Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon spacetime » So 25. Apr 2010, 13:07

ujmp hat geschrieben:Dass es offensichtlich einen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Denken gibt, kannst du mehrmals täglich empirisch feststellen, nämlich in den Augenblicken, wo du dich irrst.

Warum soll dieses 'Irren' nicht als Bestandteil der Wirklichkeit gelten? Das ist die Realität einer Illusion. Was bringt es mir, wenn ich mich auf diesen Dualismus einlasse? Damit ich mir diese wahrhaftig 'sinnlosen' Fragen stellen kann und mich an pseudophilosophischen Unterhaltungen beteiligen kann? Tut mir leid, wenn das zu etwas hart klang, aber ich verstehe den Sinn nicht, diese Unterscheidung zu machen.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon ujmp » So 25. Apr 2010, 14:12

spacetime hat geschrieben:Warum soll dieses 'Irren' nicht als Bestandteil der Wirklichkeit gelten?

Ich sagte ja, dass du Wirklichkeit definieren kannst wie du willst. Ok, dann akzeptiere ich deine Definition und wir müssen uns nach anderen Begriffen umsehen, um deutlich zu machen wovon ich rede.

Du meinst also, der Dualismus von Denken und Wirklichkeit sei falsch. Aber falsch in bezug worauf? (Doch nicht etwa in Bezug auf die Wirklichkeit?) Ich behaupte mal, wenn wir überhaupt eine Diskussion gleich welchen Themas beginnen, müssen wir unsere Gedanken in zwei Bereiche einteilen: in die Richtigen und die Falschen.

Die Interessanten sind die Falschen, z.B. "Vom Küssen kann man schwanger werden." - "Krötenblut bei Vollmond eingenommen hilft gegen Reuma" - "Die Erde ist eine Scheibe" - "Wenn ein Körper erwärmt wird, dringt Phlogiston in ihn ein, wodurch der Körper sich ausdehnt." - möglicherweise "Denken und Wirklichkeit sind verschiedenen Dinge"

Irgendwie stimmt - ähm... das da draußen, wofür wir gerade das Wort suchen - nicht mit diesen Aussagen überein, es befindet sich im Widerspruch dazu. Welchen Namen schlägst du für diesen Umstand vor?

Ich glaube nicht, dass das philosophische Spitzfindigkeiten sind, ganz im Gegenteil, es ist die natürlichste Denkweise, die es gibt.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon spacetime » So 25. Apr 2010, 23:31

ujmp hat geschrieben:Du meinst also, der Dualismus von Denken und Wirklichkeit sei falsch. Aber falsch in bezug worauf?

Ich sage nicht, der Dualismus wäre eine Illusion der Realität, da er ja als Gedanke offensichtlich existiert. Der Dualismus ist die Realität einer Illusion, bzw. eines Irrtums. Bemerkst du eigentlich gar nicht, wie du ständig versuchst, Gedankenwelt und Welt zu trennen?

ujmp hat geschrieben:Du meinst also, der Dualismus von Denken und Wirklichkeit sei falsch. Aber falsch in bezug worauf? (Doch nicht etwa in Bezug auf die Wirklichkeit?)

Gehen wir von einem Monismus aus, dann erübrigt sich diese (wahrschinlich rhetorische Frage?).

ujmp hat geschrieben:Irgendwie stimmt - ähm... das da draußen, wofür wir gerade das Wort suchen - nicht mit diesen Aussagen überein, es befindet sich im Widerspruch dazu. Welchen Namen schlägst du für diesen Umstand vor?

Das besitzt doch null Relevanz! Die Sprache entwickelte sich von Anfang an dualistisch, dass es also einen Unterschied zwischen Irrtum und Wirklichkeit gäbe. Du forderst doch nicht ernsthaft von mir, dass ich eine Sprache erfinde, die keinen Sbjekt/Objekt-Dualismus kennt.
Wer sagt denn, dass wir neue Wörter erfinden müssen, um die Welt monistisch zu interpretieren? Ein Satz kann sich als 'richtig' erweisen, aber muss er deshalb auch 'wahr' sein? (Eine richtige Annahme entspricht der Wahrheit, unberührt dessen, ist die Wahrheit eine gedankliche Form der Wirklichkeit) Du jagst hinter einer Idee her, die verschwindet, sobald sie Wirklichkeit ist. Dabei ist die Idee schon die Wirklichkeit, die du zu interpretieren versuchst.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon ujmp » Mo 26. Apr 2010, 08:29

Wir reden aneinander vorbei, solange wir auf Definitionen beharren. Zu Erinnerung: Eine Definition ist keine Erkenntnis sondern nur eine beliebig aufstellbare Konvension.

