Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon taotne » Di 18. Sep 2007, 19:12

http://www.diepresse.at/home/kultur/news/330872/index.do?_vl_backlink=/home/index.doInteressanter Artikel, problematisch halte ich aber einige Aussagen von den Wissenschaftlern allemal.
Als Zeugen nenne ich den genialen Mathematiker Kurt Gödel. Mit seinem Unvollständigkeitssatz hat er sehr deutlich die Grenzen der Naturwissenschaft aufgezeigt, sodass auf die letzten Fragen des menschlichen Seins nur mehr die Religion eine Antwort zu geben vermag.“
Wenn er mir hinreichend erklären kann, wieso jegliche Religion die Kompetenz dazu haben soll, dann werde ich Theist. :irre:
Kann es sein, dass einigen Naturwissenschaftler eine gewisse philosophische Basis fehlt? Oder fehlt mir die theologische, in die diese einen Einblick haben?


Aber immerhin... Dawkins und die Brights sind in den österreichischen Medien vertreten und werden behandelt. :mg:
Der Brite Dawkins wurde so zur Leitfigur der vor allem im den USA erfolgreichen Bewegungen der „Neuen Atheisten“ und der „Brights“, die sich für gesellschaftliche Anerkennung des naturalistischen Weltbildes einsetzen.
Und gegen diese Formuliereung habe ich sogar gar nicht einzuwenden. Da werden Brights und "Neue Atheisten" durchaus getrennt. :2thumbs:
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Peter Janotta » Di 18. Sep 2007, 19:19

Die Konsequenzen Gödels sind meiner Meinung nach stark überschätzt. Er hat meines Wissens lediglich zeigen können, dass es prinzipiel möglich ist einen widersprüchlichen Mathematischen Satz zu konstruieren. Dadaurch ergeben sich zwar Einschränkungen aber ich sehe darin keine gravierende Grenze des naturwissenschftl. erfassbaren. Kenn den Satz allerdings auch nicht im Detail.
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 20:11

taotne hat geschrieben:http://www.diepresse.at/home/kultur/news/330872/index.do?_vl_backlink=/home/index.doInteressanter Artikel, problematisch halte ich aber einige Aussagen von den Wissenschaftlern allemal.


"Dawkins mache mit seinen Versuchen, Gott zu widerlegen, spiegelverkehrt die gleichen Fehler wie seine Gegner, meint auch Zoologe Kurt Kotrschal, selbst „Agnostiker, aber kein militanter Atheist“: „Kein Naturwissenschaftler, der seine Sinne beieinander hat, benutzt seine Wissenschaft, um zu belegen, dass es Gott gibt oder nicht. In der Wissenschaft geht es um testbare Hypothesen, die Existenz Gottes ist keine testbare Hypothese.“

Da ist Victor Stenger, seines Zeichens Physik-Professor, der seine Sinne offenkundig noch alle beieinander hat, anderer Meinung:

"In this book I will show that a number of proposed supernatural or nonmaterial processes are empirically testable using standard scientific methods. (...) The process I will follow is the scientific method of hypothesis testing. The existence of a God will be taken as a scientific hypothesis and the consequences of that hypothesis searched for in objective observations of the world around us."

(Stenger, Victor J. God: The Failed Hypothesis: How Science Shows That God Does Not Exist. Amherst, NY: Prometheus, 2007. pp. 15+17)
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Kurt » Di 18. Sep 2007, 20:15

Als Zeugen nenne ich den genialen Mathematiker Kurt Gödel. Mit seinem Unvollständigkeitssatz hat er sehr deutlich die Grenzen der Naturwissenschaft aufgezeigt, sodass auf die letzten Fragen des menschlichen Seins nur mehr die Religion eine Antwort zu geben vermag.“


Was hinter dem "sodass" steht, stammt sicherlich nicht von Gödel. So einen Bullshit hat der nicht von sich gegeben. Nur weil die Mathematik Grenzen hat, heißt das noch lange nicht, dass die Religion hier weiterkommt.

