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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 3. Jun 2013, 13:23
von mat-in
Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Nicht in der Lage sein würde ich nicht mal sagen. Es braucht zum einen mehr als nur kritisches Denken (Wissenschaftliche Analyse und Statistik) und zum anderen auch den Willen etwas zu bewerten. Oft macht man das ja schon aus Bequemlichkeit nicht. Wenn dann aber jemand daher kommt und meint, seine handvoll Einzelgeschichten über den Klaus der Kopfschmerzen hatte und den Hund von Tante Erna der seit er Zuwendung und Globuli bekommt die Möbel nicht mehr anknabbert wiege schwerer als alle wissenschaftlichen Untersuchungen... dann muß da schon irgend wo ein (wahrnehmuns? bildungs?) Defizit und / oder Unwille sein.

Der Wille etwas zu bewerten ist also nur dann vorhanden, wenn man zu einer von gegenwärtigen Stand der Forschung nicht abweichenden Meinung kommt, sonst hat man einen an der Waffel. Wie kommt man mit so einer Sichtweise eigentlich klar, wenn man mehrfach im Leben gezwungen ist, heute das Gegenteil von gestern zu glauben?
Dann kann man stolz auf sich sein, daß geschafft zu haben, andere Leute schaffen das nicht, ihre Meinung an der (neuen) Faktenlage zu orientieren.

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Die Frage ist (bei den ganzen % angaben und so): Was davon ist signifikant unterschiedlich? Gibt es keinen Unterschied zwischen Placebo und Behandlung, kann man das getrost abhaken. Ganz unabhängig davon ob eine dritte Therapie sogar negative Auswirkungen hatte.

Warum? Wieso kann man keine Quervergleiche ziehen?

Soweit ich das sehe kann man sagen: Akupunktur wirkt nicht besser als Sham Akupunktur (einige behaupten, Sham Akupunktur sei kein Placebo, geschenkt).
So wie ich das verstanden habe (kann die originalstudien am WE mal lesen), funktioniert Placebo und getestete Behandlung gleich gut und beide besser als die Schulmedizinische Standardtherapie. (wie sind da die Signifikanzen in der Studie? In der Nachkommastelle abweichende % Werte sagen allein nichts aus). Nur zu sagen "Akupunktur ist erfolgreicher als Schulmedizin" stellt in dem Zusammenhang die Fakten schief dar. Denn die vollständige Aussage ist: Schulmedizin schneidet schlechter ab als Behandlungen (plural!) mit Wirkung von Placeboeffektgröße.
Mal wider ein überzeichnetes Beispiel: Das du von hochdosiert Zyankali gegen Kopfschmerzen stirbst und von hochdosiert Kochsalz nur mehr Kopfschmerzen bekommst bedeutet nicht, daß Kochsalz egen Kopfschmerzen hilft. Wenn Zyankali die Standardtherapie ist, muß man eine neue suchen.

stine hat geschrieben:Ich denke, man muss auch nochmal Homöopathie und Naturheilkunde unterscheiden. Es gibt sehr viele Naturheilmittel die nachweislich eine Wirkung haben. Die Pflanzenheilkunde ist durchaus ein wissenschaftliches Feld.
"Naturheilkunde" ist ein sehr großes Feld. Alles was da wirkt (und bekannt ist), hat auch Eingang in die "Schulmedizin" gefunden, ist zum Teil sogar erheblich verbessert worden (siehe Aspirin, Taxol, ...). Es bleiben also noch die unwirksamen Methoden die man dort "zusätzlich" bekommt, plus das Gefühl, das "Bio gesund ist". Schlimmstenfalls sind da dann auch Blütenaromatherapie nach Bach oder - wenn wir bei der Hexe bleiben wollen - behandlung mit unterschiedlich farbigen Kerzen enthalten...

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 3. Jun 2013, 13:30
von Nanna
mat-in hat geschrieben:"Naturheilkunde" ist ein sehr großes Feld. Alles was da wirkt (und bekannt ist), hat auch Eingang in die "Schulmedizin" gefunden, ist zum Teil sogar erheblich verbessert worden (siehe Aspirin, Taxol, ...).

