Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 21. Feb 2014, 22:02

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nur kann ich nun immer noch keinen Grund dafür sehen, dass die Gleichung "frei = nicht determiniert" gilt. So einen Grund würde ich aber gerne sehen wollen.

Das klingt wenig überzeugend für mich. Ich glaube dir beides nicht. Ich glaube, du siehst den Grund, wieso frei = nicht determiniert = nicht festgelegt ist.

Nein, sehe ich nicht. So, wie ich das sehe, hast Du bisher keinen Grund dafür genannt, Du hast nur immer einfach Deine Behauptung "Determinismus schließt Freiheit aus" wiederholt. Da aber genau das der strittige Punkt hier ist, solltest Du mal ein Argument für diese Behauptung nennen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wieso sollte aus "P hat die Fähigkeit zu X" folgen, dass P nicht auch die Fähigkeit zu Y (und/oder V, W und Z) hätte? Verstehe Dein Argument hier überhaupt nicht.

Wir waren an dem Punkt, was wohl der Ausdruck "anders handeln können" heißt. Deine Interpretation (1.) meint damit: Der Mörder hätte auch anders handeln können, weil er über die grundsätzliche Fähigkeit des Rommee-Spielens verfügt. Deshalb sei er schuldig. Richtig?

Nicht weil er über die Fähigkeiten des Rommee-Spielens verfügt, sondern weil es an ihm (seinen Überlegungen und Fähigkeiten) lag, dass er den Mord verübt hat.

ganimed hat geschrieben:Nun, ich sehe das anders. Ob welche grundsätzlichen Fähigkeiten der Mörder verfügt, spielt für mich keine Rolle. Ob er in der Mordsituation auch anders hätte handeln können, das möchte ich wissen. Falls er es nämlich nicht konnte, ist er unschuldig.

Ob jemand, der einen anderen getötet hat, (kausal verantwortlich für den Tod des anderen war), ein Mörder ist oder nicht, ("Mörder" enthält eine moralische Wertung), hängt von seinen Absichten und Fähigkeiten ab.

Mein Standard-Beispiel in dem Falle ist dieses: a) A stößt in einer U-Bahn-Station B absichtlich auf C, C gerät unter die einfahrende U-Bahn und stirbt. B ist in dem Falle direkt kausal verantwortlich für den Tod von C, (wäre B nicht auf C gefallen, wäre C nicht gestorben - sonst alles gleich). Jedoch würde man B nicht als moralisch verantwortlich und daher nicht als schuldig für C's Tod ansehen, sondern A. Hätte b) A jedoch keine Kontrolle über sein Schubsen von B gehabt, (sondern wäre z.B. unglücklich gestolpert), dann würde man auch A nicht als verantwortlich und schuldig ansehen.

Frage: inwiefern würdest Du hier anders werten? Würdest Du a) und b) nicht unterschiedlich bewerten?

Im Falle a) konnte A anders, B jedoch nicht. Im Falle b) konnten weder A noch B anders, sie hatten keine Kontrolle über das Geschehen, das lief so ab, wie es ablief, und zwar unabhängig von ihren Einstellungen und Überlegungen. Im Falle a) ist das anders: A stieß B absichtlich auf C.

Du siehst das vermutlich anders, aber ich verstehe dann immer noch nicht, was Du mit "hätte in der Situation auch anders handeln können" meinst, wenn Du Dich damit nicht auf die jeweiligen Absichten, Überlegungen und die bewusste Kontrolle beziehst. Ich finde daher, Du solltest das mal näher erläutern.

Ich bin übrigens immer noch der festen Überzeugung, dass das schlicht keinen Sinn ergibt, (lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen). Und diese Überzeugung hat sich dadurch sehr gefestigt, dass ich das schon gefühlte tausend Mal gefragt habe, (nicht nur Dich), aber niemals eine Erklärung bekommen habe. Daraus schließe ich messerscharf: diese Erklärung gibt es schlicht nicht. Wieso sonst die Weigerung, das mal näher darzulegen? Und wenn es diese Erläuterung nicht gibt, diese nicht möglich ist, ein "hätte in der Situation auch anders handeln können" keinen Sinn ergibt, dann frage ich mich, wieso jemand das als notwendige Bedingung für Entscheidungsfreiheit ansieht. Zumindest dafür muss es doch einen Grund geben, der genannt werden sollte.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 21. Feb 2014, 22:25

Lumen hat geschrieben:Jerry Coyne stellt ein Papier vor, dass nochmal verschiedene anschauliche Beispiele enthält, ich denke das könnte euch interessieren: http://whyevolutionistrue.wordpress.com ... ias-et-al/

Ein ähnliches Papier (dieses: Is Incompatibilism Intuitive?) (von denselben Autoren) hatte ich schon mehrfach verlinkt.

(Falls es jemanden interessiert: hier findet man diverse solcher Untersuchungen/Befragungen zum Thema "Willensfreiheit". [Das läuft unter dem Label "Experimentelle Philosophie".])

Was diese Untersuchungen/Befragungen mE zeigen: ein Inkompatibilist kann sich nicht mehr auf die Behauptung zurückziehen, seine Auffassung sei die landläufige und daher bräuchte er keine Argumente zu bringen. Obgleich diese Untersuchungen kein eindeutiges Ergebis liefern, erscheint durch sie die inkompatibilistische Behauptung, Inkompatibilismus sei selbstverständlich die überwiegende Position der Leute, nicht mehr so selbstverständlich zu sein, wie Inkompatibilisten unbegründet zu meinen scheinen. Daher reicht es nicht mehr, wenn sich Inkompatibilisten bequem zurücklehnen und auf Gegenargumente zu ihrer Position warten, sie müssen selber aktiv werden und Argumente für ihren Standpunkt vorlegen.

Nochmal den Hinweis: Argumente für Inkompatibilismus findet man z.B. dort.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 23. Feb 2014, 00:00

Lumen hat geschrieben:Für die Interessierten, Sam Harris Antwort auf Dennett ist heute erschienen.
http://www.samharris.org/blog/item/the- ... tes-lament

Nochmal dazu.

Mich interessiert ja sehr, was Inkompatibilisten eigentlich genau meinen, wenn sie fragen, ob Person P in Situation S hätte anders handeln können, was sie als notwendige Voraussetzung dafür ansehen, dass jemand "truly responsible" (Zitat Harris) sei, denn das ist mir immer noch völlig unklar.

Zitat Harris:

Let’s make sure you [Dennett] and I are standing on the same green: We agree that a human being, whatever his talents, training, and aspirations, will think, intend, and behave exactly as he does given the totality of conditions in the moment. That is, whatever his ability as a golfer, Austin would miss that same putt a trillion times in a row—provided that every atom and charge in the universe was exactly as it had been the first time he missed it. You think this fact (we can call it determinism, as you do, but it includes the contributions of indeterminism as well, provided they remain the same[3]) says nothing about free will.

Das Interessante (und für einen Inkompatibilisten Ungewöhnliche) daran ist nun dies: Harris unterscheidet nun gar nicht zwischen Determinismus und Indeterminismus, zwischen Notwendigkeit und Kontingenz/Zufall. Was er folglich sagt, läuft auf eine tautologische Trivialität hinaus: angenommen, in S würde P sich P für X entscheiden, dann gälte immer: in exakt derselben Situation würde sich P wieder für X entscheiden.

Oder in kurz: vorausgesetzt, S sei mit S identisch. Dann gälte: S == S.

Nun, ja, diese Tautologie kann man kaum bestreiten, die ist selbstverständlich immer wahr; die Konklusion folgt logisch aus der Prämisse, denn die Konklusion ist nichts anderes als eine schlichte Wiederholung der Prämisse. So wie: angenommen, Herr Müller sei blond, dann folgt daraus, dass Herr Müller blond ist. Öhm. Nun ist es jedoch AFAIK bisher noch keinem gelungen, aus einer solchen Tautologie irgendwie Nektar saugen zu können. Es ist sicher gemeinhin unbestritten, dass, wenn Herr Müller blond ist, Herr Müller voraussetzungsgemäß blond ist und dass, wenn S identisch mit S' ist, S voraussetzungsgemäß identisch mit S' ist.

Wenn jedes Atom in S und S' identisch sein soll, dann kann es voraussetzungsgemäß nicht sein, dass in S der Ball das Loch verfehlt und in S' jedoch das Loch trifft.

For us to consider him truly responsible for missing the putt or for failing to try, we would need to know that he could have acted other than he did.

Aber was meint er damit nun konkret? Wie soll es logisch möglich sein, machen zu können, dass, angenommen, S sei mit S identisch, S nicht mit S identisch sei? Und wieso sollte eine solche logisch unmögliche Fähigkeit notwendige Bedingung für "echte Verantwortlichkeit" sein?

Yes, there are two readings of “could”—and you find only one of them interesting. But they are both interesting, and the one you ignore is morally consequential. One reading refers to a person’s (or a car’s, in your example) general capacities. Could Austin have sunk his putt, as a general matter, in similar situations? Yes. Could my car go 80 miles per hour, though I happen to be driving at 40? Yes. The other reading is one you consider to be a red herring. Could Austin have sunk that very putt, the one he missed? No. Could he have tried harder? No. His failure on both counts was determined by the state of the universe (especially his nervous system).

Leider aber erklärt auch Harris nun nicht, was er mit "could have acted other than he did" (exakt dieselbe Situation, also auch dieselbe Handlung angenommen) meint. Und auch erklärt er nicht, wieso diese logisch unmögliche Fähigkeit - die, weil sie sie logisch unmöglich ist, nichts mit Determinismus zu tun hat, in jeder logisch möglichen Welt logisch unmöglich ist - notwendige Voraussetzung für "echte Verantwortlichkeit" sein solle, das setzt er einfach so voraus. Wieso, was ist der Grund dafür?

Man kann doch nicht einfach mit braunen Kuhaugen eine beliebige Behauptung in die Welt setzen und verlangen, dass die ohne weitere Begründung akzeptiert wird.

