mir fällt zur ziellosen und nicht anthropomorphen Umwelt noch dieses ein:
Habe letzens eher zufällig das Lied "Immer für dich da" von Heinz-Rudolf Kunze gehört.
Mir fiel der Text sehr angenehm auf. Der Mann spricht (singt) mir hier aus meiner Naturalisten-Seele:

    "Das Leben ist nicht grausam
    das Leben ist nicht zart
    das Leben ist gedankenlos
    reine Gegenwart

    Es läßt dich nicht gewinnen
    es läßt dich nicht im Stich
    es läßt den Dingen ihren Lauf
    denn es meint nicht dich
    ...
    Wozu das alles gut ist
    ein unbekannter Plan
    und der Versuch ihn zu verstehn
    reiner Grössenwahn"
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon xander1 » Do 27. Nov 2008, 17:03

ganimed hat geschrieben:Wozu das alles gut ist
ein unbekannter Plan
und der Versuch ihn zu verstehn
reiner Grössenwahn"

Physiker und Philosophen sind also größenwahnsinnig. :nosmile:
Mir erscheint das kleinbürgerlich, wenn Menschen nicht nachvollziehen können, warum Menschen "den Plan" versuchen zu verstehen. Das sind nicht selten erfolgreiche Menschen, weil sie sich stark um ihr Leben kümmern, im Gegensatz zu denen die "den Plan" verstehen wollen und nicht gerade Berufs-Physiker o.ä. sind. Die die nicht verstehen können, warum Menschen "suchen" "philosophieren" konzentrieren sich oft stark darauf was wichtig ist im Leben: Das kann sein und muss nicht: Geld, Familie, Kinder, Auto, Haus, Arbeit, Partner, Hobby.

Sorry das musste ich mal unbedingt los werden.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon ganimed » Do 27. Nov 2008, 19:43

Ich würde sagen, es gibt keinen Plan. Deshalb ist es nicht Größenwahn sondern Zeitverschwendung, ihn verstehen zu wollen. Da muss ich mit dem Herrn Kunze wohl noch mal in aller Ruhe drüber reden. (Mit dem würde ich wirklich gerne mal reden, der scheint gar nicht so dumm zu sein).

Aber die Welt, so wie sie ist (also vermutlich ohne Plan) verstehen zu wollen, das ist natürlich eine ganz andere Sache.

Und wenn sich verschrobene Forscher um die Entzifferung des großen Plans oder das Verständnis der Welt kümmern statt ihr soziales Ansehen zu mehren, dann ist das sicher völlig in Ordnung. Nur hinterher bitte nicht beschweren, wie gemein das Schicksal doch sei und wie wenig Menschen das verstünden. Jeder macht das, was ihm am meisten Spaß macht. Und wenn vor lauter Forschen hinterher keine Zeit für Geld, Familie, Kinder, Auto, Haus, Arbeit, Partner oder Hobby bleibt, dann ist das eben der Preis, den man für den Spaß bezahlen muss.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Twilight » Sa 29. Nov 2008, 08:17

Heinz-Rudolf Kunze hat geschrieben:Wozu das alles gut ist
ein unbekannter Plan


ganimed hat geschrieben:Ich würde sagen, es gibt keinen Plan.


"Plan" würde ich in diesem Zusammenhang eher verallgemeinert verstehen. Hinter einem Plan muss nicht immer eine Planung, also ein Bewusstsein oder eine Intelligenz stecken. Eine rein physikalische Kausalkette reicht auch schon.

Andererseits denke ich, dass Bewusstsein und Intelligenz auch nur physikalische Kausalketten sind. :/

Aber mal zum eigentlichen Text:
Dr Justin Barrett, a senior researcher at the University of Oxford's Centre for Anthropology and Mind, claims that young people have a predisposition to believe in a supreme being because they assume that everything in the world was created with a purpose.
He says that young children have faith even when they have not been taught about it by family or at school, and argues that even those raised alone on a desert island would come to believe in God.

