Arthur Schopenhauer hat geschrieben:Was man so die allgemeine Meinung nennt, ist, bei Lichte betrachtet, die Meinung zweier oder dreier Personen. Und davon würden wir uns überzeugen, wenn wir der Entstehungsart einer solch allgemeingültigen Meinung zusehen könnten. Wir würden dann finden, dass es nur zwei oder drei Leute sind, die solche Meinung als Erste annahmen oder aufstellten und behaupteten, und denen man so gütig war zuzutrauen, dass sie solche recht gründlich geprüft hätten: auf das Vorurteil der hinlänglichen Fähigkeit dieser nahmen zuerst einige wenige Andere diese Meinung ebenfalls an. Diesen wiederum glaubten viele weitere andere, deren Trägheit ihnen anriet, lieber gleich zu glauben, als erst mühsam zu prüfen. So wuchs von Tag zu Tag die Zahl solcher trägen und leichtgläubigen Anhänger: denn hatte die Meinung erst eine gute Anzahl Stimmen für sich erreicht, so schrieben die Nachfolgenden dies dem zu, dass sie solche nur durch die Triftigkeit ihrer Gründe hätte erlangen können. Die noch Übrigen waren jetzt genötigt gelten zu lassen, was allgemein galt, um nicht für unruhige und renitente Köpfe zu gelten, die sich gegen allgemeingültige Meinungen auflehnten und naseweise Burschen, die klüger sein wollten als alle Welt.
Jetzt wurde die Zustimmung zur Pflicht. Nunmehr müssen die wenigen, welche zu urteilen fähig sind, schweigen, und die da reden dürfen, sind solche, welche völlig unfähig, eine eigene Meinungen und eignes Urteil zu haben, das bloße Echo fremder Meinungen sind. Jedoch sind sie desto eifrigere und unduldsamere Verteidiger derselben. Denn sie hassen am Andersdenkenden nicht sowohl die andere Meinung, zu der er sich bekennt, als die eher Vermessenheit, selbst urteilen zu wollen, was sie ja doch selbst nie zu unternehmen in der Lage und im Stillen sich dessen bewusst sind. – Kurzum, Denken können sehr wenige, aber Meinungen wollen alle haben: was bleibt da anderes übrig, als dass sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von Anderen übernehmen?
Da es so zugeht, was gilt da noch die Stimme von hundert Millionen Menschen? – So viel wie etwa ein historisches Faktum, das man bei hundert Geschichtsschreibern findet, dann aber nachweist, dass sie alle, einer dem anderen, abgeschrieben haben, wodurch zuletzt alles auf die Aussage eines Einzigen zurückläuft.
(Arthur Schopenhauer, Kunstgriff 30, Eristische Dialektik - Die Kunst, Recht zu behalten)
Arthur Schopenhauer hat geschrieben:Denken können sehr wenige, aber Meinungen wollen alle haben; was bleibt da anderes übrig, als dass sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von Anderen übernehmen?
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