Ich würde das nun "epic fail" nennen. Nicht nur, dass Harris, wie für Inkompatibilisten üblich, nicht erklären kann, was er mit "could have acted other than he did" meint und nicht begründen kann, wieso diese unerklärte und daher nicht verständliche Fähigkeit notwendig für "echte Verantwortung" sein solle; nein, er fällt hier sogar noch hinter die übliche Argumentation von Harten Deterministen zurück, die wesentlich darauf beruht, eine dem Determinismus inhärente Notwendigkeit anzunehmen. Was ihm daher nur bleibt, ist, die tautologische Wahrheit: "que sera, sera" verkünden zu können und unbegründet zu behaupten, dass daraus folge, dass es keine "echte Verantwortung" geben könne.

"Angenommen, die Situation sei immer identisch, so, dass der Ball nicht ins Loch fiele, dann fiele der Ball nie ins Loch und also kann niemand echt verantwortlich sein". So ist wohl das Argument von Harris hier und das ist mE so mehr als fishy.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 23. Feb 2014, 02:38

Vollbreit hat geschrieben:Kannst Du denn je in einem ernstgemeinten Sinn objektiv sein?

Du willst also gar nicht erst den Versuch unternehmen, die Freiheit deiner Entscheidungen objektiv zu betrachten? Dann wünsche ich gute Nacht und süße Träume in deiner illusorischen Welt.

Vollbreit hat geschrieben:Wer kann denn, außer Dir, entscheiden, ob Du frei bist?

Ich glaube ja gerade, dass man in der streng subjektiven Sichtweise Probleme bekommen wird, die Illusionen zu durchschauen. Daher müsste man wohl sagen, dass vermutlich JEDER besser als man selber entscheiden kann, dass man nicht frei ist.

Vollbreit hat geschrieben:Weil Freiheit wie ich sie verstehe an Bewusstheit gekoppelt ist. Wenn ich gar nicht weiß was ich will, wie soll ich da was wollen?

Hier deutest du nur an, wieso ein Wille (ein bewusster Wille) an Bewusstsein gekoppelt ist. Aber das was du unbewusst willst, davon weißt du vielleicht nichts, jedoch willst du das doch dann auch, oder? Nehmen wir mal an, dein Unterbewusstsein will Pizza Mageritha, dein Bewusstsein will Pizza Hawaii. Du entscheidest dich, weil dein Unterbewusstsein irgendwie stärker votiert, für Pizza Mageritha. Dabei hast du das Gefühl, gar nicht richtig selber entschieden zu haben. Du verstehst gar nicht so recht, wieso du im letzten Moment doch noch die Mageritha bestellt hast. Du hast das Gefühl, die Entscheidung war nicht frei. Stimmt das?
Ich finde die Unterscheidung zwischen bewusst und unbewusst höchst künstlich. Beides bist du, beides sind deine Interessen und Wünsche. Und wenn sich der eine durchsetzt, wieso sollte ich das plötzlich frei nennen und das andere unfrei. Für mich ergibt das wenig Sinn. Es sei denn, man meint nicht frei, sondern nur "fühlt sich frei an". Das würde ich unterschreiben. Der Mensch hat keinen freien Willen, er hat aber oft das Gefühl, ihn zu haben.
Die Armseligkeit der kompatibilistischen Position scheint mir zu sein, dass ihr den Unterschied nicht anerkennen wollt.

Vollbreit hat geschrieben:Wo ist denn bitte überhaupt das Problem? Das besteht aus meiner Sicht allein darin jemandem (mit schlechten Gründen oder auch mal ganz ohne, nur so als Dogma) einzureden, es wisse ncith wa er will. Warum. Er kann's doch
sagen.

Wenn das von dir jetzt eine kleine Selbstkarikatur wäre, ein sich ironisch selbst auf die Schippe nehmen, dann Respekt. Das ist wirklich lustig. Ich fürchte nur, du meinst das ernst. Ich sage dir, dass vieles unbewusst ist und du es deshalb nicht wissen kannst, und deine Antwort soll allen Ernstes sein: "wieso? Ich weiß doch die wichtigen Gründe, weil ich sie ja sagen kann." Und wenn ich dir von Experimenten der Hirnforschung erzähle, wo die Neigung des Hirns offenbar wird, auch das abstruseste Verhalten vor sich selber und anderen im Nachhinein rational erklären und mit erfundenen Gründen unterfüttern zu können, vermutlich wirst du dann wieder die Hirnforschung abtun als Gerede (wohlgemerkt, du ignorierst sie nach deinen Worten nicht, sondern nimmst sie also nur nicht zur Kenntnis. Wirklich lustig).
Wissenschaft ablehnen und lieber dem eigenen Empfinden vertrauen (von dem die Wissenschaft gerade gezeigt hat, dass es einen betrügt). Wer so unterwegs ist, dem ist wohl nicht so ohne weiteres zu helfen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 23. Feb 2014, 02:57

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Wir waren an dem Punkt, was wohl der Ausdruck "anders handeln können" heißt. Deine Interpretation (1.) meint damit: Der Mörder hätte auch anders handeln können, weil er über die grundsätzliche Fähigkeit des Rommee-Spielens verfügt. Deshalb sei er schuldig. Richtig?

Nicht weil er über die Fähigkeiten des Rommee-Spielens verfügt, sondern weil es an ihm (seinen Überlegungen und Fähigkeiten) lag, dass er den Mord verübt hat.

Die "grundsätzliche Fähigkeit" bezieht sich bei dir auf das Morden? Das wundert mich. Ich fasse zusammen: "anders handeln können" heißt bei dir: die grundsätzliche Fähigkeit zur Handlung zu haben, die man auch gemacht hat? Das "anders" in "anders handeln können" deutest du also um in "genauso"? Das kann nicht gemeint sein. Also frage ich geduldig noch einmal: wie interpretierst du "anders handeln können"? Wie kommt da die grundsätzliche Fähigkeit zu was ins Spiel?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Du hast nun aber behauptet, dass es einen logischen Widerspruch darstellen würde, wenn Inkompis diese Form von Schuld ablehnen aber gleichzeit doch loben und tadeln wollen. Habe ich das richtig verstanden? Siehst du diesen Widerspruch jetzt immernoch oder konnten wir das klären?

Ja, das hast Du richtig verstanden, ja, ich sehe diesen Widerspruch immer noch und nein, wir konnten das noch nicht klären.

Dann wiederhole und begründe mal bitte diesen angeblichen Widerspruch.

Soweit ich sehe, bist du jetzt nicht noch mal auf den angeblichen Widerspruch eingegangen. Ist der also doch vom Tisch? Recht so.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und diese Überzeugung hat sich dadurch sehr gefestigt, dass ich das schon gefühlte tausend Mal gefragt habe, (nicht nur Dich), aber niemals eine Erklärung bekommen habe.

Ich vermute eher, dass sie die Überzeugung erst gefestig hat (um nicht zu sagen, bis zum Starrsinn) und du danach jede dir dargelegte Erklärung nicht mehr als solche erkennen kannst. Sowohl bei mir als auch bei Harris akzeptierst du die Darstellung mit dem "kann in derselben Situation nicht anders handeln" einfach nicht mit der merkwürdigen Tautologie-Platte und im übrigen mit dem Hinweis, dass du gar nicht verstehst, was wir meinen. An anderen, lichteren Tagen, stimmst du mir in dem Punkt aber bedenkenlos zu, dass jemand in derselben Situation nicht anders handeln kann. Es wird dich also wenig überraschen, wenn dein "ich verstehe gar nicht, was ihr meint, und habe noch nie eine Erklärung gehört" recht lächerlich wirkt. Ist die Position des Kompatibilismus wirklich so unhaltbar, dass man zu solchen billigen Tricks greifen muss? Oder wie Vollbreit einfach alles ignorieren, was dagegen sprechen könnte? Die Diskussion hat mir mehr Spaß gemacht, als ihr noch richtige Argumente drauf hattet, oder zumindest als es mir noch so vorkam :)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 23. Feb 2014, 05:59

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nicht weil er über die Fähigkeiten des Rommee-Spielens verfügt, sondern weil es an ihm (seinen Überlegungen und Fähigkeiten) lag, dass er den Mord verübt hat.

Die "grundsätzliche Fähigkeit" bezieht sich bei dir auf das Morden?

Nein, sie bezieht sich auf die Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

ganimed hat geschrieben:Also frage ich geduldig noch einmal: wie interpretierst du "anders handeln können"? Wie kommt da die grundsätzliche Fähigkeit zu was ins Spiel?

Jemand kann dann anders handeln, wenn die Handlung hauptsächlich von ihm abhing, von seinen (bewussten) Überlegungen, Reflexionen und Entscheidungen und nicht hauptsächlich von etwas anderem.

Zum Beispiel kann sich ein Mensch mit Tourette-Syndrom nicht anders verhalten, als er es tut, da dessen Verhalten von seinen Absichten, Überlegungen, Reflexionen unabhängig ist. Der Tourette-Mensch hat nicht die Fähigkeit dazu, sein Verhalten zu kontrollieren. Es ist egal, was er will und entscheidet, seine Zuckungen treten unabhängig davon auf.

Oder nehmen wir mal jemanden, der gehirngewaschen ist und dem deswegen die hinreichende Fähigkeit zur Reflexion fehlt. Der wird tun, was andere von ihm verlangen, ohne dass er die Fähigkeit dazu hat, das erkennen zu können. Oder nehmen wir jemanden, der von einem böswilligen Gehirnchirurgen, der im einen Fernsteuerungschip ins Hirn eingepflanzt hat, ferngesteuert wird.

Diese Beispiele würdest Du nun bezüglich Autonomie und Selbstkontrolle gleich bewerten wollen, nämlich so: dass in einer determinierten Welt immer gleichermaßen überhaupt keine Autonomie und keine Selbstkontrolle vorliegen könne. Stimmt's?

ganimed hat geschrieben:Soweit ich sehe, bist du jetzt nicht noch mal auf den angeblichen Widerspruch eingegangen. Ist der also doch vom Tisch?

Ich bin hier darauf eingegangen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und diese Überzeugung hat sich dadurch sehr gefestigt, dass ich das schon gefühlte tausend Mal gefragt habe, (nicht nur Dich), aber niemals eine Erklärung bekommen habe.

Ich vermute eher, dass sie die Überzeugung erst gefestig hat (um nicht zu sagen, bis zum Starrsinn) und du danach jede dir dargelegte Erklärung nicht mehr als solche erkennen kannst.

