Die etwas andere Evolutionstheorie...

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » So 31. Mai 2009, 19:10

Aeternitas hat geschrieben: Auch wenn ich nicht so weitgehen würde zu Behaupten das du von Evolution keine Ahnung hasst.
Muss ich doch Feststellen das du von Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte wenig Ahnung hasst ansonsten würde dich, der von dir hier beschriebene Zustand nicht Verwundern, ich schlage dir deshalb vor dich ein wenig mit den Funktionsweisen von Wissenschaft zu beschäftigen.
Dies soll keine Arrogante Belehrung sein aber aus den Grundprinzipien der Wissenschaftstheorie lässt sich leicht erkennen warum der von dir angestrebt zustand in der Evolutionsbiologie, doch mehr als fatal wäre.


Als arrogante Belehrung empfinde ich das nicht, eher als Worthülsen. Vielleicht könntest du stattdessen ein wenig Content liefern. Solche Placebo-Sätze bringen nichts. Üblicherweise argumentiert man in den Kirchen so, nicht aber in Wissenschaften:
Ich schlage vor, Sie beschäftigen sich zunächst ein wenig eingehender mit dem Alten Testament und bla ....
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon smalonius » Mo 1. Jun 2009, 16:23

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben: Man kann Evolution sogar an Software-Agenten zeigen. Und die sind zweifellos unbelebt, oder?
Softwareagenten können definitiv nicht eigendynamisch evolvieren. Allerdings kann man sie zu Simulationszwecken verwenden.
Das zugrunde liegende Prinzip ist kein anderes als bei biologischer Evolution.

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Reproduktion, Variation, Selektion.

Bei Mayr sind es 5 Tatsachen und 3 Schlussfolgerungen. Bei Nüsslein-Volhard heißt es Überschuss, Variation, Selektion. Dennett verzichtet auf die Überproduktion von Nachkommen, Eigen meint, die Bedingung sei unverzichtbar für Evolution, manche nennen nur die Prinzipien Variation und Selektion und und und. In welchem modernen Lehrbuch Buch steht eine allseits abgestimmte Formulierung der Evolutionstheorie?
Das sind doch alles Wortklaubereien, mit denen man sich nur die klare Sicht auf den Vorgang verstellt. Erinnert mich ein bisschen an die Diskussion um die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik. Darüber läßt sich auch trefflich streiten. Die Tatsachen aber sind unstrittig.

Übrigens, Dennett hat recht. Evolution würde auch bei unbegrenzten Ressourcen ablaufen.

jackle hat geschrieben:Dann gibt es bei Darwin noch die sexuelle Selektion (die viel bedeutungsvoller als die natürliche ist). Gehört die dazu oder nicht, und wenn ja, wie?
Natürlich gehört sie dazu.

Du kannst sie nur deshalb als etwas anderes als "natürliche" Evolution einordnen, weil du strikt zwischen Natur und Kultur/Gesellschaft trennst. Diese Trennung ist oft sehr nützlich, aber genaugenommen sind die Häuserschluchten von Manhatten genau so natürlich wie ein Ameisenhaufen. Selbiges gilt für unser Verhalten.

Das ist übrigens genau der Unterschied zur christlichen Sicht: dort sieht man den Menschen als etwas, das sich grundlegend von der Natur unterscheidet.
Hübsch auch die Kontroversen zum Begriff der Fitness (der auch zur Theorie gehört). Bei Ulrich Kutschera heißt es, heute würde Fitness in der Evolutionsbiologie annäherungsweise mit relativem Lebenszeitfortpflanzungserfolg gleichgesetzt, Manfred Eigen meint dagegen, Fitness wäre "wertebezogen" und könne nicht populationsbezogen sein (wie es bei Kutschera der Fall ist), sonst sei die natürliche Selektion eine Tautologie.
Wenn "relativer Lebenszeitfortpflanzungserfolg" nicht "wertebezogen" ist, dann weiß ich auch nicht. :/

Ich erinnere noch mal an den Fall der Hochseefische, die kleiner und früher geschlechtsreif werden, so daß sie den Fischfangflotten wortwörtlich durch die Netze gehen.

Diese Art von Fitness erscheint mir unmittelbar einsichtig, ob man jetzt eine erschöpfende Definition dafür hat oder nicht.

jackle hat geschrieben:Unternehmen vermehren sich auch nicht. Die können aber evolvieren!
Die amerikanische Autoindustrie eher nicht. :mg:

jackle hat geschrieben:Ein deutsches Unternehmen ist sogar schon fast 1000 Jahre alt.
Welches? Die Klosterbrauerei Weltenburg? :bier:

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Sehr unorthodoxe Wortwahl. Natürlich selektiert die Natur. Von mir aus auch die Gesellschaft von Männchen und Weibchen. Am Einfachsten wäre es zu sagen, die Umgebung selektiert.

Die Umgebung selektiert definitiv nicht. Auswahl und Selektion sind im Deutschen aktive Begriffe. Wenn du sagst: "Die Umgebung selektiert", dann denkt man unwillkürlich, dass die Umgebung aktiv tätig wird.
Ich denke das nicht unwillkürlich. :ka:

Es ist halt so eine Redensart. Etwa so, wie wenn man sagt, die Sonne krümmt den Raum. Da glaubt auch keiner, daß die Sonne 'rumläuft und Dellen in den Raum klopft.
Benutzeravatar
smalonius
 
Beiträge: 623
Registriert: Sa 11. Apr 2009, 18:36

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Mo 1. Jun 2009, 17:54

smalonius hat geschrieben:Das zugrunde liegende Prinzip ist kein anderes als bei biologischer Evolution.


