Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Mo 17. Feb 2014, 15:57

Auch jemand mit dem Tourette-Syndrom kann frei entscheiden. Er kann vielleicht seine Schreie und Zuckungen nicht immer verhindern, aber er kann sich entscheiden, ob er seine Anwandlungen öffentlich macht, wo er hingehen mag, damit er sich sicher fühlen kann und er kann entscheiden, ob er jetzt ein Bier trinkt oder erst später. Wenn er jemanden unwillkürlich als stinkendes Sauschwein betitelt, kann er vielleicht nichts dafür, aber er kann sich dennoch hinterher entscheiden, ob er das erklären mag.
Also wirklich, ich finde das kein gutes Beispiel um den Inkompatibilismus zu erklären.

LG stine
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 17. Feb 2014, 16:22

Klar, auch jemand mit einem Tourette Syndrom ist rational.

Aber ein mögliches inkompatibilistisches Argument ist, dass Freiheit dann umfassender ist (als im kompatibilistischen Kontext), wenn Elemente des Zufalls oder der Willkür einfließen.
Beim Tourette Syndrom ist eben dies der Fall, dass ein an sich rationaler Mensch (viele Touretteler sind sehr intelligent), immer wieder von Zufällen und Willkür (die ihm geschehen, die er nicht kontrollieren kann) in die "größere Freiheit" erhoben wird.

Fragt man Menschen mit einem Tourette Syndrom, ob sie das auch als größere Freiheit empfinden, äußern sie sich in aller Regel anders.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Mi 19. Feb 2014, 21:05

stine hat geschrieben:Wieso sollte Lob oder Tadel etwas bewirken? Dann wäre der Erfolg von einem bewussten Verhalten abhängig und das ist es doch genau, was Deterministen abstreiten.

Ein bewusstes Verhalten, das Nachdenken, Reflektieren, all das können doch wunderbare Gründe für eine bestimmte Entscheidung sein. Und alles was die Deterministen behaupten, ist, dass eine Entscheidung nicht vom Himmel fällt, sondern aus Gründen erfolgt. Deshalb also kann Lob und Tadel sehr wohl eine Wirkung haben. Wie Sam Harris schreibt, beeinflusst ein Tadeö bestimmt irgendwelche nervlichen Pegel und bestimmt mit, wie bei dem Golfer im nächsten Versuch die genaue nervliche Balance erreicht wird, die beispielsweise für feinmotorische Sachen nötig sein könnte. Irgendwie so.

stine hat geschrieben:Wenn ich tadle und der Getadelte baut trotzdem wieder Mist, kann er dann immer noch nichts dafür?

Genau. Der Tadel war ein kausaler Faktor. Es gab weitere unzählige Faktoren (innere Zustände, Gedanken, Muskelspannungen,...). Und dass der Getadelte immer noch nicht trifft (falls du jetzt noch den Golfer meinst) ist ein Ergebnis all dieser Faktoren. Ein unausweichliches Ergebnis, so dass der Golfer gar nicht anders konnte und deshalb nicht schuld ist.

stine hat geschrieben:Wenn ich lobe und der Gelobte verbessert sich, dann war das Zufall oder was?

Nein. Eben nicht Zufall laut Determinismus. Sondern das unausweichliche Ergebnis der Gründe. Also auch hier keine Schuld (im positiven Sinne). Ein richtig guter Golfer kann sich also im Grunde genommen darauf nicht wirklich etwas einbilden. Sein gutes Spiel ist das Ergebnis von kausalen Faktoren.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 19. Feb 2014, 21:11

ganimed hat geschrieben:Ein bewusstes Verhalten, das Nachdenken, Reflektieren, all das können doch wunderbare Gründe für eine bestimmte Entscheidung sein. Und alles was die Deterministen behaupten, ist, dass eine Entscheidung nicht vom Himmel fällt, sondern aus Gründen erfolgt.

Gründen oder Ursachen?

Gründe hieße: Ich entscheide mich dafür, weil ...
Ursachen hieße: Mir passiert es, dass ...

Kannst Du Dich dieser Unterscheidung anschließen, oder ist für Dich beides dasselbe?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Mi 19. Feb 2014, 21:15

ujmp hat geschrieben:Das Wort "frei" verlangt immer ein Objekt: Frei, wovon? Es ist völlig koherent, dieses Wovon als Exklusion anzugeben, d.h. anzugeben, wovon eine Entscheidung abhängen darf, wie z.B. "von Gründen, aber von sonst nichts".

Spitzfindig aber für sich genommen vermutlich schlüssig. Nur, die Kompatibilisten geben eine Exklusion an, wovon eine Entscheidung abhängen MUSS, damit sie frei ist.
Es ist also durchaus nicht so, dass eine Entscheidung, die von gar nichts abhängt, als frei bezeichnet würde. Sie muss von Gründen abhängen um frei zu sein. Das ist inkohärent mit der Bedeutung des Wortes "frei". Frei bedeutet normalerweise die Abwesenheit von Abhängigkeit und nicht explizit die Anwesenheit. Meiner Ansicht nach ist es also kohärent, die Kompatibilisten der Wortverdreherei zu beschuldigen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Mi 19. Feb 2014, 21:18

Vollbreit hat geschrieben:Gründe hieße: Ich entscheide mich dafür, weil ...
Ursachen hieße: Mir passiert es, dass ...
Kannst Du Dich dieser Unterscheidung anschließen, oder ist für Dich beides dasselbe?

Es geht ja darum, von was die Entscheidung abhängt. In diesem Zusammenhang kann ich keinen relevanten Unterschied zwischen inneren Faktoren und äußeren Faktoren ausmachen. Nur ein Kompatibilist, der mit "Freiheit" lediglich die gefühlte Freiheit meint, für den macht es einen ganz entscheidenden Unterschied, weil sich fremde, äußere Gründe wie Zwang anfühlen und dann als unfrei empfunden werden, während innere Ursachen sich frei anfühlen.
Oder gibt es einen anderen Grund, wieso du diese Unterscheidung vornimmst?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Mi 19. Feb 2014, 21:41

AgentProvocateur hat geschrieben:Nehmen wir nochmal den fiktiven Herrn Müller von oben, der mich betrogen hat. Hatte er die Wahlmöglichkeit, mich nicht zu betrügen? Ja, Herr Müller kann seine Zukunft beeinflussen, wie Du oben zugegeben hast. (Und, Zitat von Dir: "Habe ich jemals behauptet, dass man nicht wählen kann?")

Nein, Herr Müller hatte keine FREIE Wahlmöglichkeit, dich zu betrügen. Denn er hat seine Zukunft vorher ja genau so beeinflusst, wie die kausalen Faktoren das vorgegeben haben. Ob er also selbst die Kette gebaut hat, an der er hängt, oder ob ihm die Kette von außen zustößt ist völlig schnuppe. Wichtig ist doch nur, dass er an einer kausalen Kette hängt in dem Moment, wo er sich entscheidet (aber nicht frei), dich zu betrügen. Es ist nicht seine Schuld, dass er sich zum Betrügen entschloss, es ist nicht seine Schuld, wie auch immer er vorher seine Zukunft beeinflusste, usw. usw.
Weil für den Wikipedia-Schuld-Begriff die notwendige Bedingung, dass man auch anders hätte können müssen, nicht erfüllt ist. Ist doch logisch, oder?

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben: Du hast nun aber behauptet, dass es einen logischen Widerspruch darstellen würde, wenn Inkompis diese Form von Schuld ablehnen aber gleichzeit doch loben und tadeln wollen. Habe ich das richtig verstanden? Siehst du diesen Widerspruch jetzt immernoch oder konnten wir das klären?

Ja, das hast Du richtig verstanden, ja, ich sehe diesen Widerspruch immer noch und nein, wir konnten das noch nicht klären.

Dann wiederhole und begründe mal bitte diesen angeblichen Widerspruch. Ich verstehe nämlich momentan nicht so recht, was noch unklar sein könnte.