Bitte erkläre nun explizit, was Du mit "P hätte auch anders handeln können in der Situation S" genau meinst, auch wenn Du das schon irgendwo mal erklärt haben solltest.

ganimed hat geschrieben:Es wird dich also wenig überraschen, wenn dein "ich verstehe gar nicht, was ihr meint, und habe noch nie eine Erklärung gehört" recht lächerlich wirkt.

Bitte diese Erklärung nun mal darlegen. Oder bitte zumindest einen Link zu dieser Erklärung geben, falls Du die schon gegeben hast, aber nicht wiederholen möchtest.

Mich beeindrucken nun Argumente, aber keine Behauptungen bezüglich einer angeblichen Lächerlichkeit. Und überhaupt beeindrucken mich unbegründete Behauptungen ganz und gar nicht.

Du hast, soweit ich das sehe, bisher jedoch kein einziges Argument für Deine Behauptung "Determinismus und Freiheit schließen sich aus" gebracht, Du hast lediglich diese Behauptung immer wieder vorgebracht. Und du hast, so wie ich das sehe, auf meine mehrfache Aufforderung, Dein von Dir als notwendig deklariertes Kriterium "P ist nur dann frei in S, wenn P in S auch anders handeln könnte, als er in S tatsächlich handelt" mal näher darzulegen und darzulegen, wieso das ein notwendiges Kriterium für echte Freiheit sein sollte, bisher nicht reagiert, (zu sagen: "Du weißt genau, was ich meine und Du meinst das doch auch" ist für mich nicht akzeptabel, denn ich weiß mitnichten, was Du damit meinst und ich sehe auch kenen Grund dafür, warum das eine notwendige Bedingung für Freiheit sein sollte. Mal ganz abgesehen davon, dass dieses Kriterium logisch unmöglich ist. Und was logisch unmöglich ist, ist nicht verständlich, daher kann auch nicht verständlich sein, wieso etwas logisch Unmögliches notwendige Voraussetzung sein sollte. Und auch abgesehen davon, dass, wenn man (wie gesagt: mE unbegründet) ein logisch unmögliches Kriterium für Freiheit anlegt, dabei Determinismus notwendigerweise ein red herring ist, denn was logisch unmöglich ist, ist in jeder Welt logisch unmöglich, völlig schnurzpiepe, ob die Welt determiniert oder indeterminiert ist. Red herrings zu verwenden, ist jedoch mE eine völlig unredliche Diskussionsstrategie.).

Mag nun sein, dass ich mich irre, dass Du schon Argumente für Deine Ansicht vorgebracht hast, die ich übersehen habe. Dann die bitte entweder nochmal explizit wiederholen oder einen Link dazu geben. Damit könntest Du hier punkten und mich Lügen strafen. Aber bitte nicht nochmal ein "Du weißt genau, was ich meine und lügst, wenn Du das abstreitest". Das ist auf die Dauer unerquicklich und kein Argumentationsersatz.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 23. Feb 2014, 09:54

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Kannst Du denn je in einem ernstgemeinten Sinn objektiv sein?

Du willst also gar nicht erst den Versuch unternehmen, die Freiheit deiner Entscheidungen objektiv zu betrachten?
Nein, ganimed, das ist damit nicht gesagt.
Damit ist gefragt, ob Du je objektiv sein kannst. Wie trittst Du denn aus Deiner m.E. immer subjektiven Weltsicht heraus?

Nehmen wir mal das Beispiel Entscheidungen. Kannst Du mir eine Situation skizzieren, in der Du sagst:
Meine Entscheidung ist gefallen, ich will a. Das ist aber subjektiv. Objektiv hätte ich b wählen sollen.
Setzt mal für dafür ein Beispiel aus dem Leben ein, dann können wir darüber reden.

ganimed hat geschrieben:Dann wünsche ich gute Nacht und süße Träume in deiner illusorischen Welt.

Tja, natürlich ist es möglich, dass ich träume und Du sehr objektiv und rational unterwegs bist.
Ich frage mich dann nur, warum Du nach der langen Zeit der Debatte es immer noch nicht geschafft hast, mal ein rationales und objektives Argument für Deine Position zu liefern, während den kompatibilischen Traumtänzern das spielend gelingt.
ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wer kann denn, außer Dir, entscheiden, ob Du frei bist?

Ich glaube ja gerade, dass man in der streng subjektiven Sichtweise Probleme bekommen wird, die Illusionen zu durchschauen. Daher müsste man wohl sagen, dass vermutlich JEDER besser als man selber entscheiden kann, dass man nicht frei ist.
Steile These. „Willst du, die hier anwesende … heiraten?“ „Tja, keine Ahnung, ich muss mal eben ein paar Passanten fragen.“

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Weil Freiheit wie ich sie verstehe an Bewusstheit gekoppelt ist. Wenn ich gar nicht weiß was ich will, wie soll ich da was wollen?

Hier deutest du nur an, wieso ein Wille (ein bewusster Wille) an Bewusstsein gekoppelt ist. Aber das was du unbewusst willst, davon weißt du vielleicht nichts, jedoch willst du das doch dann auch, oder?
Was mir unbewusst ist, ist mir unbewusst, wie soll ich das wollen? Ich weiß ja noch nicht mal was von seiner Existenz. Weiß ich von der Existenz von etwas, ist es mir nicht unbewusst.

ganimed hat geschrieben:Nehmen wir mal an, dein Unterbewusstsein will Pizza Mageritha, dein Bewusstsein will Pizza Hawaii.
Wie soll das gehen? Ich weiß doch, was ich mag.

ganimed hat geschrieben:Du entscheidest dich, weil dein Unterbewusstsein irgendwie stärker votiert, für Pizza Mageritha.
Nein.

ganimed hat geschrieben:Dabei hast du das Gefühl, gar nicht richtig selber entschieden zu haben.
Nein, ist mir noch nie passiert.

ganimed hat geschrieben:Du verstehst gar nicht so recht, wieso du im letzten Moment doch noch die Mageritha bestellt hast. Du hast das Gefühl, die Entscheidung war nicht frei. Stimmt das?
Nein.
Ich weiß manchmal nicht, zwischen welchen Speisen ich mich entscheiden soll, wenn ich mehreres mag und dann treffe ich die Entscheidung tatsächlich oft im letzten Momnent „aus dem Bauch“ heraus. Aber das ist dann eine Entscheidung zwischen 5 Alternativen die ich alle mag. Dass ich dann auf einmal was auf dem Teller liegen habe, was ich überhaupt nicht mag und gar nicht wusste, warum ich das eigentlich bestellt habe, ist mir noch nie passiert.

ganimed hat geschrieben:Ich finde die Unterscheidung zwischen bewusst und unbewusst höchst künstlich.
Und warum reitest Du dann so darauf herum?

ganimed hat geschrieben:Beides bist du, beides sind deine Interessen und Wünsche. Und wenn sich der eine durchsetzt, wieso sollte ich das plötzlich frei nennen und das andere unfrei. Für mich ergibt das wenig Sinn. Es sei denn, man meint nicht frei, sondern nur "fühlt sich frei an". Das würde ich unterschreiben. Der Mensch hat keinen freien Willen, er hat aber oft das Gefühl, ihn zu haben.
Weil?
Hier käme dann die große Stunde des rationalen und objektiven Arguments. Komischerweise suche ich es erneut vergeblich.

ganimed hat geschrieben:Die Armseligkeit der kompatibilistischen Position scheint mir zu sein, dass ihr den Unterschied nicht anerkennen wollt.
Sicher, was auch sonst?

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wo ist denn bitte überhaupt das Problem? Das besteht aus meiner Sicht allein darin jemandem (mit schlechten Gründen oder auch mal ganz ohne, nur so als Dogma) einzureden, es wisse ncith wa er will. Warum. Er kann's doch sagen.

Wenn das von dir jetzt eine kleine Selbstkarikatur wäre, ein sich ironisch selbst auf die Schippe nehmen, dann Respekt. Das ist wirklich lustig. Ich fürchte nur, du meinst das ernst. Ich sage dir, dass vieles unbewusst ist und du es deshalb nicht wissen kannst, und deine Antwort soll allen Ernstes sein: "wieso? Ich weiß doch die wichtigen Gründe, weil ich sie ja sagen kann."
Klar, kann ich annehmen, solange Du mir sagen kannst, was Du unter Bewusstem und Unbewusstem verstehst. Das wirst Du mir aber nicht sagen können und diese Passage wird im nächsten Beitrag von Dir nicht mehr auftauchen.

Wenn Du mir dann noch erklärst, warum Du eine Unterscheidung, von der Du eben sagst, Du fändest sie „höchst künstlich“ hier wieder einführst, würde mir das auch helfen, aber ich werde diese Hilfe vom Dir nicht erhalten und diese Passage wird im nächsten Beitrag von Dir nicht mehr auftauchen.

Wenn Du dann auch noch ein Defintion von Freiheit anbieten würdest, würde das die Diskussion geradezu fulminant beschleunigen, aber Du wirst diese Definition nicht anbieten und diese Passage wird im nächsten Beitrag von Dir nicht mehr auftauchen.

ganimed hat geschrieben:Und wenn ich dir von Experimenten der Hirnforschung erzähle, wo die Neigung des Hirns offenbar wird, auch das abstruseste Verhalten vor sich selber und anderen im Nachhinein rational erklären und mit erfundenen Gründen unterfüttern zu können, vermutlich wirst du dann wieder die Hirnforschung abtun als Gerede (wohlgemerkt, du ignorierst sie nach deinen Worten nicht, sondern nimmst sie also nur nicht zur Kenntnis. Wirklich lustig).
Nein, ich nehme sie zur Kenntnis, ich kritisiere die Ergebnisse nur, was bereits voraussetzt, dass man die Ergebnisse kennt.
Ich würde das auch diskutieren, aber der Verlauf der bisherigen Diskussionen zwischen uns motiviert mich nicht, das mit Dir zu diskutieren, wenn ich so ehrlich sein darf.
Wir können es dennoch gerne versuchen, wenn Du magst mach einen Thread dazu auf, Argumente und kritische Fragen habe ich reichlich, Du kannst dann gerne in der Rolle des Wissenden, diese versuchen zu beantworten. Ich verspüre da keinen Drang, würde aber mitmachen, wenn die Diskussion derart ausfranst und m.E. einzig und allein von städing wiederholten und nie belgten oder begründeten Behauptungenvon Dir lebt, steige ich allerdings schnell wieder aus.

ganimed hat geschrieben:Wissenschaft ablehnen und lieber dem eigenen Empfinden vertrauen (von dem die Wissenschaft gerade gezeigt hat, dass es einen betrügt). Wer so unterwegs ist, dem ist wohl nicht so ohne weiteres zu helfen.
Ja ganimed, prima Diskussionsstil.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 23. Feb 2014, 18:19

Vollbreit hat geschrieben:Nehmen wir mal das Beispiel Entscheidungen. Kannst Du mir eine Situation skizzieren, in der Du sagst:
Meine Entscheidung ist gefallen, ich will a. Das ist aber subjektiv. Objektiv hätte ich b wählen sollen.
Setzt mal für dafür ein Beispiel aus dem Leben ein, dann können wir darüber reden.