Die angenommene Welt ist aber eine ganz andere. Beispielsweise gibt es dort keinen Entropiesatz. Eine wirklich fortwährende Adaption an sich ständig verändernde Bedingungen gelingt Softwareagenten nicht. Man kann aber damit manche Schlüsse über Evolutionsprozesse ziehen.

smalonius hat geschrieben:Das sind doch alles Wortklaubereien, mit denen man sich nur die klare Sicht auf den Vorgang verstellt. Erinnert mich ein bisschen an die Diskussion um die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik. Darüber läßt sich auch trefflich streiten. Die Tatsachen aber sind unstrittig.


Die Tatsachen sind unstrittig, aber nicht die Theorie. Es geht hier nicht um Evolution, sondern um Evolutionstheorie. Und da ist es bis heute nicht gelungen, eine abgestimmte, lehrbuchtaugliche Evolutionstheorie zu formulieren. Es handelt sich hierbei auch nicht um Wortklaubereien, sondern um Prinzipienunterschiede.

smalonius hat geschrieben:Übrigens, Dennett hat recht. Evolution würde auch bei unbegrenzten Ressourcen ablaufen.


Was von Nobelpreisträger Eigen bestritten wird. Mit der Aussage wendest du dich übrigens auch gegen Darwin. Der glaubte das nämlich auch nicht.

smalonius hat geschrieben:Du kannst sie nur deshalb als etwas anderes als "natürliche" Evolution einordnen, weil du strikt zwischen Natur und Kultur/Gesellschaft trennst. Diese Trennung ist oft sehr nützlich, aber genaugenommen sind die Häuserschluchten von Manhatten genau so natürlich wie ein Ameisenhaufen. Selbiges gilt für unser Verhalten.


Das ist nun wirklich ein völlig falsches Argument. Ich folge hier der Systemtheorie, die zwischen System und Umwelt unterscheidet. Bei der natürlichen Selektion ist die Umwelt die Natur, bei der sexuellen nur die Population. Deshalb sind auch ihre Wirkungen so unterschiedlich. Dies wurde von Darwin klar erkannt: Die sexuelle Selektion bringt Individuen hervor, die gegenüber der Umwelt alles andere als optimal angepasst wirken. Wir haben es hier mit unterschiedlichen Evolutinsumgebungen plus unterschiedlichen Selektionsmechanismen (Dominanz versus Gefallen-wollen) zu tun. Die aktuelle Evolutionstheorie besitzt noch nicht einmal ein sauberes systemtheoretisches Fundament. Nun ja.

smalonius hat geschrieben:Das ist übrigens genau der Unterschied zur christlichen Sicht: dort sieht man den Menschen als etwas, das sich grundlegend von der Natur unterscheidet.


Diese Unterscheidung sehe ich eher bei dir, siehe Unternehmen.

smalonius hat geschrieben:Wenn "relativer Lebenszeitfortpflanzungserfolg" nicht "wertebezogen" ist, dann weiß ich auch nicht. :/


Definitiv nicht. Dies ist keine Aussage zur Adaption oder Umwelt.

smalonius hat geschrieben:Ich erinnere noch mal an den Fall der Hochseefische, die kleiner und früher geschlechtsreif werden, so daß sie den Fischfangflotten wortwörtlich durch die Netze gehen.


Ich erinnere an moderne menschliche Gesellschaften. Aber hier werde ich mir jetzt bestimmt wieder anhören müssen, dass die was anderes sind, während ich gerade eben noch hören musste, dass ich den Menschen als was von der Natur verschiedenes sehe.

smalonius hat geschrieben:Diese Art von Fitness erscheint mir unmittelbar einsichtig, ob man jetzt eine erschöpfende Definition dafür hat oder nicht.


Sie erklärt den Anpassungsprozess nicht.

smalonius hat geschrieben:Die amerikanische Autoindustrie eher nicht. :mg:


Möchtest du nun ernsthaft diskutieren oder nicht? Mit Brights hat das wenig zu tun. Außerdem läufst du gerade in die Gefahr, den Menschen wieder als was von der Natur Verschiedenes zu verstehen.

smalonius hat geschrieben:Welches? Die Klosterbrauerei Weltenburg? :bier:


Weihenstephan.
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Mo 1. Jun 2009, 18:12

Ich erwähnte es hier übrigens bereits schon einmal: Ich orientiere mich in meinen Formulierungen an ein Buch mit dem Titel "Evolution, Zivilisation und Verschwendung". Der Autor wollte die Evolution der Technik erklären und entdeckte im Rahmen seiner Untersuchungen, dass gar nicht die Technik evolviert, sondern die sie produzierenden Unternehmen. Deren Lebensräume sind die Märkte, auf denen sie um das Geld der Käufer (= Ressourcen) konkurrieren, und zwar mittels der gleichen Wettbewerbskommunikation, die im Rahmen der sexuellen Selektion erfunden wurde, und die sich grundlegend vom dominanten Fressen und Gefressen werden innerhalb der wilden Natur unterscheidet. Bei Ersterer entscheidet nämlich der Ressourcenbesitzer, wer sie bekommt (wer ihm besser "gefällt"), bei Letzterer dagegen der, der sie haben will (das ist dominant).

Für ihn sind Unternehmen also praktisch Lebewesen (Superorganismen), die ebenfalls dem Entropiesatz entrinnen wollen, in dem sie im Wettbewerb auf Ressourcenjagd gehen. Sie müssen sich nicht fortpflanzen, da sie ihre Elemente (ihre Mitarbeiter) jederzeit gegen andere austauschen können. Wir Menschen können das nicht. Alle unsere Zellen besitzen den gleichen genetischen Code. Deshalb müssen wir sterben und uns fortpflanzen, um unsere genetischen biologischen Informationen erhalten zu können.