Btw, der Gödelsche Unvollständigkeitssatz besagt, dass es wahre Aussagen gibt, die nicht beweisbar sind. Was natürlich auch nicht bedeutet, dass eine nicht beweisbare Aussage gerade wahr sein muss.
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Kurt » Di 18. Sep 2007, 20:24

Noch ein kleiner Nachschlag: Der Gödelsche U.-Satz wird durch Diagonalschluss bewiesen, d.h. durch die Kunst, sich selbst mathematisch ein Bein zu stellen. Der wissenschaftliche Wert von solchen Diagonalschlüssen erscheint mir ziemlich fragwürdig. Im Wesentlichen wird hier ein Fall konstruiert, indem eine sonst gültige Regel nicht gilt. Und wenn man ein Gegenbeispiel gefunden hat, kann man die Regel als widerlegt betrachten.

Als Beispiel die Aussage "Gott ist allmächtig". Als Gegenbeispiel die Frage "kann Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selber nicht mehr heben kann?". Durch diese Art mathematischer Haarspalterei lässt man Gott quasi gegen sich selbst antreten, so dass entweder der eine oder der andere verliert. Ein pragmatischer Wissenschaftler würde der gewonnenen Erkenntnis wohl wenig Wert beimessen, da uns eh nur die Fälle interessieren, in denen Gott mit dem Rest der Welt (statt mit sich selbst) in Wettstreit tritt. Genausowenig interessiert mich der nachgewiesenermaßen existente Fall eines wahren aber trotzdem unbeweisbaren Satzes in der Mathematik.
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 20:45

"„Für mich“, sagt Mathematiker Erich Peter Klement, „sind Naturwissenschaft und Religion Ergänzung und nicht Widerspruch. Als Zeugen nenne ich den genialen Mathematiker Kurt Gödel. Mit seinem Unvollständigkeitssatz hat er sehr deutlich die Grenzen der Naturwissenschaft aufgezeigt, sodass auf die letzten Fragen des menschlichen Seins nur mehr die Religion eine Antwort zu geben vermag.“"

Über die philosophische Bedeutung der gödelschen Beweise wird unglaublich viel spekuliert. Was ist da nicht schon alles hineininterpretiert worden (vor allem von Leuten, die Gödels Beweise nicht richtig verstanden haben)!
Die Behauptung, eine zwangsläufige Konsequenz daraus wäre, dass "auf die letzten Fragen des menschlichen Seins nur mehr die Religion eine Antwort zu geben vermag", ist doppelt falsch, da diese sich zum einen mitnichten aus Gödels Beweisen ergibt, und da zum anderen ja auch die nichtreligiöse Metaphysik derartige Antworten anzubieten hat.
Und auch über die Bedeutung von Gödels Beweisen für die Naturwissenschaft wird wild spekuliert.

"Gödels epochemachender Beweis, dass mathematische Systeme ihre Grenzen haben, beeinflusste zunehmend die Art und Weise, wie Philosophen und Naturwissenschaftler über die Welt und unsere Versuche, diese zu verstehen, dachten. Auf den ersten Blick scheint von nun an jedes Bemühen, das Universum zu erforschen, nur in Grenzen erfolgreich zu sein. Naturwissenschaft basiert auf Mathematik, doch da diese nicht alle Wahrheiten aufdecken kann, kann auch die Wissenschaft nicht alle Wahrheiten erkennen, so die Überlegung. Religiös gestimmte Kommentatoren ließ die in Gödels Satz enthaltene These von der Begrenztheit des menschlichen Verstandes nicht unberührt." (S. 321)

Gödel selbst war eher zurückhaltend:
"Gödel dachte nicht daran, aus seinen Theoremen eindeutige Folgerungen für die Physik zu ziehen." (S. 325)

"Aus all diesen Diskussionen sollten wir den folgenden Schluss ziehen: Es ist keineswegs erwiesen, dass Gödel der Physik direkte Grenzen setzt, was das Verstehen der Natur des Universums betrifft, nur weil sie mathematische Verfahren einsetzt. Die Natur verwendet vielleicht eine Mathematik, die zu einfach und zu klein ist, um Unvollständigkeit entstehen zu lassen. Dennoch stellt sich in der Naturwissenschaft gerade bei einzelnen Problemen die Frage, wieweit sie mathematisch unberechenbar und unentscheidbar sind." (S. 338)

(Barrow, John D. Die Entdeckung des Unmöglichen: Forschung an den Grenzen des Wissens. Übers. H. Must. Berlin: Spektrum, 2001.)