AgentProvocateur hat geschrieben:1. "Entscheidung" ist eine Substantivierung des Verbes "entscheiden", so wie "Handlung" eine Substantivierung des Verbes "handeln" ist. Richtig?

Willst du etwa darauf hinaus, dass eine Entscheidung eine Handlung sei? Und dass demzufolge Handlungsfreiheit genügte, um freie Entscheidungen zu erzeugen? Also bitte, mit solchen billigen Tricks wollen wir doch wohl hoffentlich beide nichts zu tun haben. Denn die Entscheidung als Handlung kann ich frei nennen, in dem Sinne der Handlungsfreiheit, dass ich also ungehindert entscheiden konnte. Wenn ich aber von einer freien Entscheidung spreche, dann meine ich frei im Sinne der kausalen Abhängigkeit.
Falls dein Argument mit der Substantivierung irgendeinen anderen Hintergrund hat, dann erläutere den mal bitte. Dann gehe ich da gerne drauf ein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Für etwas, das außerhalb seiner bewussten Kontrolle liegt, darf man mE nicht verantwortlich gemacht werden.

"Und für etwas, dass innerhalb der bewussten Kontrolle liegt, darf man verantwortlich gemacht werden, weil es sich so anfühlte, als sei man frei und der Determinismus wunderbarerweise außer Kraft." Habe ich damit deine Position richtig vervollständigt?
Meine Position wäre, dass, egal ob bewusst oder unbewusst, die Entscheidung deshalb unfrei ist, weil man sie gemäß der Faktoren trifft und sie deshalb festgelegt ist, ohne Spielraum, ohne Freiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich will darauf hinaus, dass der Tourette-Mensch keine bewusste Kontrolle über sein Verhalten hat und deswegen (nach meinen Begriffen) weder frei wäre, noch verantwortlich, noch schuldig für sein Verhalten gemacht werden dürfte.

Ja wieso eigentlich? Wieso ist der Tourette-Mensch unschuldig? Es waren schließlich seine eigenen Neuronen bzw. bestimmte Eigenschaften dieser Neuronen, die zu einer unbewussten Entscheidung geführt haben. Und diese Neuronen machen nicht einen Teil seiner Identität aus? Wieso unterteilst du einen Menschen in menschliche, bewusste, verantwortliche Teile und unmenschliche, unbewusste, unverantwortliche Teile? Wo verläuft bei dir diese Trennlinie? Und wieso sind die unbewussten unschuldig?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 19. Feb 2014, 21:59

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Gründe hieße: Ich entscheide mich dafür, weil ...
Ursachen hieße: Mir passiert es, dass ...
Kannst Du Dich dieser Unterscheidung anschließen, oder ist für Dich beides dasselbe?

Es geht ja darum, von was die Entscheidung abhängt. In diesem Zusammenhang kann ich keinen relevanten Unterschied zwischen inneren Faktoren und äußeren Faktoren ausmachen. Nur ein Kompatibilist, der mit "Freiheit" lediglich die gefühlte Freiheit meint, für den macht es einen ganz entscheidenden Unterschied, weil sich fremde, äußere Gründe wie Zwang anfühlen und dann als unfrei empfunden werden, während innere Ursachen sich frei anfühlen.
Oder gibt es einen anderen Grund, wieso du diese Unterscheidung vornimmst?

Auf dieser Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen wird bei der Diskussion oft herumgeritten.
Aber ich verstehe glaube ich, wie Dir das erscheint, dass man nämlich für seine Gründe nichts kann (ich wähle also nicht eine Begründung und bin in dem Sinne kein verantwortlicher Akteur), sondern sie passieren mir, wie rote Haare oder grüne Augen.
Stimmt das?

Da kämen wir dann nicht zusammen, macht aber nichts, ich wollte erstmal nur wissen, ob Du mit der Unterscheidung etwas anfangen kannst und für Dich hat sie keine Relevanz.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 19. Feb 2014, 22:20

ganimed hat geschrieben:Ja wieso eigentlich? Wieso ist der Tourette-Mensch unschuldig? Es waren schließlich seine eigenen Neuronen bzw. bestimmte Eigenschaften dieser Neuronen, die zu einer unbewussten Entscheidung geführt haben. Und diese Neuronen machen nicht einen Teil seiner Identität aus? Wieso unterteilst du einen Menschen in menschliche, bewusste, verantwortliche Teile und unmenschliche, unbewusste, unverantwortliche Teile? Wo verläuft bei dir diese Trennlinie? Und wieso sind die unbewussten unschuldig?


Philipp Kampschroer hat geschrieben:Settembrini echauffiert sich. Schon wieder kann Hans Castorp nicht folgen und rechtfertigt sich: Er habe seit Langem keine Zeitung mehr gelesen und könne folglich nichts von diesem Erdbeben mitbekommen haben. Settembrini schließt die Augen und schüttelt seine „kleine braune Hand in der Luft“. Er rede doch nicht von einem aktuellen Ereignis, sondern von der „Erschütterung, die Lissabon heimsuchte, im Jahre 1755“, sogar Voltaire habe sich deswegen empört und protestiert „im Namen des Geistes und der Vernunft gegen diesen skandalösen Unfug der Natur, dem drei Viertel einer blühenden Stadt und Tausende von Menschenleben zum Opfer fielen…“
http://literaturundfeuilleton.wordpress ... erschlang/


Voltaire protestiert im Namen der Vernunft gegen ein Erdbeben.
Ist er ein Narr?

Wenn ich Dich recht verstehe, nein, denn ob Neuronen feuern, Gründe auftauchen oder Erdbeben, macht für Dich in dem Sinne keinen Unterschied, als in allen Fällen Naturereignisse passieren.
Deute ich das richtig?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 20. Feb 2014, 18:31

ganimed hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Wieso sollte Lob oder Tadel etwas bewirken? Dann wäre der Erfolg von einem bewussten Verhalten abhängig und das ist es doch genau, was Deterministen abstreiten.

Ein bewusstes Verhalten, das Nachdenken, Reflektieren, all das können doch wunderbare Gründe für eine bestimmte Entscheidung sein. Und alles was die Deterministen behaupten, ist, dass eine Entscheidung nicht vom Himmel fällt, sondern aus Gründen erfolgt.

Jedoch Indeterministen sind nun etwas anderes als Deterministen; Indeterministen behaupten wohl, dass etwas vom Himmel fallen müsse, damit jemand frei und verantwortlich bzw. schuldig sein könne. Aber wieso, was ist der Grund dafür? Und wie kann man sich dieses "vom Himmel fallen" konkret vorstellen?

ganimed hat geschrieben:Deshalb also kann Lob und Tadel sehr wohl eine Wirkung haben. Wie Sam Harris schreibt, beeinflusst ein Tadeö bestimmt irgendwelche nervlichen Pegel und bestimmt mit, wie bei dem Golfer im nächsten Versuch die genaue nervliche Balance erreicht wird, die beispielsweise für feinmotorische Sachen nötig sein könnte. Irgendwie so.

Frage: wer oder was sind Akteure in diesem Szenario? Wer oder was lobt bzw. tadelt wen oder was?

ganimed hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Wenn ich tadle und der Getadelte baut trotzdem wieder Mist, kann er dann immer noch nichts dafür?

Genau. Der Tadel war ein kausaler Faktor. Es gab weitere unzählige Faktoren (innere Zustände, Gedanken, Muskelspannungen,...). Und dass der Getadelte immer noch nicht trifft (falls du jetzt noch den Golfer meinst) ist ein Ergebnis all dieser Faktoren. Ein unausweichliches Ergebnis, so dass der Golfer gar nicht anders konnte und deshalb nicht schuld ist.

Kann man entscheiden, ob man in einer bestimmten Situation tadelt oder kann man das nicht entscheiden? Und wenn nicht: wer oder was entscheidet das z.B. an Deiner Stelle?

ganimed hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Wenn ich lobe und der Gelobte verbessert sich, dann war das Zufall oder was?