Im Buch wird eine neue Evolutionstheorie (Systemische Evolutionstheorie) vorgeschlagen, mit der der Autor behauptet, alle eigendynamischen Evolutionen erklären zu können, also Biologie, Technik, Soziales, Kultur, Wissenschaften etc. Darwin erklärte, wie auf der Erde die gesamte Biologie evolvieren konnte, die Systemische Evolutionstheorie erklärt dagegen, wie auf der Erde alles entsteht. Damit gibt es natürlich auch keine unmittelbare Unterscheidung mehr zwischen Natur und menschlichen Produkten. Das entsteht im Grunde alles gemäß den Prinzipien einer einheitlichen Evolutionstheorie. Der Unterschied zwischen der Systemischen und Darwinschen Evolutionstheorie wirkt auf mich wie der eines modernen Düsenjets und einem alten Propellerflugzeug.

Hier habe ich einen Kurzvortrag von ihm entdeckt:
http://www.mersch.com/cmscontent/fileupload/newZ1new_fileupload_url2Z273401Z3mersch_evolution_abensberg.pdf
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon Mark » Di 2. Jun 2009, 02:26

jackle hat geschrieben:blabla Mersch blabla


Für Mersch ist die natürliche Auslese kein Evolutionsprinzip, wohl aber angebliche sogenannte "Interessen" der Lebewesen / Organisationen ? In welchem Bewusstsein eine Ameise ihre Eigeninteressen sieht mag uns wohl für immer genauso verschlossen bleiben, wie das Bewusstsein in dem diese Theorien Mersch' ersonnen wurden. go home und mach woanders gratis-Werbung für das Buch vom Spezl. Wenn man danach googelt findet man fast ausschliesslich nur Kommentare von angeblich begeisterten Lesern in irgendwelchen Foren. Wir können hier denken, weisst Du ?
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Di 2. Jun 2009, 10:39

Mark hat geschrieben: Für Mersch ist die natürliche Auslese kein Evolutionsprinzip, wohl aber angebliche sogenannte "Interessen" der Lebewesen / Organisationen ? In welchem Bewusstsein eine Ameise ihre Eigeninteressen sieht mag uns...


Richard Dawkins verwendet dafür das Wort "Egoismus". Dawkins (Das egoistische Gen, 327):
Wenn wir beispielsweise sagen: "Die Gene versuchen ihre Zahl in zukünftigen Genpools zu vergrößern", so meinen wir damit in Wirklichkeit: "Gene, die sich so verhalten, dass sie ihre Zahl in zukünftigen Genpools vergrößern, werden schließlich diejenigen sein, deren Wirkungen wir auf der Welt feststellen.


Dawkins macht hier darauf aufmerksam, dass er das Wort Egoismus metaphorisch verwendet. Für diesen Egoismus verlangt er bei den Genen und Memen kein Bewusstsein, welches die Handlungen absichtsvoll geschehen lässt. Das ist bei Mersch nicht anders. In diesem Sinne bezeichnet er etwa einen Automatismus eines einfachen Organismus, der diesen dazu bringt, sich bei ausreichender Nahrung jede Minute zu vervielfältigen, als "Reproduktionsinteresse". Bei getrenntgeschlechtlicher Fortpflanzung wäre das dann aber tatsächlich eine emergente Systemeigenschaft: Kein einziges Individuum ist für sich allein fortpflanzungsfähig. Man muss aktiv auf Partnersuche gehen (sich fortpflanzen "wollen"), um sich fortpflanzen zu können.

Im Übrigen tauchen die Interessenbegriffe auch schon bei Darwin und überhaupt in vielen Biologiebüchern auf. Darwin geht - gemäß Malthus - von einer ständigen Überproduktion von Nachkommen aus, wodurch es zum Kampf ums Dasein kommt. Damit sagt Darwin indirekt: "Lebewesen besitzen ein Fortpflanzungsinteresse. Hierdurch kommt es zu einer Überproduktion von Nachkommen. Da sie auch ein Selbsterhaltungsinteresse besitzen, kommt es anschließend zum Kampf ums Dasein."

Schmidt-Salomon (Manifest, 17) fasst dies wie folgt zusammen:

„Leben“ lässt sich definieren als ein auf dem „Prinzip Eigennutz“ basierender Prozess der Selbstorganisation. Alle Organismen ... verdanken ihre Existenz dem eigennützigen Streben ihrer Vorfahren nach Vorteilen im Kampf um Ressourcen und ... Fortpflanzungserfolg.


Das ist ungefähr das, was auch Mersch annimmt. Allerdings kennt der sich bestens in Demgrafie aus. Ihm stehen das gesamte moderne Instrumentarium der modernen Demografie zur Verfügung, und nicht nur Malthus wie noch bei Darwin. "Reproduktionsinteressen" lassen sich beim Menschen sogar grob messen, nämlich mittels der Variable "Kinderwunsch". Darwin ging noch von einem einheitlichen Kinderwunsch (Reproduktionsinteresse) bei allen Individuen einer Population aus: Wann immer es möglich ist, wollen sich Individuen reproduzieren. Für Mersch ist das Reproduktionsinteresse eine von der Fitness unabhängige Variable, die z. B. in sozialen Gemeinschaften auch durch die soziale Organisation mitbestimmt werden kann. Damit erklärt er das "Central Theoretical Problem of Human Sociobiology" (Vining 1986): In modernen menschlichen Gesellschaften bekommen Menschen mit zunehmenden sozialen Erfolg (bzw. Bildung, IQ etc.) deshalb weniger Kinder, weil ihr Reproduktionsinteresse sinkt (nicht aber ihre Fitness). Tatsächlich konnten dies soziologische Untersuchungen bestätigen: Mit dem sozialen Erfolg (Einkommen, Bildung etc.) sinkt nicht nur der Reproduktionserfolg (während gleichzeitig der Paarungserfolg steigt), sondern vor allem auch der Kinderwunsch.