Gestern war ich einkaufen und habe mich für ein blaues Hemd entschieden. Meine Mama fragte noch: "wieso denn blau"? Ich antwortete: "ich mag die Farbe eben mehr!" Heute habe ich in einem Podcast über Hirnforschung gehört, dass in Experimenten mit Studenten eine große Tendenz beobachtet wurde, wenn 3 Hemdstapel vor einem liegen, immer das rechte Hemd zu nehmen. Bei der Entscheidung würden ähnlich Hirnregionen aktiv werden, die auch bei räumlichen Denkaufgaben genutzt werden. Es scheint hier bei Rechtshändern dann eine Vorliebe für die rechte Seite zu geben.
Das erzähle ich meiner Mama: "hey Mama, vielleicht habe ich das Hemd nicht nur genommen, weil ich blau mag. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob das überhaupt eine Rolle gespielt hat."
Subjektiv glaubt man, die Gründe zu wissen (und zu spüren). Und objektiv kann und muss man vermuten, dass man subjektiv oft nur die halbe Wahrheit sieht und sehen kann.

Vollbreit hat geschrieben:Was mir unbewusst ist, ist mir unbewusst, wie soll ich das wollen? Ich weiß ja noch nicht mal was von seiner Existenz. Weiß ich von der Existenz von etwas, ist es mir nicht unbewusst.

Du willst also wirklich darauf hinaus, dass man unbewusst nichts wollen kann? Ich bin nicht sicher, ob es sich lohnt, auf solchen Unsinn noch weiter einzugehen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich weiß manchmal nicht, zwischen welchen Speisen ich mich entscheiden soll, wenn ich mehreres mag und dann treffe ich die Entscheidung tatsächlich oft im letzten Momnent „aus dem Bauch“ heraus.

"aus dem Bauch" heraus würde ich ebenfalls für eine Umschreibung halten, die in Wirklichkeit genau unterbewusst-lastige Entscheidungen meint.

Vollbreit hat geschrieben:Aber das ist dann eine Entscheidung zwischen 5 Alternativen die ich alle mag. Dass ich dann auf einmal was auf dem Teller liegen habe, was ich überhaupt nicht mag und gar nicht wusste, warum ich das eigentlich bestellt habe, ist mir noch nie passiert.

Ja klar. Dass du die 5 Alternativen alle magst, das sagst du dir einfach mal so. Ich wette, eine genaue Untersuchung (Bilder zeigen, Reaktionszeiten messen, Hirn beobachten) würde zeigen, dass du die 5 Alternativen natürlich nicht alle genau gleich magst. Genau gleich in 5 Fällen wäre ein kosmischer Zufall, sehr unwahrscheinlich. "Genau gleich mögen" klingt eher wie eine naive Gleichmacherei-Illusion, eine starke Vereinfachung der Realtität, und genau das, schätze ich, macht unser Bewusstsein den ganzen Tag. Und wofür auch immer sich das Unterbewusstsein entscheidet, dein Bewusstsein bügelt es hinterher glatt und denkt sich, wenn nötig, schnell mal eine passende Rationalisierung dazu aus. Und selbst wenn es dir schon 100 mal passiert wäre, du hättest es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bemerkt.

Vollbreit hat geschrieben:Klar, kann ich annehmen, solange Du mir sagen kannst, was Du unter Bewusstem und Unbewusstem verstehst.

Du hast doch damit angefangen, dass deine Gründe nur dann frei Entscheidungen bringen, wenn sie bewusst sind. Und jetzt soll ich dir erklären, was bewusst überhaupt ist? Ich verstehe nicht ganz. Du weißt das gar nicht? Und benutzt es trotzdem, um zu beurteilen, wann deine Entscheidungen frei sind? Ist deine kompatibilistische Vorstellung von Freiheit also nur geraten?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 23. Feb 2014, 18:35

AgentProvocateur hat geschrieben:Jemand kann dann anders handeln, wenn die Handlung hauptsächlich von ihm abhing, von seinen (bewussten) Überlegungen, Reflexionen und Entscheidungen und nicht hauptsächlich von etwas anderem.

Das stimmt doch gar nicht. Im Determinismus sind doch diese (bewussten) Überlegungen, Reflexionen und Entscheidungen (von denen die Handlung hauptsächlich abhängt) ebenfalls festgelegt. Festgelegt (ich weiß, mit dem Verständnis dieses Begriffes hast du so deine Probleme) meint, dass sie nicht anders sein können. Wenn also die Sachen, von denen die Handlung abhängt, festgelegt sind, dann ist es die Handlung auch. Und dann konnte man eben NICHT anders handeln. Deine Interpretation von "kann anders handeln" ist, soweit ich sehe, ziemlich falsch. Dein Satz wird genau dann richtig, wenn du mit "Jemand kann dann NICHT anders handeln..." anfängst.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Soweit ich sehe, bist du jetzt nicht noch mal auf den angeblichen Widerspruch eingegangen. Ist der also doch vom Tisch?

Ich bin hier darauf eingegangen.

Wo dein "hier" hinzeigt, hast du mir deine Interpretation von "anders handeln können" in den Mund gelegt und nur dadurch einen Widerspruch erzeugen können. Mit meiner Interpretation ist der Widerspruch jedoch nicht mehr da. Und wir sind uns doch einig, dass du bei meinen Aussagen auch meine Interpretationen zugrunde legen musst. Ist damit also jetzt dein Widerspruch endlich vom Tisch?

AgentProvocateur hat geschrieben:Bitte erkläre nun explizit, was Du mit "P hätte auch anders handeln können in der Situation S" genau meinst, auch wenn Du das schon irgendwo mal erklärt haben solltest.

Damit meine ich die Fähigkeit, dass P in derselben Situation S sich auch für die Handlungsalternative H2 entscheiden hätte können. Also wenn man in Gedanken zurückspult zur gleichen Situation, sich P mal für H1, mal für H2, mal für weitere Alternativen entscheidet. Wenn das so wäre, dann hätte P einen Spielraum in seiner Entscheidung, einen Freiraum, eine freie Entscheidung. Solange es aber im Determinismus diesen Freiraum nicht gibt, ist seine Entscheidung ohne Spielraum, Freiraum und Freiheit.
Von nun an, wenn ich recht verstehe, wirst du also nie mehr behaupten, dass du von mir (und allen Inkompatibilisten) noch nie eine Erklärung gehört hättest. Stimmt das? Was ich dir natürlich gerne zugestehe (und was den Gewinn dieser Diskussion ausmachte) ist, dass du mit dieser Erklärung nicht einverstanden bist und das auch kurz mal begründest, welche Stelle der Erklärung für dich Schwächen aufweist. Aber im übernächsten Beitrag von dir wieder lesen zu müssen, dass dir noch niemals jemand eine Erklärung geliefert hätte, das erspare mir bitte. Danke.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 23. Feb 2014, 20:06

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nehmen wir mal das Beispiel Entscheidungen. Kannst Du mir eine Situation skizzieren, in der Du sagst:
Meine Entscheidung ist gefallen, ich will a. Das ist aber subjektiv. Objektiv hätte ich b wählen sollen.
Setzt mal für dafür ein Beispiel aus dem Leben ein, dann können wir darüber reden.

Gestern war ich einkaufen und habe mich für ein blaues Hemd entschieden. Meine Mama fragte noch: "wieso denn blau"? Ich antwortete: "ich mag die Farbe eben mehr!"
Und damit hast Du einen Grund geliefert. Du magst blau, das ist der Grund. Du lebst in dem Irrglauben, Du müsstest wissen, warum Du blau magst. Musst Du aber nicht.

Spielen wir den Gedanken mal durch: Du willst Hemden kaufen. Da liegen grüne, rote und blaue. Für die Frage danach, welches Hemd Du willst (Willensfreiheit) reicht es zu wissen, welches Hemd Du willst. Warum Du blau lieber magst ist a) gar nicht gefragt und hilft b) auch nicht weiter.
Nehmen wir mal an, man könnte bei Dir eine genetische Blaupräferenz nachweisen oder eine frühe angenehme Blauerfahrung, würde es die Frage was Du willst anders beantworten, als wenn Du nur weißt, dass Du es willst?

ganimed hat geschrieben:Heute habe ich in einem Podcast über Hirnforschung gehört, dass in Experimenten mit Studenten eine große Tendenz beobachtet wurde, wenn 3 Hemdstapel vor einem liegen, immer das rechte Hemd zu nehmen. Bei der Entscheidung würden ähnlich Hirnregionen aktiv werden, die auch bei räumlichen Denkaufgaben genutzt werden. Es scheint hier bei Rechtshändern dann eine Vorliebe für die rechte Seite zu geben.
Man weiß nicht immer alles von sich, das stimmt.
Vor allem bei solchen Aufgaben, von den nicht abhängt: Wähle einen Hemdstapel, die linke oder rechte Tür, eine Zahl zwischen 1 und 10... das ist uns im Grunde piepegal.

ganimed hat geschrieben:Das erzähle ich meiner Mama: "hey Mama, vielleicht habe ich das Hemd nicht nur genommen, weil ich blau mag. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob das überhaupt eine Rolle gespielt hat."
Subjektiv glaubt man, die Gründe zu wissen (und zu spüren).
Ja und wenn man welche hat, dann ist das erst mal glaubwürdig und nicht erstmal unglaubwürdig.
Wenn es einem eh egal ist, dann können sonst was für Faktoren eine Rolle spielen.

ganimed hat geschrieben:Und objektiv kann und muss man vermuten, dass man subjektiv oft nur die halbe Wahrheit sieht und sehen kann.
Muss man keinesfalls, nur wenn man es auch begründen kann. Bist Du sicher, dass Du heute keine Bank ausgeraubt hast? Unbewusst? Ich weiß nicht, ich glaube, das könnte sein, Du hast das nur verdrängt.
Grundlose Skepsis zerstört die Basis jeder Argumentation und Kommunikation.
Ich glaube übrigens, dass Du heute gar kein Podcast gehört hast, das träumst Du nur. Oder Du hast es Dir ausgedacht. Kannst Du doch gar nicht wissen. Beweis mir objektiv, dass Du Dich nicht gerirrt hast, es gibt da ganz seltene Halluzinationen, weißt Du. Ich glaube Dir gar nichts.
Natürlich glaube ich Dir das, aber Du siehst wo so eine doofe Skepsis bis zum Beweis den Gegenteils Haltung hinführt.

