ujmp hat geschrieben:Ich kann z.B. feststellen, dass gereimte Sätze eher geglaubt werden, also normale, dass assoziative Übereinstimmung Glaubwürdigkeit von Aussagen begünstigt, die offensichtlich falsch sind. Und hier hast du dein Laborgedicht, es beruht darauf, emotional aufgeladene Wörter aneinander zu reihen:
Ufer der Liebe
Sterne im Meer
Schicksal des Atems
Herzen so leer
ujmp, 24. Juli 2013, 8.16
Lies es dreimal, und du wirst dir etwas deuten!
Das ist eine schöne Stelle, weil sie ein fundamentales Unverständnis für die Herangehensweise der Psychoanalyse (PA) offenbart.
Es geht in den Deutungen der PA nicht in der von Dir vermuteten Weise um richtig oder falsch und darum ist es auch vollkommen zutreffend, dass jeder mit dem Gedicht etwas verbindet, unzutreffend ist, dass man damit einen großen Schwindel aufgedeckt hätte, weil das Gedicht ja „in Wirklichkeit“ gar nichts bedeutet.
Leider hast Du tatsächlich keine Ahnung von Hermeneutik, sonst wüsstest Du, dass es auch von einem Goethe-Gedicht keine „richtigen“ Deutungen gibt, denn was ist denn überhaupt eine richtige Deutung? Dass sie die historischen Gegebenheit korrekt wiedergibt? Dass sie die existenzielle Seite des Menschseins offenlegt? Die biographischen Motive, die tiefenpsychologischen? Weiß nur der Autor, was er sagen wollte? Was, wenn er mehr ausdrückt, als er selbst ahnt? Es gibt marxistische, psychoanalytischen und zig andere Textinterpretationen, die genau das herausarbeiten, es gibt semantische und syntaktische Analysen. Da heißt aber nicht, das jede Deutung gleich gut wäre, aber professionelle Textinterpretationen eines Biographen oder Literaturwissenschaftlers sind etwas anderes, als zum Beispiel die Assoziationen, die ein Patient der PA zu diesem Laborgedicht hätte.
In der PA hat man bewusst u.a. auch mit „sinnlosen“ Zeichen und Muster gearbeitet, wie z.B. im Rorschach-Test:
http://de.wikipedia.org/wiki/Rorschach-TestDenn es geht darum die Innenwelt des Patienten zu erschließen, was der denkt und frei assoziiert, was ihm spontan in den Sinn kommt, wenn er diesen oder jenen Klecks sieht.
Es ist im Grunde auch völlig belanglos, über was jemand spricht ob er sich gerade eine neue Küche eingerichtet hat, sein Haustier krank ist oder sonst was, über kurz oder lang, meistens sehr schnell, kommt jeder auf sein Thema, meinte Freud und hatte Recht.
Ist das gefunden, gruppiert sich da herum alles weitere.
Was angeprangert wird, ist die vermeintliche Willkür der Deutungen, hat man sich, so die Kritik, mal einmal auf eine Deutung, ein Problem eingeschossen, steht eigentlich schon fest, dass der Patient nie mehr Recht haben kann und der Analytiker sich nie mehr irren kann, der weiß ja jetzt, was mit dem Klienten los ist.
Kumulieren tut dies im sogenannten Deutungswiderstand, dem Punkt, der nach Popper, das ganze Geschehen unwissenschaftlich werden lässt. Kurz gesagt: steht die Deutung fest, hat der Patient keine Möglichkeit zum Einspruch mehr und alles was nun an „so ist das aber nicht“ kommt, wird als Deutungswiderstand interpretiert den der Patient eben noch nicht überwunden hat, dass die Deutung ganz einfach falsch sein könnte, liegt hier nicht mehr im Bereich des Möglichen.
Erstens ist das mindestens den Theoretikern der PA überbekannt, zweitens berührt es einen Bereich in dem Popper sich geirrt hat. Popper hat u.a. in seinem Frühwerk die Bedeutung des theoretischen Holismus nicht erkannt und so geht es nicht darum, dass die Widerlegung einzelner Sätze, wie Popper zunächst meinte, ein Theoriegebäude zum Einsturz bringen, sondern es muss die Theorie als Ganzes falsifizierbar und widerlegt sein, was u.a. dazu führt, dass die Theorie Poppers nicht nur in der PA, sondern auch in der Naturwissenschaft, überhaupt keine praktische Bedeutung haben, was Dir zuletzt Zappa noch mal bestätigt hat.
Doch die PA ist falsifizierbar, es wurde und wird, wie in den Naturwissenschaften, nachgebessert und ausgetauscht und die übliche Abfolge therapeutischer Befragungen ist die Klärung von Unstimmigkeiten. Zu jedem Zeitpunkt hat der Patient die Möglichkeit eine Deutung nicht anzunehmen, wenn er für Widersprüche eine Begründung geben kann. Die ganze Deutungstechnik ist darauf angelegt, diese Widersprüche aufzudecken und den Patienten immer wieder zu befragen, wie er sich diese, vom Analytiker erlebten Widersprüche erklärt. Kann er es erklären, wird das als wichtige Information angenommen, kann er es nicht erklären, bietet der Analytiker eine Deutung an.