Merschs Theorie ist folglich viel moderner als Darwins.

Ameisen sind übrigens ein schönes Beispiel für seine Interessentheorie.

Mark hat geschrieben: go home und mach woanders gratis-Werbung für das Buch vom Spezl. Wenn man danach googelt findet man fast ausschliesslich nur Kommentare von angeblich begeisterten Lesern in irgendwelchen Foren. Wir können hier denken, weisst Du ?


Na scheinbar eben doch nicht. Bislang verhältst du dich wie jemand aus einer religiösen Sekte. Ich wüsste nicht, warum das Nichteingehen auf Argumente "bright" sein sollte. Und warum das Posten eines kostenfreien Vortrags Werbung sein sollte? Ist vielleicht das Zitieren aus Dawkins auch schon Werbung oder gilt das hier als ein zulässiger Hinweis auf die Bibel?
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon folgsam » Di 2. Jun 2009, 14:20

Dass diejenigen Organismen mit dem größten "Reproduktionsinteresse" meist auch diejenigen mit dem größten Reproduktionserfolg sind und diese folglich nach und nach jene mit geringerem "Reproduktionsinteresse" verdrängen, das ist eine Tautologie und auch nichts neues.

Natürlich läuft diese Form des Interesses gänzlich unbewusst ab.

Beispiel Ameisen: Es haben schlicht die Ameisenpopulationen überlebt die in ihrem Sozialverhalten ausschließlich engverwandte Schwestern unterstützt haben. Das wird beim Menschen wohl noch ganz ähnlich sein, rational ist da meist sehr wenig wenn es um die Fortpflanzung geht.
Benutzeravatar
folgsam
 
Beiträge: 1307
Registriert: Fr 28. Dez 2007, 16:18

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Di 2. Jun 2009, 14:53

folgsam hat geschrieben:Dass diejenigen Organismen mit dem größten "Reproduktionsinteresse" meist auch diejenigen mit dem größten Reproduktionserfolg sind und diese folglich nach und nach jene mit geringerem "Reproduktionsinteresse" verdrängen, das ist eine Tautologie und auch nichts neues.


So ganz tautologisch ist das nicht. Mersch führt eine Bedingung ein: Das Reproduktionsinteresse korreliert nichtnegativ mit der Fitness, er verknüpft also die beiden Evolutionsvariablen Reproduktionsinteresse und Fitness. Unter diesen Umständen stellt sich dann die natürliche Selektion ein. Die ist für ihn eine Folgerung aus seinen Prinzipien (so wie du das auch gefolgert hast), aber kein eigenständiges Evolutionsprinzip. Mersch unterscheidet hier Prinzipien (Axiome) von Schlussfolgerungen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Männchen normalerweise ein höheres Reproduktionsinteresse als Weibchen besitzen (in Deutschland dagegen nicht mehr: Die letzte Untersuchung gab, dass sich Männer durchschnittlich weniger Kinder wünschen als Frauen, obwohl sie sich häufiger paaren wollen). Auch diese Unterschiede werden in der klassischen Evolutionstheorie zu wenig beachtet. Dort redet man allgemein von Fitness. So kommt es dann vor, dass z. B. ein besonders attraktives Männchen 5x so viele Nachkommen hat wie das erfolgreichste Weibchen. Lässt sich das allein über die Fitness erklären?

In modernen menschlichen Gesellschaften besteht häufig eine negative Korrelation zwischen Fitness und Reproduktionsinteresse. Hier dürfte dann keine Evolution (fortlaufende Anpassung an Lebensraum) mehr möglich sein, was sich momentan sehr gut feststellen fest.
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon folgsam » Di 2. Jun 2009, 18:21

jackle hat geschrieben: So kommt es dann vor, dass z. B. ein besonders attraktives Männchen 5x so viele Nachkommen hat wie das erfolgreichste Weibchen. Lässt sich das allein über die Fitness erklären?


Nö, ist natürlich auch eine Frage der Ökologie.
Weibchen haben generell ein verringertes Interesse daran Nachkommen zu zeugen als Männchen, schließlich heisst es bei den meisten Arten ja für das Männchen: Hopps und weg. Die Soße darf dann das Weibchen auslöffeln.
Schau dir mal das Paarungsverhalten hermaphroditer Nacktschnecken an. Es ist ganz und gar unattraktiv das Weibchen zu sein.
Benutzeravatar
folgsam
 
Beiträge: 1307
Registriert: Fr 28. Dez 2007, 16:18

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon smalonius » Di 2. Jun 2009, 20:30

jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Übrigens, Dennett hat recht. Evolution würde auch bei unbegrenzten Ressourcen ablaufen.
Was von Nobelpreisträger Eigen bestritten wird. Mit der Aussage wendest du dich übrigens auch gegen Darwin. Der glaubte das nämlich auch nicht.

Das Zitat möchte ich sehen. Ich glaube nicht, daß Darwin lange über unbegrenzte Ressourcen nachgedacht hat.

Eine Population kann für beschränkte Zeit exponentiell wachsen. Dann verlangsamt sich das Wachstum, bis ein Gleichgewichtszustand erreicht wird. Siehe Logistische Kurve:

Bild

Wieso sollte jetzt in der Wachstumsphase keine Evolution stattfinden? Populationen leben schließlich nicht in einer isolierten Petri-Schale.