Nein. Eben nicht Zufall laut Determinismus. Sondern das unausweichliche Ergebnis der Gründe. Also auch hier keine Schuld (im positiven Sinne). Ein richtig guter Golfer kann sich also im Grunde genommen darauf nicht wirklich etwas einbilden. Sein gutes Spiel ist das Ergebnis von kausalen Faktoren.

Und diese kausalen Faktoren sind alle außerhalb des Golfers anzusiedeln? Ist es nicht so, dass ein guter Golfer vorher lange trainiert hat, um ein guter Golfer zu werden? Was aber dann etwas mit ihm zu hätte, oder? Und was man ihm daher zuzurechnen könnte, oder?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 20. Feb 2014, 18:47

ganimed hat geschrieben:Es geht ja darum, von was die Entscheidung abhängt. In diesem Zusammenhang kann ich keinen relevanten Unterschied zwischen inneren Faktoren und äußeren Faktoren ausmachen.

Doch, hast Du doch oben selber gesagt: es ergibt keinen rechten Sinn, jemanden zu loben oder zu tadeln für etwas, über das er keine bewusste Kontrolle hat. Herrn Müller dafür zu tadeln, dass er stark schwitzt, ist sinnlos, (denn über sein Schwitzen hat er keine bewusste Kontrolle), ihn jedoch dafür zu tadeln, dass er mich betrogen hat, ergibt deswegen einen Sinn, weil das einen Einfluss auf ihn und/oder auf Andere haben kann.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 20. Feb 2014, 19:29

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nehmen wir nochmal den fiktiven Herrn Müller von oben, der mich betrogen hat. Hatte er die Wahlmöglichkeit, mich nicht zu betrügen? Ja, Herr Müller kann seine Zukunft beeinflussen, wie Du oben zugegeben hast. (Und, Zitat von Dir: "Habe ich jemals behauptet, dass man nicht wählen kann?")

Nein, Herr Müller hatte keine FREIE Wahlmöglichkeit, dich zu betrügen. Denn er hat seine Zukunft vorher ja genau so beeinflusst, wie die kausalen Faktoren das vorgegeben haben. Ob er also selbst die Kette gebaut hat, an der er hängt, oder ob ihm die Kette von außen zustößt ist völlig schnuppe.

Das ist hier sehr wohl wesentlich, siehe meinen vorherigen Beitrag.

ganimed hat geschrieben:Wichtig ist doch nur, dass er an einer kausalen Kette hängt in dem Moment, wo er sich entscheidet (aber nicht frei), dich zu betrügen. Es ist nicht seine Schuld, dass er sich zum Betrügen entschloss, es ist nicht seine Schuld, wie auch immer er vorher seine Zukunft beeinflusste, usw. usw.
Weil für den Wikipedia-Schuld-Begriff die notwendige Bedingung, dass man auch anders hätte können müssen, nicht erfüllt ist. Ist doch logisch, oder?

Nein, ist es nicht. "Anders handeln können" kann man auf zweierlei Weise verstehen: 1. als grundsätzliche Fähigkeit (z.B.: "wir können entscheiden, ob wir jemanden loben/tadeln") und 2. als inkompatibilistische Forderung. Die 1 ist auch in einer determinierten Welt gegeben, die 2 ist (zumindest mir) immer noch völlig unklar. Ich denke, der Inkompatibilist müsste mal näher darlegen, a) was er überhaupt genau damit meint und b) wieso er meint, dass das notwendige Voraussetzung für gerechtfertigte Schuldzuschreibung sein müsse.

ganimed hat geschrieben:Dann wiederhole und begründe mal bitte diesen angeblichen Widerspruch [jemand lehnt Schuld ab, jedoch nicht Lob und Tadel]. Ich verstehe nämlich momentan nicht so recht, was noch unklar sein könnte.

Nochmal: ich verstehe unter Schuld dieses: jemand ist verantwortlich für einen Normverstoß. Wenn jemand zustimmt, dass Verantwortung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt zugewiesen werden kann, dann muss er demnach auch zustimmen, dass Schuld unter bestimmten Umständen gerechtfertigt zugewiesen werden kann.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:1. "Entscheidung" ist eine Substantivierung des Verbes "entscheiden", so wie "Handlung" eine Substantivierung des Verbes "handeln" ist. Richtig?

Willst du etwa darauf hinaus, dass eine Entscheidung eine Handlung sei? Und dass demzufolge Handlungsfreiheit genügte, um freie Entscheidungen zu erzeugen?

Nein, das will ich damit nicht sagen. Ich unterscheide zwischen Handlungsfreiheit (jemand kann tun, was er will) und Entscheidungsfreiheit (jemand ist in der Lage dazu, eine Situation angemessen zu erkennen, passende Optionen zu generieren und die ihm am besten erscheinende auszuwählen).

ganimed hat geschrieben:Denn die Entscheidung als Handlung kann ich frei nennen, in dem Sinne der Handlungsfreiheit, dass ich also ungehindert entscheiden konnte. Wenn ich aber von einer freien Entscheidung spreche, dann meine ich frei im Sinne der kausalen Abhängigkeit.

Verstehe ich nicht. Eine Entscheidung ist Deiner Ansicht nach sowohl eine Handlung und insofern frei, als auch eine Entscheiung, aber als Entscheidung nicht frei, weil Du an eine Entscheidungs-Entscheidung die Anforderung stellst, dass diese kausal unabhängig sein müsse? Wieso?

ganimed hat geschrieben:Falls dein Argument mit der Substantivierung irgendeinen anderen Hintergrund hat, dann erläutere den mal bitte. Dann gehe ich da gerne drauf ein.

Mein Punkt hier war der: Du sagst, eine Entscheidung müsse kausal unabhängig sein, um als frei in Deinem Sinne gelten zu können. Da "Entscheidung" eine Substantivierung von "entscheiden" ist, möchte ich nun gerne von Dir wissen, wann Deiner Ansicht nach der Satz: "ich habe frei entschieden" wahr ist. Eine Entscheidung ist keine eigenständige Entität, daher ergibt es keinen Sinn, zu fordern, eine Entscheidung müsse unabhängig von Allem (also auch dem Entscheider) sein. Ebensowenig, wie es Sinn ergäbe, zu fordern, eine freie Handlung müsse unabhängig von Allem (also auch dem Handelnden) sein.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Für etwas, das außerhalb seiner bewussten Kontrolle liegt, darf man mE nicht verantwortlich gemacht werden.

"Und für etwas, dass innerhalb der bewussten Kontrolle liegt, darf man verantwortlich gemacht werden, weil es sich so anfühlte, als sei man frei und der Determinismus wunderbarerweise außer Kraft." Habe ich damit deine Position richtig vervollständigt?

Nein, man kann sich, wie gesagt, 1. darüber irren, ob etwas in seiner bewussten Kontrolle lag oder nicht - nach Deiner Lesweise wäre das unmöglich und 2. meine ich, dass Determinismus dabei keine Rolle spielt, ich z.B. habe nicht das Gefühl, dass ich irgendwie indeterminiert entscheiden und handeln würde.

ganimed hat geschrieben:Meine Position wäre, dass, egal ob bewusst oder unbewusst, die Entscheidung deshalb unfrei ist, weil man sie gemäß der Faktoren trifft und sie deshalb festgelegt ist, ohne Spielraum, ohne Freiheit.

Klar trifft man Entscheidungen aufgrund der in der jeweiligen Situation ausschlaggebenden Faktoren. Und klar ist eine Entscheidung irgendwann festgelegt. Erstens ist das mE gar nicht anders denkbar und zweitens sehe ich das Problem dabei immer noch nicht.

Es wäre an der Stelle mal wieder wirklich sehr hilfreich, wenn Du mal beispielhaft eine freie Entscheidung in Deinem Sinne skizzieren könntest. Gar nicht hilfreich wäre es aber, wenn Du wieder sagtest, Freiheit in Deinem Sinne sei logisch unmöglich.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich will darauf hinaus, dass der Tourette-Mensch keine bewusste Kontrolle über sein Verhalten hat und deswegen (nach meinen Begriffen) weder frei wäre, noch verantwortlich, noch schuldig für sein Verhalten gemacht werden dürfte.