Wie es Tim Minchin mal formuliert hat: "Do you know, what they call alternative medicin, that's been proven to work? - Medicin!" ;-)

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 3. Jun 2013, 14:29
von Vollbreit
mat-in hat geschrieben:So wie ich das verstanden habe (kann die originalstudien am WE mal lesen), funktioniert Placebo und getestete Behandlung gleich gut und beide besser als die Schulmedizinische Standardtherapie.
Ja.
mat-in hat geschrieben:(wie sind da die Signifikanzen in der Studie? In der Nachkommastelle abweichende % Werte sagen allein nichts aus). Nur zu sagen "Akupunktur ist erfolgreicher als Schulmedizin" stellt in dem Zusammenhang die Fakten schief dar. Denn die vollständige Aussage ist: Schulmedizin schneidet schlechter ab als Behandlungen (plural!) mit Wirkung von Placeboeffektgröße.

Das ist doch bereits alles klar und mehrfach erwähnt worden.
mat-in hat geschrieben:Mal wider ein überzeichnetes Beispiel: Das du von hochdosiert Zyankali gegen Kopfschmerzen stirbst und von hochdosiert Kochsalz nur mehr Kopfschmerzen bekommst bedeutet nicht, daß Kochsalz egen Kopfschmerzen hilft. Wenn Zyankali die Standardtherapie ist, muß man eine neue suchen.

Aha, wir kommen dem Kern des Problems näher. Aber, warten wir bis zum WE, bin gespannt, was Deine Meinung zu der Studie ist.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 3. Jun 2013, 17:31
von Zappa
Vollbreit hat geschrieben:Die Naturheilkunde ist, vereinfacht gesagt, in der Denkweise identisch der Schulmedizin, nur weniger giftig.


Das ist Unsinn. Der Denkansatz der Naturheilkunde ist der, dass natürlich belassene Wirkstoffgemische aus irgendwelchen, meist nicht rational belegten Gründen, besser sind als chemisch :erschreckt: isolierte Einzelsubstanzen. Besser kann hier vieles heißen: Besser wirksam, umfänglicher wirksam, irgendwie ökologisch-moralisch korrekter oder nebenwirkungsärmer. Das Ganze ist ziemlich umfänglich widerlegt, lediglich für das Johanniskraut gibt es Daten, die darauf hineuten könnten, das das natürlich Stoffgemisch wirksamer ist.

Homöopathie ist Mumpitz und längst widerlegt.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 3. Jun 2013, 17:44
von Zappa
Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:So wie ich das verstanden habe (kann die originalstudien am WE mal lesen), funktioniert Placebo und getestete Behandlung gleich gut und beide besser als die Schulmedizinische Standardtherapie.
Ja.

Äh, nein.

Zum x-ten Mal: Es wurde eben nicht Standardtherapie vs Sham vs Placebo getestet, sondern eine medikamentöse Basistherapie wurde in allen Armen der Studie erlaubt. Medikamente wurden lediglich in den beiden Armen mit Piksen weniger häufig eingenommen. Da die medikamentöse Therapie in aller Armen nicht sauber standardisiert war, ist die Schlussfolgerung eben nicht zu ziehen (und wurde deshalb in der Originalpublikation so auch nicht aufgestellt, aus Gründen)! Das einzig valide Ergebnis der Studie ist, dass Placebo (=Sham) nicht besser als Akupunktur abschneidet, Akupunktur also auf einem Placeboeffekt beruht. Das andere ist Rumgeeiere der Autoren außerhalb von peer reviewed Journals um von der Negativität der Studie abzulenken.

@mat-in: Lies die Studie und wir können uns gerne darüber unterhalten, Vollbreit scheint da etwas - wie soll ich sagen - voreingenommen. Oder noch besser: Lies die von mir oben zitierte Metaanalyse zu dem Thema.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 3. Jun 2013, 19:36
von Vollbreit
Also, ich möchte mal eben schüchtern anmerken, dass Du derjenige bist, der kontrafaktisch argumentiert.
Die gerac-Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Akupunktur wirkt, Du behauptest die Akupunktur wirke nicht.
Du meinst aber mit „wirken“ den Wirkungsmechanismus (wie, wodurch wirkt die Akupunktur), dass die Akupunktur aber wirkt (also Symptome bessert, im Sinne des WOMAC-Scores), ist durch die Studie belegt.
„Bei den genannten Beschwerden ist die Wirksamkeit von Akupunktur deutlich höher als die einer schulmedizinischen Behandlung.“ (wiki)