Nehmen wir den Menschen. Unsere Zahl nahm lange Zeit exponentiell zu, weil wir - für unsere bescheidenen, vorindustriellen Verhältnisse - nahezu unerschöpfliche Ressourcen zur Verfügung hatten. Trotzdem gab es Knicks in der Bevölkerungskurve, wenn gerade wieder mal Pest und Cholera wüteten; trotzdem gab es genetische Anpassung an lokale Gegebenheiten.


jackle hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Ich erinnere noch mal an den Fall der Hochseefische, die kleiner und früher geschlechtsreif werden, so daß sie den Fischfangflotten wortwörtlich durch die Netze gehen.

Diese Art von Fitness erscheint mir unmittelbar einsichtig, ob man jetzt eine erschöpfende Definition dafür hat oder nicht.
Sie erklärt den Anpassungsprozess nicht.

Schau, Evolution ist doch so etwas einfaches; man könnte sie Grundschülern demonstrieren.

Nehmen wir an ich habe 1000 Murmeln unterschiedlicher Größe. Täglich entnehme ich die 100 größten Murmeln. Vom Rest nehme ich 100 und kopiere sie, wobei sich ein kleiner Fehler im Durchmesser einschleichen kann. Danach habe ich erneut 1000 Murmeln. Wiederholen wir das eine Woche oder einen Monat lang.

In welche Richtung wird sich die "Murmel-Population" entwickeln?

Statt der nach der Größe, kann man auch nach jedem beliebigen anderen Parameter eines Systems selektieren, der vererbt wird; ob das jetzt Adleraugen oder Hahnenkämme sind.


jackle hat geschrieben:Für Mersch ist das Reproduktionsinteresse eine von der Fitness unabhängige Variable, die z. B. in sozialen Gemeinschaften auch durch die soziale Organisation mitbestimmt werden kann. Damit erklärt er das "Central Theoretical Problem of Human Sociobiology" (Vining 1986): In modernen menschlichen Gesellschaften bekommen Menschen mit zunehmenden sozialen Erfolg (bzw. Bildung, IQ etc.) deshalb weniger Kinder, weil ihr Reproduktionsinteresse sinkt (nicht aber ihre Fitness). ...

Er erklärt damit gar nichts, verbirgt das aber geschickt hinter Worthülsen. Er sagt nämlich nicht, warum die Kinderzahl sinkt.


Obwohl, in folgendem Buch, sagt er es:

Peter Mersch: Die Emanzipation - ein Irrtum!
Warum die Angleichung der Geschlechter unsere Gesellschaft restlos ruinieren wird

Die Natur hat die beiden Geschlechter unter anderem deshalb mit recht unterschiedlichen Aufgaben betraut, um genau das zu vermeiden, was in unserer Gesellschaft gerade passiert. Eine menschliche Population, in der beide Geschlechter üblicherweise identische Lebensentwürfe besitzen, verliert nämlich ihre Fähigkeit, sich anhand ihrer eigenen Erfolgskriterien weiterzuentwickeln. Schlimmer noch: Sie dürfte auf diese Weise sukzessive verdummen und verarmen.

Bei dieser Aussage handelt es sich leider nicht um eine einfache und belächelbare Meinung des vermeintlich letzten Steinzeitmannes, sondern um eine These, die sich genauso schlüssig belegen lässt, wie die Behauptung, die Erde sei eine Kugel und keine Scheibe.

Und: Die ersten Auswirkungen dieser prognostizierten Entwicklung sind längst spürbar: "Neue Armut", Langzeitarbeitslosigkeit, die Herausbildung einer "Unterschicht", fallende durchschnittliche IQ-Werte und schlechte PISA-Resultate dürften in erster Linie das Ergebnis einer falsch umgesetzten weiblichen Emanzipation sein. (...)

http://studgendeutsch.blogspot.com/2007 ... tiger.html

Tja, wir haben Frauenwahlrecht, Psychoanalyse und Cunnilingus - da kann's ja nur bergab gehen mit unserer Zivilisation. :erschreckt: :mg:

Wenn Mersch etwas in der Birne hätte, würde er sich fragen, ob das "Reproduktionsdesinteresse" vielleicht genau die Anpassung/Einsicht ist, die wir brauchen.

jackle hat geschrieben:Merschs Theorie ist folglich viel moderner als Darwins.

Eine Theorie, die alle naselang vom "Kampf ums Dasein" spricht, kann nie und nimmer modern sein, das ist so 19. Jahrhundert.
Benutzeravatar
smalonius
 
Beiträge: 623
Registriert: Sa 11. Apr 2009, 18:36

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon smalonius » Di 2. Jun 2009, 21:15

Mark hat geschrieben:In welchem Bewusstsein eine Ameise ihre Eigeninteressen sieht mag uns wohl für immer genauso verschlossen bleiben, wie das Bewusstsein in dem diese Theorien Mersch' ersonnen wurden.
Allerdings.

Im Kuriosenkabinett macht er sich allerdings prächtig. Am Besten neben Ursula von der Leyen, die hat's auch mit dem Reproduktionsinteresse, sowohl privat wie auch politisch.



Hab mir den Link von jackle zur Präsentation mal angesehen - passt super in diesen Thread: noch eine etwas andere Evolutionstheorie. :up:

Nur zwei Bemerkungen dazu:

Mersch
Evolution = Erhalt von Kompetenzen => Reproduktionsinteressen haben sich evolutionär ausgebildet, da sie einen evolutionären Vorteil darstellen.

Was für ein Unsinn. Reproduktion ist kein Vorteil, sondern eine Notwendigkeit, damit Evolution stattfindet.

Wenn man das aufgeblasene "Reproduktionsinteresse" ins Deutsche übersetzt, wird offensichtlich, wir flach die Aussage ist: "Nachkommen sind evolutiv von Vorteil."