Ja wieso eigentlich? Wieso ist der Tourette-Mensch unschuldig? Es waren schließlich seine eigenen Neuronen bzw. bestimmte Eigenschaften dieser Neuronen, die zu einer unbewussten Entscheidung geführt haben. Und diese Neuronen machen nicht einen Teil seiner Identität aus? Wieso unterteilst du einen Menschen in menschliche, bewusste, verantwortliche Teile und unmenschliche, unbewusste, unverantwortliche Teile? Wo verläuft bei dir diese Trennlinie? Und wieso sind die unbewussten unschuldig?

Siehe dazu nochmal meinen vorherigen Beitrag.

Und nochmal anders: Verantwortungs- und Schuldzuweisung hat mE eine soziale Funktion. Es ergibt keinen Sinn, jemandem mit Tourette-Syndrom seine von ihm nicht kontrollierbaren Zuckungen vorzuwerfen, denn dieser Vorwurf ändert nichts an seinen Zuckungen, (und auch nichts an den Zuckungen Anderer mit Tourette-Syndrom).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Do 20. Feb 2014, 19:38

Vollbreit hat geschrieben:Aber ich verstehe glaube ich, wie Dir das erscheint, dass man nämlich für seine Gründe nichts kann (ich wähle also nicht eine Begründung und bin in dem Sinne kein verantwortlicher Akteur), sondern sie passieren mir, wie rote Haare oder grüne Augen.
Stimmt das?

Das stimmt. Wobei das was du in Klammern schreibst aber nicht stimmt.
Ich wähle durchaus eine Begründung. Und für diese Begründung bin ich dann auch verantwortlich. Man kann mir die Wahl dieser Begründung zuordnen. Weil diese Wahl beispielsweise in meinem Kopf erfolgte mit allen dort zur Verfügung stehenden Ressourcen (Erinnerungen, Neigungen, Prägungen,...). Aber es gab keinen Moment bei dieser Wahl, bei dem ich anders gekonnt hätte. Die Wahl war ein neuronaler Prozess, der deterministisch ablief. Ich hätte in der jeweiligen Situation nicht anders wählen können. Deshalb war diese Wahl nicht frei und ich bin zwar verantwortlich aber nicht schuldig.

Vollbreit hat geschrieben:Voltaire protestiert im Namen der Vernunft gegen ein Erdbeben.
Ist er ein Narr?

Ich verstehe noch nicht so ganz, was Voltaire da tut. Macht er dem Erdbeben einen Vorwurf? Oder bedauert er nur das Erdbeben? Wem gibt er die Schuld? Und wofür?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Do 20. Feb 2014, 20:23

AgentProvocateur hat geschrieben:Indeterministen behaupten wohl, dass etwas vom Himmel fallen müsse, damit jemand frei und verantwortlich bzw. schuldig sein könne. Aber wieso, was ist der Grund dafür? Und wie kann man sich dieses "vom Himmel fallen" konkret vorstellen?

Wenn nichts vom Himmel fällt, dann ist es festgelegt. FESTgelegt. Das meint das Gegenteil von frei. Das ist der Grund dafür. Und dieser Grund hat auch dann Bestand wenn man sich das "vom Himmel fallen" konkret gar nicht vorstellen kann. Deine Frage nach der konkreten Vorstellung ist also eigentlich irrelevant.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Wie Sam Harris schreibt, beeinflusst ein Tadeö bestimmt irgendwelche nervlichen Pegel und bestimmt mit, wie bei dem Golfer im nächsten Versuch die genaue nervliche Balance erreicht wird, die beispielsweise für feinmotorische Sachen nötig sein könnte. Irgendwie so.

Frage: wer oder was sind Akteure in diesem Szenario? Wer oder was lobt bzw. tadelt wen oder was?

Ich meine mich zu erinnern, dass Sam Harris beim Golfer-Szenario davon sprach, dass sich der Golfer über sich selber ärgert, also sich selber tadelt.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ein richtig guter Golfer kann sich also im Grunde genommen darauf nicht wirklich etwas einbilden. Sein gutes Spiel ist das Ergebnis von kausalen Faktoren.

Und diese kausalen Faktoren sind alle außerhalb des Golfers anzusiedeln? Ist es nicht so, dass ein guter Golfer vorher lange trainiert hat, um ein guter Golfer zu werden? Was aber dann etwas mit ihm zu hätte, oder? Und was man ihm daher zuzurechnen könnte, oder?

Ja. Viele Faktoren sind dem Golfer zuzurechnen, die meisten vermutlich. Für einige dieser Faktoren ist er verantwortlich. An keinem ist er Schuld, denn er konnte ja in der jeweiligen Faktor-Entstehungs-Situation gar nicht anders entscheiden und handeln. Sein gutes Spiel kann also nicht als seine Schuld bzw. sein Verdienst angesehen werden.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Es geht ja darum, von was die Entscheidung abhängt. In diesem Zusammenhang kann ich keinen relevanten Unterschied zwischen inneren Faktoren und äußeren Faktoren ausmachen.

Doch, hast Du doch oben selber gesagt: es ergibt keinen rechten Sinn, jemanden zu loben oder zu tadeln für etwas, über das er keine bewusste Kontrolle hat. Herrn Müller dafür zu tadeln, dass er stark schwitzt, ist sinnlos, (denn über sein Schwitzen hat er keine bewusste Kontrolle), ihn jedoch dafür zu tadeln, dass er mich betrogen hat, ergibt deswegen einen Sinn, weil das einen Einfluss auf ihn und/oder auf Andere haben kann.

Bei der Frage, ob die Entscheidung frei ist, ist es irrelevant, ob die kausalen Faktoren von innen oder außen stammen, bewusst oder unbewusst waren. Bei der Frage, ob Tadel/Lob einen Sinn hat, stimmt, da ist es nicht irrelevant.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Weil für den Wikipedia-Schuld-Begriff die notwendige Bedingung, dass man auch anders hätte können müssen, nicht erfüllt ist. Ist doch logisch, oder?

Nein, ist es nicht. "Anders handeln können" kann man auf zweierlei Weise verstehen: 1. als grundsätzliche Fähigkeit (z.B.: "wir können entscheiden, ob wir jemanden loben/tadeln") und 2. als inkompatibilistische Forderung.

Na nun rate mal, auf welche dieser zweierlei Weisen ich den Ausdruck stets meine. Genau. Als (2.). Und damit ist doch jetzt hoffentlich der angebliche logische Widerspruch vom Tisch. Denn ein Widerspruch wäre es ja nur, wenn meine Aussagen sich widersprächen ohne dass du mir deine Bedeutung (1.) unterjubelst. Jemandem einen Widerspruch vorwerfen, nachdem man einen zentralen Begriff anders deutet als der Autor gemeint hat, ist ja wohl unlogisch.

Und außerdem finde ich, dass deine Interpretation von "anders handeln können" als "grundsätzliche Fähigkeit" falsch ist. Der Mörder hat sein Opfer erschossen. Er hätte anders handeln können (im Sinne einer grundsätzlichen Fähigkeit), nämlich er hätte auch Rommee spielen können (da ihm das seine Tante Trude mal beigebracht hat). Da er somit über die grundsätzliche Fähigkeit einer Andershandlung verfügt, ist er also des Mordes schuldig. Ein Mörder wäre nach dieser bescheuerten Logik nur dann unschuldig, wenn er wirklich nur eine einzige grundsätzliche Fähigkeit hätte: abdrücken. Rommee spielen, mit den Augen blinzeln, lesen, Buschwindröschen am Geruch erkennen, all das dürfte er nicht können. So einen Menschen gibt es aber nicht. Jeder kann zwei oder sogar noch mehr Dinge. Es ist jedoch völlig irrwitzig, diese Fähigkeiten als relevant für die Schuldfrage anzusehen. Deine Interpretation (1.) solltest du dringend überdenken.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nochmal: ich verstehe unter Schuld dieses: jemand ist verantwortlich für einen Normverstoß. Wenn jemand zustimmt, dass Verantwortung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt zugewiesen werden kann, dann muss er demnach auch zustimmen, dass Schuld unter bestimmten Umständen gerechtfertigt zugewiesen werden kann.