Sicher. Die Erkenntnis "Da ist eine Banane" und die Erkenntnis "Die Banane kann ich essen" führt ohne weitere Information unweigerlich zu der Annahme "Die Banane ist da, damit ich sie essen kann."
Es hat für die Menschheit zigtausend Jahre gedauert, bis aus dem Versuch, die Gründe zu verstehen, die Evolutionslehre entstanden ist. Da kann man von einer Handvoll Kindern nicht erwarten, dass sie nach ein paar Jahren auf einer Insel zu demselben Ergebnis kommen.
Allerdings bezweifle ich, dass sie anfangen würden an einen Gott oder den Gott zu glauben. Im Normalfall spielt sich sowas eher nach dem Muster ab, dass "der Baum die Banane macht, um mich nicht verhungern zu lassen" oder dass "der Wind weht, um Wellen zu machen."
Also würde eher ein pantheistisches oder zumindest polytheistisches Weltbild entstehen, dass über den Haufen geworfen wird, sobald das erste tief fliegende Flugzeug über die sich selbst überlassenen Köpfe hinwegrauscht, oder einer aus der Gruppe eine Behauptung von einer gottähnlichen Entität aufstellt, zu der nur er Zugang hat, um seinen Status zu verbessern, vielleicht sogar der Alpha zu werden.

He added that this means children are more likely to believe in creationism rather than evolution, despite what they may be told by parents or teachers.

Es gibt einen Unterschied zwischen erzählen und erklären. Wenn man es so erklärt, dass das Kind es versteht, würde Kreationismus keine Rolle mehr spielen.

Another experiment on 12-month-old babies suggested that they were surprised by a film in which a rolling ball apparently created a neat stack of blocks from a disordered heap.

Was ist das für ein Film?
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon ganimed » Sa 29. Nov 2008, 11:15

Twilight hat geschrieben:Hinter einem Plan muss nicht immer eine Planung, also ein Bewusstsein oder eine Intelligenz stecken. Eine rein physikalische Kausalkette reicht auch schon.

Ein Plan ohne Absicht und ohne Ziel? Da wäre für meinen Geschmack der Begriff doch etwas weit gedehnt. Mir kommt es eher so vor, als wenn der Herr Kunze, wenn er von unbekanntem Plan redet, eventuell in Richtung Agnostiker tendiert, und er nicht ganz ausschließen möchte, dass es einen Plan und einen Planer gibt. Ich halte es da, naturalistischerweise, eher mit der rein physikalischen Kausalkette, aber eben ohne Absicht und daher ohne Plan.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Twilight » So 30. Nov 2008, 09:06

Twilight hat geschrieben:Ein Plan ohne Absicht und ohne Ziel? Da wäre für meinen Geschmack der Begriff doch etwas weit gedehnt.

Ich dachte da zum Beispiel an ein Genom, welches oft genug als "Bauplan" für das entsprechende Lebewesen bezeichnet wird. Hinter diesem Plan stecken nach aktuellem Wissensstand weder Planer noch Ziel. Die Gesamtheit der bekannten und unbekannten Naturgesetze ist das was bestimmt, was unter welchen Bedingungen passiert. Also ein Funktionsplan für das Universum?
Aber dass Kunze das agnostisch gemeint hat, ist natürlich auch möglich. Dafür spricht, dass seine Texte allgemein sehr philosophisch sind.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon ganimed » So 30. Nov 2008, 20:56

Twilight hat geschrieben:Ich dachte da zum Beispiel an ein Genom, welches oft genug als "Bauplan" für das entsprechende Lebewesen bezeichnet wird. Hinter diesem Plan stecken nach aktuellem Wissensstand weder Planer noch Ziel.

Genau weil kein Planer und kein Ziel dahinter stecken, ist das Genom nicht wirklich ein Plan. Ein Plan enthält die Angabe eines Ziels und dann die zur Erlangung des Ziels notwendigen Schritte. Das Genom enthält nur die Schritte aber kein Ziel. Wenn ein Genom zu nichts führt (Embryo stirbt beireits in einer Frühphase), ok, dann war es also nichts, das Universum ist nicht beleidigt und nicht enttäuscht, und der biologische Vorgang des Werdens beginnt irgendwann woanders von vorne. Es ist halt ein blindes Filtern und Probieren ohne Absicht. Im Grunde also das genaue Gegenteil eines Plans.

