Wissenschaftliche Evolutionskritik

Wissenschaftliche Evolutionskritik

Beitragvon folgsam » Sa 5. Jan 2008, 19:50

Immer wieder behaupten meine Diskussionspartner, es gebe sowas wie wiss. ETkritik. Bei Überprüfung ihrer "Autoritäten" auf diesem Gebiet, kommen dann solche Gestalten wie Kent Hovind, die nichtmal einer oberflächlichen Überprüfung standhalten können. Kennt ihr ernsthafte, wissenschaftliche Evolutionskritiker, die man sich näher anschauen sollte?
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Re: Wissenschaftliche Evolutionskritik

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jan 2008, 20:28

folgsam hat geschrieben:Kennt ihr ernsthafte, wissenschaftliche Evolutionskritiker, die man sich näher anschauen sollte?

an der Tatsache einer Evolution zweifelt eigentlich niemand mehr, der ernsthaft Kritik vorträgt. Kritisiert werden aber konkrete Vorstellungen, nach welchen Mechanismen diese Evolution verlief.

Eine beliebte 'Zielscheibe' ist hier oft der Standard, eben die Selektionstheorie (eine Weiterentwicklung dessen, was Darwin als 'my theory' bezeichnete). Eine sehr originelle Kritik hat beispielsweise

Berlinski, D. (1996) 'The Deniable Darwin' Commentary Juni:19-29 URL


erstellt. Er bezieht sich hauptsächlich auf Dawkins und Dennett, also so genannte 'Ultradarwinisten'. In der Diskussion

diverse (1996) 'Controversy. Denying Darwin. David Berlinski and Critics' Commentary Sept.:4-39
leider nicht (mehr) kostenlos im Web.


wird Berlinski dann von vielen Lesern kritisiert, darunter auch Dawkins und Dennett. Diese Kritik ist sehr interessant, denn Berlinski geht auf die Einwände ein. In meinen Augen hat sich besonders Dawkins nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ich gehe davon aus, dass die Auffassung von Evolutionsmechanismen, die Dawkins vertritt, ihre Zeit gehabt hat.

Berlinski macht aber den Fehler, auf die Selektionstheorie einzudreschen, die nur eine der vielen Evolutionstheorien darstellt, und dann davon auszugehen, dass er so die gesamte Evolution widerlegt. Die Kritik Berlinskis trifft aber auf andere Auffassungen nicht zu.

Ich schreibe gerade eine ausführliche Rezension über diesen Artikel, in ein paar Tagen steht der auf meinem Blog.

Es gibt natürlich noch eine ganze Reihe von Büchern, die zwar Evolutionsmechanismen, zumindest deren Reichweite, oder auch nur die Selektionstheorie angreifen, und den Anspruch erheben können, diese Kritik durchaus im Rahmen der Wissenschaften vorzubringen, beispielsweise

Behe, M.J. (2007) 'The Edge of Evolution. The Search for the Limits of Darwinism' New York; London; Toronto; Syndney, Free Press

ein ID-Vertreter, der die Reichweite der Evolutionsmechanismen untersucht, aber Deszendenz anerkennt

Junker, R.; Scherer, S. (2006) 'Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. 6. Aufl.' Gießen, Weyel

deutsche Kurzzeit-Kreationisten, die in diesem Buch vor allem auf der Ebene von ID argumentieren

Schmidt, F. (1985) 'Grundlagen der kybernetischen Evolution. Eine neue Evolutionstheorie' Krefeld, Goecke & Evers

ein Atheist, der vor allem die Selektionstheorie angreift, ohne genauer als 'kybernetische Evolution' zu sagen, welche Alternative er vorschlägt

Schindewolf, O.H. (1950) 'Grundfragen der Paläontologie. Geologische Zeitmessung, Organische Stammesentwicklung, Biologische Systematik' Stuttgart, Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung

ein Paläontologe, dessen weltanschauliche Auffassung ich nicht kenne, der nur die Selektionstheorie angreift.

Wenn Du ernsthaft an derartigen Kritiken interessiert bist, kann ich Dir noch ein paar Dutzend weitere Arbeiten nennen, und bei Bedarf auch noch massenhaft kreationistische Evolutionskritik, die ich aber nicht als 'wissenschaftlich' einschätzen würde.
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Re: Wissenschaftliche Evolutionskritik

Beitragvon folgsam » Sa 5. Jan 2008, 21:45

Vielen Dank, werde mich bei Gelegenheit näher damit befassen.
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GWUP-Konferenz zum Thema Kreationismus

Beitragvon Besserwisser » So 6. Jan 2008, 06:04

Für alle, die sich für diesen Themenkomplex hinreichend genug interessieren, hier schon mal ein Hinweis auf die

17. GWUP-Konferenz
Kreationismus
1. - 3. Mai 2008
Darmstadt
Justus-Liebig-Haus

Referenten werden u. a. Thomas Waschke, Dittmar Graf, Martin Mahner und Martin Lambeck sein.
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Re: Wissenschaftliche Evolutionskritik

Beitragvon dvrvm » So 6. Jan 2008, 21:50

Schwalmo, du scheinst dich ja ziemlich auszukennen in diesem Gebiet. Ich bin "nur" Biostudent im zweiten Jahr. Was ich mich frage, ist, warum bestehen alle Evolutionsbiologen derart starr auf einer linearen Deszendenz? Ich denke, dass man die Idee eines sauberen Stammbaums bald aufgeben muss, weil lateraler Gentransfer einfach viel zu wahrscheinlich ist, um ihn zu ignorieren... bei Prokaryoten hat man das ja unterdessen eingesehen (ich meine, bei einzelligen Organismen kann das noch "relativ schnell" mal passieren) , aber wie sieht es aus mit lateralen Gentransfers in höheren Tieren durch Endoparasiten oder allgemeiner zwischen Wirt und Parasit, oder zwischen zwei Wirten über einen Parasiten? Ich halte es für möglich und auch für wahrscheinlich, dass sowas in der Evolution eine Rolle gespielt haben kann...
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Re: Wissenschaftliche Evolutionskritik

Beitragvon El Schwalmo » So 6. Jan 2008, 22:03

dvrvm hat geschrieben:Schwalmo, du scheinst dich ja ziemlich auszukennen in diesem Gebiet. Ich bin "nur" Biostudent im zweiten Jahr.

ich bin nur Biologie-Lehrer, der sich seit über 25 Jahren mit Kreationisten und Evolutionsgegnern kabbelt.

dvrvm hat geschrieben:Was ich mich frage, ist, warum bestehen alle Evolutionsbiologen derart starr auf einer linearen Deszendenz? Ich denke, dass man die Idee eines sauberen Stammbaums bald aufgeben muss, weil lateraler Gentransfer einfach viel zu wahrscheinlich ist, um ihn zu ignorieren... bei Prokaryoten hat man das ja unterdessen eingesehen (ich meine, bei einzelligen Organismen kann das noch "relativ schnell" mal passieren) , aber wie sieht es aus mit lateralen Gentransfers in höheren Tieren durch Endoparasiten oder allgemeiner zwischen Wirt und Parasit, oder zwischen zwei Wirten über einen Parasiten? Ich halte es für möglich und auch für wahrscheinlich, dass sowas in der Evolution eine Rolle gespielt haben kann...

Die 'lineare Deszendenz' dürfte der Normalfall sein. Welche Rolle lateraler Gentransfer in der Evolution spielt ist meines Wissens umstritten. Evolution ist ein sehr komplexes Phänomen, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Lateraler Gentransfer gehört vermutlich auch dazu.
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