Hypatia von Alexandria und das Ende der Großen Bibliothek

Hypatia von Alexandria und das Ende der Großen Bibliothek

Beitragvon smalonius » Di 23. Jun 2009, 17:30

(Ich sortiere das mal unter Wissenschaft ein. :ka:)


Hypatia war eine der wenigen Wissenschaftlerinnen der Antike. Sie lebte von 350 (?) - 415 (?). Ihr Vater war Theon, der letzte "Leiter" der Großen Bibliothek von Alexandria.

Aus Damascius's Life of Isidore, wiedergegeben in "The Suda"

Hypatia, Tochter von Theon, dem Geometer und Philosophen aus Alexandrien, war selbst eine bekannte Philosophin. Sie war Frau des Philosophen Isidorius und Autorin eines Kommentars über die Diophantischen Gleichungen, sie schrieb einen Kanon der Astronomie und einen Kommentar über die Kegelschnitte des Apollonius. Sie wurde von den Alexandrinern in Stücke gerissen und ihr Körper würde über die ganze Stadt verteilt. Dies geschah aus Neid und ihrer hervorragenden Kenntnisse wegen, insbesondere in der Astronomie.

http://cosmopolis.com/alexandria/hypatia-bio-suda.html

Manche schreiben ihr auch die Erfindung oder Verbesserung des Astrolabiums zu.

(Die Aussage, sie sei verheiratet gewesen, widerspricht übrigens anderen Quellen.)

Hypatia hatte eine Schar von Anhängern, unter ihnen auch Orestes, den Guverneur von Alexandrien.

Viele Hörer kamen von weither, um von ihr unterrichtet zu werden. Dank ihres souveränen Auftretens und ihrer eleganten Erscheinung, die sie sich als Folge ihrer Geisteskultur angeeignet hatte, erschien sie häufig in der Öffentlichkeit in Gegenwart hoher Staatsbeamter. Sie scheute sich auch nicht, in öffentliche Versammlungen von Männern zu gehen. Alle Männer bewunderten sie dafür auf Grund ihrer außerordentlichen Würde und Tugend um so mehr.

– Sokrates Scholastikus, 7,15


Nun hatte bereits Teophilus, Patriarch von Alexandrien, die Tempelanlagen der Stadt zerstören lassen - ich werde gleich noch einmal darauf zurück kommen. Sein Sohn (andere Quellen sprechen vom Neffen) wurde ebenfalls Patriarch, und er hatte Meinungsverschiedenheiten mit dem oben erwähnten Orestes.

Sokrates Scholastikus schreibt weiter:

Aber sogar sie [Hypatia] fiel dem politischen Neid zum Opfer, der zu jener Zeit herrschte. Denn da sie häufig mit Orestes Gespräche führte, wurde unter der christlichen Bevölkerung verleumderisch verbreitet, dass sie es sei, die Orestes daran hindere, sich wieder mit dem Bischof (d. h. mit Kyrill von Alexandria) zu versöhnen.

Daher lauerten ihr einige, die von einem wilden und scheinheiligen Ehrgeiz getrieben wurden, deren Anführer ein Vorleser namens Petros war, auf ihrem Heimweg auf, zogen sie aus ihrer Kutsche, brachten sie in die Kirche namens Kaisarion, wo sie sie nackt auszogen und sie dann mit Ziegelsteinen erschlugen. Nachdem sie ihren Körper in Stücke gerissen hatten, brachten sie ihre verstümmelten Glieder zu einem Ort namens Kinaron und verbrannten sie dort.

Diese Sache brachte eine nicht geringe Schmach, nicht nur über Kyrill, sondern über die ganze Alexandrinische Kirche. Und mit Sicherheit kann nichts weiter vom Geiste des Christentums entfernt sein, als derartige Massaker, Gewalttaten und Misshandlungen zuzulassen!

Dies geschah im März, während der Fastenzeit, im vierten Jahr von Kyrills Episkopat (das heißt hier: Amtszeit als Patriarch), unter dem zehnten Konsulat des Honorius, und dem sechsten des Theodosius (d. h. 415 n. Chr.).