Wer hätte das je erwartet? :erschreckt:

Softwareentwicklung (Algorithmenentwicklung):

Früher: Spaghetti-Code (if-then-else; Schleifen etc.) [Darwinsche Theorie]
Heute: Objektorientierte Programmierung [Systemische Evolutionstheorie]

Sagt mal, hat der Kerl keinen Lektor, der ihm solch hanebüchenen Unsinn streicht?

Ach, ich vergaß, seine Schriften erscheinen als Book on Demand. :kopfklatsch:
Benutzeravatar
smalonius
 
Beiträge: 623
Registriert: Sa 11. Apr 2009, 18:36

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Di 2. Jun 2009, 22:33

folgsam hat geschrieben:Weibchen haben generell ein verringertes Interesse daran Nachkommen zu zeugen als Männchen, schließlich heisst es bei den meisten Arten ja für das Männchen: Hopps und weg. Die Soße darf dann das Weibchen auslöffeln.


In Deutschland wurden bei Männern ein durchschnittlicher Kinderwunsch von 1,59 festgestellt, bei Frauen von 1,75.

folgsam hat geschrieben:Es ist ganz und gar unattraktiv das Weibchen zu sein.


Nanu? Und das bei den Handicaps, die die Männchen oftmals mit sich herumschleppen müssen, wodurch sie oftmals eine deutlich geringere Lebenserwartung haben (und mit Sicherheit auch nicht das einfachere Leben).
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon folgsam » Di 2. Jun 2009, 22:48

jackle hat geschrieben:In Deutschland wurden bei Männern ein durchschnittlicher Kinderwunsch von 1,59 festgestellt, bei Frauen von 1,75.


Solche temporären Details hochkomplexer, durch ihre Kultur mitbestimmten Sozietäten lassen sich gewiss nicht mit einfacher Populationsökologie erfassen.


jackle hat geschrieben:Nanu? Und das bei den Handicaps, die die Männchen oftmals mit sich herumschleppen müssen, wodurch sie oftmals eine deutlich geringere Lebenserwartung haben (und mit Sicherheit auch nicht das einfachere Leben).


Ob Mensch ob Wurm: Im Endeffekt zählt der Reproduktionserfolg.
Selbst ein schnell und oft von ihren Weibchen kannibalisiertes Spinnenmännchen wird pro Saison manchmal die Möglichkeit haben mehr als ein 'Gelege' zu befruchten. Das Weibchen kann sich immer nur um ihres kümmern.

Lebenserwartung, vermeintliche körperliche Konstitution (krasser Geschlechtsdimorphismus, der übrigens auch ins absolute Gegenteil umschlagen kann: http://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%A4cherfl%C3%BCgler) und "einfaches Leben" :^^: spielen nicht die geringste Geige, sofern der Reproduktionserfolg gegeben ist.
Weibchen können sich gerade das absolut nicht leisten.
Benutzeravatar
folgsam
 
Beiträge: 1307
Registriert: Fr 28. Dez 2007, 16:18

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Di 2. Jun 2009, 22:53

smalonius hat geschrieben:Im Kuriosenkabinett macht er sich allerdings prächtig. Am Besten neben Ursula von der Leyen, die hat's auch mit dem Reproduktionsinteresse, sowohl privat wie auch politisch.


Oh, ein großer Denker meldet sich.

smalonius hat geschrieben:
Mersch
Evolution = Erhalt von Kompetenzen => Reproduktionsinteressen haben sich evolutionär ausgebildet, da sie einen evolutionären Vorteil darstellen.

Was für ein Unsinn. Reproduktion ist kein Vorteil, sondern eine Notwendigkeit, damit Evolution stattfindet.


Soviel ich weiß geht es hierbei nicht um Reproduktion ja oder nein, sondern um die Stärke von Reproduktionsinteressen. Mersch unterscheidet Fitness und Reproduktionsinteressen (zum Beispiel Fähigkeit zur Nahrungsbeschaffung und Gelegegröße). Er meint, dass sich beide Variablen evolutionär ausgebildet haben. Irgendwie komisch: Du liest eine PPT-Präsentation, in der vermutlich jedes Wort gekürzt wurde, damit es auf die Seite passt, und du reagierst darauf mit Überheblichkeit. Nicht gerade "bright", würde ich mal sagen.

smalonius hat geschrieben:Wenn man das aufgeblasene "Reproduktionsinteresse" ins Deutsche übersetzt, wird offensichtlich, wir flach die Aussage ist: "Nachkommen sind evolutiv von Vorteil."


Das ist völliger Unsinn. In modernen menschlichen Gesellschaften wird das übrigens anders gesehen. Mersch untersucht aber auch die Evolution der Technik und kommt zu dem Schluss, dass diese nur ein Nebeneffekt der eigendynamischen Evolution der Unternehmen ist. Unternehmen können aber ganz unterschiedliche Reproduktionsinteressen besitzen. Sie können Gewinne an die Aktionäre ausschütten (= geringes Reproduktionsinteresse) oder reinvestieren (z. B. in die Forschung & Entwicklung = hohes Reproduktionsinteresse). Die Theorie ist folglich viel viel abstrakter, als du dir überhaupt vorstellen kannst. Da wird nicht nur über Nachkommen geredet. Unternehmen haben keine Nachkommen, die reproduzieren sich anders.

smalonius hat geschrieben:Wer hätte das je erwartet? :erschreckt:


Ist das zu hoch für dich? Selbst das?

smalonius hat geschrieben:
Softwareentwicklung (Algorithmenentwicklung):

Früher: Spaghetti-Code (if-then-else; Schleifen etc.) [Darwinsche Theorie]
Heute: Objektorientierte Programmierung [Systemische Evolutionstheorie]

Sagt mal, hat der Kerl keinen Lektor, der ihm solch hanebüchenen Unsinn streicht?