Was genau hat Gödel bewiesen?

"The First Incompleteness Theorem provides a counterexample to completeness by exhibiting an arithmetic statement which is neither provable nor refutable in Peano arithmetic, though true in the standard model. The Second Incompleteness Theorem shows that the consistency of arithmetic cannot be proved in arithmetic itself. Thus Gödel's theorems demonstrated the infeasibility of the Hilbert program, if it is to be characterized by those particular desiderata, consistency and completeness."

(http://plato.stanford.edu/entries/goedel)
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon wuschelpuschel » Di 18. Sep 2007, 20:54

Der Unvollständigkeitssatz wird wirklich überschätzt. Er besagt, das es arithmetische Formeln gibt, die man weder Beweisen noch Wiederlegen kann. Allerdings muss man es schon drauf anlegen um solche Formeln zu finden. Wir haben das anhand der Prädikatenlogik und dem "Der Barbier rasiert alle die sich nicht selbst rasieren"-Beispiel durchgenommen. Wer sich dafür interessiert gibt die Barbier-Sache mal in Google ein. Das ist echt ein nettes Beispiel.

/edit:
Ach so:
Die Natur verwendet vielleicht eine Mathematik, die zu einfach und zu klein ist, um Unvollständigkeit entstehen zu lassen.
Auch wichtig. Der Satz gilt nur für Theorien die mindestens so mächtig sind wie die Theorie der natürlichen Zahlen. Diese Theorie besteht aus einer Reihe von Grundannahmen, den Peano-Axiomen.(Juhu, ich hab mir das Wort behalten!) Wenn man sich also ein einfacheres System von Axiomen ansieht ist es möglich, das der Satz nicht gilt.
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon molosovsky » Di 18. Sep 2007, 21:01

Das ist ja Bullshitbingo vom feinsten.
Gödel kann man mit seinem Unvollständigkeits-Bumms auf ALLE formalen, hinreichend komplexen Systeme beziehen (ob das ganz zulässig ist, weiß ich nicht, aber es ist philosophisch herausfordernd), nicht nur auf so Zahlenschubserei. Nehmen wir Sprache: Theologie ist das formale System zum Erzeugen, Belabern, Werten usw. von niederer, mittlerer und höherer Sakralprosa-Phantastik. Ich würd sogar sagen, dass einige Religionen schon wieder ein System daraus gemacht haben, lauter Aussagen wohlklingend oder schillernd aneinanderzureihen, die nicht entscheidbar sind, oder die keine sinnvollen Aussagen machen.

Grüße
Alex / molo
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Peter Janotta » Di 18. Sep 2007, 21:26

Was hinter dem "sodass" steht, stammt sicherlich nicht von Gödel. So einen Bullshit hat der nicht von sich gegeben.


Leider schon. Gödel war gegen Ende seines Lebens total gaga und wollte Gott mathematisch beweisen. Aus Wikipedia:

aufgrund seiner fortschreitenden psychischen Krankheit – vorwiegend Paranoia, vor allem die Angst, durch Essen vergiftet zu werden, immer mehr. Er erhielt erst 1953 eine Professur in Princeton, da er vor allem von Hermann Weyl und Carl Ludwig Siegel wegen seines merkwürdigen Verhaltens als ungeeignet angesehen wurde. In den sechziger Jahren hörte er auf, Vorlesungen zu geben, und seine Krankheit ließ ihm immer weniger die Möglichkeit, zu arbeiten oder gesellschaftlich zu interagieren. Obwohl er während dieser gesamten Zeit weiterhin als einer der führenden Logiker galt und man ihm entsprechende akademische Anerkennung in der Form von Auszeichnungen gewährte, konnte das natürlich seinen Zustand nicht verbessern. 1970 versuchte er zum letzten Mal zu publizieren. Die Schrift musste jedoch zurückgenommen werden, da er aufgrund der Wirkung von Psychopharmaka viele Fehler einfach übersehen hatte. Im Übrigen beschäftigte er sich ab den 1940er Jahren zunehmend mit philosophischen Fragen und versuchte u.a. einen ontologischen Gottesbeweis mittels formaler Logik.
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Gödels Beweise