Es scheint mir aber nicht so zu sein, dass das speziell deutsch wäre, denn im anglo-Wiki kann man zur gerac-Studie lesen:
Wikidepida hat geschrieben:While the trial for tension-type headache had to be aborted, the other three RCTs had the same results: acupuncture worked as well as or even better than conventional therapy, but there was no significant difference in efficacy between real and sham acupuncture.
http://en.wikipedia.org/wiki/GERAC


Zur allgemeinen Akupunktureinschätzung, jenseits von gerac, ist dort zu lesen:
Wikipedia hat geschrieben:A 2012 meta-analysis found significant differences between true and sham acupuncture, which indicates that acupuncture is more than a placebo when treating chronic pain (even though the differences were modest).[100] A 2010 systematic review also suggested that acupuncture is more than a placebo for commonly occurring chronic pain conditions, but the authors acknowledged that it is still unknown if the overall benefit is clinically meaningful or cost-effective.[101]
A 2009 review, however, concluded that the specific points chosen to needle does not matter, and no difference was found between needling according to "true" points chosen by traditional acupuncture theory and "sham" acupuncture points unrelated to any theory. The authors suggested four possible explanations for their observed superiority of both "true" and sham acupuncture over conventional treatment, but lack of difference in efficacy between "true" and sham acupuncture:[102] Other authors have suggested randomized controlled trials may under-report the effectiveness of acupuncture as the "sham" treatment may still have active effects,[103] though this position undercuts the traditional theory of acupuncture which associates specific acupuncture points with specific and distinct results.[15]
http://en.wikipedia.org/wiki/Acupuncture#Effectiveness


Von drei Metaanalysen kommen zwei zu der Auffassung, dass Akupunktur sogar (schwach) besser ist als Sham und die 2009 bestätigt eine höhere Wirkung für Aku und Sham über Standardtherapie (für die beiden anderen Metastudien ist hier nichts erwähnt).

Deine Einwände in Ehren, ich finde sie interessant und habe sie verstanden, ich weiß nur nicht, was das nun für die Studie bedeutet. mat-in ist da ja vom Fach und kann sicher Erhellendes beitragen, ich bin da lediglich interessierten Laie, bewerte aber die Gesamtkonstellation dennoch anders als Du, übrigens mit der breiten Mehrheit der Quellen, die ich finde. Insofern, warten wir mal auf mat-ins Urteil, interessiert mich, wenn es gute Gründe dafür gibt, dass die Studie damit für die Urne ist, werde ich das klaglos akzeptieren, die Gründe möchte ich nur wissen.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Di 4. Jun 2013, 16:38
von Zappa
Vollbreit hat geschrieben: Die gerac-Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Akupunktur wirkt, Du behauptest die Akupunktur wirke nicht.

Hast Du die Originalarbeit gelesen, die ich verlinkt habe? Da steht nichts davon, dass A. wirkt. Außerdem müsstest Du vielleicht langsam mal definieren, was für dich denn A. ist (Du verwendest den Begriff offensichtlich anderes als Andere) und dann könnten wir klären, ob deine Verwendung des Begriffes sinnvoll ist oder lediglich zur Verwirrung beiträgt.

Ich behaupte auch nicht, dass A. nicht wirkt, sondern sage, dass die Datenlage ausgesprochen dünn ist. Das Problem ist, dass man immer noch nicht klar rausarbeiten konnte, ob das ganze nicht lediglich auf dem Placeboeffekt beruht (das war ja der Sinn des Shamarms in dieser Studie, leider kein Unterschied zwischen Sham und Verum). Das Problem (auch der Metaanalysen) ist, dass viele Akupunkturstudien schlecht designt sind, dies zu diskutieren würde aber einiges an Zeit und Arbeit in Anspruch nehmen und gehört auch nicht unbedingt in dieses Forum.