Da hat er einfach Recht. Die Systemische Evolutionstheorie von Mersch ist als Algorithmus (siehe Wuketits) objektorientiert formuliert (Mersch ist Systemanalytiker und Softwareexperte, ich gehe mal davon aus, dass er weiß, wovon er spricht), die Darwinsche Evolutionstheorie ist es nicht. In der werden wesentliche Systemeigenschaften der Individuen in Nebensätzen definiert.

smalonius hat geschrieben:Ach, ich vergaß, seine Schriften erscheinen als Book on Demand. :kopfklatsch:


Gott sei Dank! Deshalb kann er ja solche Bücher herausbringen. Darwin würde heute auch bei Books on Demand veröffentlichen.
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Di 2. Jun 2009, 22:58

folgsam hat geschrieben: Solche temporären Details hochkomplexer, durch ihre Kultur mitbestimmten Sozietäten lassen sich gewiss nicht mit einfacher Populationsökologie erfassen.


Ich sagte ja auch nicht, dass es einfach ist.

folgsam hat geschrieben:Ob Mensch ob Wurm: Im Endeffekt zählt der Reproduktionserfolg.


Nur dass dies für menschliche Gesellschaften wenig aussagekräfig ist bzw. dort zum Sozialdarwinismus führt.
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon folgsam » Di 2. Jun 2009, 22:59

jackle hat geschrieben:Nur dass dies für menschliche Gesellschaften wenig aussagekräfig ist bzw. dort zum Sozialdarwinismus führt.


Keine Ahnung, ich weiß nur dass das in erster Linie eine normative Fragestellung ist und darüber spreche ich hier nicht.

edit: geändert von norminativ zu normativ ... :kopfwand:
Benutzeravatar
folgsam
 
Beiträge: 1307
Registriert: Fr 28. Dez 2007, 16:18

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Di 2. Jun 2009, 23:27

smalonius hat geschrieben: Eine Population kann für beschränkte Zeit exponentiell wachsen. Dann verlangsamt sich das Wachstum, bis ein Gleichgewichtszustand erreicht wird. Siehe Logistische Kurve:


Was hat das mit unbegrenzten Ressourcen zu tun? Wären die Ressourcen unbegrenzt, würde sie unbegrenzt exponentiell wachsen.

smalonius hat geschrieben: Wieso sollte jetzt in der Wachstumsphase keine Evolution stattfinden? Populationen leben schließlich nicht in einer isolierten Petri-Schale.


In der Wachstumsphase kann Evolution stattfinden, aber nicht bei unbegrenzten Ressourcen.

smalonius hat geschrieben: Nehmen wir den Menschen. Unsere Zahl nahm lange Zeit exponentiell zu, weil wir - für unsere bescheidenen, vorindustriellen Verhältnisse - nahezu unerschöpfliche Ressourcen zur Verfügung hatten. Trotzdem gab es Knicks in der Bevölkerungskurve, wenn gerade wieder mal Pest und Cholera wüteten; trotzdem gab es genetische Anpassung an lokale Gegebenheiten.


Was hat das mit unbegrenzten Ressourcen zu tun? Die hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit nie gegeben.

smalonius hat geschrieben: Schau, Evolution ist doch so etwas einfaches; man könnte sie Grundschülern demonstrieren.

Nehmen wir an ich habe 1000 Murmeln unterschiedlicher Größe. Täglich entnehme ich die 100 größten Murmeln. Vom Rest nehme ich 100 und kopiere sie, wobei sich ein kleiner Fehler im Durchmesser einschleichen kann. Danach habe ich erneut 1000 Murmeln. Wiederholen wir das eine Woche oder einen Monat lang.

In welche Richtung wird sich die "Murmel-Population" entwickeln?


Was hat das mit unbegrenzten Ressoucen zu tun? Offensichtlich gibt es in dem Beispiel nur Platz für 1000 Murmeln. Außerdem stellt das Beispiel sicherlich eine Entwicklung dar. Aber Evolution?

Wie war das noch gleich mit der Einfachheit?

smalonius hat geschrieben: Statt der nach der Größe, kann man auch nach jedem beliebigen anderen Parameter eines Systems selektieren, der vererbt wird; ob das jetzt Adleraugen oder Hahnenkämme sind.


Ja, und dann selektiert man plötzlich wieder Fernseher oder Autos gemäß Eigenschaften und wird die Evolution der Technik doch nie verstehen.

smalonius hat geschrieben: Er erklärt damit gar nichts, verbirgt das aber geschickt hinter Worthülsen. Er sagt nämlich nicht, warum die Kinderzahl sinkt.


Natürlich erklärt das sinkende Reproduktionsinteresse (der sinkende Kinderwunsch), warum weniger Kinder geboren werden. Natürlich könnte man nun fragen, warum der Kinderwunsch sinkt. Darüber hat Mersch dicke Bücher geschrieben, z. B. "Die Familienmanagerin", in denen er die Gründe aufschlüsselt. Übrigens hat Prof. Kaufmann, der Verfasser eines der bekanntesten Demografiebücher ("Schrumpfende Gesellschaft", bei Suhrkamp), ein paar Worte auf dem Klappentext hinterlassen. Trotz Books on Demand. Aber manche scheinen sich heute schon großartig und bright zu finden, wenn sie sich über Books on Demand und den Kreationismus erheben. Mann, ist das spannend und bright.


smalonius hat geschrieben: Obwohl, in folgendem Buch, sagt er es:
http://studgendeutsch.blogspot.com/2007 ... tiger.html


Ganz richtig erkannt: ein neuer wichtige Autor.

smalonius hat geschrieben: Tja, wir haben Frauenwahlrecht, Psychoanalyse und Cunnilingus - da kann's ja nur bergab gehen mit unserer Zivilisation. :erschreckt: :mg:


Viel schlimmer noch:
- Durchschnittlicher IQ Deutschland 1981 = 107, 2008 = 98
- Fallende PISA-Werte
- Seit 40 Jahren 1,3 - 1,4 Kinder pro Frau
- Trotzdem zunehmende Verarmung speziell unter den Kindern
- In vielen Bundesländer schafft ein zunehmender Anteil der Jugendlichen keinen Schulabschluss oder nur Hauptschule.
- Zunehmende Überalterung
- Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung: 1970 = 44%, 2007 = 53%. Hierdurch Arbeitslosigkeit, Lohndumping, Frühverrentungen, prekäre Arbeitsverhältnisse etc.