Vor allen Dingen zerstört so eine Argumentation auch die Basis der Skeptiker, denn auch ihre Skepsis ist ja unbegründeter Quatsch, subjektiv verzerrt und war in Wahrheit ganz anders. Man dekonstruiert so die eigene Position.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Was mir unbewusst ist, ist mir unbewusst, wie soll ich das wollen? Ich weiß ja noch nicht mal was von seiner Existenz. Weiß ich von der Existenz von etwas, ist es mir nicht unbewusst.

Du willst also wirklich darauf hinaus, dass man unbewusst nichts wollen kann? Ich bin nicht sicher, ob es sich lohnt, auf solchen Unsinn noch weiter einzugehen.

Wenn Du findest, dass das Unsinn ist, lohnt es sich nicht.
Ich will dann auch nicht mit Dir darüber reden.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich weiß manchmal nicht, zwischen welchen Speisen ich mich entscheiden soll, wenn ich mehreres mag und dann treffe ich die Entscheidung tatsächlich oft im letzten Momnent „aus dem Bauch“ heraus.

"aus dem Bauch" heraus würde ich ebenfalls für eine Umschreibung halten, die in Wirklichkeit genau unterbewusst-lastige Entscheidungen meint.
Nein, mir ist ja nicht unbewusst was ich gerne esse. Ekelkram ist mir noch nie auf den Teller gekommen und statistisch hätte das schon passieren müssen, wenn unbewusst soviel wie „irgendwas was ich gar nicht weiß“ heißen soll.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber das ist dann eine Entscheidung zwischen 5 Alternativen die ich alle mag. Dass ich dann auf einmal was auf dem Teller liegen habe, was ich überhaupt nicht mag und gar nicht wusste, warum ich das eigentlich bestellt habe, ist mir noch nie passiert.

Ja klar. Dass du die 5 Alternativen alle magst, das sagst du dir einfach mal so. Ich wette, eine genaue Untersuchung (Bilder zeigen, Reaktionszeiten messen, Hirn beobachten) würde zeigen, dass du die 5 Alternativen natürlich nicht alle genau gleich magst.
Ja genau, und Du hast heute eben auch keinen Podcast gehört sondern die Olympischen Spiele geschaut, Du weißt das nur nicht, ich bin aber sicher, das würde ein Hirnscan ergeben. Neurotheologie mal anders.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Klar, kann ich annehmen, solange Du mir sagen kannst, was Du unter Bewusstem und Unbewusstem verstehst.

Du hast doch damit angefangen, dass deine Gründe nur dann frei Entscheidungen bringen, wenn sie bewusst sind. Und jetzt soll ich dir erklären, was bewusst überhaupt ist? Ich verstehe nicht ganz. Du weißt das gar nicht? Und benutzt es trotzdem, um zu beurteilen, wann deine Entscheidungen frei sind? Ist deine kompatibilistische Vorstellung von Freiheit also nur geraten?
Nein, genimed, Du brauchst mir gar nichts mehr zu erklären, ich habe nämlich meinen Hellseher Test bestanden und mit meine Prognosen, dass Du mir meien drei Fragen nicht beantworten wirst zu 100% recht behalten.
Daraus ziehe ich den Schluss, dass Du noch sehr lange unterwegs sein wirst, bis Du verstehst worum es in der Diskussion überhaupt geht.
Und mein Schutzengel hat mir gesagt, dass ich nicht derjenige sein werde, der Dir das Türchen öffnet. So sorry....
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 23. Feb 2014, 21:22

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Jemand kann dann anders handeln, wenn die Handlung hauptsächlich von ihm abhing, von seinen (bewussten) Überlegungen, Reflexionen und Entscheidungen und nicht hauptsächlich von etwas anderem.

Das stimmt doch gar nicht.

Doch, denn "kann anders handeln" bezieht sich mE auf die grundsätzliche Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

ganimed hat geschrieben:Im Determinismus sind doch diese (bewussten) Überlegungen, Reflexionen und Entscheidungen (von denen die Handlung hauptsächlich abhängt) ebenfalls festgelegt. Festgelegt [...] meint, dass sie nicht anders sein können.

"Es kann nicht anders sein" ist jedoch nicht dasselbe wie "er kann nicht anders handeln".

ganimed hat geschrieben:Wenn also die Sachen, von denen die Handlung abhängt, festgelegt sind, dann ist es die Handlung auch. Und dann konnte man eben NICHT anders handeln. Deine Interpretation von "kann anders handeln" ist, soweit ich sehe, ziemlich falsch.

So wie ich das sehe, ist das die übliche und auch einzig sinnvolle Interpretation.

Zitiere mal Dennett dazu:

If we are interested in whether somebody has free will, it is some kind of ability that we want to assess, and you can’t assess any ability by “replaying the tape.” [...] This is as true of the abilities of automobiles as of people. Suppose I am driving along at 60 MPH and am asked if my car can also go 80 MPH. Yes, I reply, but not in precisely the same conditions; I have to press harder on the accelerator. In fact, I add, it can also go 40 MPH, but not with conditions precisely as they are. Replay the tape till eternity, and it will never go 40MPH in just these conditions. So if you want to know whether some rapist/murderer was “free not to rape and murder,” don’t distract yourself with fantasies about determinism and rewinding the tape; rely on the sorts of observations and tests that everyday folk use to confirm and disconfirm their verdicts about who could have done otherwise and who couldn’t.


ganimed hat geschrieben:Ist damit also jetzt dein Widerspruch endlich vom Tisch?

Der Widerspruch, dass Du Leuten zwar Verantwortung, jedoch keine Schuld zuweisen willst? Nein, nach meinen Begriffen von "Verantwortung" und "Schuld" ist der noch nicht vom Tisch. Nehmen wir mal den juristischen Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld". Wie würdest Du den nun abändern wollen, da Du wohl den Begriff "Schuld" ablehnst?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Bitte erkläre nun explizit, was Du mit "P hätte auch anders handeln können in der Situation S" genau meinst, auch wenn Du das schon irgendwo mal erklärt haben solltest.

Damit meine ich die Fähigkeit, dass P in derselben Situation S sich auch für die Handlungsalternative H2 entscheiden hätte können. Also wenn man in Gedanken zurückspult zur gleichen Situation, sich P mal für H1, mal für H2, mal für weitere Alternativen entscheidet.

Vermutlich meinst Du das so: wir spulen zig-Mal zu einem Zeitpunkt t0 vor der Handlung H1 (zum späteren Zeitpunkt t1) zurück und schauen, ob P sich immer für H1 entscheidet oder mal für H2, (oder H3 etc.). Wir nehmen nun an, dass die Welt determiniert ist, daher wird sich P voraussetzungsgemäß immer für H1 entscheiden, da in einer determinierten Welt, gegeben einen Zeitpunkt t0 und die Gesetze, zum späteren Zeitpunkt t1 genau eine Sache geschieht, hier: P entscheidet sich für H1.

In einer indeterminierten Welt könnte zwischen t0 und t1 etwas Zufälliges geschehen und deswegen könnte es sein, dass P zum Zeitpunkt t1in einer indeterminierten Welt mal H1, mal H2, mal H3 (etc.) tut.

Soweit, so gut, aber damit ist nun nur ein "es hätte auch anders kommen können" beschrieben, nicht aber ein "P hätte auch anders handeln können". Ich hatte jedoch nach einer Erklärung für das Letztere gefragt, nicht nach einer Erklärung für das Erstere. Damit Dein als notwendig angesehenes Kriterium für Freiheit plausibel wird, musst Du Zweiteres darlegen.

ganimed hat geschrieben:Wenn das so wäre, dann hätte P einen Spielraum in seiner Entscheidung, einen Freiraum, eine freie Entscheidung. Solange es aber im Determinismus diesen Freiraum nicht gibt, ist seine Entscheidung ohne Spielraum, Freiraum und Freiheit.

P hat im Determinismus den Freiraum zu einer informierten und reflektierten Entscheidung, daran ändert Determinismus nichts. Zu erklären wäre von Dir, wieso es entweder diesen Freiraum im Determinismus nicht gäbe (falls Du das meintest) oder wieso dieser Freiraum nicht ausreichte für eine freie Entscheidung in Deinem Sinne. Gut wäre auch, wenn Du den von Dir behaupteten für Freiheit notwendigen Freiraum in einer indeterminierten Welt mal beispielhaft darlegen könntest, inwiefern indeterminierter Zufall Freiheit in Deinem Sinne (bzw. Spielräume in der Entscheidung, Freiräume bei der Entscheidung) herstellen könnte. So ein Spielraum/Freiraum bei einer Entscheidung kann ja nun nicht lediglich in einem "hätte indeterminiert/zufällig auch anders kommen können" bestehen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 23. Feb 2014, 22:21

Dennett hat geschrieben:So if you want to know whether some rapist/murderer was “free not to rape and murder,” don’t distract yourself with fantasies about determinism and rewinding the tape; rely on the sorts of observations and tests that everyday folk use to confirm and disconfirm their verdicts about who could have done otherwise and who couldn’t.