Aber eigentlich ist das nur Gerede um die Definition des Wortes Plan. Ist etwas, das auch mal "Bauplan" genannt wird ein Plan? Oder ist etwas nur dann ein Plan, wenn es auch ein Ziel enthält? Darüber könnte man wohl ewig streiten. Und bin für letzteres :^^:
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon JustFrank » Mo 1. Dez 2008, 19:40

Hi Leuts,

war ne Zeit lang nicht hier und habe nur kurz das Thema (wenn es denn eines sein soll) und die letzten paar Beiträge gelesen. Nur soviel:

Wie kann ein umfassend angelegter Betrug angeboren sein?

Leichtgläübigkeit ist vielleicht angeboren; die Fähigkeit zur Selbsttäuschung ebenfalls. Aber der Glaube an von Menschen erfundene Überwesen ganz sicher nicht.

:umleitung:
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon ganimed » Mo 1. Dez 2008, 20:52

JustFrank hat geschrieben:Wie kann ein umfassend angelegter Betrug angeboren sein?

Man denke nur an optische Täuschungen. Mir kommen da diese beiden gleichlangen Linien in den Sinn. An den Enden der einen Linie sind "offene" Pfeile, an den Enden der anderen Linie geschlossene.

>------<
<------>

Wenn man das vernünftig zeichnet, kommt jedem sehenden Menschen die untere Linie etwas kürzer vor. Das ist angeboren. Das ist eine Eigenschaft unseres Sehapparates, der neuronal da irgendwas am Eingangssignal herumrechnet. Und die Umrechnungsalgorithmen sind angeboren und fallen immer wieder auf den gleichen Trick rein.

Genau so könnte es mit der Tendenz sein, dem Dasein einen umfassenden Sinn geben zu wollen und in allem einen Plan erkennen zu wollen. Insofern wäre uns eine gewisse Anfälligkeit für religiöse Erklärungsmuster angeboren. Dem einen mehr, dem anderen weniger.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Twilight » Do 4. Dez 2008, 14:03

OT:
Ganimed hat geschrieben:Aber eigentlich ist das nur Gerede um die Definition des Wortes Plan. Ist etwas, das auch mal "Bauplan" genannt wird ein Plan? Oder ist etwas nur dann ein Plan, wenn es auch ein Ziel enthält? Darüber könnte man wohl ewig streiten. Und bin für letzteres :^^:
Für ewig streiten? Ja, das macht Spaß. :up: Also weiter:

IT:
Weiß jemand hier, ob bekannt ist, inwieweit Religion eine HomSap-Spezialität ist? Vielleicht hängt es damit zusammen, dass unser eigenes Bewusstsein so weit entwickelt ist, dass wir in der Lage sind, auch unseren Mitmenschen ein Bewusstsein zugestehen.
Daraus folgt auch die Erkenntnis, dass andere auf ähnliche Art denken wie man selbst, und dass hinter den Handlungen ein Wille ähnlich wie der eigene steckt.
Ein Mensch, der vor 10.000 Jahre sah, wie ein Speer hinter einem Felsen hervorgeflogen kam, würde nicht denken, der Speer hätte das von sich aus getan. Er würde eine gewollte Handlung da hinein interpretieren. Leider wirkt sich diese Fähigkeit auch auf nicht erkennbare Ursachen wie die von Regen aus wo sie unter Umständen zu falschen Schlussfolgerungen führt. Wir sind zwar in der Lage, willenlose Ursachen anzunehmen, aber die Evolution hat uns nicht mit passenden Instinkten ausgestattet. Derart abstraktes Denken müssen wir lernen.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon lorenz » Mi 7. Jan 2009, 17:45

Twilight hat geschrieben:Weiß jemand hier, ob bekannt ist, inwieweit Religion eine HomSap-Spezialität ist?