Das Du das Wikizitat immer noch bringst, zeigt, dass ich an Dir vorbei rede. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Di 4. Jun 2013, 21:36
von Vollbreit
Zappa hat geschrieben:Das Problem (auch der Metaanalysen) ist, dass viele Akupunkturstudien schlecht designt sind, dies zu diskutieren würde aber einiges an Zeit und Arbeit in Anspruch nehmen und gehört auch nicht unbedingt in dieses Forum.


Die Originalarbeit habe ich nicht gelesen, ich bin immer nur zu Zusammenfassungen gekommen, muss man sich da anmelden?

Ich habe aber kapiert, was Du meinst, keine Sorge. Alle haben Schmerzmittel bekommen, darum ist es keine dreiarmige Studie.
Da Aku gegen Sham getestet wurde und nicht signifikant besser abschnitt = keine Akuwirkung.

Genau um die Gründe des schlechten Designs geht es mir. Wann ist eine Studie (egal welche) nicht mehr aussagekräftig?
Ich finde, dass gehört durchaus ins Forum, da von Studien aller Art ja öfter die Rede ist.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mi 5. Jun 2013, 10:26
von mat-in
Mals als Zwischenstand:
Es gibt in den Studien keinen Unterschied zwischen TCM und Sham. Die Autoren sagen das der Effekt sowohl von Sham als auch von TCM durch
No statistically significant difference was observed between TCA and sham acupuncture, suggesting that the observed differences could be due to placebo effects, differences in intensity of provider contact, or a physiologic effect of needling regardless of whether it is done according to TCA principles

Es gab in beiden Studien die ich angesehen habe keinen Unterschied zwischen TCM und Kontrollbehandlung, und das obwohl bei der "Sham accupuncture" nur mit minimaltiefe eingestochen wird. Ich finde es schlimm, das z.B. in der Presseerklärung nur % Werte drinstehen, und man durchaus schlußfolgern kann, das 43% und 41% (oder wie die Zahlen jetzt genau waren) unterschiedlich sind, sie sind es aber nicht, sie liegen innerhalb der zu erwartenden statistischen Streuhung (sogar sehr gut, die p-Werte sind unterirdisch und weit weg von "könnte signifikant sein").
Das Festgestellt kann man jetzt - wie es die Autoren s.o. auch machen - schlußfolgern, das es sich um einen Placeboeffekt handelt. Es kann sich auch um einen Effekt durch den Kontakt mit dem Behandelnden handeln oder um - auch das ist so nicht auszuschließen - um einen physiologischen Effekt den das stechen mit Nadeln an sich hat. In jedem Fall kann man aber - unabhängig von der Wirksamkeit der Standardtherapie - sagen, das TCM hier auf ganzer Linie versagt.

Mein persönlicher Vorschlag wäre Sham Akkupunktur durchzuführen, vielleicht sogar ohne stechen, wenn man in einer studie rausfindet, daß es kein physiologischer Effekt ist. Wenn man das macht so wie in der Studie, also ergänzt um Standardtherapie, dann macht man da glaube ich nichts falsch. Aber TCM? In diesem Fall für die Tonne. Energielinienatlas -> Mülltonne.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mi 5. Jun 2013, 17:52
von Zappa
Vollbreit hat geschrieben: Genau um die Gründe des schlechten Designs geht es mir. Wann ist eine Studie (egal welche) nicht mehr aussagekräftig?

Das ist leider nicht ganz so einfach, aber es gibt ein paar Kriterien:

  • Wenn die Studie in einem "guten" peer reviewed Journal publiziert wurde, ist das ein Kriterium für einen Mindeststandard. Das Ärzteblatt gehört nicht dazu.
  • Eine gute Studie beantwortet prinzipiell immer eine Frage mit ausreichend großer Patientenzahl. Sie wird vorab geplant und dann mit dieser Fragestellung durchgeführt (= prospektiv). Da man auch da schummeln kann (man startet mit der Fragestellung A, da kommt nichts raus und man haut die Daten durch ein Statistikprogramm und behauptet dann dersignifikante Unterschied B sei die eigentliche Fragestellung gewesen) sollten wirklich gute Studien vorab ihr Studiendesign publizieren (da gibt es online Datenbanken).
  • Um eine Frage wirklich gut beantworten zu müssen, ist eine Kontrollgruppe wichtig. Um bisher unbekannte Störfaktoren möglichst komplett zu reduzieren, werden die Patienten zufällig den Gruppen zugeordnet (randomisiert).
  • Um Beeinflussungen und Placeboeffekt auszuschließen wissen im Idealfall weder Patient noch Untersucher, wer wirklich behandelt wird und wer nur zum Schein (doppelblind).
  • Im Idealfall hat man also eine ausreichend große, prospektive und doppel-blind randomisierte Studie, die genau eine Frage beantwortet.