Vorschlag: Es ist ja offensichtlich so, dass sich innerhalb der Gedankenwelt richtige und falsche Gedanken befinden. Die falschen sind das Problem! Es ist ganz gleich, wie wir das Problem nennen, wir sind aber frei und berechtigt es "Konflikt zwischen Gedanke und Wirklichkeit" zu nennen. Gedanken und Wirklichkeit sind in diesem Fall eben durch diesen Konflikt definiert. Und dies entspricht dem Jahrtausende alten Alltagsdenken.

Der Gedanke "Die Erde ist eine Scheibe" ist ein Satz, der nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Man müsste schon ganz schön Nebel im Kopf haben, um das zu leugnen. Wenn wir es aber anerkennen, erkennen wir auch, dass alle unsere Gedanken potentiell falsch sind bzw. dass sie nur mehr oder weniger nützliche Modelle sind.

Vorstellbar ist, dass unser Gehirn, das durch die im Weltall herrschenden Naturgesetze bestimmt wurde, diese Naturgesetze auch widerspiegelt. Das scheint mir sogar sehr wahrscheinlich. Nich vorstellbar ist dagegen, dass neben den Gestetzmäßigkeiten der Natur auch die unendlich vielen Zufälligkeiten in unserem Gehirn unfehlbar abgebildet, sozusagen vorweggenommen sind.

Das sind meiner Meinung nach die Probleme, für die es sich lohnt, das Gehirn anzukurbeln. Was haben wir davon "Wirklichkeit" so zu definieren, dass ihr nichts widersprechen kann? - Nichts! - Oder? - Na ja, ich befürchte, es lässt sich mit Obskurantismus unwiderstehlich viel Geld verdienen.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon laie » Mo 26. Apr 2010, 10:38

Myron hat geschrieben:
laie hat geschrieben:Ganz einfach: es gibt keine wahren oder falschen Sachverhalte, sondern nur Sätze über diese Sachverhalte. Und nur diese Sätze können wahr oder falsch sein.


In der Philosophie wird üblicherweise zwischen bestehenden und nicht bestehenden bzw. wirklichen und unwirklichen Sachverhalten unterschieden, wobei ein bestehender, wirklicher Sachverhalt auch als Tatsache bezeichnet wird.
(Manche Philosophen setzen hingegen Tatsachen mit wahren Aussagen gleich.)


"Es gehört zu den wichtigsten philosophischen Erkenntnissen einzusehen, daß und warum es sich bei dieser Auffassung um eine gedankliche Fiktion handelt. ... Die Welt gliedert sich nicht unabhängig von der Sprache in Tatsachen oder auch nur bloß mögliche Sachverhalte. Die Gliederung der Realität in Sachverhalte und Tatsachen ist relativ ... auf eine diese Realität beschreibende Sprache." (Stegmüller, 1970: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band 2: Erfahrung, Festsetzung, Hypothese und Einfachheit in der wissenschaftlichen Begriffs- und Theorienbildung. Springer: 15f.)
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon ujmp » Mo 26. Apr 2010, 12:14

laie hat geschrieben:"Es gehört zu den wichtigsten philosophischen Erkenntnissen einzusehen, daß und warum es sich bei dieser Auffassung um eine gedankliche Fiktion handelt. ... Die Welt gliedert sich nicht unabhängig von der Sprache in Tatsachen oder auch nur bloß mögliche Sachverhalte. Die Gliederung der Realität in Sachverhalte und Tatsachen ist relativ ... auf eine diese Realität beschreibende Sprache." (Stegmüller, 1970: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band 2: Erfahrung, Festsetzung, Hypothese und Einfachheit in der wissenschaftlichen Begriffs- und Theorienbildung. Springer: 15f.)

Es ist eine Fiktion im Sinne eines Modelles - wir haben nunmal kein anderes. Wie ich oben gezeigt habe können wir nicht auf eine Unterscheidung zwischen richtigen und falschen Gedanken verzichten, wie auch immer wir diese Unterscheidung benennen. Was besagt es schon, dass unsere Realitästvorstellung von unserer Sprache abhängig ist? Es besagt nur, dass unsrere Sprache ein falsches Modell darstellen kann - wo wir das feststellen, korrigieren wir es eben. Wir richten das Modell aber immer an etwas aus, was außerhalb der Sprache liegt, und zwar - schon seit wir Einzeller waren - an dem Ja und dem Nein des Überlebens.