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 21:31

Wer sich mit Gödels Theoremen und deren translogischer, transmathematischer Bedeutung näher befassen möchte, dem empfehle ich (wiederum auf Empfehlung von anderen) folgendes Buch:

* Franzen, Torkel. Gödel's Theorem: An Incomplete Guide To Its Use And Abuse. Wellesley, MA: A K Peters, 2005.

(Siehe: http://books.google.de/books?id=71pK8Zz ... l+frantzen)
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon a.stefan » Di 18. Sep 2007, 21:57

molosovsky hat geschrieben:Das ist ja Bullshitbingo vom feinsten.
Gödel kann man mit seinem Unvollständigkeits-Bumms auf ALLE formalen, hinreichend komplexen Systeme beziehen [...]


Genau! Und das wichtige dabei ist nicht unbedingt "komplex", da in einem trivialen Fall, die Sache natuergemaess trivial ist ;-) sondern das "formal"!

Ein formales System ist ein System mit einen formalen (endlichen) Alphabet, mit definierten Regeln und daraus sich ergebenden Symbolketten. Ich kann also mit Hilfe des Alphabets und den Regeln Symbolketten bilden, mache Symbolketten/Aussagen daraus sind, im Sinne des Systems, wahr, andere wiederum sind falsch.

Goedels Satz ist weitreichend und alles andere als ueberschaetzt - vielmehr wird er unterschaetzt.

Er besagt, es gibt Aussagen die wir niemals innerhalb des formalen Systems, als "wahr" oder "falsch" definieren koennen. Diese Aussagen sind unentscheidbar.
Noch mehr: das eine Aussage in einen solchen System, in vorhinein nicht als wahr oder falsch definiert werden kann, vielmehr muss die Aussage bewiesen werden. Es kann also keine Methode geben, die uns sagt, das ein Teil der Aussagen "wahr" ist und der andere Teil "falsch".
Es kann also "wahre" Aussagen geben, von denen wir niemals erfahren koennen, ob sie tatsaechlich "wahr" sind; und
es kann auch "falsche" Aussagen geben, von denen wir niemals erfahren koennen, ob sie tatsaechlich "falsch" sind.

Die Folgen der Aussagen sind so weitreichend, das wir uns niemals sicher sein koennen, ob eine Aussage eines formalen System "loesbar" ist, so kann es durchaus sein, das zB die "Riemannsche Vermutung" so eine unentscheidbare Aussage ist, sie muss es aber nicht sein. Das bedeutet die MathematikerInnen koennten jetzt die naechsten 100.000 Jahre daran herumrechnen und koennen sich dann noch immer nicht sicher sein, ob es sich dabei um eine "entscheidbare" oder um eine "unentscheidbare" Aussage handelt.

Die interessante Frage ist, was hat das mit unserer "realen" Welt zu tun? Also mit der Welt ausserhalb der Mathematik. Und da muss einfach gesagt werden, das wir uns in keinem formalen System befinden.
Ein formales System verlangt, ein endliches Alphabet, mit einen definierten Regelwerk, unsere Sicht der Welt aendert sich fortlaufend, die Regel aendern sich, das "Alphabet" aendert sich. Wenn die KonstruktivistInnen recht haben, werden wir niemals dieses System "Welt" erfahren koennen und somit werden wir niemals ein formales System "Welt besitzen", wenn sie nicht Recht haben, gilt noch immer der Falsifikationismus in der Wissenschaft, was bedeutet wir koennen nur ueber die Falsifikation Wissen erlangen und somit wird auch in diesem Fall, das System "Welt" kein formales System sein.