Das ist also alles ziemlich aufwändig. Das Problem mit A. fängt schon beim Placebo an: Einfache Nichtbeandlung geht ja nicht, deshalb wurde die Sham-A. eingeführt. Natürlich merkt auch da der erfahrene Patient, wie der Hase läuft, denn einmal wird tief und einmal oberflächlich gepikst. Eigentlich sollte man Sham auch möglich tief piksen. Das Problem der meisten Akupunkturstudien ist, dass diese "Standardtherapie" gegen A. testen. Hier kann man den Placeboeffekt nicht ausschließen. Meist sind auch noch andere Probleme dabei, tlw. sitzen die Patienten im Kontrollarm auf einer Warteliste, dass verschlechtert deren Ergebnisse, tlw. wurde zu früh entblindet (wie in der GERAC-Studie) d.h. die Patienten wussten noch während der Studie, ob Sie im Placeboarm oder im "Therapiearm" waren. Das Hauptproblem bei Akupunkturstudien ist aber, das der Therapeut nicht verblindet werden kann. Dieses Problem lässt sich nicht wirklich lösen. (Das ist in der Homöopathie demgegenüber ganz einfach, auch wenn die H. das bestreiten. Aber das Thema ist auch wissenschaftlich komplett durch: H. ist Mumpitz).

Ziemlich umfangreiches Material findest Du hier (leider nur auf Englisch): http://www.badscience.net.

Ein Buch des Blog-Autoren gibt es mittlerweile auch auf deutsch: Ben Goldacre: Die Wissenschaftslüge - Die pseudo-wissenschaftlichen Versprechungen von Medizin, Homöopathie, Pharma- und Kosmetikindustrie. Fischer Taschenbuch. Das Buch ist, trotz des reißerischen deutschen Titels, sehr objektiv (finde ich), informativ und ist locker geschrieben. Er haut übrigens nicht nur der Alternativmedizin kräftig auf die Finger, sondern ebenso der Pharmaindustrie (Stichwort: Vitamine).

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Do 6. Jun 2013, 12:23
von Vollbreit
Danke für die ausführliche Antwort, den link und den sachlichen Diskussionsstil (was auch für mat-in gilt) trotz der Uneinigkeit in der Sache.
Deine Kritik empfinde ich als begründet und ich sehe die Problematik mit der Kontrollgruppe auch als solche.
Es kann nun wirklich sein, dass die Studie unterm Strich nichts wert ist, m.E. ist das Ergebnis zwischen Sham/Aku vs. Standard dennoch überraschend, aus den oft erwähnten Gründen.

Was ich mich frage, ist, ob die Studie wirklich so versemmelt ist, dass aus dem Abstand nichts abzuleiten ist oder ob trotz allem die a) seltenere und b) niedrig dosierte Schmerzmedikation dennoch eine Aussage zu lässt. Deine Einwände sind m.E. alle diskutabel, mit ein wenig Aufwand lässt sich aber mindestens an dem Punkt wer sich für eine Studie bereit erklärt, jede Studie kritisieren.

Ich habe übrigens auch nicht die Idee, man hätte sich gegen die arme Alternativmedizin verschworen, ich glaube, dass es ein Spektrum von absolut seriöser wissenschaftlicher Forschung bis hinunter zum offenen Betrug und alles dazwischen gibt. Man weiß halt nicht, wo man sich bei dem Spektrum gerade befindet, Dein Ansatz genau hinzuschauen und nur erstklassige Studien zuzulassen, finde ich da schon gut.