Was nützt es dem einem Organismus, dass sein Sterben "Teil der Wirklichkeit" ist? Das ist nicht die Frage, die für ihn interessant ist. Der Punkt ist, dass er zwischen optimalen und weniger optimalen Optionen entscheiden muss, er muss zwischen richtig und falsch unterscheiden. Er muss das Falsche in einem Modell vorwegnehmen, da es zu spät ist, wenn ihn die Wirklichkeit des Falschen erreicht. Es ist also Bedingung für das Überleben, dass Modell und die Wirklichkeit nicht identisch sind.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon laie » Mo 26. Apr 2010, 16:20

"Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stossen sich die Sachen." Ich gebe Dir da grundsätzlich recht. Natürlich ist es nicht so, daß es keine Aussenwelt und keine materiellen Konsequenzen unseres Handelns oder Verhaltens gibt - all das gibt es. Es gibt den Tod, auch wenn man ihn nicht so benennt. Trotzdem ist es entscheidend das Vokabular, die Sprache, die uns in die Lage versetzt, auf eine bestimmte Weise über die Welt zu reden. Dort nämlich, wo wir nur klassifikatorische Begriffe zur Verfügung haben, um einen Gegenstandsbereich in nichtleere und disjunkte Mengen zu zerlegen, können wir über diesen nicht soviel Information herauslesen wie mit komparativen Begriffen und mit diesen weniger als mit relationalen Begriffen oder Funktionen. Funktionen, wie sie in den modernen Naturwissenschaften zur Beschreibung von Prozessen und Vorgängen verwendet werden, fallen nun nicht einfach "vom Himmel", sondern werden unter einer Reihe künstlicher Annahmen und Zugeständnissen an die Logik und die Empirie konstruiert.

Die Frage ist nicht, ob wir sterben oder ob wir Nachkommen haben, sondern die Frage ist, ob wir diese Ereignisse im Lichte der darwinischen Evolutionstheorie interpretieren müssen. Und wenn wir dies schon tun - uns immer klar sein müssen, dass es sich nur um eine mögliche Sichtweise handelt.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon ujmp » Mo 26. Apr 2010, 17:45

ujmp hat geschrieben:Er muss das Falsche in einem Modell vorwegnehmen, da es zu spät ist, wenn ihn die Wirklichkeit des Falschen erreicht. Es ist also Bedingung für das Überleben, dass Modell und die Wirklichkeit nicht identisch sind.

Damit hab ich es leider etwas durcheinandergebracht, weil ich falsch auf verschiedene Ebenen angewendet hab. Es ist z.B. ein richtiges Modell, dass Feuer tötet und es deshalb eine falsche Handlung ist, ihm zu nahe zu kommen. Ich wollte aber viel mehr darauf hinaus, dass es auch falsche Modelle gibt, also falsche Vorwegnahmen der Wirklichkeit.

laie hat geschrieben:Die Frage ist nicht, ob wir sterben oder ob wir Nachkommen haben, sondern die Frage ist, ob wir diese Ereignisse im Lichte der darwinischen Evolutionstheorie interpretieren müssen. Und wenn wir dies schon tun - uns immer klar sein müssen, dass es sich nur um eine mögliche Sichtweise handelt.

Hm ..., dass unsere Modelle falsch sein können, bedeutet aber auch nicht, dass wir sie beliebig wählen sollten. In mir streubt sich immer etwas, wenn Menschen meinen, man könnte ein beliebig aufgestelltes Modell (z.B. Aberglaube) gleich setzen mit Modellen, die auf sorgfältiger, fleißiger Beobachtung der Natur beruhen. Aber natürlich darf man auch mal spinnen...
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon laie » Mo 26. Apr 2010, 21:03

ujmp hat geschrieben:In mir streubt sich immer etwas, wenn Menschen meinen, man könnte ein beliebig aufgestelltes Modell (z.B. Aberglaube) gleich setzen mit Modellen, die auf sorgfältiger, fleißiger Beobachtung der Natur beruhen. Aber natürlich darf man auch mal spinnen...


Ich verstehe Dein Unbehagen. Es scheint dem "gesunden Menschenverstand" zu widersprechen, wenn Natureignisse (und: Kulturgeschichte nehme ich jetzt kurzerhand auch einmal als Teil der Naturgeschichte) nicht auf beobachtbare, wenigstens dem Prinzip nach beobachtbare Ursachen zurückgeführt werden, sondern auf Geister, die irgendwo in den Büschen hausen.

Die Angst oder das Unbehagen vor exotischen, wissenschaftsfernen Konzeptionen der Wirklichkeit rührt m.E. von einer bestimmten Anwendung des Modellbegriffs. Für gewöhnlich sagt man, dass die Wissenschaft bestimmte Naturvorgänge im Modell abbildet, nachbaut, sie modelliert. Zwischen Natur und dem - nachträglich gewonnenen - Modell der Wissenschaftler besteht - idealerweise - Kongruenz: bei der Betrachtung des Modells können wir im Kleinen studieren, wie es im Grossen ist.