Und was der gute Erich Peter Klement eigentlich wissen sollte, als Mathematiker, ist, das auch die Religion an Goedels Einschraenkung gebunden ist!
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon a.stefan » Di 18. Sep 2007, 22:13

Kurt hat geschrieben:Noch ein kleiner Nachschlag: Der Gödelsche U.-Satz wird durch Diagonalschluss bewiesen, d.h. durch die Kunst, sich selbst mathematisch ein Bein zu stellen. Der wissenschaftliche Wert von solchen Diagonalschlüssen erscheint mir ziemlich fragwürdig. Im Wesentlichen wird hier ein Fall konstruiert, indem eine sonst gültige Regel nicht gilt. Und wenn man ein Gegenbeispiel gefunden hat, kann man die Regel als widerlegt betrachten.


Goedel zeigte, das das System der Mathematik unvollstaendig ist, er zeigte, das jedes gleichmaechtige System wie das der Algebra (formal, hinreichend Komlex) unvollstaendig ist. edit: natuerlich Arithmetik und nicht Algebra :kopfwand:
Um bei der Mathematik zu bleiben: Es gibt hier Aussagen, von denen wir niemals erfahren koennen, ob es sich um "wahre", "falsche", oder "unentscheidbare" Aussagen handelt. Im Fall der Riemannsche Vermutung bedeutet das zB, das es sein kann, das diese Vermutung fuer immer eine Vermutung bleibt, das hat ganz massive Auswirkungen auf unsere Leben, so wuerde ein Beweis der Riemannsche Vermutung, einen Algorithmus beinhalten, der eine leichte Primfaktorenzerlegung zulaesst und das ist wiederum insofern von Bedeutung, als davon die Sicherheit der PGP/GPG-Verschluesselung abhaengt.

Kurt hat geschrieben:Als Beispiel die Aussage "Gott ist allmächtig". Als Gegenbeispiel die Frage "kann Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selber nicht mehr heben kann?". Durch diese Art mathematischer Haarspalterei lässt man Gott quasi gegen sich selbst antreten, so dass entweder der eine oder der andere verliert. Ein pragmatischer Wissenschaftler würde der gewonnenen Erkenntnis wohl wenig Wert beimessen, da uns eh nur die Fälle interessieren, in denen Gott mit dem Rest der Welt (statt mit sich selbst) in Wettstreit tritt. Genausowenig interessiert mich der nachgewiesenermaßen existente Fall eines wahren aber trotzdem unbeweisbaren Satzes in der Mathematik.



Und wenn unsere Welt tatsaechlich in dem Sinne ein formales System ist (was ich aber bezweifle, s.o) so gibt es auch hier Aussagen, die wir niemals als "wahr", "falsch", oder als "unentscheidbar" definieren koennen!

Du kannst eben _nicht_ Nachweisen ob eine Aussage "unentscheidbar" ist! Und somit haben auch die pragmatischen WissenschaftlerInnen das Problem, das sie zwar wissen, das es "unentscheidbare" Systeme gibt, sie wissen aber _nicht_ ob das Problem, was sie gerade untersuchen "unentscheidbar" ist! Das bedeutet sie muessen das Problem "durcharbeiten", es beweisen oder es widerlegen!
Wenn das ganze 1 Trillarde Jahre dauert - und sie haben weder einen Beweis noch eine Widerlegung gefunden, sind sie so klug wie heute - das Problem kann "wahr" sein (ein weiteres Jahr und der Beweis folgt vielleicht), das Problem kann "falsch" sein (ein weiteres Jahr und die Widerlegung folgt vielleicht), oder es kann "unentscheidbar" sein, aber selbst dann koennen sie das nicht wissen! Sie koennen weiter an dem Problem weiterarbeiten, mit der Gefahr das sie Trilliarden an Jahren daran verschwenden und sie keien Aussage treffen koennen, oder sie koennen das Problem aufgeben.

Goedels Satz ist derart fundamental und weitreichend, das wir uns niemals sicher sein koennen, ob das was wir tun, zu einer Loesung fuehrt (zumindestens in der Mathematik)! Goedels Satz ist wohl einer der unterschaetzten Saetze ueber formale Systeme, oder vielmehr in der Mathematik im allgemeinen.
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 22:32

molosovsky hat geschrieben:Das ist ja Bullshitbingo vom feinsten.
Gödel kann man mit seinem Unvollständigkeits-Bumms auf ALLE formalen, hinreichend komplexen Systeme beziehen (ob das ganz zulässig ist, weiß ich nicht, aber es ist philosophisch herausfordernd), nicht nur auf so Zahlenschubserei.