– Sokr. Schol., 7,15
http://cosmopolis.com/alexandria/hypati ... rates.html



Das selbe in der Version der Gegenseite, von Bischof Johannes von Nikiu:

AND IN THOSE DAYS there appeared in Alexandria a female philosopher, a pagan named Hypatia, and she was devoted at all times to magic, astrolabes and instruments of music, and she beguiled many people through (her) Satanic wiles.

And the governor of the city honored her exceedingly; for she had beguiled him through her magic. And he ceased attending church as had been his custom. But he went once under circumstances of danger. And he not only did this, but he drew many believers to her, and he himself received the unbelievers at his house.

http://cosmopolis.com/alexandria/hypatia-bio-john.html


Und eine Menge Gläubiger erhob sich unter der Führung des Ratsherrn Peter - dieser Peter war ein vollkommen rechtgläubiger Anhänger Jesu Christi - und sie zogen los, die Heidin zu suchen, die das Volk und den Präfekten durch ihre Zauberkünste behext hatte. Und als sie erfuhren, wo sie war, drangen sie zu ihr vor und fanden sie in einer Sänfte sitzen; und sie zwangen sie, auszusteigen und schleiften sie mit und brachten sie zur großen Kirche Caesarion. Es war Fastenzeit. Sie rissen ihr die Kleider vom Leib und schleiften sie durch die Straßen, bis sie tot war. Dann brachten sie sie zu einem Ort, der Cinaron hieß, und verbrannten ihren Leichnam mit Feuer.

Und alles Volk versammelte sich um den Patriarchen Kyrillos und nannte ihn den neuen Theophilus dafür, dass er die letzten Reste der Götzenverehrung in der Stadt zerstört hatte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Hypatia


Kyrillos ist übrigens heiliggesprochen worden.



...wird fortgesetzt


http://www.abc.net.au/rn/science/ockham/or030897.htm
http://www.polyamory.org/~howard/Hypatia/

PS: Gruß an den Sabristen. :mg:
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Re: Hypatia von Alexandria und das Ende der Großen Bibliothek

Beitragvon smalonius » Mi 24. Jun 2009, 18:55

Das obige ist alles recht unstrittig. Alleine bei der Frage, ob Kyrill Auftraggeber oder nur Mitwisser war, gibt es Differenzen.

Unstrittig ist auch, daß die Große Bibliothek auf mehrere Gebäude - Tempel - verteilt war, unter anderem das Museion und das Serapeum.


Vom Untergang der Großen Bibliothek gibt es 4 verschiedene Versionen. Ich werd mal ganz unverschämt und einseitig die eine davon herausgreifen, die mir am Besten gefällt, weil sie den darauf folgenden Fall Europas ins 1000-jährige Dark Age so schön illustriert.

Eins sollte ich noch dazusagen: in Geschichte jenseits von Wissenschaftsgeschichte kenne ich mich nicht aus. Folgendes kommt alles aus Wikipedia und Google, womit sich mein "Wissen" auch schon erschöpft. Gehört habe ich diese Geschichte das erste Mal bei Clifford Pickover. Carl Sagan scheint ähnliches bereits früher behauptet zu haben.


Die Große Bibliothek

Edward Gibbon - The History of the Decline and Fall of the Roman Empire
The temple of Serapis at Alexandria

In this wide and various prospect of devastation, the spectator may distinguish the ruins of the temple of Serapis, at Alexandria.
...
His temple, which rivalled the pride and magnificence of the Capitol, was erected on the spacious summit of an artificial mount, raised one hundred steps above the level of the adjacent parts of the city, and the interior cavity was strongly supported by arches, and distributed into vaults and subterraneous apartments. The consecrated buildings were surrounded by a quadrangular portico; the stately halls and exquisite statues displayed the triumph of the arts; and the treasures of ancient learning were preserved in the famous Alexandrian library, which had arisen with new splendour from its ashes.

http://www.ccel.org/g/gibbon/decline/volume1/chap28.htm



Theodosius I., auch gennant der Große

Er war der erste katholische Papst. Man erinnert sich: Die Urchristen spalteten sich unter anderem wegen der Frage nach der Dreifaltigkeit.

Auf alle Fälle wurde das Christentum Staatsreligion, heidnische Kulte wurden ebenso verboten wie die Olympischen Spiele. Heidnische Tempel wurden mit christlichen Kirchen "überbaut".