Man kann den Modellbegriff aber auch auf andere Weise verwenden: Die Welt, in der wir leben, besteht aus den Modellen einer Vielzahl unterschiedlichster Theorien und Vorstellungen. Nicht die Theorien sind es, die die Natur abbilden - umgekehrt: die Natur bildet die Theorie ab. Die Natur - oder ein bestimmter Ausschnitt der Natur - ist das Modell einer bestimmten Theorie. Dieses Modell exemplifiziert den empirischen Gehalt einer empirischen Theorie. Nicht unsere Theorien und kausalen Überzeugungen sind Modelle für Planetenbewegungen, Entwicklung der Arten usw., sondern: die Planetenbewegungen, die Entwicklung der Arten sind Modelle, die wir mit den dazu passenden Theorien erst gebaut haben. Die Natur ist immer nur Modell für eine bestimmte Theorie und wir können die Welt um uns herum nur durch die Brille einer Theorie sehen: Einmal war ein fallender Stein eine Pendelbewegung (in der Keplerschen Astronomie), dann war ein fallender Stein ein paar Jahre später ein Modell für die Newtonsche Himmelsmechanik oder kurz: eine Newtonsche Himmelsmechanik. Kurz: die Theorie geht der Natur voraus und die Natur beugt sich der Theorie.

Vor diesem Hintergrund bereitet es mir keine Schwierigkeiten mehr, kausale Überzeugungen anzuerkennen, die z.B. Krankheiten auf Schadenszauber zurückführen. "Anerkennen" meint dabei, daß ich mir vorstellen kann, in einer Welt zu leben, die kohärent als durch Magie und Zauberei verursacht gedacht wird. Wenn ich so einer wäre, dann würde ein beliebiges Naturereignis modellhaft eine magische Beschwörung oder einen Schadenszauber abbilden. Mit dieser Weltsicht könnte ich prima leben. Warum auch nicht? Denn der theoretische Rahmen, innerhalb dessen die Welt modelliert wird, ist ja nie das ganze, ist niemals die ganze Welt. Darwin, Newton, Einstein, Tod und Teufel - all diese Dinge bilden immer nur einen möglichen Orientierungsrahmen für die Menschen. Daneben gibt es und gab es immer und allerorten so etwas wie einen common sense, gab es den pragmatischen shop keeper von Karl Marx.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon Myron » Mo 26. Apr 2010, 21:57

laie hat geschrieben:"Es gehört zu den wichtigsten philosophischen Erkenntnissen einzusehen, daß und warum es sich bei dieser Auffassung um eine gedankliche Fiktion handelt. ... Die Welt gliedert sich nicht unabhängig von der Sprache in Tatsachen oder auch nur bloß mögliche Sachverhalte. Die Gliederung der Realität in Sachverhalte und Tatsachen ist relativ ... auf eine diese Realität beschreibende Sprache." (Stegmüller, 1970: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band 2: Erfahrung, Festsetzung, Hypothese und Einfachheit in der wissenschaftlichen Begriffs- und Theorienbildung. Springer: 15f.)


Dass eine Welt ohne Sprache eine Welt ohne Tatsachen ist, mag glauben, wer will. Ich glaube es nicht.
(Wenn Tatsachen einfach wahre Aussagesätze sind, dann ist eine Welt ohne Sprache und damit ohne Aussagesätze natürlich eine Welt ohne Tatsachen. Für mich sind Tatsachen als wirkliche Sachverhalte aber von wahren Aussagesätzen verschieden.)

"Man denke sich das Verhältnis von Realismus und Begriffsrelativismus etwa so:
Man nehme sich eine Ecke der Welt, zum Beispiel das Himalaya-Gebirge, und man denke es sich, wie es vor der Existenz menschlicher Wesen war. Nun stelle man sich vor, dass Menschen daherkommen und sich die Tatsachen auf vielfache verschiedene Weise repräsentieren. Sie haben verschiedene Vokabularien, verschiedene Systeme, sich Karten zu machen, verschiedene Systeme, Berge zu zählen, einen Berg, zwei Berge, denselben Berg usf. Als Nächstes stelle man sich vor, dass schließlich alle Menschen aufhören zu existieren, Was passiert nun mit der Existenz des Himalaya und all den Tatsachen hinsichtlich des Himalaya-Gebirges im Verlauf dieser verschiedenen Wechselfälle? Überhaupt nichts. Verschiedene Beschreibungen von Tatsachen, Objekten usf. kamen und gingen, aber die Tatsachen, Objekte usf. blieben unberührt. (Bezweifelt jemand das wirklich?)
Die Tatsache, dass alternative begriffliche Schemata verschiedene Beschreibungen derselben Wirklichkeit zulassen und dass es keine Beschreibungen der Wirklichkeit außerhalb aller begrifflichen Schemata gibt, hat nicht die geringste Auswirkung auf die Wahrheit des Realismus."