Behauptung:
"Gödel's theorem shows that there can't be any complete and consistent theories in mathematics."

Erwiderung:
"Are there any complete and consistent theories?
Yes, there are many interesting complete and consistent theories. Gödel's theorem applies only to theories that satisfy "certain conditions" - essentially, that a certain amount of arithmetic can be done in the theory. A theory for which these conditions do not hold may be both complete and consistent, and doesn't have to be at all trivial."


(http://www.sm.luth.se/~torkel/eget/godel/complete.html)

(Siehe auch: http://www.sm.luth.se/~torkel/eget/godel.html)
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Gödels ontologischer Gottesbeweis

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 22:40

Peter Janotta hat geschrieben:Gödel war gegen Ende seines Lebens total gaga und wollte Gott mathematisch beweisen.


Sein ontologischer Gottesbeweis ist keineswegs gaga (was nicht heißen soll, dass ich ihn für beweiskräftig halte.)

Siehe:
http://plato.stanford.edu/entries/ontol ... #GodOntArg

http://www.stats.uwaterloo.ca/~cgsmall/ontology2.html

http://www.infidels.org/library/modern/ ... godel.html
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Re: Gödels ontologischer Gottesbeweis

Beitragvon a.stefan » Di 18. Sep 2007, 22:52

auch konnte Goedel aeusserst witzig sein:

http://www.welt.de/print-welt/article21 ... Logik.html

Falls jetzt jemand meint, die Logik sei vielleicht für eine Überraschung in ihren eigenen Gefilden zuständig, bliebe jedoch irrelevant für die Welt davor, der muß erneut das Gegenteil lesen: Als Gödel in die USA eingebürgert werden sollte, fragte ihn der zuständige Beamte, ob er sich freue, jetzt zu einem Land zu gehören, in dem die Verfassung jede Diktatur ausschließe. Gödel antwortete, dieser habe seine Verfassung nicht genau genug gelesen. Logisch sei es doch möglich. Leider hat er uns die entsprechende Stelle nicht verraten. Wittgenstein sollte sie suchen.


Ich find leider nicht mehr den ausfuehrlicheren Artikel dazu, auf den ich mich nun beziehe, aber angeblich hat Goedel, als er angelobt wurde, den Richter erklaert, das die amerikanische Verfassung einen logischen Fehler beinhaltet und dadurch eine Diktatur eingerichtet werden kann. Als Goedel dagegen laut protestieren wollte und meinte, in so einen Land moechte er nicht leben, hat ihm Einstein (der bei der Angelobung als Zeuge diente) mit knapper Not noch zurueckhalten koennen.
Mag sein das es eine Urban-Legend ist, sie ist aber zumindestens lustig ... :lachtot:
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Gödel und die US-Verfassung

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 23:05

a.stefan hat geschrieben:Ich find leider nicht mehr den ausfuehrlicheren Artikel dazu, auf den ich mich nun beziehe, aber angeblich hat Goedel, als er angelobt wurde, den Richter erklaert, das die amerikanische Verfassung einen logischen Fehler beinhaltet und dadurch eine Diktatur eingerichtet werden kann. Als Goedel dagegen laut protestieren wollte und meinte, in so einen Land moechte er nicht leben, hat ihm Einstein (der bei der Angelobung als Zeuge diente) mit knapper Not noch zurueckhalten koennen.
Mag sein das es eine Urban-Legend ist, sie ist aber zumindestens lustig ... :lachtot:


"Gödel and the Constitution of the United States:

The following is quoted from Hao Wang, Reflections on Kurt Gödel, p. 115f:

In connection with the interview for his US citizenship, he once told me that for this occasion he had studied how the Indians had come to America. Einstein and O.Morgenstern were his witnesses, and Morgenstern has told different people about aspects of the event. The following account is given by H-Zemanek and E.Köhler (see Zemanek's report, Elektronische Rechenanlagen, vol. 5, 1978, pp. 209-211). Even though the routine examination G was to take was an easy matter, G prepared seriously for it and studied the US Constitution carefully. On the day before the interview G told Morgenstern that he had discovered a logical-legal possibility of transforming the United States into a dictatorship. Morgenstern saw that the hypothetical possibility and its likely remedy involved a complex chain of reasoning and was clearly not suitable for consideration at the interview. He urged G to keep quiet about his discovery.