Egal, warten wir mal mat-ins Einschätzung ab.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Do 6. Jun 2013, 13:56
von mat-in
Mathematisch ist da kein Abstand zwischen Sham und Verum. Das ist was die Signifikanztests aussagen, da wird analysiert, wie wahrscheinlich es ist, das ein Unterschied den man sehen kann zufällig ist.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Do 6. Jun 2013, 17:45
von Zappa
Vollbreit hat geschrieben: Was ich mich frage, ist, ob die Studie wirklich so versemmelt ist, dass aus dem Abstand nichts abzuleiten ist oder ob trotz allem die a) seltenere und b) niedrig dosierte Schmerzmedikation dennoch eine Aussage zu lässt. Deine Einwände sind m.E. alle diskutabel, mit ein wenig Aufwand lässt sich aber mindestens an dem Punkt wer sich für eine Studie bereit erklärt, jede Studie kritisieren.

Die Kritik, wenn sachlich vorgebracht, ist ja der Sinn der wissenschaftlichen Medizin. Eine Studie wird publiziert, dann "fallen" die Kollegen drüber her und es bleibt was übrig oder nicht. Es ist schwer bis unmöglich mit einer Studie, eine Frage, die schon so lange umstritten ist, zu beantworten.

Als "versemmelt" würde ich die Studie nicht bezeichnen, nur ich unterstelle mal den Autoren, dass die eigentliche Intention, nämlich den Nachweis zu erbringen, das A. besser als Sham ist, gescheitert ist. Die Standardtherapie ist leider nicht standardisiert worden, deshalb halte ich die genannten Schlußfolgerungen nicht für belegt.

Was man aus so einem Unterschied immer machen kann ist eine Hypothese generieren. Eine mögliche wäre jetzt hier: Piksen + Standardtherapie ist der einfachen Standardtherapie (S) therapeutisch überlegen. Oder: Mit zusätzlichem Piksen kann man Medikamente sparen. Dann müsste man eine neue Studie auflegen, die die Hypothese belegt. Das Problem bleibt aber, dass Piksen mit großer Wahrscheinlichkeit ein Placeboeffekt auslöst. D.h. wenn man keine Shamgruppe hat, wird jeder sagen: Toll, wieder mal den Placeboeffekt nachgewiesen. Es wäre aber ausgesprochen schwierig, ohne Sham eine exakte Kontrollgruppe zu definieren (so wie @mat-in sich das vorstellt geht es auch nicht, denn die Leute merken den Unterschied natürlich). Möglich wäre ein kompliziertes cross-over design: Gruppe A bekommt zunächst z.B. 2 Wochen S + Sham und dann 2 Wochen S + A. Gruppe B umgekehrt zunächst S + A und dann S + Sham. Dann könnte man sauber belegen, ob Sham = A. ist (was ich annehme, deswegen wäre das Risiko für einen Angehörigen der A. sehr hoch und da aufwändig, wird das wohl keiner machen). Alternativ würde man statt Standardtherapie eine streng standardisierte Physiotherapie plus Medikament nach Bedarf testen, wieder in einem cross-over design. Wenn dann rauskäme, dass man mit Piksen Medikamente sparen könnte (was ich ebenfalls für wahrscheinlich halte), wäre man dann in einem ethischen Dilemma: Wenn A. = Sham, müsste man diskutieren, ob man Patienten mit Placebotherapie "behandeln" dürfte um Medikamente zu sparen. Wer jetzt spontan "aber hallo" denkt, übersieht, dass dieses "Belügen" des Patienten erheblich Konsequenzen für das Arzt-Patienten Verhältnis hat. Aber diskutabel ist das.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich die Studie nicht einfach platt und polemisch kritisiere. Das ist eine Studie, über deren Ergebnisse man ernsthaft diskutieren kann und das ist aller Ehren wert. Der Aufwand war recht groß, leider ist nicht das raus gekommen, was die Initiatoren sich erhofft haben, aber das ist OK und wurde dann auch ordentlich publiziert (ich meine nicht den Ärzteblattartikel :mg: ).

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 10. Jun 2013, 12:59
von Vollbreit
Zappa hat geschrieben:Als "versemmelt" würde ich die Studie nicht bezeichnen, nur ich unterstelle mal den Autoren, dass die eigentliche Intention, nämlich den Nachweis zu erbringen, das A. besser als Sham ist, gescheitert ist. Die Standardtherapie ist leider nicht standardisiert worden, deshalb halte ich die genannten Schlußfolgerungen nicht für belegt.