(S. 174)

"Aus der Tatsache, dass eine Beschreibung nur relativ auf eine Menge linguistischer Kategorien gemacht werden kann, folgt nicht, dass die beschriebenen Tatsachen/Objekte/Sachverhalte etc. nur relativ auf eine Menge von Kategorien bestehen können. Richtig verstanden ist Begriffsrelativismus eine Darstellung der Art und Weise, wie wir die Anwendungen unserer Ausdrücke festlegen. Was als eine richtige Anwendung des Ausdrucks 'Katze' oder 'Kilogramm' oder 'Canyon' (oder 'Klörg') zählt, hängt von unserer Entscheidung ab und ist insofern willkürlich. Aber wenn wir die Bedeutung solcher Ausdrücke in unserem Vokabular durch willkürliche Definitionen einmal festgelegt haben, dann beruht es nicht länger auf irgendeiner Art Relativismus oder Willkür, ob repräsentationsunabhängige Eigenschaften der Welt diesen Definitionen genügen, weil die Eigenschaften der Welt, die den Definitionen genügen oder nicht, unabhängig von diesen oder anderen Definitionen existieren. Wir definieren das Wort 'Katze' willkürlich auf die und die Art; und nur relativ auf solche und solche Definitionen können wir sagen 'Das ist eine Katze'. Aber sobald wir einmal die Definitionen gemacht haben und sobald wir einmal die Begriffe relativ auf das Definitionssystem angewendet haben, ist es nicht länger willkürlich oder relativ, ob etwas unserer Definition genügt oder nicht. Dass wir das Wort 'Katze' in der Weise benutzen, wie wir es tun, liegt bei uns; dass es ein Objekt gibt, das unabhängig von diesem Gebrauch existiert und diesem Gebrauch genügt, beruht einfach auf einer (absoluten, immanenten, geistesunabhängigen) Tatsache. Im Gegensatz zu Goodman machen wir nicht 'Welten'; wir machen Beschreibungen, die auf die wirkliche Welt passen oder nicht. Aber all dies impliziert, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von unserem Begriffssystem existiert. Ohne eine solche Wirklichkeit gibt es nichts, auf das der Begriff angewendet werden kann."
(S. 176)

(Searle, John R. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Reinbek: Rowohlt, 1997.)
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon ujmp » Mo 26. Apr 2010, 23:02

@myron: Danke für das Zitat.

Hier noch ein Zitat von Nietsche:

Die Sprache als vermeintliche Wissenschaft. — Die Bedeutung der Sprache für die Entwickelung der Cultur liegt darin, dass in ihr der Mensch eine eigene Welt neben die andere stellte, einen Ort, welchen er für so fest hielt, um von ihm aus die übrige Welt aus den Angeln zu heben und sich zum Herrn derselben zu machen. Insofern der Mensch an die Begriffe und Namen der Dinge als an aeternae veritates durch lange Zeitstrecken hindurch geglaubt hat, hat er sich jenen Stolz angeeignet, mit dem er sich über das Thier erhob: er meinte wirklich in der Sprache die Erkenntniss der Welt zu haben. Der Sprachbildner war nicht so bescheiden, zu glauben, dass er den Dingen eben nur Bezeichnungen gebe, er drückte vielmehr, wie er wähnte, das höchste Wissen über die Dinge mit den Worten aus; in der That ist die Sprache die erste Stufe der Bemühung um die Wissenschaft. Der Glaube an die gefundene Wahrheit ist es auch hier, aus dem die mächtigsten Kraftquellen geflossen sind. Sehr nachträglich — jetzt erst — dämmert es den Menschen auf, dass sie einen ungeheuren Irrthum in ihrem Glauben an die Sprache propagirt haben. Glücklicherweise ist es zu spät, als dass es die Entwickelung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, wieder rückgängig machen könnte. — Auch die Logik beruht auf Voraussetzungen, denen Nichts in der wirklichen Welt entspricht, z.B. auf der Voraussetzung der Gleichheit von Dingen, der Identität des selben Dinges in verschiedenen Puncten der Zeit: aber jene Wissenschaft entstand durch den entgegengesetzten Glauben (dass es dergleichen in der wirklichen Welt allerdings gebe). Ebenso steht es mit der Mathematik, welche gewiss nicht entstanden wäre, wenn man von Anfang an gewusst hätte, dass es in der Natur keine exact gerade Linie, keinen wirklichen Kreis, kein absolutes Grössenmaass gebe.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon ujmp » Mo 26. Apr 2010, 23:42

laie hat geschrieben:Ich verstehe Dein Unbehagen.

Nicht wirklich. Ich vermisse in deiner Gedankenwelt das Wort "falsch". Es hört sich alles eine bissel New-Age-mäßig an. Du kannst ja denken was du willst, ich befürchte nur, dass so eine Denkweise keine Probleme Lösen kann. Ich meine es nicht geringschätzig, sondern abwägend: Sie ist nutzlos.