Auch nochmal: ich verstehe unter Schuld nicht dieses. Und dann muss ich auch nicht tun, was du da logisch ableitest. Ich (und Wikipedia) verstehe unter Schuld: jemand ist verantwortlich für einen Normverstoß und hätte in der Situation anders handeln können. Und genau weil ich das so verstehe, leitet sich für mich logisch dann auch etwas anderes ab. Nämlich dass Schuld im Determinismus nie zugewiesen werden kann.

AgentProvocateur hat geschrieben:Verstehe ich nicht. Eine Entscheidung ist Deiner Ansicht nach sowohl eine Handlung und insofern frei, als auch eine Entscheiung, aber als Entscheidung nicht frei, weil Du an eine Entscheidungs-Entscheidung die Anforderung stellst, dass diese kausal unabhängig sein müsse? Wieso?

Einmal ist die Handlungsfreiheit gemeint und einmal ist die Entscheidungsfreiheit gemeint. Das verstehst du nicht?

AgentProvocateur hat geschrieben:Eine Entscheidung ist keine eigenständige Entität, daher ergibt es keinen Sinn, zu fordern, eine Entscheidung müsse unabhängig von Allem (also auch dem Entscheider) sein.

Nun mal langsam. Ich hätte gefordert, dass eine Entscheidung von Allem unabhängig ist? Das stimmt doch gar nicht. Ich fordere nur, dass du eine Entscheidung, welche vollständig abhängig ist (und damit völlig festgelegt ist) nicht frei nennst. Ich habe nichts gegen solche Entscheidungen. Ich fordere keine neuen, bisher undenkbare Arten von Entscheidungen. Also höre auf, mich danach zu fragen, wie man sich eine freie Entscheidung nach meinen Vorstellungen vorstellen müsse. Ich fordere dich nur immer wieder auf, mir zu erklären, wieso du etwas völlig festgelegtes als frei bezeichnest. Und deine Antwort ist regelmäßig: weil es von bestimmten Dingen festgelegt ist. Und das ist eine schlechte Antwort. Wenn es festgelegt ist, dann nennen wir es doch lieber nicht frei, oder?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 21. Feb 2014, 01:24

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Indeterministen behaupten wohl, dass etwas vom Himmel fallen müsse, damit jemand frei und verantwortlich bzw. schuldig sein könne. Aber wieso, was ist der Grund dafür? Und wie kann man sich dieses "vom Himmel fallen" konkret vorstellen?

Wenn nichts vom Himmel fällt, dann ist es festgelegt. FESTgelegt. Das meint das Gegenteil von frei. Das ist der Grund dafür. Und dieser Grund hat auch dann Bestand wenn man sich das "vom Himmel fallen" konkret gar nicht vorstellen kann. Deine Frage nach der konkreten Vorstellung ist also eigentlich irrelevant.

Nun, wir gehen hier for the sake of argument einfach mal davon aus, dass unsere Welt determiniert sei. Und determiniert bedeutet festgelegt, ja. Nur kann ich nun immer noch keinen Grund dafür sehen, dass die Gleichung "frei = nicht determiniert" gilt. So einen Grund würde ich aber gerne sehen wollen. Mir scheint, dass Du das einfach als petitio principii hier setzt, aber das giltet nicht, denn das ist ja der strittige Punkt zwischen uns. Einen Beweis durch Behauptung kann ich ebensowenig akzeptieren, wie Du einen Beweis durch Behauptung akzeptieren würdest.

Und die Frage nach der konkreten Vorstellung mag nicht besonders relevant sein. Es wäre lediglich wohl ziemlich hilfreich für Deine Position, wenn Du die liefern könntest, falls Du dadurch meinen Freiheitsbegriff plausiblerweise als obsolet/nicht hinreichend machen könntest. Wenn Du Deine Behauptung ("festgelegt ist das Gegenteil von frei") aber nicht auf diese Weise plausibel machen kannst, dann benötigst Du mindestens ein anderes Argument für Deine Ansicht.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Frage: wer oder was sind Akteure in diesem Szenario? Wer oder was lobt bzw. tadelt wen oder was?

Ich meine mich zu erinnern, dass Sam Harris beim Golfer-Szenario davon sprach, dass sich der Golfer über sich selber ärgert, also sich selber tadelt.

Gut.

ganimed hat geschrieben:Viele Faktoren sind dem Golfer zuzurechnen, die meisten vermutlich. Für einige dieser Faktoren ist er verantwortlich. An keinem ist er Schuld, denn er konnte ja in der jeweiligen Faktor-Entstehungs-Situation gar nicht anders entscheiden und handeln. Sein gutes Spiel kann also nicht als seine Schuld bzw. sein Verdienst angesehen werden.

Jemand ist für etwas verantwortlich, was nicht seine Schuld bzw. sein Verdienst ist? Wie das?

Welche Kriterien legst Du für Verantwortlichkeit an?

ganimed hat geschrieben:Bei der Frage, ob die Entscheidung frei ist, ist es irrelevant, ob die kausalen Faktoren von innen oder außen stammen, bewusst oder unbewusst waren. Bei der Frage, ob Tadel/Lob einen Sinn hat, stimmt, da ist es nicht irrelevant.

Weil?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Weil für den Wikipedia-Schuld-Begriff die notwendige Bedingung, dass man auch anders hätte können müssen, nicht erfüllt ist. Ist doch logisch, oder?

Nein, ist es nicht. "Anders handeln können" kann man auf zweierlei Weise verstehen: 1. als grundsätzliche Fähigkeit (z.B.: "wir können entscheiden, ob wir jemanden loben/tadeln") und 2. als inkompatibilistische Forderung.

Na nun rate mal, auf welche dieser zweierlei Weisen ich den Ausdruck stets meine. Genau. Als (2.).

Aber die 2 ist meiner Ansicht nach sinnlos, hat keine Bedeutung. Erkläre das doch mal bitte näher. Was meinst Du damit, wie kann ich mir das vorstellen, wieso soll das notwendige Bedingung für gerechtfertigte Schuldzuweisung sein? Dafür muss es doch mindestens einen guten Grund geben, nicht?

ganimed hat geschrieben:Und außerdem finde ich, dass deine Interpretation von "anders handeln können" als "grundsätzliche Fähigkeit" falsch ist. Der Mörder hat sein Opfer erschossen. Er hätte anders handeln können (im Sinne einer grundsätzlichen Fähigkeit), nämlich er hätte auch Rommee spielen können (da ihm das seine Tante Trude mal beigebracht hat). Da er somit über die grundsätzliche Fähigkeit einer Andershandlung verfügt, ist er also des Mordes schuldig. Ein Mörder wäre nach dieser bescheuerten Logik nur dann unschuldig, wenn er wirklich nur eine einzige grundsätzliche Fähigkeit hätte: abdrücken. Rommee spielen, mit den Augen blinzeln, lesen, Buschwindröschen am Geruch erkennen, all das dürfte er nicht können. So einen Menschen gibt es aber nicht. Jeder kann zwei oder sogar noch mehr Dinge. Es ist jedoch völlig irrwitzig, diese Fähigkeiten als relevant für die Schuldfrage anzusehen. Deine Interpretation (1.) solltest du dringend überdenken.

Wieso sollte aus "P hat die Fähigkeit zu X" folgen, dass P nicht auch die Fähigkeit zu Y (und/oder V, W und Z) hätte? Verstehe Dein Argument hier überhaupt nicht.

ganimed hat geschrieben:Ich (und Wikipedia) verstehe unter Schuld: jemand ist verantwortlich für einen Normverstoß und hätte in der Situation anders handeln können. Und genau weil ich das so verstehe, leitet sich für mich logisch dann auch etwas anderes ab. Nämlich dass Schuld im Determinismus nie zugewiesen werden kann.