Auch hier kann der Patient widersprechen und sagen: „Nein, das sehe ich anders, weil ...“ und wieder wird gemeinsam geprüft, ob das die Inkohärenzen auflöst.
Und es ist nicht etwa so, dass der Patient einen Traum berichtet oder sich einmal verspricht und schon ist er „in der Falle“, nein, überhaupt nicht. Es gibt einen breiten Fluss an Informationen zu denen u.a. das gehört, was der Patient, von sich weiß und äußert, dann das was man aus dem Unterbewussten des Patienten erfährt, was sind seine Symptome, Träume, wie ist seine Körperhaltung, errötet er, wirkt er entspannt, ballt er die Fäuste, wie spricht er, wenn er über sein Frau redet und so weiter. Immer mehr Bedeutung hat die Analyse der Gegenübertragung gewonnen, die Summe dessen, was der Patient jetzt gerade im Therapeuten auslöst und man weiß, das löst er auch in anderen Menschen aus. Natürlich wechselt das, teilweise dramatisch, und man schaut, wann der Patient wie wirkt. Das geht bis in die diagnostischen Feinheiten, die darauf aufbauen. Es gibt einen Unterschied zwischen konkordanter und komplementärer Identifikation in der Gegenübertragung. Typisch für die Gegenübertragung von Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen ist die komplementäre Identifikation, d.h. man ist wütend oder frustriert und möchte den Patienten vor die Wand klatschen, weil er sich wieder mal selten dämlich benommen hat, im Gegensatz zur vorwiegend konkordanten Identifikation in der Gegenübertagung bei neurotischen Patienten, mit denen man Mitleid empfindet, die man knuddeln möchte und denkt, das hat er nicht verdient. Bis in solche Feinheiten – und natürlich, was das beudetet und wie man darauf reagiert - hat sich das heute ausdifferenziert und der Traum ist längst nicht mehr der Königsgweg zum Unbewussten.
Das Ziel ist die Autonomie des Patienten zu erhöhen, so dass er sich und seine Motive besser kennt und auf diese Rücksicht nehmen kann, so dass er nicht gezwungen ist, seine Bedürfnisse, durch pathologischen Zerrformen oder psychosomatishen Symptome zum Ausdruck zu bringen, sondern klar und offen äußern kann und sich auch traut, das zu tun. Ob 78% der Bevölkerung die Meinung des Patienten teilen oder nicht, ist dabei vollkommen irrelevant. Ob das „wahr“ ist, was der Patient will: Was soll das in diesem Kontext bedeuten? Es bedeutet hier, stimmig innerhalb der Erlebenswelt des Patienten. Das „so darfst du aber nicht sein/denken/fühlen“, ist genau die neurotische Einschränkung, die die Analyse überwinden will.
Natürlich war gerade Freud Realist reinsten Wassers und versuchte stets für ggf. phantastische Wünsche der Patienten optimale Kompromisse zu finden.
Ich kann ja respektieren, wenn man sich für die PA nicht interessiert und m.E. muss das niemand tun. Es ist ein hochinteressantes Gebiet, aber es gibt andere hochinteressante Gebiete, man kann als Astrophysiker die Grenzen der Welt ebenso herausfordern, wie als Künstler, Philosoph oder Mystiker und wenn man zu er Überzahl derer gehört, die gar nicht das Bedürfnis haben sich an den Grenzen des Lebens zu tummeln, dann kann man auch mit einem konventionellen Lebensansatz (halbwegs?) zufrieden leben.
Aber der Grad Deiner Unkennntnis taugt noch nicht mal für schlechte Polemik, das ist wirklich nur arm und 40 Jahre hinter der aktuellen Diskussion zurück, schon was den psychosoanalyseinternen Stand der Dinge angeht.
Extern gibt es über die Jahrzehnte große Kontroversen zwischen zwischen den kategrorialen Interpreten des Psychologie, die vorwiegend für die Formulierung des DSM und ICD verantwortlich sind und die Auffassung vetreten, entweder man habe diese Krankheit (wenn mindestens 5 von 8 beschriebenen Symptomen während der letzten sechs Monate aufgetreten sind mehr als drei mal aufgetreten sind – mitunter Willkür im Gewand der Präzision verborgen) oder eben nicht und Dimensionalisten, die die Auffassung vertreten, dass es nicht gesund oder krank gibt, sondern eine fließendes Kontinuum bestimmter Symptomatiken. Das hat sehr große Auswirkungen auf bestimmte Krankheitsdefinitionen und ist seit Jahren eine großes Thema, auch im Dunstkreis der PA, an dem jeden Menge hängt, sprich auch der deskriptive Zugang zur Innenwelt ist nicht unbekannt, es erwies sich nur, dass dieser deskriptive Ansatz in vielen Fällen unzureichend war, das war die Geburtsstunde für einen Umbau auch der Theorie der PA hin zur Objektbeziehungstheorie, die Du nicht kennst, die aber heute vorherrschend ist und die Freuds Ansatz in weiteren Teilen aufnimmt und beinhaltet und zu Teil negiert und korrigert.
D.h. sowohl im theoretischen Design, als auch in der Begegnung in der Praxis ist die PA korrigierbar und und sind Deutungen falsifizierbar.