Wenn jemand, der dir nahe steht, sterbenskrank wird, musst du eine Lösung haben, die funktioniert. Da willst du keinen Hokuspokus. Es ist beinahe ein Verbrechen, den fundamentalen Unerschied zwischen der wissenschaftlichen Modellbildung und den Märchen von Priestern, Gurus und Schmanen zu verwischen.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon laie » Di 27. Apr 2010, 08:41

Um auf das Beispiel mit dem Himalaya-Berg zurückzukommen: natürlich existieren Dinge ohne den Menschen und seine Sprache - nur eben undefiniert und unerklärt und eben darum können wir nicht über sie reden. Daher ist auch der Ausgangspunkt: "stellt euch vor, es gibt einen Berg im Himalaya und ihr macht jetzt verschiedene Aussagen über diesen Berg. Ganz egal, was ihr auch immer sagt, der Berg bleibt immer ein Berg" falsch. Es gibt keinen "Berg", denn "Berg" ist wieder ein linguistische Kategorie. Wissen setzt Sprache voraus. Wittgenstein hat dafür die negative Formel geprägt: "Worüber ich nicht reden kann, darüber muss ich schweigen". Egon Friedell in ähnlicher Weise: "Daß die Dinge geschehen, ist nichts. Daß sie gewußt werden ist alles".

Natürlich. Man darf diesen Gedanken nicht zu weit treiben. Habe ich die Bedeutung des Wortes "blau" gelernt, dann ist es eine reine Erfahrungstatsache, daß das Meer blau ist. Nur: der Gedanke, dass ohne den Menschen etwas in sich selbst existiert und eine Bedeutung oder einen Sinn hat oder erklärt werden kann, und dass man sich diesem Sinn zumindest approximativ annähern kann - das ist eine zutiefst platonische, mithin auch christliche Vorstellung. Hier treffen sich Aufklärung und christliche Weltanschauung wieder. Beide gehen davon aus, daß es etwas ausserhalb unserer Sprache oder Bewußtseins gibt, und behaupten, sie hätten den Königsweg gefunden, um dahin zu gelangen.

Im Christentum sind alle Dinge Abbilder eines einzigen göttlichen Urbildes. Es gibt hier auf der Erde nichts, was es nicht schon als Urbild gibt, bzw. was nicht schon im Urbild enthalten wäre. Darum gilt das höchste Streben, die Mannigfaltigkeit des Kosmos auf die göttliche Einfaltigkeit zu reduzieren.

Von diesem Gedanken nicht weit entfernt, zumindest näher dran, als man vielleicht meint, die Sehnsucht der Naturwissenschaftler nach der GUT, der grand unified theory, einer Theorie, deren Gegenstandsbereich die Ontologie aller anderen Theorie beinhaltet (1) und aus deren Gesetzesaussagen die Gesetzesaussagen aller anderen Theorien logisch folgen (2).
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon ujmp » Di 27. Apr 2010, 09:22

laie hat geschrieben:Natürlich. Man darf diesen Gedanken nicht zu weit treiben. Habe ich die Bedeutung des Wortes "blau" gelernt, dann ist es eine reine Erfahrungstatsache, daß das Meer blau ist. Nur: der Gedanke, dass ohne den Menschen etwas in sich selbst existiert und eine Bedeutung oder einen Sinn hat oder erklärt werden kann, und dass man sich diesem Sinn zumindest approximativ annähern kann - das ist eine zutiefst platonische, mithin auch christliche Vorstellung.


Ach was! Es ist eine ganz triviale Alltagserfahrung. Wir brauchen keine christlichen und platonsichen Regenmacher, denn es regnet ganz von selbst.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon laie » Di 27. Apr 2010, 10:30

Wir beschreiben die Wirklichkeit mit Sätzen. "Es regnet". In der Linguistik ist man sich überhaupt nicht sicher, ob hier überhaupt ein Satz vorliegt. Manche sprechen hier lieber von "Wettervokabeln". "Es regnet, das Meer ist blau, mir ist kalt", das mögen mit die einfachsten Erfahrungen sein, die ein Lebewesen machen kann, und vielleicht braucht man dafür auch keine Sprache - spätestens aber, wenn ich diese Erfahrungen mitteilen möchte.