Nun, das müsstest Du, wie gesagt, mal näher erläutern. Und bitte auch erläutern, was das mit Determinismus zu tun hat, d.h. wie man in einer indeterminierten Welt hypothetisch anders in Deinem Sinne handeln kann. (Was hoffentlich nicht auf den Tourette-Menschen hinausläuft, d.h. nicht lediglich auf ein "es hätte auch anders kommen können".)

Sieh mal: Du nennst eine notwendige Bedingung für eine freie Entscheidung in Deinem Sinne, nämlich: "kann in derselben Situation auch anders handeln". Dies musst Du aber irgendwie begründen/plausibel machen. Und dafür musst Du erst mal erklären, was Du damit überhaupt meinst. Wenn Das nicht darlegen kannst, kannst Du es auch schlecht als notwendige Bedingung für Freiheit deklarieren. Ich meine ja nach wie vor, dass das schlicht keinen Sinn ergibt. Und etwas, das keinen Sinn ergibt, kann keine notwendige Bedingung für irgendwas sein. Es sei denn, Du könntest andere Gründe für Deine Behauptung vorbringen. Aber "isso, weil ich das doch sage" ist immer noch kein nachvollziehbarer Grund.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Eine Entscheidung ist keine eigenständige Entität, daher ergibt es keinen Sinn, zu fordern, eine Entscheidung müsse unabhängig von Allem (also auch dem Entscheider) sein.

Nun mal langsam. Ich hätte gefordert, dass eine Entscheidung von Allem unabhängig ist? Das stimmt doch gar nicht. Ich fordere nur, dass du eine Entscheidung, welche vollständig abhängig ist (und damit völlig festgelegt ist) nicht frei nennst. Ich habe nichts gegen solche Entscheidungen. Ich fordere keine neuen, bisher undenkbare Arten von Entscheidungen. Also höre auf, mich danach zu fragen, wie man sich eine freie Entscheidung nach meinen Vorstellungen vorstellen müsse. Ich fordere dich nur immer wieder auf, mir zu erklären, wieso du etwas völlig festgelegtes als frei bezeichnest. Und deine Antwort ist regelmäßig: weil es von bestimmten Dingen festgelegt ist. Und das ist eine schlechte Antwort.

Weil?

ganimed hat geschrieben:Wenn es festgelegt ist, dann nennen wir es doch lieber nicht frei, oder?

Wenn eine Entscheidung hinreichend von jemandem selber festgelegt wird oder wenn jemand eine von ihm festgelegte Handlung durchführen kann, wieso sollte jemand sie dann nicht "frei" nennen?

Mir scheint, eben so wird das auch getan. Wieso sollte man das auch nicht tun? Weil es Dir aus bisher ungenannten Gründen nicht passt? Das wird aber niemanden beeindrucken, solange Du Deine Gründe nicht nennst.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 21. Feb 2014, 10:03

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber ich verstehe glaube ich, wie Dir das erscheint, dass man nämlich für seine Gründe nichts kann (ich wähle also nicht eine Begründung und bin in dem Sinne kein verantwortlicher Akteur), sondern sie passieren mir, wie rote Haare oder grüne Augen.
Stimmt das?

Das stimmt. Wobei das was du in Klammern schreibst aber nicht stimmt.
Ich wähle durchaus eine Begründung. Und für diese Begründung bin ich dann auch verantwortlich. Man kann mir die Wahl dieser Begründung zuordnen. Weil diese Wahl beispielsweise in meinem Kopf erfolgte mit allen dort zur Verfügung stehenden Ressourcen (Erinnerungen, Neigungen, Prägungen,...). Aber es gab keinen Moment bei dieser Wahl, bei dem ich anders gekonnt hätte. Die Wahl war ein neuronaler Prozess, der deterministisch ablief. Ich hätte in der jeweiligen Situation nicht anders wählen können. Deshalb war diese Wahl nicht frei und ich bin zwar verantwortlich aber nicht schuldig.

Für mich hängen die Begriffe Verantwortung und Schuld auch nicht vollkommen zusammen, aber ich glaube in anderer Weise als für Dich.

Wenn Du sagst, dass Du eine Begründung wählst, dann klingt das für mich so nach Waren im Supermarkt. Will ich jetzt nicht ins Lächerliche ziehen, sondern ich bemühe das Bild um anzumerken, dass Du damit den eigentlichen Punkt, dass es nämlich Kriterien gibt, anhand derer Du entscheidest, in der Weise, dass Du sagst: „Damit stimme ich überein“ oder „Ja, das ist es, was ich denke“ nur verschiebst.
Du gibt an, nirgendwo beteiligt zu sein, Dir kommen 10 Gründe in den Sinn (oder die liegen vor Dir, metaphorisch) und „Dein Gehirn“ wählt einen davon aus und auf irgendwelchen noch nicht geklärten Wegen gelangt der Ausgang der Wahl dannn zu Dir.

Entweder ist das ein himmelschreiender Dualismus oder, wenn nicht, bemühst Du damit ein Bild und meinst aber eigentlicht, dass Dein Hirn und Du ja nicht zwei verscheidene Entitäten sind, sondern dass Du schon mit Deinem Hirn identisch bist.

Falls Du auf den Dualismus anspielst, bitte ich Dich zu erklären, wer Du bist und in welchen Verhältnis Du zu Deinem Hirn stehst und wie die Infirmationsübertragung zwischen euch beiden stattfindet.

Falls Du meinst Du seist eigentlich Dein Hirn, kannst Du Dich von der Verantwortung die Du Deinem Hirn zuschreibst, nicht freisprechen. Denn auch Dein Hirn (also Du) wählt ja auch Begründungen aus, in welcher Weise es das Deiner Meinung nach tut, ist mir allerdings noch nicht klar.

Eine alternative Lösung höre ich mir auch gerne an.


ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Voltaire protestiert im Namen der Vernunft gegen ein Erdbeben.
Ist er ein Narr?

Ich verstehe noch nicht so ganz, was Voltaire da tut. Macht er dem Erdbeben einen Vorwurf? Oder bedauert er nur das Erdbeben? Wem gibt er die Schuld? Und wofür?
Ich habe noch mal nachgelesen und bin der Meinung, dass Voltaires Anklage (die sich primär gegen Leibniz' Idee von der besten aller möglichen Welten wendet) das was ich meine nicht illustriert.

Ich wähle daher ein anderes, bzw. möchte anmerken, dass wir Menschen es gewohnt sind Ereignissen unterschiedliche Grade von Verantwortung und Schuld(fähigkeit) zuschreiben. Bei einem Naturereignis mit negativen Folgen sind wir, traurig, schockiert, entsetzt, aber wir sind dem Ereignis nicht böse.
Wenn ein Hund eine uns wertvolle Vase umrennt, sind wir vielleicht im Affekt böse auf den Hund, aber wir wissen, dass der Hund nicht wusste (und nicht wissen konnte!), was uns die Vase bedeutet und so wissen wir auch, dass wir im Grunde besser hätten aufpassen sollen (und die Vase besser so hingestellt hätten, dass der Hund sie nicht versehentlich umrennen kann).

Erwachsenen Menschen, die nicht unter aktuell Drogen stehen, nicht psychotisch oder „geisteskrank“ sind trauen wir hingegen zu wissen zu können, dass uns etwas wichtig ist (weil wir annehmen, dass auch ihnen etwas wichtig ist und die Empathieleistung voraussetzen) und wenn sie uns gut kennen oder wir es ihnen explizit mitteilen, dass sie auch verstehen, was uns wichtig ist und in entsprechender Weise (bei der es common sense ist, dass man die sich daran anschließenden theoretischen und praktischen Festlegungen nicht explizieren, also detailiiert ausbreiten, muss, da sie sich „von selbst verstehen“ = Teil unserer alltäglichen normativen Schlussfolgerungen sind) auf diese Aussagen reagieren.