The next morning Morgenstern drove Einstein and G from Princeton to Trenton. Einstein was informed; on the way he told one tale after another, to divert G from his Constitution-theoretical explanations, apparently with success. At the office in Trenton, the official in charge was Judge Philip Forman, who had inducted Einstein in 1940 and struck up a friendship with him. He greeted them warmly and invited all three to attend the (normally private) examination of G.

The judge began, 'You have German citizenship up to now.' G interrupted him, 'Excuse me sir, Austrian.' 'Anyhow, the wicked dictator! but fortunately that is not possible in America.' 'On the contrary,' G interjected, 'I know how that can happen.' All three joined forces to restrain G so as to turn to the routine examination."


(http://www.sm.luth.se/~torkel/eget/gode ... ution.html)


"[Gödel] ließ sich 1947 [in die USA] einbürgern. Als Zeugen für die Zeremonie benannte er Morgenstern und Einstein. Ersteren hatte er bereits in helle Aufregung versetzt, als er ihm bestürzt mitgeteilt hatte, er habe in der Verfassung eine 'Inkonsistenz' gefunden. Von Morgenstern von der drohenden Gefahr in Kenntnis gesetzt, übernahm Einstein die Aufgabe, seinen Freund auf dem Weg zur Anhörung von seinen Überlegungen abzulenken, indem er ihn mit abgedroschenen Witzen und alten Anekdoten unterhielt. (Noch besorgter wäre Einstein vermutlich gewesen, wenn er gewusst hätte, dass das FBI seit Jahren Teile von Gödels Korrespondenz mit seiner Mutter in Wien abfing und las.) Die Strategie war nicht sehr erfolgreich. Als Richter Philip Forman, der nur wenige Jahre zuvor Einstein selbst ins 'gelobte Land der Freiheit' verholfen hatte, Gödel nebenbei fragte, 'Glauben Sie, dass in den Vereinigten Staaten jemals eine Diktatur wie in Deutschland entstehen könnte?', erhielt er von Gödel ein beflissenes Ja zur Antwort. Gödel verbreitete sich in ausführlichen Worten darüber, dass die amerikanische Verfassung eine solche Entwicklung formal ohne Weiteres zulasse. Der Richter war jedoch klug genug, ihn zu unterbrechen, bevor er sich um Kopf und Kragen redete, und die weitere Anhörung nahm einen friedlichen Verlauf ..."

(Yourgrau, Palle. Gödel, Einstein und die Folgen: Vermächtnis einer ungewöhnlichen Freundschaft. Übers. K. Beginnen u. S. Kuhlmann-Krieg. München: Beck, 2005. S. 118)

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Die Geschmäcker von Genies sind verschieden

Beitragvon Myron » Di 18. Sep 2007, 23:36

"Ihr Geschmack allerdings war und blieb höchst verschieden. Einstein, der Geiger, konnte Gödel nie für Mozart oder Beethoven erwärmen. Gödel seinerseits hatte kaum mehr Erfolg, wenn er versuchte, Einstein für seinen Lieblingsfilm 'Schneewittchen und die Sieben Zwerge' [* zu begeistern."

[* Snow White and the Seven Dwarfs, USA 1937, Walt Disney]

(Yourgrau, Palle. Gödel, Einstein und die Folgen: Vermächtnis einer ungewöhnlichen Freundschaft. Übers. K. Beginnen u. S. Kuhlmann-Krieg. München: Beck, 2005. S. 11)

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Re: Formale Systeme - geschlossene Systeme

Beitragvon stefan2 » Mi 19. Sep 2007, 18:34

Was A.Stefan zu Gödel gesagt hat, hat auch eine Analogie in der unsäglichen Diskussion um den thermodynamischen Hauptsatz, der ja angeblich eine Evolution ausschließt. Und genau wie der Unvollständigkeitssatz für in gewissem Sinn "abgeschlossene" Systeme gilt, ist es mit dem thermodynamischen Hauptsatz, da ja nur für energetisch geschlossene Systeme seine Richtigkeit hat. Und das ist ja unsere Erde gerade auch nicht.