Cunnilingus scheint also nicht ganz das Problem zu sein.

smalonius hat geschrieben: Wenn Mersch etwas in der Birne hätte, würde er sich fragen, ob das "Reproduktionsdesinteresse" vielleicht genau die Anpassung/Einsicht ist, die wir brauchen.


Da Mersch scheinbar etwas in der Birne hat (siehe sein Evolutionsbuch, gegen das "Das egoistische Gen" flach wirkt), hat er erkannt, dass viele ökonomische Probleme unserer Gesellschaft eine reproduktive Ursache besitzen.

smalonius hat geschrieben: Eine Theorie, die alle naselang vom "Kampf ums Dasein" spricht, kann nie und nimmer modern sein, das ist so 19. Jahrhundert.


Merschs Systemische Evolutionstheorie kennt keinen Kampf ums Dasein. Sehr wohl spielt dieser aber noch immer in Büchern wie "Das ist Evolution" von Ernst Mayr eine entscheidende Rolle.
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon folgsam » Di 2. Jun 2009, 23:41

Bei potentiell unerschöpflichen Ressourcen und Lebensraum würde es keine negative oder positive Selektion geben: Mutationen würden sich häufen und alles was nicht unmittelbar letal wäre könnte überleben und sich vermehren. Es wäre aber definitiv kein statisches System, aber auch keine Evolution im klassischen Sinn.

Das ist aber so dermaßen spekulativ und weit ab von den Realitäten dass es für eine empirische Evolutionsbiologie nicht von Interesse ist.


jackle hat geschrieben:Da Mersch scheinbar etwas in der Birne hat (siehe sein Evolutionsbuch, gegen das "Das egoistische Gen" flach wirkt), hat er erkannt, dass viele ökonomische Probleme unserer Gesellschaft eine reproduktive Ursache besitzen.


Ich habe noch nie was von Mersch gehört. Wo hat er publiziert?
Benutzeravatar
folgsam
 
Beiträge: 1307
Registriert: Fr 28. Dez 2007, 16:18

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon jackle » Mi 3. Jun 2009, 00:00

folgsam hat geschrieben: Bei potentiell unerschöpflichen Ressourcen und Lebensraum würde es keine negative oder positive Selektion geben: Mutationen würden sich häufen und alles was nicht unmittelbar letal wäre könnte überleben und sich vermehren. Es wäre aber definitiv kein statisches System, aber auch keine Evolution im klassischen Sinn.


Richtig!

folgsam hat geschrieben: Das ist aber so dermaßen spekulativ und weit ab von den Realitäten dass es für eine empirische Evolutionsbiologie nicht von Interesse ist.


Das mag sein.

folgsam hat geschrieben: Ich habe noch nie was von Mersch gehört. Wo hat er publiziert?


Die Infos habe ich doch gegeben, inkl. Link zum PPT-Vortrag. Mersch beschäftigt sich auch weniger mit irgendwelchen Feinheiten der Evolutionsbiologie, sondern mit Evolutionstheorie, die bei ihm nicht nur die Biologie zum Thema hat. Anders als Dawkins benötigt er keine separate Memetik. Ferner benötigt er keine getrennten Selektionsprinzipien natürliche + sexuelle Selektion. Die Systemische Evolutionstheorie beschreibt alle Evolutionen aus 3 einheitlichen Prinzipien heraus (jedenfalls behauptet sie das). Der Vorteil bei ihm ist m. E.: Evolutionsbiologen (wie Dawkins) versuchen meist, das evolutionäre Denken auf andere Bereiche (z. B. Kultur, Gesellschaft) auszuweiten, obwohl dort möglicherweise komplexere Verhältnisse vorherrschen. Mersch kommt von der anderen Seite. Er versucht zunächst die Evolution der Technik und in menschlichen Gesellschaften zu erklären und überträgt das dann auf die Biologie. Wenn man aus der Biologie kommt, sieht man möglicherweise nicht, dass man bereits beim Menschen weitere Parameter benötigt, um Evolution zu beschreiben.

Das Buch heißt "Evolution, Zivilisation und Verschwendung". Interessant ist der Diskussionsthread auf der Amazon-Seite (am unteren Ende mit dem Titel "Sexualität". Ab 19.05.2009 fragt dort jemand, wo Mersch publiziert habe. Die Antwort ist sehr aufschlussreich. Eigentlich ein handfester Skandal. Sie sagt sehr viel über die heutige Zeit. Die Finanzkrise ist also mehr als eine Finanzkrise. Sie ist eine generelle Gesellschaftskrise. Wir haben den gegenseitigen Respekt verloren.)
jackle
 
Beiträge: 737
Registriert: Fr 8. Mai 2009, 08:10

Re: Die etwas andere Evolutionstheorie...

Beitragvon Mark » Mi 3. Jun 2009, 00:28

Hat noch jemand den Verdacht daß es sich hier um einen Werbeauftritt für ein völlig grössenwahnsinniges Buch handelt deren Thesen unter Garantie auf derben System-/Annahmenfehlern basieren ?
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

VorherigeNächste

Zurück zu Wissenschaft

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 17 Gäste

cron