Das alles setzen wir voraus (zurecht, weil die allermeisten sofort verstehen, was damit gesagt und gefordert ist), insbesodere dann, wenn wir einen Menschen gut kennen.
Würde er nun, ohne guten Grund, unser Vertrauen enttäuschen, wir wären genickt oder verärgert. Wenn ich jemanden meine Wohnungsschlüssel geben würde, mit der Bitte den Briefkaste zu leeren und die Blumen zu gießen, während ich im Urlaub bin, und er würde antworten: „Weißt du, ich hätte es echt gerne gemacht, aber mein Gehirn hat sich aus irgendwelchen Gründen anders entschieden“, dann würde ich mir extrem verarscht vorkommen, weil ich dann unterstelle, dass sich jemand auf billige Weise aus der Verantwortung stehlen will, die ich ihm zuschreibe, dem verstehenden Menschen, der ins Spiel sozialer Normen eingebunden ist, nicht seinem Gehirn.

Du möchtest nun dieses ganze Spiel der Gründe unterwandern, indem Du sagst, Verantwortung hättest Du eigentlich keine, sondern die läge bei Deinem Gehirn.
Das läuft entweder auf das vonAgent erwähnte Nullsummenspiel raus, dass jemand dann argumentiert, er könne halt auch nichts dazu, müsse Dich nun aber bestrafen, eine Welt in der keiner etwas dazu kann, für das was er tut, die aber komischerweise auf exakt den Werten und Normen beruht, wie das Spiel mit der Verantwortung, was derzeit überall gespielt wird (und dann darf man fragen, wozu die theoretischen Umwege, wenn am Ende nichts draus folgt = Verstoß gegen das theoretische Ökonomiegebot).

Oder es käme zu einer schweren Asymmetrie, auf die Agent ebenfalls hinwies: Der Täter ist immer unschuldig (er kann nicht anders), die ihn verurteilen, sind aber böse (was impliziert, dass sie anders könnten). Wie wäre das zu erklären?

Ganz kurios und ethisch wirklich überhaupt nicht mehr zu rechtfertigen wäre es, wenn man die Standpunkt der Gehirne von Singer und Roth einnimmt, die ihre Hände dazu anleiten zu schreiben, dass man unschuldige und nicht verantwortliche Täter einsperren soll. Denn das finde ich ganz und gar unethisch, jemandem die Freiheit zu nehmen oder jemanden zu bestrafen, der erwiesenermaßen unschuldig ist.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Fr 21. Feb 2014, 17:09

AgentProvocateur hat geschrieben:Nur kann ich nun immer noch keinen Grund dafür sehen, dass die Gleichung "frei = nicht determiniert" gilt. So einen Grund würde ich aber gerne sehen wollen.

Das klingt wenig überzeugend für mich. Ich glaube dir beides nicht. Ich glaube, du siehst den Grund, wieso frei = nicht determiniert = nicht festgelegt ist. Und ich glaube, du würdest den Grund nicht gerne sehen wollen, da er deine Position "frei = determiniert" angreift.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn eine Entscheidung hinreichend von jemandem selber festgelegt wird oder wenn jemand eine von ihm festgelegte Handlung durchführen kann, wieso sollte jemand sie dann nicht "frei" nennen?

Auch hier klingt deine Weigerung, einfachste sprachliche Bedeutungen zu akzeptieren, inzwischen recht unglaubwürdig. Festgelegt nennst du frei? Festgelegt meint doch die Abwesenheit von Spielräumen, von Freiheitsgraden, also unfrei. Mir scheint, deine Gegenteilspolitik "frei = festgelegt" reichlich erklärungsbedürftig und sprachlich verfehlt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wieso sollte aus "P hat die Fähigkeit zu X" folgen, dass P nicht auch die Fähigkeit zu Y (und/oder V, W und Z) hätte? Verstehe Dein Argument hier überhaupt nicht.

Wir waren an dem Punkt, was wohl der Ausdruck "anders handeln können" heißt. Deine Interpretation (1.) meint damit: Der Mörder hätte auch anders handeln können, weil er über die grundsätzliche Fähigkeit des Rommee-Spielens verfügt. Deshalb sei er schuldig. Richtig?
Nun, ich sehe das anders. Ob welche grundsätzlichen Fähigkeiten der Mörder verfügt, spielt für mich keine Rolle. Ob er in der Mordsituation auch anders hätte handeln können, das möchte ich wissen. Falls er es nämlich nicht konnte, ist er unschuldig.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Fr 21. Feb 2014, 17:25

Vollbreit hat geschrieben:Wenn Du sagst, dass Du eine Begründung wählst, dann klingt das für mich so nach Waren im Supermarkt. Will ich jetzt nicht ins Lächerliche ziehen, sondern ich bemühe das Bild um anzumerken, dass Du damit den eigentlichen Punkt, dass es nämlich Kriterien gibt, anhand derer Du entscheidest, in der Weise, dass Du sagst: „Damit stimme ich überein“ oder „Ja, das ist es, was ich denke“ nur verschiebst.
Du gibt an, nirgendwo beteiligt zu sein, Dir kommen 10 Gründe in den Sinn (oder die liegen vor Dir, metaphorisch) und „Dein Gehirn“ wählt einen davon aus und auf irgendwelchen noch nicht geklärten Wegen gelangt der Ausgang der Wahl dannn zu Dir.

Ich glaube, du missverstehst meinen Versuch, den Vorgang objektiv zu beschreiben. Aus subjektiver Sicht kann ich natürlich auch gerne erzählen. Aber dabei würde ich doch auch wieder Fehler begehen. Weil subjetiv, so wie es mir vorkommt, haben die von dir genannten persönlichen Kriterien natürlich ihre Bedeutung (aber woher?) und ICH benutze sie, um zu entscheiden (aber wie?) und dabei fühle ich mich souverän und frei (und das ist eine Illusion). Wenn du diese subjektive Ebene partout nicht verlassen wolltest, wäre die ganze Diskussion schnell zu Ende. Du wärst ein Kompatibilist und würdest gar nicht verstehen, wieso ich etwas, was sich so frei anfühlt, als unfrei bezeichne. Und wenn Hirnforscher vermelden, dass große Teile unserer täglichen Entscheidungen im Unterbewusstsein abgehandelt werden, wie baust du solche Nachrichten in deine subjektive Weltsicht ein? Wie kannst du objektives Wissen über Hirnvorgänge ignorieren? Wieso ist für dich ein bewusstes Anwenden eines Kriteriums so viel freier als ein unterbewusstes Anwenden möglicherweise desselben Kriteriums?

Vollbreit hat geschrieben:Erwachsenen Menschen, die nicht unter aktuell Drogen stehen, nicht psychotisch oder „geisteskrank“ sind trauen wir hingegen zu wissen zu können, dass uns etwas wichtig ist ...
Würde er nun, ohne guten Grund, unser Vertrauen enttäuschen, wir wären genickt oder verärgert.