Das ist vermutlich deshalb nicht möglich, weil Religion komplizierte Gerüchte über allerlei beinhaltet. Und um die zu transportieren, braucht es die Sprache. Vielleicht könnte man Religion als abstruses Nebenprodukt der Sprache sehen.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Twilight » Do 8. Jan 2009, 20:15

lorenz hat geschrieben:Vielleicht könnte man Religion als abstruses Nebenprodukt der Sprache sehen.

Interessanter Gedanke. Aber muss Religion wirklich so komplex sein? Im Grunde basiert so etwas doch nur auf als Kausalität missverstandenen Korrelationen. Der Betrug, die Manipulation und Ausnutzung kommt erst später.

Zum Beispiel...
"Wenn es hell wird, gibt es oben Futter. Ich muss also nach oben schwimmen wenn es hell wird."
Das sind meine Guppies im Aquarium. :p Seit ich vor circa drei Jahren anfing, das Licht über eine Zeitschaltuhr zu steuern, gibt es nicht mehr gleichzeitig Futter. Und die Tierchen kommen immer noch sofort nach oben. Ein Guppy wird etwa 3 bis 5 Jahre alt. Kann das nach dieser Zeit immer noch ein pawlowscher Reflex sein oder ist das schon traditionelles Mitlaufen, der Folgegenerationen, weil es alle tun?

oder...
"Regen und nasse Erde sind immer irgendwie gleichzeitig. Brauche ich also Regen, muss ich die Erde nass machen. Also gibt es beim nächsten Vollmond ein Blutopfer."
(Keine Guppies sondern Homo Allesnurnichtsapiens)
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon pinkwoolf » Do 15. Jan 2009, 21:27

Myron hat geschrieben:Der infantil-naive Mensch ist Animist, und entsprechend ist das panteleologische Denken Teil der intellektuellen Kindheit der Menschheit, in welcher der Begriff des unbewusst, ziellos und selbsttätig ablaufenden (d.h. nicht von irgendwelchen geistigen Wesen absichtlich in Gang gesetzten) Naturvorganges noch nicht entwickelt war.

In seinem 2008 erschienenen Buch Don't Sleep, There Are Snakes: Life and Language in the Amazon Jungle beschreibt Dan Everett einen Stamm von Amazonas-Indios, deren Sprache und Kultur urtümlicher sei als alle anderen je erforschten. Da gibt es keine Farbwörter und keine Zahlwörter - nicht einmal Singular und Plural. Vergangenheit und Zukunft erhalten eine ähnliche Markierung des Verbs, weil beides sich dem unmittelbaren Erleben entzieht.

Gelegentlich sind sie überzeugt, eine Art Dämonen zu sehen; aber einen Schöpfungsmythos gibt es nicht, und auch keinen Glauben, dass irgendwelche übernatürlichen Kräfte Einfluss auf ihr Leben haben.

Dan Everett, der jahrelang bei ihnen gelebt hat, war eigentlich als evangelikaler Christ dorthin gefahren, um ihnen Gottes Wort nahezubringen. Nicht nur dass sie sich dagegen völlig immun zeigten; nein, sie haben ihn dazu gebracht, dass wir ihn nun zu einem der Unseren zählen können. His family was not amused.

Eine ausführliche Besprechung von Everetts Erlebnissen und Forschungen, ein Jahr vor seinem Buch erschienen, gibt es auf Englisch hier:

http://www.newyorker.com/reporting/2007 ... _colapinto
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon ostfriese » Do 15. Jan 2009, 22:00

Ist das schön: Menschen, denen sich noch kein Gott offenbart hat und deren nackte Existenz so viele Mythen crasht! Religion kam erst viel später auf die Welt als wir, die Leute haben sie -- mutmaßlich für ganz profane Zwecke -- erfunden!
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon pinkwoolf » Do 15. Jan 2009, 23:18

ostfriese hat geschrieben:Religion kam erst viel später auf die Welt als wir, die Leute haben sie -- mutmaßlich für ganz profane Zwecke -- erfunden!