Ich glaube nicht, dass das die Intention der Studienautoren war.
Wenn es keine belastbaren Aussagen zur Standadgruppe gibt, halte ich die Studie allerdings für daneben.
Zappa hat geschrieben:Was man aus so einem Unterschied immer machen kann ist eine Hypothese generieren. Eine mögliche wäre jetzt hier: Piksen + Standardtherapie ist der einfachen Standardtherapie (S) therapeutisch überlegen.
Was natürlich auch daran krankt, dass es keine wirkliche Standardtherapie gibt.
Zappa hat geschrieben:Das Problem bleibt aber, dass Piksen mit großer Wahrscheinlichkeit ein Placeboeffekt auslöst.
Das ist eigentlich kein Problem, das macht jede Therapie.
Zappa hat geschrieben:D.h. wenn man keine Shamgruppe hat, wird jeder sagen: Toll, wieder mal den Placeboeffekt nachgewiesen. Es wäre aber ausgesprochen schwierig, ohne Sham eine exakte Kontrollgruppe zu definieren (so wie @mat-in sich das vorstellt geht es auch nicht, denn die Leute merken den Unterschied natürlich).
Da liegt in der Tat ein Problem.
Zappa hat geschrieben:Möglich wäre ein kompliziertes cross-over design: Gruppe A bekommt zunächst z.B. 2 Wochen S + Sham und dann 2 Wochen S + A. Gruppe B umgekehrt zunächst S + A und dann S + Sham. Dann könnte man sauber belegen, ob Sham = A. ist (was ich annehme, deswegen wäre das Risiko für einen Angehörigen der A. sehr hoch und da aufwändig, wird das wohl keiner machen).
Oder es wird wirklich eine reine Stechgruppe, ohne Medikation gemacht.
Zappa hat geschrieben:Alternativ würde man statt Standardtherapie eine streng standardisierte Physiotherapie plus Medikament nach Bedarf testen, wieder in einem cross-over design.
Kann man eigentlich auch schwer machen, weil die Ursache der Rückenschmerzen ja nicht immer identisch ist.
Zappa hat geschrieben:Wenn dann rauskäme, dass man mit Piksen Medikamente sparen könnte (was ich ebenfalls für wahrscheinlich halte), wäre man dann in einem ethischen Dilemma: Wenn A. = Sham, müsste man diskutieren, ob man Patienten mit Placebotherapie "behandeln" dürfte um Medikamente zu sparen. Wer jetzt spontan "aber hallo" denkt, übersieht, dass dieses "Belügen" des Patienten erheblich Konsequenzen für das Arzt-Patienten Verhältnis hat. Aber diskutabel ist das.

Sehe ich wie Du, inklusive der ethischen Komponente. Auf lange Sicht spricht aber m.E. nichts dagegen Placebotherapie in den Standrad mit aufzunehmen, z.B. bei Schmerzpatienten und vielem anderen. Mein Vertrauensverhältnis ist eher gestört, wenn ein Arzt mir irgendeinen, manchmal gefährlichen, Quatsch verschreibt, der sich dann Jahre später als unwirksam und gefährlich herausstellt, für SSRI Präparate und Tamiflu sieht das derzeit so aus.
Zappa hat geschrieben:Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich die Studie nicht einfach platt und polemisch kritisiere.
Habe ich eigentlich auch nie so empfunden.
Zappa hat geschrieben:Das ist eine Studie, über deren Ergebnisse man ernsthaft diskutieren kann und das ist aller Ehren wert. Der Aufwand war recht groß, leider ist nicht das raus gekommen, was die Initiatoren sich erhofft haben, aber das ist OK und wurde dann auch ordentlich publiziert (ich meine nicht den Ärzteblattartikel :mg: ).
Ich kenne nicht die Hintergründe aller an den Studien beteiligten Autoren, aber wenigstens von einigen sind sie mir zugetragen worden und da Bestand vor der Studie nach meinem Kenntnisstand eher keine Sympathie für die Akupunktur.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: So 16. Jun 2013, 20:40
von ujmp
"Controlled Conditions" heißt das Zauberwort*!



*) war nur'n Spaß.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 17. Jun 2013, 13:00
von mat-in
Kurze Zusammenfassung des Videos? Ich habe hier keinen Ton...

