ostfriese hat geschrieben:Was verstehst Du unter "radikalem Naturalismus"? Etwa Auffassungen wie die Identitätstheorie für Geist und Gehirn? In dem Fall würde mich interessieren, welche Eigenschaften Du dem Geist zuschreibst, die das Gehirn nicht hat.
Genau, Identitätstheorie, Epiphänomenalismus, oder warum nicht einfach mein Liebling, der Physikalismus? Solches Zeug eben. Dabei schreibe ich dem Geist aber nur die Fähigkeit zu, über das Gehirn nachdenken und Ideen wie z.B. die Evolutionäre Erkenntnistheorie entwickeln zu können. Ob das
Gehirn, wie es etwa ein Identitätstheoretiker versteht, andererseits den Geist begrübeln (oder gar die Identitätstheorie aufstellen) kann halte ich für fragwürdig.
ostfriese hat geschrieben:Äh, "naturalistische Fehlschlüsse"? Es gibt eigentlich nur einen in der Philosophie so bezeichneten "Naturalistischen Fehlschluss", und der wird von Naturalisten eher selten begangen: der Schluss vom Sein aufs Sollen, von Fakten auf Normen.
Ach komm, wer wird sich wegen dem bisschen Plural so anstellen... Aber stimmt schon, der Begriff passt nicht auf die angedeuteten epistemologischen Schwierigkeiten, die haben nichts mit dem Unterschied zwischen Tatsachen und Maßstäben zu tun. Der Mechanismus scheint mir allerdings ganz ähnlich zu funktionieren. Ich fasse die Naturwissenschaft einschließlich der Gehirnforschung als eine Erfindung des menschlichen Geistes auf, als das Ergebnis von
Rationalität. Diese liefert auch die Begründungen für alle Gültigkeitsansprüche, welche die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse erheben können. "Radikalnaturalistische" Positionen zäumen den Gaul aber von hinten auf und wollen ihrerseits den Geist erklären bzw. sogar durch das Gehirn ersetzen. Sie möchten zwar nicht auf unsere Normen, aber auf unsere
Denkgrundlagen naturalistisch schließen. Ich will nicht sagen, dass man bei diesem Versuch nichts lernen kann. Aber wenn man es übertreibt schnappt man nur noch nach seinem eigenen Schwanz, dann hat man seine Herkunft vergessen.
Um das noch mal zusammenzufassen, ich bin beim Geist-Gehirn-Problem für eine Art "Erkenntnistheoretischen Dualismus". Bei diesem geht es nicht um Aussagen über physikalische (oder gar übernatürliche) Eigenschaften des Geistes oder um die Definition einer psychophysischen Schnittstelle ohne Verletzung der Erhaltungssätze. Es geht vielmehr darum, dass wir das Gehirn mit unserem Geist überhaupt erst entdeckt haben. Und die Hypothese, dass der Geist darin "wohnt", ist ebenfalls ein Produkt unserer geistigen Tätigkeit. Ebenso alle Belege, die wir für diese Theorie anführen können. Mein Dualismus behauptet deshalb den Primat des Rationalismus über den Naturalismus und hält jeden Versuch für unlogisch, dieses Verhältnis umzukehren.
Der (echte) naturalistische Fehlschluss (im Singular) ist außerdem auch bei Naturalisten beliebt, etwa wenn sie in allzu naiver Weise Evolutionäre Ethik betreiben. Manchmal klingt er auch hier im Forum an. Meiner Ansicht nach reicht es dabei schon, wenn bei moralischen, sozialen oder politischen Problemen als erster Ansatz sofort Theorien über die vermeintlich zugrundeliegenden Evolutionsmechanismen aufgestellt werden - wir hatten das z.B. bereits beim Krieg und auch hier bei der Liebe - anstatt einfach darüber nachzudenken, wie man das betreffende Problem lösen könnte.
PS: Ob es wohl ein (Zitat) "hirnorganisches Korrelat" für den Begriff "Hirnorganisches Korrelat" gibt?