Ich soll das Tape nicht zurückspulen? Ich soll mich stattdessen dem ungefähren Urteil des Mobs anschließen? Darin eingeschlossen ist ja die Frage, wie stark dürfen wie die Situation variieren? Dürfen wir nur einzelne Atome verrücken und dann das Tape anfahren? Oder dürfen wir Häuser, Autos und Personen austauschen? (Er hätte anders handeln können, wenn das Auto nicht da gewesen wäre?) Oder dürfen wir neue Motive einführen? (Er hätte anders handeln können, wenn er Hunger gehabt hätte, was er ja hätte haben können, wenn er nicht dummerweise vorher was gegessen hätte). Wo fängt diese Varianz an und wo hört sie auf und wer legt das fest? Everyday people, die, wie man aus den von dir und Lumen verlinkten Befragungen sieht, offenbar noch nicht richtig verstanden haben, was Determinismus überhaupt bedeutet? Ich erkenne hierin nur die ungefähre Position: jeder kann urteilen wie er will, Regeln gibt es keine, lasst mich mal weiter Determinismus und Freiheit unter einen Hut bringen indem ich das erste ausblende und beim zweiten eigentlich nur meine gefühlte Freiheit meine. Eine Larifari-Allerweltsposition aus Ignoranz und Wortverdrehung. Thanks but no thanks.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Widerspruch, dass Du Leuten zwar Verantwortung, jedoch keine Schuld zuweisen willst? Nein, nach meinen Begriffen von "Verantwortung" und "Schuld" ist der noch nicht vom Tisch.

Du wirfst mir also einen Widerspruch vor, der nur mit deinen Begriffen von "Verantwortung" und "Schuld" entsteht. Obwohl ich doch beispielsweise deinen Begriff von "Schuld" bei der Stelle "hätte anders können" ablehne. Ist das nicht ein bisschen billig, mir einen Widerspruch nachzuweisen mit deinen Begriffen? Und ist dieser Widerspruch dann nicht eher ein Zeichen für einen logischen Fehler in deinen Interpretationen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nehmen wir mal den juristischen Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld". Wie würdest Du den nun abändern wollen, da Du wohl den Begriff "Schuld" ablehnst?

Bevor wir dieses weitere, sicherlich auch spannende Thema angehen, würde ich gerne das mit dem Widerspruch und dem Schuld-Begriff klären wollen. Wobei ich da wirklich mal das Gefühl habe, dass wir das in endlicher Zeit klären können. Ein echtes kleines Zwischenergebnis, das wär doch mal was.

AgentProvocateur hat geschrieben:Vermutlich meinst Du das so: wir spulen zig-Mal zu einem Zeitpunkt t0 vor der Handlung H1 (zum späteren Zeitpunkt t1) zurück und schauen, ob P sich immer für H1 entscheidet oder mal für H2, (oder H3 etc.). Wir nehmen nun an, dass die Welt determiniert ist, daher wird sich P voraussetzungsgemäß immer für H1 entscheiden, da in einer determinierten Welt, gegeben einen Zeitpunkt t0 und die Gesetze, zum späteren Zeitpunkt t1 genau eine Sache geschieht, hier: P entscheidet sich für H1.

Genau so meinte ich das.

AgentProvocateur hat geschrieben:Soweit, so gut, aber damit ist nun nur ein "es hätte auch anders kommen können" beschrieben, nicht aber ein "P hätte auch anders handeln können". Ich hatte jedoch nach einer Erklärung für das Letztere gefragt, nicht nach einer Erklärung für das Erstere. Damit Dein als notwendig angesehenes Kriterium für Freiheit plausibel wird, musst Du Zweiteres darlegen.

Wenn es genau so kommt, dann kommt ja auch die Entscheidung von P genau so und dann kommt auch die Handlung H1 von P genau so. Ich verstehe also noch nicht ganz den Unterschied, den du zwischen "es hätte auch anders kommen können" und "P hätte auch anders handeln können" machst. Kannst du ein Beispiel angeben, wo es genau so kommt, aber P dennoch anders hätte handeln können? Wenn nicht, gibt es diesen Unterschied wohlmöglich gar nicht?

AgentProvocateur hat geschrieben:P hat im Determinismus den Freiraum zu einer informierten und reflektierten Entscheidung, daran ändert Determinismus nichts.

Wohlgemerkt: ein Freiraum in dem nur eine einzige Möglichkeit Platz hat, wird gemeinhin eben nicht als Freiraum bezeichnet. Ein Freiraum meint einen Raum, der genug Freiheit für mindestens eine Alternativen bietet. Laut Determinismus gibt es aber keine Alternativen. Also kann von Freiraum, von Spielraum, von Unabhängigkeit und von Freiheit keine Rede sein. Egal wie informiert und reflektiert man bei der einzigen Möglichkeit war. Es geht ja darum, dass es nur eine Möglichkeit gab und nicht darum, welche Eigenschaft diese einzige Möglichkeit sonst noch hat.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Mo 24. Feb 2014, 08:12

ujmp hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Wenn ich ihn richtig verstanden habe, emergiert die Zukunft sozusagen, sie lässt sich daher nicht aus der Gegenwart herleiten und steht damit auch nicht fest.

Hab ich, es steht explizit im Anhang von The Open Universe S. 130:

"Our universe is partly causal, partly probalistic, and partly open: it is emergent. [...] we live in a universe of emergent novolty; of a novolty wich, as a rule, is not completely reducible to any of the preceding states." (K.R.Popper, 1973)

Er führt dort auch aus, dass die gegenteilige Ansicht auf einer "Übersimplifizierung" unserer Theorien über das Universum beruht.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Mo 24. Feb 2014, 13:00

Von der emergierenden Zukunft habe ich nie was geschrieben. So einen Geistesblitz hätte ich mir ganz sicher gemerkt!

:wink: stine
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Mo 24. Feb 2014, 19:47

Sorry, ich hab mich falsch zitiert. :/
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 24. Feb 2014, 22:48

ganimed hat geschrieben:
Dennett hat geschrieben:So if you want to know whether some rapist/murderer was “free not to rape and murder,” don’t distract yourself with fantasies about determinism and rewinding the tape; rely on the sorts of observations and tests that everyday folk use to confirm and disconfirm their verdicts about who could have done otherwise and who couldn’t.

Ich soll das Tape nicht zurückspulen?

Falls Du etwas über die Fähigkeiten des Golfspielers erfahren willst, dann nutzt es nichts, wenn Du Dir tausendmal einen erfogreichen Putt von jemandem auf einem Videoband anschaust. Besser wäre, wenn Du Dir unterschiedliche Situationen und den jeweiligen Erfolg/Misserfolg anschauen würdest, dann würdest Du mehr über die Fähigkeit des Spielers erfahren.

ganimed hat geschrieben:Ich soll mich stattdessen dem ungefähren Urteil des Mobs anschließen?

Ja, in dem Falle solltest Du das, das wäre, falls Du Trainer bist und eine voraussichtlich erfolgreiche Golfmannschaft aufstellen willst, sicher viel besser, als ein Band eines Einzelereignisses zig-mal abzuspulen.

ganimed hat geschrieben:Darin eingeschlossen ist ja die Frage, wie stark dürfen wie die Situation variieren?

Bisschen mehr Wind, bisschen weniger Wind, mehr oder weniger Feuchtigkeit, mehr oder weniger Buckel und/oder Sand, mehr oder weniger Nebel, etc., evtl. auch kombinieren. Was eben so auftreten kann bei einem Golfturnier, ein guter Golfer sollte mit diesen unterschiedlichen Platzverhältnissen klar kommen.

ganimed hat geschrieben:Dürfen wir nur einzelne Atome verrücken und dann das Tape anfahren? Oder dürfen wir Häuser, Autos und Personen austauschen? (Er hätte anders handeln können, wenn das Auto nicht da gewesen wäre?) Oder dürfen wir neue Motive einführen? (Er hätte anders handeln können, wenn er Hunger gehabt hätte, was er ja hätte haben können, wenn er nicht dummerweise vorher was gegessen hätte). Wo fängt diese Varianz an und wo hört sie auf und wer legt das fest?

Kommt auf den jeweiligen Fall, die jeweilige Situation drauf an und darauf, was man wissen will. Wenn man z.B. wissen will, was die Höchstgeschwindigkeit eines Autos in der Ebene bei normalem Wind ist, dann sollte man das wohl nicht an einer starken Steigung mit starkem Gegenwind testen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Widerspruch, dass Du Leuten zwar Verantwortung, jedoch keine Schuld zuweisen willst? Nein, nach meinen Begriffen von "Verantwortung" und "Schuld" ist der noch nicht vom Tisch.

Du wirfst mir also einen Widerspruch vor, der nur mit deinen Begriffen von "Verantwortung" und "Schuld" entsteht.

Ja. Allerdings meine ich nun nicht, dass das lediglich meine Privatbegriffe sind. Siehe den juristischen Grundsatz: "keine Strafe ohne Schuld". Den habe sicher nicht ich erfunden. Denke auch nicht, dass das irgendwie was mit Hass zu tun hätte, wie Du wohl annimmst. Ich denke vielmehr, dass dieser Grundsatz auf einen Schutz vor ungerechtfertigter Verurteilung abzielt.

ganimed hat geschrieben:Obwohl ich doch beispielsweise deinen Begriff von "Schuld" bei der Stelle "hätte anders können" ablehne.

Dazu wäre jedoch "hätte auch anders [entscheiden/handeln] können" erst mal darzulegen, bevor ich etwas dazu sagen kann.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Soweit, so gut, aber damit ist nun nur ein "es hätte auch anders kommen können" beschrieben, nicht aber ein "P hätte auch anders handeln können". Ich hatte jedoch nach einer Erklärung für das Letztere gefragt, nicht nach einer Erklärung für das Erstere. Damit Dein als notwendig angesehenes Kriterium für Freiheit plausibel wird, musst Du Zweiteres darlegen.

Wenn es genau so kommt, dann kommt ja auch die Entscheidung von P genau so und dann kommt auch die Handlung H1 von P genau so.

Richtig.

ganimed hat geschrieben:Ich verstehe also noch nicht ganz den Unterschied, den du zwischen "es hätte auch anders kommen können" und "P hätte auch anders handeln können" machst. Kannst du ein Beispiel angeben, wo es genau so kommt, aber P dennoch anders hätte handeln können?