Viele Erfahrungen jedoch, die uns Glaube und Wissenschaft verschaffen, haben nichts mehr mit unseren Sinnen zu tun, sondern weisen über diese hinaus. Höhere Wissen wird nicht mehr sinnlich wahrgenommen wie der Regen, der auf meine Haut tropft. Es ist sprachlich vorformuliert und dann wird die Welt danach "gebaut". Unsere grossen Theorien (Mechanik, Evolution, usw.) sind blosse Orientierungshypothesen, Leitgedanken. Wir trachten dann danach, alle Vorgänge unter diese Leitgedanken zu subsummieren. Scheitern wir damit, so führen wir das Scheitern zunächst einmal auf unsaubere Daten zurück: wir haben halt nicht richtig gemessen und deshalb konnten wir ein bestimmtes Phänomen nicht als Modell für die Evolutionstheorie oder als Modell für die Quantenmechanik bestimmen. Häufen sich diese Anomalien, befindet sich die Orientierungshypothese in einer Krise. Auf dem Weg aus dieser Krise wird der mathematisch-logische Kern der Paradigma-Theorie geändert, werden "störrische" Anwendungen ausgeschlossen usw. Auch das Zusammenspiel von Theorien untereinander wird auf den Prüfstand gestellt. Denn oft stammen die Daten, die in einer Theorie verwendet werden, aus einer anderen Theorie. Beispiel: Orte von Partikeln in der Newtonschen Mechanik werden über eine geometrische Theorie bestimmt. Dieses intertheoretische Zusammenspiel ist höchst kompliziert und Ich möchte bezweifeln, dass zur Korrektur ausgereifter wissenschaftlicher Theorien tatsächlich Alltagserfahrungen wie "Es regnet, das Meer ist blau, mir ist kalt" herangezogen werden. Auch die Korrektur von Theorien führt uns nicht über die Sprache hinaus.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon Myron » Di 27. Apr 2010, 13:23

laie hat geschrieben:Um auf das Beispiel mit dem Himalaya-Berg zurückzukommen: natürlich existieren Dinge ohne den Menschen und seine Sprache…


…Dinge sowie deren Eigenschaften und Beziehungen. Ein elementarer Sachverhalt besteht darin, dass ein Ding eine Eigenschaft besitzt oder (mindestens) zwei Dinge zueinander in einer Beziehung stehen.

laie hat geschrieben: - nur eben undefiniert und unerklärt und eben darum können wir nicht über sie reden.


Dass unser Sprechen über die Welt Sprache (linguistische Codes) voraussetzt, versteht sich von selbst.
Daraus, dass es keine repräsentationssystemunabhängigen Realitätsrepräsentationen geben kann, folgt aber nicht, dass es keine repräsentationssystemunabhängige Realität gibt.

laie hat geschrieben:Es gibt keinen "Berg", denn "Berg" ist wieder ein linguistische Kategorie.


Es gibt den Begriff "Berg" und es gibt Berge, die es auch dann gäbe, wenn es diesen Begriff nicht gäbe.

laie hat geschrieben:Wittgenstein hat dafür die negative Formel geprägt: "Worüber ich nicht reden kann, darüber muss ich schweigen".


Wir können über die Welt reden, und wir tun es auch tagtäglich.

laie hat geschrieben:Nur: der Gedanke, dass ohne den Menschen etwas in sich selbst existiert und eine Bedeutung oder einen Sinn hat oder erklärt werden kann, und dass man sich diesem Sinn zumindest approximativ annähern kann - das ist eine zutiefst platonische, mithin auch christliche Vorstellung. Hier treffen sich Aufklärung und christliche Weltanschauung wieder. Beide gehen davon aus, daß es etwas ausserhalb unserer Sprache oder Bewußtseins gibt, und behaupten, sie hätten den Königsweg gefunden, um dahin zu gelangen.


Ob es eine sprach- und bewusstseinsunabhängige Tatsachenwelt gibt, ist eine Frage; und wie wir an jene Tatsachen erkenntnismäßig herankommen können, ist eine andere Frage.

laie hat geschrieben:Im Christentum sind alle Dinge Abbilder eines einzigen göttlichen Urbildes. Es gibt hier auf der Erde nichts, was es nicht schon als Urbild gibt, bzw. was nicht schon im Urbild enthalten wäre. Darum gilt das höchste Streben, die Mannigfaltigkeit des Kosmos auf die göttliche Einfaltigkeit zu reduzieren.


Der Realismus ist nicht vom Platonismus abhängig.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon Myron » Di 27. Apr 2010, 13:34

Naturgesetze sind übrigens auch Tatsachen - allgemeine Tatsachen.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon laie » Di 27. Apr 2010, 15:01

Myron hat geschrieben:Daraus, dass es keine repräsentationssystemunabhängigen Realitätsrepräsentationen geben kann, folgt aber nicht, dass es keine repräsentationssystemunabhängige Realität gibt.


Ich glaube, wir sind uns einig, daß unser wichtigstes System zur Repräsentation von Phänomenen die Sprache ist. Ich übersetze folglich "repräsentationssystemunabhängig" mit "sprachunabhängig" oder auch "nicht-sprachlich". Dann ist wohl eine "repräsentationssystemunabhängige Realität" eine nicht-sprachliche rsp. sprachunabhängige Realität. Was soll das sein? Was soll ich mir darunter vorstellen? Nichts konkretes vermutlich. Denn sobald die Sache konkret wird, haben wir es mit einer sprachabhängigen Repräsentation der Wirklichkeit zu tun. Oder in Deinen Worten, mit einer "repräsentationsabhängigen Realitätspräsentation"

Myron hat geschrieben:Wir können über die Welt reden, und wir tun es auch tagtäglich.


ja, wir können über die Welt reden, solange wir Begriffe dafür haben. Haben wir diese Begriffe nicht, können wir nicht über die Welt reden. Haben wir andere Begriffe, reden wir anders über die Welt.