Als Glaubensapostel könnte ich jetzt argumentieren: Ja, aber die Religion hat uns immerhin gelehrt, Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden.

So ganz klar wird die Vorstellung der Pirahã auch in Everetts Buch nicht. Die Vergangenheit reicht nur so weit zurück, wie ich
a) eigene Erlebnisse erinnern kann,
b) von einem vertrauenswürdigen Menschen eigene Erlebnisse erzählt bekommen habe, oder
c) von einem weniger vertrauenswürdigen Menschen eigene Erlebnisse erzählt bekommen habe.

Das heißt, über Dinge, die länger als ca. 100 Jahre zurückliegen, redet man überhaupt nicht. Das ist grammatisch unmöglich. Jesus? Ha ha ha.
Ha ha.
Ha.

Meine Vermutung ist, dass Aussagen über die Zukunft mit Vergangenheit c) grammatisch identisch sind. Das steht aber nicht in Everetts Buch.

Was mich fasziniert ist, dass Everett sich von den Pirahã zum Atheismus hat bekehren lassen. Ich habe inzwischen einiges von ihm gelesen. Ein Dummkopf ist er nicht.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Pfeifer » Do 29. Jan 2009, 13:52

Was der Artikel wiedergibt, sagt nix über die Existenz eines Gottes aus. Wenn man Überzeugungen in sich trägt, die ja vielfach angeboren sind (habe meine Examensarbeit über den mathematischen Sinn bei Montessori geschrieben - jeder hat ihn, aber nicht jeder wird zum Mathematik-Genie!Und auch scheint ein moralischer Sinn angeboren zu sein, wie vor 1,5 Jahren der Spiegel ausführlich berichtete), sagt das doch nix über die physikalische Welt aus. Im Grunde entwickeln sich diese Sinne letztlich in verschiedene Ausprägungen von gefühlten Gewissheiten. So demnach auch potentiell zu einer Gottesvorstellung.

Nur: wenn Gott für mich eine Gewissheit wäre, hätte ich noch lange nicht das Recht, darauf zu bestehen, dass er im Himmel oder am Anfang der Zeiten lebt. Das eine ist ein Gefühl, das Andere... auf jeden Fall nicht zwingend dadurch existent.

Beispiel: Ich kann die feste Gewissheit in mir tragen, dass meine Freundin jeden Freitag fremd geht. Aber ob das realistisch ist, ist ne andere Sache. Es ist demnach reine Glaubenssache - und vermutlich auch als solche zu respektieren.

Ich persönlich sehe in Gott eine bestimmte Form von Bewusstsein (wie mathematisches, moralisches... Bewusstsein), die man etwickelt. Letztlich muss man alles irgendwie überein bringen. In diesem Falle wäre Gott für mich ein sinnstiftendes Bewusstsein - um bei einem Posting von Ganimed zu bleiben. Und dass sinnstiftend grundsätzlich konstruktiv ist, bestreitet vermutlich niemand. Sinnlosigkeit wird dagegen eher mit Destruktion verbunden. Insofern ist das Streben nach Gott ein Streben nach Sinn und dem Menschen vermutlich deshalb, um überhaupt einen Lebenswillen zu haben, von Geburt an mitgegeben.

Deshalb aber gleich ein personales, weltliches Wesen irgendwo im Weltall zu verorten halte ich für unehrlich gegenüber den naturwissenschaftlichen Realitäten.