Klar, da gibt es unendlich viele Beispiele. Ich verstehe ja unter "P hätte in S auch anders handeln können" dieses: "P hatte die Fähigkeit dazu, in S anders zu handeln, als er es letztlich tat, es lag hauptsächlich an ihm, unter seiner Kontrolle, dass er diejenige Handlung ausführte, die er ausführte".

Fragt sich immer noch, was Du darunter verstehst. Ein "es hätte [indeterminiert/zufällig]auch anders kommen können" kann nicht hinreichende Bedingung für P's Freiheit sein.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:P hat im Determinismus den Freiraum zu einer informierten und reflektierten Entscheidung, daran ändert Determinismus nichts.

Wohlgemerkt: ein Freiraum in dem nur eine einzige Möglichkeit Platz hat, wird gemeinhin eben nicht als Freiraum bezeichnet.

Was wie bezeichnet wird, ist hier jedoch ziemlich egal, (wiewohl ich das anders sehe). Die Frage wäre vielmehr, wieso Du einen solchen Freiraum in Deinem Sinne erstens darlegen kannst und zweitens plausibel machen kannst, dass ein solcher Freiraum in Deinem Sinn notwendige Voraussetzung für Freiheit wäre.

ganimed hat geschrieben:Ein Freiraum meint einen Raum, der genug Freiheit für mindestens eine Alternativen bietet. Laut Determinismus gibt es aber keine Alternativen. Also kann von Freiraum, von Spielraum, von Unabhängigkeit und von Freiheit keine Rede sein. Egal wie informiert und reflektiert man bei der einzigen Möglichkeit war. Es geht ja darum, dass es nur eine Möglichkeit gab und nicht darum, welche Eigenschaft diese einzige Möglichkeit sonst noch hat.

Was aber dann unweigerlich darauf hinausläuft, dass a) jemand die Entscheidung/Alternative wählen soll, für die er sich nicht entscheidet, die nicht als die beste ansieht, um als frei in Deinem Sinne gelten zu können. Oder aber es liefe b) auf diese Behauptung hinaus: in einer determinierten Welt kann niemand die Fähigkeit dazu haben, zu erkennen, zu reflektieren, zu überlegen und gute von schlechten Optionen zu diskriminieren und sich für die von ihm als beste angesehene Option zu entscheiden. Eine dritte Möglichkeit gibt es mE dabei nicht.

a) wäre nun prima facie ein sehr unplausibles Kriterium für "echte" Freiheit, insbesondere jedoch für "echte" Verantwortung, daher näher zu begründen. Und b) wäre ebenfalls zu begründen, denn das ist mitnichten selbstevident.

Nehmen wir ein Beispiel für a). Peter lebte in einer indeterminierten Welt. Peter habe zwar die Fähigkeit dazu, die meisten Situationen gut einschätzen zu können, Lösungsmöglichkeiten generieren und jeweils die ihm am Besten erscheinende davon auswählen zu können, aber jedesmal, wenn er seine Entscheidung in die Tat umsetzen wollen würde, geschähe etwas Indeterminiertes, was Peter daran hindern würde, das zu tun, für was er sich entschieden hätte. Nun spulten wir die Welt bei einer bestimmten Handlung von Peter zig-tausend-Mal zurück und würden beobachten, dass Peter jedes Mal etwas anderes täte. Wäre Peter in dem Falle frei? Nun, vielleicht, falls man einen mE sehr schrägen Begriff von Freiheit hätte, ("Freiheit = Unabhängigkeit von allem").

Aber: wäre Peter dann echt verantwortlich für seine Handlungen? Ich denke nicht. Peter könnte in dem Beispiel ja nichts dafür, was er jeweils täte, sein Verhalten lag dann wohl nicht an ihm, seinen Einstellungen, Überlegungen und Handlungen, sondern an dem für ihn unkontrollierbar auftretenden indeterminierten Zufall. Es ergäbe keinen Sinn, Peter zu loben oder zu tadeln, denn der Lob bzw. der Tadel hätte keinerlei Auswirkungen auf Peters zukünftiges Verhalten, (und auch nicht auf das Dritter, denen das ebenso zustöße wie Peter). Ebenso ergäbe es keinen Sinn, Peter schuldig zu sprechen, denn Peter könnte dann nichts für sein Verhalten, das wäre ihm lediglich zugestoßen, unabhängig davon, was Peter wollte oder nicht wollte, für was er sich entschieden hätte.

Wo hakt mein Beispiel nun? Hast Du ein besseres Beispiel anzubieten, in dem erstens klar wird, was "P kann in S auch anders handeln" Deiner Ansicht nach bedeuten soll und zweitens, das plausibel macht, wieso diese (für mich bisher unverständliche, mE nicht erklärbare, da inkohärente) Fähigkeit notwendige Voraussetzung für echte Freiheit/Verantwortung sei, eine Freiheit/Verantwortlichkeit, die der kompatibilistischen Freiheit/Verantwortlichkeit evidenterweise überlegen ist?
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Jemand, der die Fähigkeit dazu hat, Situationen komplett durchschauen zu könnnen, und die Fähigkeit hat, alle geeignete Optionen generieren zu können, die Fähigkeit hat, die ihm am besten erscheinende Option wählen und umsetzen zu können, wäre mE komplett frei (und komplett verantwortlich). All das wäre nun in einer determinierten Welt problemlos möglich, d.h. spulten wir das Tape immer wieder zurück, würde dieser (mE freie) Jemand immer wieder ebenso entscheiden - es sei denn, es gäbe einige Optionen, die er gleich gewichten würde. Jedoch auch in diesem Falle würde es mE seiner Freiheit keinerlei Abbruch tun, wenn er sich jedes Mal für dieselbe Handlung entscheiden würde.

So eine Freiheit gibt es zwar mE in unserer Welt nicht, wir sind nicht vollständig informiert, kennen nicht alle Umstände in einer Situation, irren uns oft.

Jedoch: der Inkompatibilist scheint nun zu behaupten, dass selbst dies keine Freiheit sei. Aber wieso? Was müsste hinzukommen, um eine echte Freiheit im inkompatibilistischen Sinne zu sein? Welche notwendige Bedingung fehlte dabei? Die kann ja nun nicht sein, dass man sinnloser- und idiotischerweise immer (oder zumindest manchmal) das täte, was man selber als blödsinnig ansieht.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Di 25. Feb 2014, 00:53

Dazu wäre jedoch "hätte auch anders [entscheiden/handeln] können" erst mal darzulegen, bevor ich etwas dazu sagen kann.

Aber "das ist ein logischer Widerspruch" kannst du schon dazu sagen, auch ohne meine Interpretation verstanden zu haben? Du Witzbold. Ich würde sagen, dein Widerspruchsargument ist damit nicht nur vom Tisch, es liegt zerdeppert unter demselben.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Wohlgemerkt: ein Freiraum in dem nur eine einzige Möglichkeit Platz hat, wird gemeinhin eben nicht als Freiraum bezeichnet.

Was wie bezeichnet wird, ist hier jedoch ziemlich egal, (wiewohl ich das anders sehe).

Das ist alles? Das soll deine Argumentation sein? Dir ist es plötzlich egal, ob das frei genannt werden darf? (Und doch wieder nicht?) Das wirkt auf mich jetzt etwas zerfahren. Du kannst dich ja gerne noch einmal sortieren und mir die Frage beantworten, wieso man etwas festgelegtes frei nennen sollte. Wieso ist ein Raum, in dem ich nur auf eine Weise handeln kann, bei dir ein Freiraum? Kriege ich jemals eine Antwort auf diese Frage? Eine Antwort bitteschön, die mir das "frei" erklärt und nicht wieder ausweichendes Herumgedruckse mit "reflektiert" und "überlegt". Willst du nicht auch hier reinen Tisch machen und mir zugeben, dass dir die Argumente fehlen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage wäre vielmehr, wieso Du einen solchen Freiraum in Deinem Sinne erstens darlegen kannst und zweitens plausibel machen kannst, dass ein solcher Freiraum in Deinem Sinn notwendige Voraussetzung für Freiheit wäre.

Statt deinen nicht freien Freiraum zu begründen, versuchst du hier, schnell mal das Thema zu wechseln. Das was du Freiheit nennst, ist keine, denn es gibt keinen Freiraum sondern nur Festgelegtheit. Meine Frage ist also weiterhin, wie du deine unglückliche Begriffswahl auch nur annähernd begründen kannst.

Nochmal zum Golfer und deinem merkwürdigen Schuldbegriff, wo "hätte anders handeln können" bedeutet, dass er die grundsätzliche Fähigkeit hatte, anders zu handeln.
AgentProvocateur hat geschrieben:Besser wäre, wenn Du Dir unterschiedliche Situationen und den jeweiligen Erfolg/Misserfolg anschauen würdest, dann würdest Du mehr über die Fähigkeit des Spielers erfahren.

Das ist die Statistik, von der Sam Harris spricht. Also meinetwegen, beobachten wir den Golfspieler jahrelang und führen peinlich genau Buch. Er puttet 7 von 10 mal. Und 3 von 10 mal setzt er das Ding daneben. Jetzt die Frage: wenn er gestern um 15 Uhr daneben traf, ist er nach deiner Definition schuld?
Nach deiner Theorie, was Schuld bedeutet, schaut man sich die Wahrscheinlichkeit an, mit der der Golfer trifft (7:3). Und dann sagt man: "ja, er hätte gut und gerne treffen können. Also ist er schuldig, dass er es gestern um 15 Uhr nicht tat!"
Aber das ist einfach falsch. Denn 7:3 bedeutet doch, dass er 3 mal aus 10 Versuchen nicht trifft bzw. nicht treffen darf. Man konnte also nicht "erwarten", dass er trifft. Die Norm ist eben nicht, dass er trifft, sondern nur, dass er 7 mal trifft von 10. Der Golfer hat also innerhalb seiner Norm gehandelt und wäre demnach dann doch nicht schuld an seinem Fehlversuch? Schuld an einem Fehlversuch wäre demnach nur ein Golfer, von dem man mit Sicherheit erwarten dürfte, dass er immer trifft. Aber der würde ja widerum niemals daneben treffen. Mir scheint, dein Schuldbegriff ist in jedem Fall logisch falsch.