Auf der anderen Seite halte ich das Zitat in diesem Zusammenhang von der Presse für deutlich überstrapaziert. Aber das ist ja nicht Gödels Problem.

Stefan
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon Kurt » Mi 19. Sep 2007, 19:24

a.stefan hat geschrieben:Um bei der Mathematik zu bleiben: Es gibt hier Aussagen, von denen wir niemals erfahren koennen, ob es sich um "wahre", "falsche", oder "unentscheidbare" Aussagen handelt.


Genau darin liegt der Unterschied zwischen empirischen Wissenschaften und der Mathematik. In der Mathematik genügt ein einziges Gegenbeispiel, um einen Satz zu falsifizieren, in den empirischen Wissenschaften begnügt man sich meistens mit mehr oder weniger genauen Aussagen. Gödel war Logiker, er beschäftigte sich damit, Dinge mit an den Haaren herbeigezogenen Gegenbeispielen zu widerlegen. Das ist in der Mathematik auch in Ordnung. Aber ich bezweifle den praktischen Nutzen seines Satzes für die empirischen Wissenschaften. Die naheliegende Frage für mich ist "für wieviele (von allen möglichen) Sätzen gilt es denn, dass sie weder beweisbar noch widerlegbar sind?" Ist es nur ein einziger, sind es abzählbar viele unter überabzählbar vielen möglichen, ist es ein Prozent? Wieviele sind es wohl für praktische Fragen?
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Re: Die Presse: „Man soll sich ja kein Bild machen!“

Beitragvon a.stefan » Do 20. Sep 2007, 21:20

@Goedels-Unvollstaendigkeitssatz:
Kurt hat geschrieben:[...]

Aber ich bezweifle den praktischen Nutzen seines Satzes für die empirischen Wissenschaften.


Ja, da sind wir uns einig.
Der Vergleich mit dem Thermodynamischen Hauptsatz ist interessant, und auch korrekt ist, das wie wir Wissen erfahren, alles andere als ein geschlossenes System ist und somit der Unvollstaendigkeitssatz nicht zutrifft (zumindestens nicht wie wir im moment Wissen erfahren).

Kurt hat geschrieben:Die naheliegende Frage für mich ist "für wieviele (von allen möglichen) Sätzen gilt es denn, dass sie weder beweisbar noch widerlegbar sind?" Ist es nur ein einziger, sind es abzählbar viele unter überabzählbar vielen möglichen, ist es ein Prozent? Wieviele sind es wohl für praktische Fragen?


Das wurde ebenfalls bewiesen: es kann keine Vorhersage getroffen werden, wieviele Saetze "unentscheidbar" sind!
Das bedeutet selbst wenn ich Milliarden an Jahre an ein Problem herumrechne, kann ich nicht vorhersagen: "es gibt einen Beweis/Widerlegung oder der Satz ist unentscheidbar".

Der Unvollstaendigkeitssatz sagt nur aus, das es solch unentscheidbare Saetze gibt, wieviele, 10, 1000, Trilliarden, unendliche, das wissen wir nicht, koennen wir auch nicht wissen und damit koennen wir auch nicht wissen, fuer wieviele "praktische" Saetze der Unvollstaendigkeitssatz zutrifft - 10, 1000, Trillarden, unendlich viele ...
Wirklich tragisch wirds eben fuer MathematikerInnen, die versuchen einen Satz zu beweisen, unter Umstaenden sitzen sie bis in alle Ewigkeit daran, ohne zu wissen, ob er nun beweisbar oder unentscheidbar ist.

ps.: danke fuer die goedel-anekdoten, auch wenn goedel seltsam war, irgendwie mag ich ihm (vielleicht auch deswegen) ... ;-)
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a.stefan
 
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