Bildersturm & Ketzerei

Im Jahre 391 kam es zu einem schweren Zwischenfall: In Alexandria war es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Heiden gekommen, wohl angeheizt vom Patriarchen Theophilos. Einige Heiden hatten sich im bekannten Serapisheiligtum verschanzt, Christen zum Opfern gezwungen und teils gekreuzigt.

Theodosius vergab zwar die Morde, um so die Situation zu beruhigen, ordnete aber die Zerstörung des Heiligtums an, wobei Theophilos auch andere heidnische Heiligtümer zerstörte.

... Klar ist in jedem Fall, dass Theodosius Tempelzerstörungen nie angeordnet hat und sie vielmehr auf Übergriffe lokaler Statthalter bzw. Bischöfe zurückzuführen sind. [ :ka: widerspricht sich mit obigem, oder? ]

http://de.wikipedia.org/wiki/Theodosius_I.
Wikilink repariert, 1v6,5M

[Theodosius] decreed "no one is to go to the sanctuaries, walk through the temples, or raise his eyes to statues created by the labor of man".

The temples that were thus closed could be declared "abandoned", as Bishop Theophilus of Alexandria immediately noted in applying for permission to demolish a site and cover it with a Christian church, an act that must have received general sanction, for mithraea forming crypts of churches, and temples forming the foundations of 5th century churches appear throughout the former Roman Empire.

http://en.wikipedia.org/wiki/Theodosius_I



Der Untergang

„Das Museion, das gleichzeitig einen 'Schrein der Musen' darstellte, profitierte solange von einem Maß an Unverletzlichkeit, wie auch andere heidnische Tempel in Ruhe gelassen wurden. Synesius von Cyrene, der am Ende des vierten Jahrhunderts unter Hypatia studierte, sah das Museion und beschrieb die Bilder der Philosophen darin.

Einen späteren Beleg für seinen Fortbestand im 5. Jahrhundert haben wir nicht. Da Theon, der renommierte Mathematiker und Vater der Hypatia, die selbst als anerkannte Wissenschaftlerin galt, das letzte bekannte wissenschaftliche Mitglied war (um 380), ist es wahrscheinlich, dass das Museion den Erlass des Edikts von Theodosius im Jahre 391, alle heidnischen Tempel in der Stadt zu zerstören, nicht lange überlebte.“

– Mostafa El-Abbadi: Life and Fate of the Ancient Library of Alexandria. Paris 2. Auflage 1992.

http://de.wikipedia.org/wiki/Bibliothek_von_Alexandria



Tja, und so geschah es, daß das Geistesleben in Europa 1000 Jahre lang fast zum Erliegen kam.
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Re: Hypatia von Alexandria und das Ende der Großen Bibliothek

Beitragvon Aeternitas » Mi 24. Jun 2009, 19:06

smalonius hat geschrieben:Heidnische Tempel wurden mit christlichen Kirchen "überbaut".


Oder zerstört, wie man in Rom sehr schön sieht, das was überlebt hat verdankt dies der Willkür einiger Machthaber.

BTW: Was soll den das Thema der Diskussion werden oder wolltest du uns nur Informieren was damals so abging.
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Re: Hypatia von Alexandria und das Ende der Großen Bibliothek

Beitragvon smalonius » Mi 24. Jun 2009, 19:32

Aeternitas hat geschrieben:...oder wolltest du uns nur Informieren was damals so abging.
Genau das.

Das war's von meiner Seite eigentlich schon. Ich glaube nicht, daß ich hier groß Widerspruch ernte, wenn ich behaupte die Christianisierung ist eine Mitursache für das Dunkle Zeitalter. :mg:

Die Geschichte um Hypatia ist ein schönes Beispiel für "Heidenverfolgung" und auch für Wissenschaftsfeindlichkeit bei den historischen Christen.

Man sollte sie in die Lehrpläne integrieren, der Ausgewogenheit wegen. :kg:

(Außerdem kann man diesen Thread als Meta-Antwort auf den Sabristen verstehen. Er hatte gemeint, man solle hier nicht Religion und Aberglauben verteidigen. :pfeif: )
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