Naja, muss jeder selber wissen....
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Einbauschrank » So 8. Feb 2009, 17:12

Das klingt für mich nach Paul Tillich und seiner Aussage von 1958, daß (Achtung, aus dem Kopf zitiert) "Religion eine immanente Funktion des menschlichen Geistes" sei.
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Re: Glaube an Gott ist angeboren

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Di 17. Feb 2009, 13:51

Philologisch betrachtet ist diese These nur bedingt haltbar, weil man im Verlauf der Sprach- und Literaturgeschichte Skandinaviens z.B. sehen kann, dass die Entwicklung sich von einem vollkommen deterministischen Glauben hin zum personalen Götterglaube vollzog. (Jemand an der Abhandlung interessiert? Sie ist unverständlich und von einem Sechszehnjährigen, also einem früheren Ich, verfasst.) Kleines Beispiel:

Determinismus:

"Das Wort „Urðr“ ist eine sehr altertümliche Wortbildung und spricht somit eigentlich schon für sein Alter als Form des Denkens. Früher war es das Verbal-Abstraktum zum Verbum „verða“ (= werden, müssen, werden müssen). Wie schon angedeutet wirkt dieses Wort aus der Zeit der Naturvölker im germanischen Raum, die das Schicksal als eine Notwendigkeit des Werdens sahen, welche von einer mysteriösen Macht aus gesteuert wird. Es ist also ein immanentes Müssen, dem alles Werden unterliegt. Alles war für sie in einem ständigen Wechsel, eine Aufeinanderfolge von Seinszuständen. Wie die Natur selbst, in der nach jedem Sommer auch ein Winter folgt, waren diese Menschen, denn sie sahen in diesem Werden-Müssen nichts Schlimmes, sie nahmen keine Unterdrückung von eben jenen Geschehnissen wahr. Wieso auch; ein Fluss fühlt sich auch nicht von seinem ewigen Fließen und Vereisen bedrückt oder geschändet, ebenso wenig ein Baum der wächst. Und so wie der Baum über die Jahre in die Höhe wächst, tat es ihm der Mensch ohne Klagen gleich. Er war ein Teil des Werdens, eins mit der Natur und nicht von ihr gesondert.
Das Gleiche spricht auch an mancher Stelle der Edda noch aus dem Verbum „verða“ zu uns, eben in seiner Bedeutung des „(werden) müssen“. Manche Dinge geschehen, weil einen die Umstände dazu zwingen. Der eddische Mensch sah darin aber eine schicksalhafte Notwendigkeit, eben das „es hat so kommen müssen“, denn für sie gab es keinen puren Zufall, alles war Teil des Werde-Stroms. Wie in Gðr III 8: „nú verð ek siálf fyr min synia lýta“ = ‚jetzt muss ich (schicksalhaft) mich selbst rechtfertigen…’ oder in Hrbdl 29: „þø urðo þeir mik fyrri friðar at biðia“ = ‚es war ihr Schicksal( als Fügung), dass sie mich um Frieden bitten mussten…’ ."
(Der Schiskalsglaube der Germanen, 2006, Aslak Fagran)

personifizerter Determinismus:
"Leggia (legen, hinlegen, festlegen) verdeutlicht ein Machterlebnis eines Menschen im Sinne eines Machen-Könnens, sozusagen als erste Erfahrung einer Naturüberlegenheit. So grenzen sie Gebiete als ihren Lebensraum ab und erschaffen Städte und Staaten (Rþl 12,10: ,,leggia garða”= Höfe anlegen). Und was sie einst schufen, bleibt auch so. Sie können in die Welt bestimmend eingreifen und nach ihrem Willen verändern und ihn ihr aufzwingen, wenn es nicht anders geht. Das war die erste Macht, die Menschen innewohnte und ihnen bewusst wurde. Mit der Zeit stieg auch das Selbstbewusstsein an und je mehr Bürger die Städte besiedelten, desto deutlicher zeigte sich auch eine Überlegenheit Einzelner heraus. So geschah es das Herrscher entstanden, die die Macht innehatten, Gesetze festzulegen und diese mit geballter Konsequenz zu forcieren.
Das gleiche vereint „leggia“ in sich, wenn z.B. in Vsp 20, 9 von den schicksalsbestimmenden Nornen gesprochen wird, die „hinlegten“ (løgdo) und was sie so hinlegten war „løg“ = „Gesetz“. Sie legen Menschen ein Schicksal auf und dieses ist nun bestimmend für dessen ganzes Leben. Auffallend ist, dass das Schicksal in dieser Weise immer nur passivisch von Menschen empfangen wird und immer nur leidend erfahren wird. Gegen diese Festsetzungen einer höheren Macht kann man sich nicht wehren und man meint nichts gegen diese Unterdrückung tun zu können.
Dazu gibt es ja auch noch die „örløg“, die „Urfestlegung“. Weise, wie in der Grípisspá, können sie voraussagen, aber trotzdem bleibt sie der Veränderung entrückt.
Es gibt noch weitere Sinnbilder für „leggia“, wie das des Schicksalsfadens („örløgþáttr“), die aber jeweils nur das sowieso schon Bekannte verdeutlichen und es für den menschlichen Verstand greifbarer machen, weswegen ich nicht weiter auf sie eingehen werde.
" (Der Schiskalsglaube der Germanen, 2006, Aslak Fagran)

