Was meinst du mit Freiheit? Welcher Prozess wäre in einem vollständig determinierten Weltgeschehen als frei bzw. ohne Zwang (von was?) zu bezeichnen?AgentProvocateur hat geschrieben:5. Der Gegensatz zu Determinismus ist nicht: frei, d.h. Determinismus schließt nicht Freiheit per se aus, meinte man dieses jedoch dennoch, wäre das gesondert zu begründen.
Zur Verantwortung: Ich übernehme dasselbe Zitat von ice, hebe aber anders hervor.
Wir beide (@Agent) hatten diese Diskussion ja schon mal.ice hat geschrieben:Gefängnis und Therapie für den Straftäter sind die nahe liegende „Strafe“. Aber auf keinen Fall dürfen sie „schuldig“ gesprochen werden im herkömmlichen moralischen Sinn, weil sie im Moment der Straftat nicht frei entscheiden konnten, sondern von unzähligen Einflussfaktoren determiniert waren und ihre Lebensgeschichte eine lange Kausalkette ist, die genau zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Straftat geführt hat. Sie können daher nicht moralisch verantwortlich gemacht werden für ihre Tat. Die gesellschaftliche Verantwortung bleibt allerdings, weil es gemeinsam geschaffene ethische Regeln und Gesetze geben muss, die ein gutes und friedvolles Zusammenleben zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft ermöglichen sollen.
Ich hatte damals versucht, zwischen Verantwortung ("Schuld") eines Individuums gegenüber einer supernaturalistischen moralischen Instanz einerseits und der Verantwortung eines Individuums gegenüber seinen Mitmenschen (der Gesellschaft) andererseits zu differenzieren. Eine solche (hypothetische) Instanz hat keine Eigeninteressen und kann ihrerseits den "Schuldigen" nicht zur Verantwortung ziehen, ihn also ggf. bestrafen. Die Mitmenschen haben aber (in einer determinierten Welt determinierte) Eigeninteressen (oder moralische Vorstellungen) und können diejenigen Menschen, die diese Interessen verletzen (bspw. Straftäter), zur Verantwortung ziehen.
Die Ausbildung und die Umsetzung der Eigeninteressen aller Menschen kann als vollständig determinierter Prozess aufgefasst werden. Der Punkt von @ice (und meiner in der alten Diskussion) betrifft das Selbstverständnis der Menschen: Sehen sie ihren Willen und den Willen ihrer Mitmenschen und damit die resultierenden Handlungen als determiniert oder nicht-determiniert an?
Die deterministische Sichtweise führt mitnichten dazu, Straftäter "von einer Verantwortung ihrer Taten freizusprechen" (so hattest du es ausgedrückt, @Agent). Sie können lediglich nicht mehr als "schuldig" in dem Sinne bezeichnet werden, dass sie sich für ihre Handlungen frei entschieden hätten. Sie waren ja determiniert. Nichtsdestoweniger bleiben die individuellen Eigeninteressen aller Mitmenschen und damit eine gesellschaftliche "Ethik" bestehen, die solche Handlungen nicht dulden und Straftäter im Sinne des gesellschaftlichen Interesses wegsperren, therapieren oder sonstwie mit ihnen verfahren, sie also zur Verantwortung ziehen.
Eine solche Auffassung von Ethik und Verantwortung ist zwar (vermutlich) prinzipiell auch möglich, wenn man von einem "wirklich freien", also in irgendeiner Weise indeterminierten Willen ausgeht. Es bleibt aber die Frage, warum sich ein Mensch so oder anders entscheidet. Ist ein Mensch (z.B. ein Mörder) nicht aufgrund seiner inneren und der äußeren Umstände dazu gezwungen (determiniert), einen Mord auszuführen, so hat er sich frei entschieden. Das wird dann normalerweise damit begründet, dass dieser Mensch "böse" ist oder "böse Absichten" verfolgt. In diesem Sinne ist er also "schuldig" bezogen auf die Moralvorstellung der Gesellschaft. (Es war also nicht nur seine Handlung, die die Interessen oder Moralvorstellungen der Gesellschaft verletzt hat, sondern auch sein "freier Wille" oder seine "freie Entscheidung".)
Der Unterschied zwischen den beiden Sichtweisen ist der, dass im deterministischen Fall die Gesellschaft darauf bedacht sein wird, die äußeren Umstände so zu gestalten, dass ihre Interessen gewahrt bleiben - also den Straftäter im Interesse der Gesellschaft möglichst therapiert (seine inneren Umstände verändert) oder schlimmstenfalls wegsperrt oder eliminiert. Zusätzlich würde sie versuchen, Rahmenbedingungen herzustellen, die Menschen gar nicht erst zu Straftätern werden lassen.
Im Gegensatz dazu müsste man bei der indeterministischen Sichtweise immer davon ausgehen, dass ein Mensch (aus "Bösartigkeit") trotz bester äußerer Rahmenbedingungen die Interessen der Gesellschaft verletzen könnte. Wie würde man dann ein solches Vergehen bewerten, und wie wäre dann mit diesem Menschen zu verfahren? Da sein Vergehen ja nicht auf determinierte Abläufe zurückzuführen ist, müsste man ihn letzten Endes schlicht ohne weitere Begründung für "schuldig" oder "böse" erklären. Eine Bestrafung hätte dann auch nicht das Ziel, ihn wieder zu einem Mitglied der Gesellschaft zu machen, sondern wäre nur noch eine Genugtuung für die Geschädigten.
Also: Sieht man Handlungen als vollständig determiniert an, wird sich eine Gesellschaft zum Ziel setzen, die Rahmenbedingungen möglichst so zu gestalten, dass ihre Interessen gewahrt bleiben. Sollte ein Mensch dennoch straffällig werden, läge das nicht an ihm (seiner Gut- oder Bösartigkeit), sondern an sämtlichen Umständen, die zwangsläufig zu seiner Tat geführt haben.
Geht man von einem nicht-determinierten freien Willen aus, muss man einem Straftäter ab einem gewissen Punkt eine freie Entscheidung unterstellen, also eine "böse Absicht" - denn er hätte sich ja auch anders entscheiden können. Damit wäre dies ein grundsätzlich anderes Menschenbild, was auch einen anderen Umgang mit Straftätern zur Folge haben kann (aber vermutlich nicht zwangsläufig muss).