Zurück zum Mörder, der gestern um 15 Uhr sein Opfer erschoss. Du sprichst ihn schuldig, wenn er die grundsätzliche Fähigkeit hatte, durch Selbstkontrolle nicht zu schießen. Wir erstellen also, genau wie beim Golfer, eine Statistik um die Erfolgsquote des Mörders herauszufinden. Hm, schwierig. Sehr oft beobachten wir ihn nicht dabei, wie er sich mit einem Revolver seiner Exgeliebten nähert. Uns fehlen die Zahlen, uns feht die Statistik. Es war eine Einzeltat, eine außergewöhnliche Situation. Wie machst du das in diesem Fall mit dem Feststellen, ob der Mörder eine grundsätzliche Fähigkeit hat, in dieser oder ähnlichen Situation (mehr Wind, weniger Wind) erfolgreich nicht zu schießen? Das geht doch gar nicht, oder? Du kannst gar nicht entscheiden, ob er die grundsätzliche Fähigkeit hatte. Du kannst es nur raten. Wie ich sagte: ein Lari-Fari-Begriff, bei dem es keine Regeln gibt und jeder urteilen kann wie er gerade lustig ist.
Und selbst wenn wir wüssten (oder durch einen Psychiater abschätzen ließen), dass der Mörder eine 7:3 Erfolgsquote hat. Ist er dann schuldig oder unschuldig? Die Erfolgsquote sagt doch, dass er bei 10 Exgeliebten 3 mal morden darf. Solange wir es mit seinem ersten Mord zu tun haben, können wir also noch gar nicht beurteilen, ob er über oder unter seiner Erfolgsquote liegt.

Mit deinem Schuldkriterium kann der Richter also genausogut würfeln und einen großen Teil der Prozesskosten sparen, oder?

Nehmen wir doch lieber mein Kriterium. Das ist klar vorgegeben, sehr einfach anwendbar und man gelangt immer zu einem logisch widerspruchsfreiem Ergebnis: nicht schuldig im Sinne "er hätte (in derselben Situation) auch anders handeln können", denn er konnte gestern um 15 Uhr nicht anders handeln (laut Determinismus).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Di 25. Feb 2014, 08:04

ganimed hat geschrieben:

Nehmen wir doch lieber mein Kriterium. Das ist klar vorgegeben, sehr einfach anwendbar und man gelangt immer zu einem logisch widerspruchsfreiem Ergebnis: nicht schuldig im Sinne "er hätte (in derselben Situation) auch anders handeln können", denn er konnte gestern um 15 Uhr nicht anders handeln (laut Determinismus).


Ich kann da leider um 16 Uhr auch nicht anders handeln, als den Mörder zu lynchen... - Oder was willst du mit diesem Gerede determinieren?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 26. Feb 2014, 00:02

ganimed hat geschrieben:Wieso ist ein Raum, in dem ich nur auf eine Weise handeln kann, bei dir ein Freiraum? Kriege ich jemals eine Antwort auf diese Frage?

Unter "Handlungsfreiheit" verstehe ich: jemand kann tun, was er will.

"Perfekte Handlungsfreiheit" wäre: jemand kann immer tun, was er will.

Unter "Entscheidungsfreiheit" verstehe ich: jemand ist fähig dazu, die Umstände einer Situation erkennen, dazu passende Optionen generieren und unter diesen passenden Optionen die im am besten erscheinende auswählen zu können.

"Perfekte Entscheidungsfreiheit" wäre demnach: jemand ist immer in der Lage dazu, eine Situation vollkommen abzuschätzen, alle dazu passenden Optionen generieren zu können und immer die daraus die ihm als beste erscheinende Option auswählen zu können.

Dabei spielte es mE keine Rolle, falls dabei jeweils in einer bestimmten Situation immer eine bestimmte Entscheidung und eine bestimmte Handlung erfolgte. Im Gegenteil sogar: wenn das nicht der Fall wäre, würde ich das als weniger frei ansehen. (Es sei denn, dass mehrere als gleich bewertete Optionen vorlägen, dann wäre es mE egal, welche dieser als gleichwertigen Optionen ausgewählt würden. Und es wäre auch egal, wenn immer dieselbe Option ausgewählt würde.)

Wohlgemerkt: ich behaupte nicht, dass es in dem oben definierten Sinne in unserer Welt perfekte Entscheidungsfreiheit und/oder perfekte Handlungsfreiheit gäbe. Ich behaupte lediglich, dass es auch in einer determinierten Welt eine solche graduelle Entscheidungs- und Handlungsfreiheit geben kann.

Nun meinst Du wohl, dass, wenn es keinen Freiraum in Deinem Sinne gäbe, (= "es hätte nicht anders kommen können"), man Personen nicht frei bezüglich ihrer Entscheidungen und Handlungen nennen könne.

Aber das erscheint mir prima facie unplausibel, denn was wäre mehr Handlungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer das tun könnte, was sie wollte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal das täte, was sie nicht wollte? Aber wieso? Das ist mE nun keineswegs so selbstverständlich, wie Du zu meinen scheinst.

Und analog: was wäre mehr Entscheidungsfreiheit, als wie wenn eine Person immer vollständiges Wissen der relevanten Umstände einer bestimmten Situation hätte, alle möglichen Handlungsoptionen für diese Situation generieren könntge und immer die am für sie beste Option in der Situation auswählen könnte? Wäre eine Person freier, falls sie manchmal eine von ihr als schlechter angesehenen Option auswähle würde?

Dein Einwand hier: ja, aber diese Person tut nie, was sie nicht will, bzw. sie entscheidet sich nie für eine von ihr als schlechter angesehene Option, erscheint mir nun keine plausible Begründung für eine Freiheitseinschränkung dieser Person zu sein.

ganimed hat geschrieben:Zurück zum Mörder, der gestern um 15 Uhr sein Opfer erschoss. Du sprichst ihn schuldig, wenn er die grundsätzliche Fähigkeit hatte, durch Selbstkontrolle nicht zu schießen.

Ja, oder den Steuerhinterzieher oder den Betrüger oder den Vertragsbrecher. Um nicht nur Kapitalverbrechen zu nennen.

ganimed hat geschrieben:Mit deinem Schuldkriterium kann der Richter also genausogut würfeln und einen großen Teil der Prozesskosten sparen, oder?

Es gibt diverse Verfahren, um festzustellen, um jemand schuldfähig ist oder nicht. Diese Verfahren sind zwar weit davon entfernt, unfehlbar zu sein, jedoch sind sie dennoch unverzichtbar. Es geht dabei mE nicht darum, wie Du anscheinend meinst, festzustellen, ob jemand böse sei oder nicht, sondern es geht vor allem darum, nicht jemanden ungerechtfertigt zu verurteilen. Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob eine Verurteilung eines bestimmten Menschen eine positive Auswirkung auf andere hätte; auch falls die Verurteilung eines Unschuldigen eine positive Auswirkung auf die zukünftige Gesellschaftsentwicklung hätte, würde man es als ungerecht ansehen, diesen Menschen derart als Mittel zum Zwecke der zukünftigen positiven Gesellschaftsentwicklung zu verwenden.

ganimed hat geschrieben:Nehmen wir doch lieber mein Kriterium. Das ist klar vorgegeben, sehr einfach anwendbar und man gelangt immer zu einem logisch widerspruchsfreiem Ergebnis: nicht schuldig im Sinne "er hätte (in derselben Situation) auch anders handeln können", denn er konnte gestern um 15 Uhr nicht anders handeln (laut Determinismus).

Der Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer hat gestern um 15 Uhr so gehandelt, wie er gehandelt hatte. Und, Determinismus vorausgesetzt, hätte es nicht anders kommen können als so, wie es kam. Was jedoch nichts daran ändert, dass die Handlung desjenigen auf seinem Mist gewachsen ist, falls er zurechnungsfähig war. Und was nichts daran ändert, dass seine Handlung gegen bekannte Normen verstieß. Und was auch nichts daran ändert, dass jemand anderes, der damit nichts zu tun hatte, tautologischerweise damit nichts zu tun hatte.

Und weiter? Soll der Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer deswegen nicht sanktioniert werden? Was soll mit ihm statt dessen geschehen? Ihn einfach laufen lassen? Und was, wenn darauf jemand Selbstjustiz ausübt und den Mörder, Steuerhinterzieher, Betrüger oder Vertragsbrecher oder wie auch immer killt oder übel verletzt? Immer nur müde mit den Schultern zucken und sagen: "niemand kann etwas dafür, was er tut, ist ja alles determiniert"? Oder sagen: "Mord, Steuerhinterziehung, Betrug und Vertragsbruch sind kein Problem, diese sind ja determiniert, daher alternativlos, daher darf das nicht bestraft/sanktioniert werden, aber Selbstjustiz geht gar nicht, daher muss Selbstjustiz bestraft/sanktioniert werden"?

Oder zwar weiter sanktionieren wie bisher, aber fürderhin den Begriff "Strafe" vermeiden und statt dessen z.B. "Sanktion" sagen? Genau dasselbe tun wie bisher, jedoch die Begriffe ändern, also lediglich Sprachkosmetik betreiben?

Falls der juristische Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld" Deiner Ansicht nach fallen gelassen werden soll, was soll an dessen Stelle treten? Niemanden mehr bestrafen/sanktionieren, oder nach völligem Belieben dann sanktionieren, wenn wahrscheinlich ein Nutzen für die Gesellschaft daraus folgte? Also z.B. irgend jemand völlig Beliebigen (z.B. Dich oder Deine Kinder) willkürlich bestrafen/sanktionieren, falls die Präsentation eines Sündenbockes voraussichtlich gute Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte? Weil es in einer determinierten Welt völlig egal wäre, wer bestraft/sanktioniert würde, weil in einer determinierten Welt alle gleichermaßen unschuldig wären und daher entweder ausnahmslos niemand oder völlig beliebige Leute sanktioniert/bestraft werden düften, falls das irgendwie einen voraussichtlichen Nutzen hätte?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Karl-Heinz Hermsch » Mi 26. Feb 2014, 09:35

Dies ist exakt eins der Themen, mit denen ich mich intensiv beschäftigt habe.
Ich bin genau deiner Meinung.
Gehe doch mal auf meine Website http://www.karlheinzhermsch.de - hier findest du auf der Startseite eine Definition des Zufalls. Interessant könnte auch die Seite "Quantenwelt - und die Welt des Menschen sein.
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