Götterglaube:
"Dem Naturdenken der älteren germanischen Urvölker steht nun das Machtdenken der Kultur- und Staatsmenschen gegenüber. Auch diesem liegt immer noch eine dynamische Sicht der Dinge zu Grunde, welche aber im Gegensatz zum „vanischen“ Denken eine von Außen wirkende ist. Weil der Mensch die Grenzen seines Wirkens spürte, fühlte er sich in seinem eigenen Machtbereich eingeschränkt und vor allen Dingen unterdrückt. Er gelangte daher zu der Auffassung, dass die Welt nicht im Einklang sein kann, denn wenn schon seiner Macht ein größere entgegensteht, muss ja ein Gegeneinander der Mächte bestehen. Aber mächtiger als alle Mächte ist immer noch die „Transzendenz der Schicksalsgewalt“ - was man auch an Háv 63 heraushört - die alles Wollen (und alles, was als solches vorgestellt wird) in schicksalhaftes Sollen umwandelt. Dies verdeutlicht die Verbitterung und den Pessimismus des eddischen Menschen oder auch einfach nur ihren Realismus. Sie leben in einer Welt, in der Schuld nur weiterer Schuld folgt und man nichts dagegen tun kann, weil alles so gewollt ist. Aber so sehr sie das merkten, konnten sie sich nicht vorstellen, dass da einfach nur eine Macht ist, sondern, da es immer Menschen waren die ihnen Gesetze gaben, ein Machtwirker. Sie begannen alles zu personifizieren. So werden zum Beispiel die Begriffe des „vanischen“ Denkens zur Verdeutlichung in den „asischen“ Kreis gehoben. Aus Urðr wird eine Norne, eine Schicksalsverwalterin, also völlig sinnentfremdet. Der Weltenbaum Yggdrasil wird zu Heimdall. Aber auch Götter wurden geschaffen. Allen voran wohl Odin, die Personifizierung des schenkenden Schicksals, was man wohl am meisten in Hyndlaliod 2 an dem fünffachen „gefa“ merkt. Das Neue bei ihm ist, dass er angebetet wurde, was vorher noch nie üblich war. Aus dem wechselbaren Schicksal, das niemand beeinflussen kann, wurde somit ein – für den Verstand besser zu verarbeitender – launenhafter Gott den man immer zu besänftigen versucht. Und so kann man Odin zürnen wenn er dem Feind gewährte, was man selbst haben wollte oder ihm danken eine glorreiche Schlacht geschlagen zu haben, denn Odin ist ein Gott der Fürsten und Krieger und ist im Zusammenhang mit dem Schicksal der Bauern nie erwähnt." (Der Schiskalsglaube der Germanen, 2006, Aslak Fagran)



Allgemein ist es mir immer wieder verwunderlich für mich zu sehen, dass doch immer wieder zu solchen Atavismen kommt, wie hier eben:
Determinismus --> Polytheismus --> Monotheismus (wie monotheistisch Christentum wirklich ist, ist an anderer Stelle zu klären) --> [Aberglaube] --> Determinismus (wenn die Brights-Bewegung siegt)
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