Der letzte Satz klingt sehr bezeichnend aus meiner Perspektive. Im Determinismus hat alles seine Gründe. Wenn dich jemand ohne guten Grund enttäuscht, glaubst du dann, er hätte es aus schlechten Gründen getan? Oder er hätte es ohne Gründe getan? Wie bewertest du Gründe? Und glaubst du wirklich, dass man seine eigenen Gründe überhaupt kennen und nennen kann? Wo doch, wie oben angedeutet, es so zu sein scheint, dass Vieles eben unterbewusst abläuft, wo man also die Gründe prinzipiell nicht kennen kann. Wenn also der Mensch, der dich enttäuscht, schon nicht seine ganzen Gründe alle kennen kann, wie kommst du darauf, dass du sie kennen kannst, ja sogar beurteilen kannst (ob es gute Gründe sind oder nicht) und dann Anlass zur Verärgerung hättest. Ich finde ja, darauf kann man nur kommen, nachdem man die Hirnforschung und den Determinismus ausblendet und ignoriert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Lumen » Fr 21. Feb 2014, 18:47

Jerry Coyne stellt ein Papier vor, dass nochmal verschiedene anschauliche Beispiele enthält, ich denke das könnte euch interessieren: http://whyevolutionistrue.wordpress.com ... ias-et-al/
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 21. Feb 2014, 20:00

ganimed hat geschrieben:Ich glaube, du missverstehst meinen Versuch, den Vorgang objektiv zu beschreiben. Aus subjektiver Sicht kann ich natürlich auch gerne erzählen. Aber dabei würde ich doch auch wieder Fehler begehen.
Kannst Du denn je in einem ernstgemeinten Sinn objektiv sein?

ganimed hat geschrieben:Weil subjetiv, so wie es mir vorkommt, haben die von dir genannten persönlichen Kriterien natürlich ihre Bedeutung (aber woher?) und ICH benutze sie, um zu entscheiden (aber wie?) und dabei fühle ich mich souverän und frei (und das ist eine Illusion).
Wer kann denn, außer Dir, entscheiden, ob Du frei bist? Die Kriterien der Kompatibilisten sind ja also solche objektiv, da sie beanspruchen für alle zu gelten. Aber sie sind subjektiv und können auch nicht anders sein, wenn es darum geht, welche Gründe Du denn, warum, bevorzugst.
Wenn jemand (irgendwer, und damit prinzipiell alle) aufgrund seiner Prämissen entscheidet und die Entscheidung ohne Zwang in die Tat umsetzen kann, dann ist dieser jemand (in dem Moment) ein freier Mensch, nach Meinung der Kompatibilsten.

Aus der Subjektperpektive habe ich dann meine Gründe, warum ich mich so und nicht anders entscheide und das setze ich dann um und selbstverständlich fühlt sich das dannauch frei an. Wie soll sich Freiheit denn sonst anfühlen, wenn nicht frei? Warum sollte das die Freiheit entwerten, wenn sie sich so anfühlt wie sie eben ist.

Begründen müsste der, der daherkommt und sagt: „Deine Freiheit ist gar keine Freiheit, das bildest du dir nur ein.“
Er müsste dann sagen, was an meiner Freiheit unzureichend wäre. Und daran scheitern sie ausnahmslos alle.

ganimed hat geschrieben:Wenn du diese subjektive Ebene partout nicht verlassen wolltest, wäre die ganze Diskussion schnell zu Ende. Du wärst ein Kompatibilist und würdest gar nicht verstehen, wieso ich etwas, was sich so frei anfühlt, als unfrei bezeichne.
Verstehe ich auch nicht. Aber nicht weil ich es nicht verstehen kann, sondern weil Du es nicht begründen kannst. Kleiner, aber feiner Unterschied. Und bevor das jetzt zum Ping Pong wird, kann ich wohl... kannst du nicht … jawohl... nee... schreib die Begründung einfach hin. Das reicht mir schon.

ganimed hat geschrieben:Und wenn Hirnforscher vermelden, dass große Teile unserer täglichen Entscheidungen im Unterbewusstsein abgehandelt werden, wie baust du solche Nachrichten in deine subjektive Weltsicht ein?
Indem ich darauf verweise dass Freud das schon vor 100 Jahren gesagt hat, was ihn nicht davon abgehalten hat, die Willensfreiheit des Menschen zu stärken und in dem ich die sensationelle Nachricht verkünde, dass es Leute gibt, die die gut begründete Position vertreten, dass Freiheit und Determinismus sich gar nicht ausschließen.

ganimed hat geschrieben:Wie kannst du objektives Wissen über Hirnvorgänge ignorieren?
Das tue ich nicht, weise nur schonend darauf hin, dass dieses „objektive Wissen“ eine oft mehr schlecht als recht begründete Interpretation darstellt, wofür ich etliche gute Gründe habe, falls das nicht ohnehin klar ist.

ganimed hat geschrieben:Wieso ist für dich ein bewusstes Anwenden eines Kriteriums so viel freier als ein unterbewusstes Anwenden möglicherweise desselben Kriteriums?
Weil Freiheit wie ich sie verstehe an Bewusstheit gekoppelt ist. Wenn ich gar nicht weiß was ich will, wie soll ich da was wollen?

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Erwachsenen Menschen, die nicht unter aktuell Drogen stehen, nicht psychotisch oder „geisteskrank“ sind trauen wir hingegen zu wissen zu können, dass uns etwas wichtig ist ...
Würde er nun, ohne guten Grund, unser Vertrauen enttäuschen, wir wären genickt oder verärgert.

Der letzte Satz klingt sehr bezeichnend aus meiner Perspektive. Im Determinismus hat alles seine Gründe.
Im Kompatibilismus aus, denn dieser ist ein Determinsimus, wie Du weißt. Weißt Du es?

ganimed hat geschrieben:Wenn dich jemand ohne guten Grund enttäuscht, glaubst du dann, er hätte es aus schlechten Gründen getan?
Wenn jemand einen guten Grund vorbringt, bin ich nicht enttäuscht, sondern kann ihn verstehen.

ganimed hat geschrieben:Oder er hätte es ohne Gründe getan? Wie bewertest du Gründe?
Was soll ich dazu sagen, das kommt auf die Gründe an. Wie schmeckt Dir Essen? Siehste.

ganimed hat geschrieben:Und glaubst du wirklich, dass man seine eigenen Gründe überhaupt kennen und nennen kann?
Ja selbstverständlich, wieso denn nicht?

ganimed hat geschrieben:Wo doch, wie oben angedeutet, es so zu sein scheint, dass Vieles eben unterbewusst abläuft, wo man also die Gründe prinzipiell nicht kennen kann.

Vieles heißt nicht alles, also scheidet prinzipiell schon mal aus. Ich kenne nicht alle meine Motive, aber ich weiß doch warum ich ein bestimmte Fernsehsendung anscheunna und eine andere nicht. Warum ich diees Buch kaufe und jenes nicht. Wo ist denn bitte überhaupt das Problem? Das besteht aus meiner Sicht allein darin jemandem (mit schlechten Gründen oder auch mal ganz ohne, nur so als Dogma) einzureden, es wisse ncith wa er will. Warum. Er kann's doch sagen.
Ich gehe gleich spazieren und damit höre ich „Das philosphische Radio“. Das höre ich, weil mich Philosophie stark interessiert, der Moderatir immer aucf Ballöhe istg und die Gäste meistens interessant sind. Zudem (hier ist es hügelig) kann ich noch Kreislauftrainig machen und komme an die frische Luft. Macht mir auch einfach Spaß spazieren zu gehen. Wenn es sehr stark regnet oder ich arbeiten muss, gehe ich nicht, sonst eigentlich immer. Was für Motive soll ich denn sonst noch haben? Wüssten wir mehr, wenn ich jetzt was von der Dichterverschiebung nach dem Urknall erzähle oder in jeder meiner Entscheidungen die Liebesgeschichte meiner Eltern beifüge? Weißt Du mehr über meine Entscheidung, wenn Du weißt wo meine Eltern sich kennenlernten oder welche Windeln ich bekam? Ich glaube nicht.

ganimed hat geschrieben:Wenn also der Mensch, der dich enttäuscht, schon nicht seine ganzen Gründe alle kennen kann,
Muss er das? Wer sagt das? Der soll nur mein Blumen gießen, oder, wenn er es nicht schaffte, mir sagen, warum. Auch bei dem interessiert mich nicht ob der Urgroßvater im 1. Weltkrieg einen Granatsplitter abbekam.

ganimed hat geschrieben:wie kommst du darauf, dass du sie kennen kannst, ja sogar beurteilen kannst (ob es gute Gründe sind oder nicht) und dann Anlass zur Verärgerung hättest.
Weil ich weiß was ich erwarten kann und was zumutbar ist. So wie Du eben auch, wenn Du Deinen Nachbarn um eine Gefallen bittest.

ganimed hat geschrieben:Ich finde ja, darauf kann man nur kommen, nachdem man die Hirnforschung und den Determinismus ausblendet und ignoriert.
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