Myron hat geschrieben:Ob es eine sprach- und bewusstseinsunabhängige Tatsachenwelt gibt, ist eine Frage; und wie wir an jene Tatsachen erkenntnismäßig herankommen können, ist eine andere Frage.


Nein! Diese beiden Fragen gehören unmittelbar zusammen. Wenn es eine sprach- und bewußtseinsunabhängige Tatsachenwelt gibt, dann können wir getrost ein Programm weiterbetreiben, welches bei Platon beginnt und sich über das Christentum bis hinein in die Aufklärung und darüberhinaus zieht. Wenn wir das tun, dann leugnen wir alle Fortschritte, die im 20. Jahrhundert auf dem Gebiet der Sprachphilosophie gemacht worden sind. Wenn wir jedoch den linguistic turn in der Philosophie ernst nehmen, müssen wir die Welt der "Tatsachen" als eine nach unseren Vorstellungen geschaffene begreifen. Daraus folgt eine gewisse Wertfreiheit bei der Beurteilung alternativer Wissens- und Überzeugungssysteme.

Myron hat geschrieben:Der Realismus ist nicht vom Platonismus abhängig.


Stimmt. Der Platonismus ist eine alte Schule. Aber sie wirkt immer noch nach. Bis hinein in das Denken der aufgeklärtesten, gottlosesten Naturwissenschaftler ( :lachtot:
Es ist an der Zeit, den Platonismus abzulegen.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon Helmut-Soeder » Di 27. Apr 2010, 15:46

Das Thema heißt: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze. Wieso sprechen wir hier zur Klärung dieser Frage vom „Ding an sich“, von „logisch notwendige Wahrheit“, von Platonismus, von Paradigma-Theorie?
Was sind denn eigentlich Naturgesetze? Auf steinernen Tafeln eingemeißelte Worte Gottes? Naturgesetze sind Verhaltensweisen der Materie. Beispiel die Gravitation. Diese ist den Atomen nicht hinzugefügt wie das Salz der Suppe, sondern jedes Atom hat das Bestreben, sich jedem anderen Atom anzunähern.
Zur Klärung unserer Frage wäre also zu prüfen, ob dieses Bestreben bei allen Atomen im Universum besteht und ob es überall gleich stark ist. Wenn ja, dann ist Allgemeingütigkeit wahrscheinlich. Und wenn sich diese auch bei anderen Verhaltensweisen der Atome feststellen lässt, wie das wohl für die Spektren festgestellt werden konnte, dann ist Allgemeingültigkeit hineichend bewiesen.
Meiner Ansicht nach spricht schon die Tatsache hierfür, dass alle größeren Gestirne rund sind, unabhängig von unserer Entfernung zu ihnen. Und ebenso auch ihr Kreisen umeinander.
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Re: Allgemeingültigkeit der Naturgesetze

Beitragvon smalonius » Di 27. Apr 2010, 16:03

Als Erwiderung an Laie:

Die Welt gab es, lange bevor der Mensch aufgetaucht ist, es wird sie weiterhin geben, sollte der Mensch - und mit ihm die Sprache - irgendwann verschwinden.

Die Wirklichkeit ist kein Konstrukt. Man kann nicht beliebig Aussagen über die Welt aufstellen und erwarten, daß sie wahr sind. (Politiker und Päpste ausgenommen. :pfeif:)

laie hat geschrieben:ja, wir können über die Welt reden, solange wir Begriffe dafür haben. Haben wir diese Begriffe nicht, können wir nicht über die Welt reden. Haben wir andere Begriffe, reden wir anders über die Welt.

Seit wann kümmert es die Welt, ob oder wie wir über sie reden?

laie hat geschrieben: Wenn es eine sprach- und bewußtseinsunabhängige Tatsachenwelt gibt, dann können wir getrost ein Programm weiterbetreiben, welches bei Platon beginnt und sich über das Christentum bis hinein in die Aufklärung und darüberhinaus zieht.

Es gibt ein schönes, historisches Beispiel über die "sprach- und bewußtseinsunabhängige Tatsachenwelt".

Die Griechen kannten nur die euklidische Geometrie, also die Geometrie der Ebene. Das hat aber niemanden daran gehindert, über den nicht-euklidischen Ozean zu segeln. Es dauerte bis ins 18te Jahrhundert, bis man eine nicht-euklidisch Geometrie formuliert hat.

Noch länger hat es gedauert, bis uns aufgefallen ist, daß auch die hyperbolische Geometrie hier auf Erden realisiert ist, nämlich bei bestimmen Korallen. Man kann das ausgerechnet durch Häkeln anschaulich und begreifbar machen.

Hyperbolic_Crochet.jpg


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