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Mo 17. Jun 2013, 19:34
von ujmp
mat-in hat geschrieben:Kurze Zusammenfassung des Videos? Ich habe hier keinen Ton...


Es gab wissenschaftlich recht ernsthafte Studien mit scheinbar positiven Ergebnissen. Eine franz. Studie wurde sogar in der "Nature" veröffentlicht. Die genaue Prüfung - unter controlled conditions - Mann, wie ich diesen Ausdruck liebe! - die im Nachhinein von "Nature" u.A. durch Randi durchgeführt wurde, konnte die Ergebnisse nicht bestätigen. Sobald die Wissenschaftler nicht mehr wussten, ob sie normales Wasser oder homöopathisches Wasser für ihre Tests benutzten, war kein Unterschied mehr festzustellen. Das hat den franz. Wissenschaftler ruiniert, armer Kerl, glaub nicht, dass er ein Ganove war. Seine Theorie war interessant, er meinte, dass das Wasser einen "Memory-Effekt" hat, der Eigenschaften der dilutierten Substanz speichert. Später hat eine andere renomierte Wissenschaftlerin scheinbar noch mal positive Ergebnisse erzielt. BBC-Horizon hat dann eine Untersuchung unter controlled conditions finanziert, Randi hat seinen Mio-Dollar-Preis schon bereitgehalten - durfte ihn aber behalten ;-) - es war keine Wirksamkeit feststellbar.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Di 18. Jun 2013, 15:02
von mat-in
Na ja, man redet in der Biologie so ab einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5% von relevanten Ergebnissen. 5% bedeutet aber auch das in jeder 20. Studie mal grandios was schief gehen kann, obwohl man alles "richtig gemacht" hat. (Daher versucht man das eigentlich auf 1% oder 0.1% zu senken wenn mans ernst nimmt).

Das Wassergedächtniss per se müßte jedem der im Labor arbeitet als Unsinn klar sein, denn in dem "Reinstwasser" mit dem man da die nächste Verdünnung ansetzt sind immer noch 1:100000 bis 1:1000000 Teilchen drin, je nach Filter. Und es wird niemand ernsthaft denken, das einem das Wasser zuhört und beim schütteln (großindustriell durch Maschinen) den "Grips" besitzt, zu wissen, welches der Moleküle die da jetzt drin sind es sich merken soll? Ich hab das mal irgend wo ausgerechnet. Wenn in der Wasserversorgung von Heidelberg irgend wo in einem Bächlein eine Tollkirsche liegt und das Leitungswasser dann durch den Reinwasserfilter geht, ist da immer noch mehr Tollkirsche drin als in den hochpotenten Beladonnepräparaten... da ist alles mögliche in unserem Wasser, warum merkt es sich gezielt den einen Wirkstoff (der ja nun auch maximal 99.9% rein ist und mist sonstwas verunreinigt von der Herstellung!)...

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Di 18. Jun 2013, 16:20
von Nanna
mat-in hat geschrieben:Na ja, man redet in der Biologie so ab einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5% von relevanten Ergebnissen. 5% bedeutet aber auch das in jeder 20. Studie mal grandios was schief gehen kann, obwohl man alles "richtig gemacht" hat. (Daher versucht man das eigentlich auf 1% oder 0.1% zu senken wenn mans ernst nimmt).

Randanmerkung: Das sind auch in anderen wissenschaftlichen Zweigen die statistischen Anforderungen.

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

BeitragVerfasst: Di 18. Jun 2013, 16:44
von Zappa
Nanna hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Na ja, man redet in der Biologie so ab einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5% von relevanten Ergebnissen. 5% bedeutet aber auch das in jeder 20. Studie mal grandios was schief gehen kann, obwohl man alles "richtig gemacht" hat. (Daher versucht man das eigentlich auf 1% oder 0.1% zu senken wenn mans ernst nimmt).

Randanmerkung: Das sind auch in anderen wissenschaftlichen Zweigen die statistischen Anforderungen.

Randanmerkung 2: Ist natürlich in der Humanmedizin nicht immer so einfach, da oft sehr teuer oder die Krankheit selten. Wenn man die Anforderungen zu hoch setzt, bekommt man nur noch pharmagesponsorte Studien.